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VGH München Beschluss vom 10.02.2009 - 11 C 08.2018 - Zur Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens bei Diabetes
VGH München v. 10.02.2009: Zur Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens bei Diabetes
Der VGH München (Beschluss vom 10.02.2009 - 11 C 08.2018) hat entschieden:
- Zum Umfang der fachärztlichen Aufklärung der Fahreignung bei auf früherem Alkoholkonsum beruhender - gegenwärtig gut eingestellter - Diabetes und zu den verfahrensrechtlichen Aufklärungsmöglichkeiten des Verwaltungsgerichts unabhängig von den Fragestellungen der Verwaltungsbehörde.
- In Gestalt der Bestimmung des EtG-Wertes steht ein hochspezifischer Marker zur Verfügung, der es nach dem derzeitigen Kenntnisstand des Gerichts - anders als die Laborparameter, die üblicherweise mit dem Ziel einer Abstinenzkontrolle erhoben werden (GGT, GOT, GPT, MCV und CDT) - u. U. erlaubt, eine behauptete Alkoholabstinenz unmittelbar nachzuweisen oder zu widerlegen. Findet sich in mehreren unangekündigt und nach kurzfristiger Einbestellung gewonnenen Urinproben, die einen längeren Zeitraum abdecken, kein EtG, geht die gutachterliche Praxis davon aus, dass ein angegebener Alkoholverzicht glaubhaft gemacht wurde.
- Der Senat versteht die in § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG getroffene Übergangsregelung dahin, dass sich der Beginn der dort für die Verwertbarkeit vor dem 1. Januar 1999 ins Verkehrszentralregister eingetragener Entscheidungen bestimmten zehnjährigen Frist nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG richtet (BayVGH vom 6.8.2007 Az. 11 ZB 06.1818 m.w.N.).
Siehe auch Krankheiten und Fahrerlaubnis
Gründe:
I.
Der 1966 geborene Kläger will mit seiner Beschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage vor dem Verwaltungsgericht Regensburg erreichen, mit der er die Zulassung zur Fahrprüfung erstrebt.
Mit Strafbefehl vom 3. Juni 1993, rechtskräftig seit 25. Juni 1993, wurde ihm wegen einer Trunkenheitsfahrt mit 1,92 Promille die Fahrerlaubnis entzogen. Am 12. September 1997 und 3. Februar 1998 fiel er jeweils wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auf. Mit Strafurteil vom 14. Mai 1998 wurde die Tat vom 3. Februar 1998 unter Einbeziehung des Strafurteils vom 17. März 1998 mit einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 45,- DM geahndet.
Am 14. März 2007 beantragte der Kläger die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Das Antragsformular trägt den Vermerk "VZR neg.". Die Fahrerlaubnisbehörde forderte den Antragsteller unter dem 22. März 2007 auf, sich einer fachärztlichen Fahreignungsbegutachtung zu unterziehen. Der Kläger legte das Gutachten des TÜV SÜD Life Service GmbH vom 14. Mai 2007 vor. Hiernach leidet er an einer chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung mit diabetischer Stoffwechsellage, die als typische Alkoholfolgeerkrankung zu werten sei. Zuckerkranke mit Neigung zu schweren Stoffwechselentgleisungen erfüllten nicht die Voraussetzungen zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen. Die verkehrsmedizinische Untersuchung habe ferner Befunde erbracht, die für einen erhöhten Alkoholkonsum und damit gegen die Annahme sprächen, dass der Kläger sein Trinkverhalten wirksam kontrolliere und steuere. Diese Befunde schlössen für sich gesehen das sichere Führen von Kraftfahrzeugen nicht aus. Sie deuteten jedoch darauf hin, dass der Kläger sein Trinkverhalten bislang nicht bzw. nicht ausreichend verändert habe. Die Fragestellung wird vom Gutachter wie folgt beantwortet:
"Die aus den aktenkundigen Tatsachen begründete Annahme einer Alkoholabhängigkeit lässt sich aufgrund der vorliegenden Befunde nicht mit der erforderlichen Sicherheit bestätigen. Es liegt aber ein erheblicher Alkoholmissbrauch mit erheblichen organischen Folgeschäden vor; das allzeit sichere Führen von Kraftfahrzeugen der beantragten Klassen ist wegen des erhöhten Risikos einer Stoffwechselentgleisung nicht zu erwarten."
Der Kläger legte eine Bescheinigung des TÜV vom 6. Juni 2007 darüber vor, dass eine von seinem Hausarzt am 7. Mai 2007 durchgeführte Laboranalyse einen Gamma-GT-Wert im Normbereich ergeben habe. Ferner wurde ein ärztliches Attest seines Hausarztes vom 11. Juni 2007 vorgelegt, woraus sich ergibt, dass der Diabetes des Klägers derzeit diätetisch eingestellt sei, mit "BZ-Werten im Normbereich". Der Kläger beschreibe keinerlei stärkere Hypoglykämien, so dass aus hausärztlicher Sicht nichts gegen die Teilnahme am Straßenverkehr spreche. Vorgelegt wurden auch Berichte der Kliniken des Landkreises Freyung-Grafenau gGmbH und des Klinikums Passau über stationäre Aufenthalte des Klägers im Jahr 2006, ein Attest seines Hausarztes vom 11. April 2007, ein Laborbericht des Hausarztes vom 7. September 2007 und ein ärztliches Attest gleichen Datums aus dem sich ergibt, dass der Kläger wegen verschiedener Erkrankungen regelmäßig mehrere Medikamente einnehme, die geeignet seien, eine Erhöhung der Transaminasen herbeizuführen. Eine komplette Normalisierung der Leberwerte erscheine deshalb unwahrscheinlich. Bei den Fahrerlaubnisakten befindet sich ferner ein Laborbericht des Hausarztes des Klägers vom 12. Oktober 2007 (Bl. 106 der Fahrerlaubnisakte), über eine Messung von Ethylglucuronid (EtG) im Serum des Klägers. Als normal wird dabei ein Wert unter 0,1 bezeichnet. In der nicht gut lesbaren Spalte daneben ist "0,1" eingetragen und davor ein Zeichen das sowohl ein = wie auch ein < sein könnte. Bei den Fahrerlaubnisakten befinden sich auch Befundberichte der TÜV SÜD Life Service GmbH vom 4. März 2008 und vom 7. Mai 2008 (Bl. 70 und Bl. 107) wonach Untersuchungen von am 17. Februar 2008 bzw. am 30. April 2008 gewonnenen Urinproben des Klägers ein negatives Ergebnis bezüglich EtG ergeben haben.
Auf Anforderung der Fahrerlaubnisbehörde erfolgte unter dem 14. Mai 2008 eine ergänzende Äußerung des Gutachters der TÜV SÜD Life Service GmbH (Bl.108 f. der Fahrerlaubnisakte), auf die Bezug genommen wird. Auf weitere Nachfrage der Behörde teilte der Gutachter mit Schreiben vom 16. Mai 2008 mit, der Kläger nehme derzeit an einem Alkoholabstinenzprogramm (EtG) des TÜV-SÜD teil. Zwei Untersuchungen stünden noch aus. Die Fahreignung müsse nicht nochmals durch ärztliche Untersuchung geprüft werden. Es solle jedoch eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden, dass die Bauchspeicheldrüsenentzündung klinisch nicht mehr relevant sei.
Mit Schreiben vom 26. Mai 2008 forderte die Fahrerlaubnisbehörde vom Kläger die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens nach § 13 Nr. 2 d und c FeV bis zum 31. Dezember 2008.
Mit Schriftsatz vom 28. April 2008 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, ihm die Fahrerlaubnis der Klassen B und C1 herauszugeben. Zugleich beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten. Weiter beantragte er hilfsweise, festzustellen, dass er geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei und die Voraussetzungen zum Erhalt einer Fahrerlaubnis der Klassen B und C1 erfülle. Er legte einen "Gesundheits-Pass Diabetes" vor.
Mit Beschluss vom 3. Juli 2008 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Die Klage habe keine hinreichende Erfolgsaussicht. Der Kläger sei nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis, die herausgegeben werden könne. Die Feststellungsklage sei unzulässig, weil der Kläger sein Rechtsschutzziel mit einer Gestaltungsklage erreichen könne. Eine entsprechende Verpflichtungsklage wäre jedenfalls unbegründet, weil die Gutachtensanordnung gemäß § 13 Nr. 2 c und d FeV zu Recht erfolgt sei. Seitens des Gerichts werde eine Begutachtung insbesondere auch gemäß § 13 Nr. 2 e FeV für erforderlich gehalten. Auch müsse der Kläger seine Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 StVG, § 20 Abs. 2 Satz 2, § 15 FeV in einer theoretischen und praktischen Fahrprüfung nachweisen.
Der Kläger erhob gegen den Beschluss vom 3. Juli 2008 Beschwerde, der das Verwaltungsgericht nicht abhalf. In der Beschwerdebegründung macht er insbesondere geltend, die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach § 13 Nr. 2 Buchst c, d und e FeV sei nicht gerechtfertigt. Das dem Gericht vorliegende Gutachten (gemeint ist wohl das fachärztliche Gutachten des TÜV Süd vom 14. Mai 2007) erfülle die Anforderungen für den Beleg von Alkoholismus nicht, sondern spreche von noch erheblichem Alkoholmissbrauch. Das Gutachten sei in sich widersprüchlich, da entweder Alkoholmissbrauch oder Alkoholismus vorliege. Tatsächlich sei der Kläger Alkoholiker gewesen und jetzt trocken. Die dem Gericht vorliegenden Befunde belegten eindeutig, dass er seit mehr als einem Jahr keinen Alkohol mehr trinke. Insoweit sei § 13 Nr. 2 e FeV eindeutig dahingehend beantwortet, dass kein Alkoholmissbrauch mehr vorliege, weil nichts mehr getrunken werde. Die Ausführungen des Gutachters lägen insoweit neben der Sache, als er von Alkoholkonsum bzw. von dessen Einstellung schreibe. Der Kläger habe sich dafür entschieden, nichts mehr zu trinken, und halte dies ein. Eine psychologische Erhebungsnotwendigkeit über die Änderung des Trinkverhaltens gebe es demzufolge nicht. Der Kläger treibe regelmäßig Sport, weshalb er nicht einmal mehr Insulin spritzen müsse. Sinngemäß wird ferner geltend gemacht, es sei unverhältnismäßig, von ihm noch ein weiteres Gutachten für weit über 700 € zu verlangen, nachdem er ärztlich nachgewiesen habe, dass er als Alkoholiker trocken sei. Vorgelegt wurde eine ärztliche Bescheinigung, den Kläger behandelnder Ärzte vom 3. Februar 2009, wonach er bei einer Psychotherapie seine schädlichen Trinkgewohnheiten aufgearbeitet habe. Der Kläger beantragt, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm seinen Bevollmächtigten beizuordnen. In der Hauptsache berichtigt er seinen Antrag dahingehend, den Beklagten zu verpflichten, ihn zur Fahrprüfung zuzulassen.
Der Beklagte tritt der Beschwerde entgegen und beantragt, sie zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg. Dem Kläger ist unter Beiordnung seines Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.v. § 166 VwGO, § 114 ZPO bietet und nicht mutwillig erscheint. Zwar ist nicht gewiss, ob der Kläger einen Anspruch auf Zulassung zur Fahrprüfung hat. Die Anforderungen dürfen aber insoweit nicht überspannt werden und ein Obsiegen des Klägers in der Hauptsache erscheint ebenso wahrscheinlich wie sein Unterliegen.
Der Kläger hat seinen Antrag in der Hauptsache umgestellt und erstrebt nunmehr die Verpflichtung des Beklagten, ihn zur Fahrerlaubnisprüfung zuzulassen. Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV die Vorschriften für die Ersterteilung. Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis muss insbesondere die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen (§15 ff. FeV) sowie die körperliche und geistige Eignung (§ 11 ff. FeV) dazu besitzen. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung im Rahmen eines Prozesskostenhilfeantrags ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungsreife (vgl. Peter Schmidt in Eyermann, VwGO, 12. Auflage 2006, RdNr. 40 zu § 166). Dies ist vorliegend der 30. Mai 2008, da an diesem Tag die Äußerung des Beklagten und die Behördenakte bei dem Verwaltungsgericht Regensburg eingingen und es erstmals die zur Bearbeitung des Prozesskostenhilfegesuchs nötigen Informationen vollständig vorliegen hatte. Ob § 20 FeV in seiner bis 29. Oktober 2008 geltenden Fassung oder in der nunmehr seit 19. Januar 2009 geltenden Neufassung der Vorschrift (BGBl. I. 2009, 29) anzuwenden ist, kann dahinstehen, weil der Kläger selbst nicht beansprucht, die erforderliche Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen noch zu besitzen. Unabhängig davon drängt es sich vorliegend auch nicht auf, dass er nach dem Verlust der Fahrerlaubnis vor mehr als 15 Jahren noch heute über diese Befähigung verfügt. Der Umstand, dass er 1997 und 1998 je einmal ohne Fahrerlaubnis gefahren ist, zwingt nicht zu der Annahme, dass der Kläger seine diesbezüglichen Kenntnisse und Fertigkeiten bis heute im erforderlichen Umfang wach halten konnte. Der Nachweis der Befähigung wird durch Ablegen einer Prüfung geführt, zu der die Fahrerlaubnisbehörde den Bewerber gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 FeV anmeldet. Vorliegend bestehen zusätzlich Zweifel an der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen. Ob und welcher Nachweis im zu entscheidenden Fall für ein Bestehen der Fahreignung geführt werden muss, ist aber offen, da durch das fachärztliche Gutachten der TÜV Süd Life Service GmbH vom 24. Mai 2007 nebst Ergänzung nicht zweifelsfrei geklärt ist, ob ein Fall der Alkoholabhängigkeit vorliegt.
Das Gutachten vom 24. Mai 2007 in der Fassung der ergänzenden Äußerung vom 14. Mai 2008 kommt zu dem Ergebnis, dass beim Kläger sicher erheblicher längerfristiger Alkoholmissbrauch vorgelegen habe, die Annahme einer Alkoholabhängigkeit sich aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit bestätigen lasse. Ob das zutrifft, steht nicht zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, da das Gutachten eine fachliche Begründung für diesen Befund schuldig bleibt und der Gutachter auf die konkrete Nachfrage der Fahrerlaubnisbehörde hin (vgl. Bl. 76 der Fahrerlaubnisakte) auch in seinen ergänzenden Äußerungen darauf nicht eingeht. Ob also nicht doch eine Alkoholabhängigkeit des Klägers im Sinne der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10) vorliegt, kann anhand des vorhandenen ärztlichen Gutachtens nicht verlässlich beurteilt werden. Hierauf kommt es jedoch für die Entscheidung über die in der Hauptsache anhängige Verpflichtungsklage an. Denn im Fall der Alkoholabhängigkeit des Klägers bliebe die Verpflichtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg (a). Würde sich dagegen bei der weiteren Sachverhaltsaufklärung herausstellen, dass beim Kläger keine Alkoholabhängigkeit vorliegt, hätte er voraussichtlich einen Anspruch auf Anmeldung bzw. Zulassung zur Fahrerlaubnisprüfung, weil in diesem Fall die Forderung eines Nachweises für die Wiedererlangung der Fahreignung nicht gerechtfertigt wäre (b).
Das Verwaltungsgericht wird somit aufklären müssen, ob beim Kläger Alkoholabhängigkeit gegeben ist. Ferner besteht Aufklärungsbedarf im Hinblick auf Nr. 5.1 der Anlage 4 zur FeV insoweit, als es in dem TÜV-Gutachten vom 24. Mai 2007 heißt, das allzeit sichere Führen von Kraftfahrzeugen der beantragten Klassen sei wegen des erhöhten Risikos einer Stoffwechselentgleisung nicht vom Kläger zu erwarten. Durch die verschiedenen Äußerungen seines behandelnden Arztes und den vorgelegten "Gesundheits-Pass Diabetes" sind die diesbezüglichen Eignungsbedenken nicht ausgeräumt.
Zur weiteren Sachaufklärung ist das Verwaltungsgericht nicht an die in der Fahrerlaubnisverordnung eröffneten Möglichkeiten gebunden und auch nicht auf diese beschränkt. Vielmehr ergeben sich die Voraussetzungen, unter denen die Verwaltungsgerichte Begutachtungen anordnen dürfen aus den gemäß § 98 VwGO entsprechend anzuwendenden allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Beweisaufnahme (§§ 358 - 370 ZPO) sowie den besonderen Bestimmungen über den Beweis durch Sachverständige (§§ 402 - 414 ZPO), soweit die Verwaltungsgerichtsordnung keine vorrangigen Regelungen enthält und die Besonderheiten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, insbesondere der in diesem Zweig der Gerichtsbarkeit geltende Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO), keine Abweichungen bedingen (vgl. BayVGH vom 30.3.2006 Az. 11 ZB 05.722).
a) Für den Fall, dass die weitere Sachaufklärung ergibt, dass - wie vom Kläger auch selbst behauptet - Alkoholabhängigkeit vorliegt, kann er die Fahreignung nicht wiedererlangt haben. Gemäß Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV ist nach Alkoholabhängigkeit unter zwei Voraussetzungen wieder vom Vorliegen der Fahreignung auszugehen, die nicht erfüllt sind. Zum einen muss eine erfolgreiche Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung nachgewiesen werden, zum anderen muss im Anschluss daran mindestens ein Jahr Abstinenz bestehen.
Zwar gibt der Kläger an, er sei "trocken" und in dem Attest seines behandelnden Arztes vom 11. April 2007 heißt es, er habe chronischen Alkoholabusus "bis 10. Juni 2006" betrieben. Es kann jedoch nicht nachvollzogen werden, ob der Kläger eine Entwöhnungsbehandlung im Sinne von Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV absolviert hat, die ihn zu entsprechender Einsicht in die Gründe für seine Alkoholkrankheit befähigt und ihm das Erlernen von Strategien zur Verhaltenssteuerung gegen mögliche Rückfälle ermöglicht hat. In dem Attest vom 11. April 2007 ist die Rede von mehrmaligen Krankenhausaufenthalten "gleich einer Alkoholentzugstherapie"; was darunter genau zu verstehen ist, wird nicht erläutert. Nur wenn der Kläger nachgewiesenermaßen eine Entwöhnungsbehandlung im eigentlichen Sinne genossen und nicht nur einen körperlichen Alkoholentzug durchgeführt hätte, könnte aber davon ausgegangen werden, dass die Alkoholabhängigkeit überwunden wurde (vgl. BayVGH vom 30.9.2008, 11 CS 08.2211).
Auch kann nicht die Rede davon sein, dass der Kläger nachgewiesenermaßen seit einem Jahr alkoholabstinent lebt. Zum Zeitpunkt des ärztlichen Gutachtens der TÜV Süd Life Service GmbH, im Mai 2007, sprachen seine Laborwerte (erhöhter GGT) gegen eine Abstinenz. Dem Laborbericht vom 12. Oktober 2007 über eine Messung von EtG im Serum des Klägers kommt kein Nachweiswert zu. Abgesehen davon, dass der Befund nicht eindeutig lesbar ist, stammt er vom Hausarzt des Klägers, nicht von einem Arzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation, und es ist auch nicht nachvollziehbar, unter welchen Bedingungen die der Laboruntersuchung zugrunde liegende Probe gewonnen wurde. Die Befundberichte der TÜV SÜD Life Service GmbH vom 4. März 2008 und vom 7. Mai 2008, wonach Untersuchungen von am 17. Februar 2008 bzw. am 30. April 2008 unter kontrollierten Bedingungen gewonnenen Urinproben des Klägers ein negatives Ergebnis bezüglich des Alkohol-Indikators Ethylglucuronid ergeben haben, stellen einigermaßen belastbare Hinweise auf eine tatsächliche eingehaltene Alkoholkarenz dar (vgl. BayVGH vom 31.7.2008 Az. 11 CS 08.1103). Gemäß der ergänzenden Äußerung des TÜV-Gutachters vom 16. Mai 2008 nimmt bzw. nahm der Kläger an einem Alkoholabstinenzprogramm (EtG) des TÜV teil. In Gestalt der Bestimmung des EtG-Wertes steht ein hochspezifischer Marker zur Verfügung, der es nach dem derzeitigen Kenntnisstand des Gerichts - anders als die Laborparameter, die üblicherweise mit dem Ziel einer Abstinenzkontrolle erhoben werden (GGT, GOT, GPT, MCV und CDT) - u. U. erlaubt, eine behauptete Alkoholabstinenz unmittelbar nachzuweisen oder zu widerlegen. Findet sich in mehreren unangekündigt und nach kurzfristiger Einbestellung gewonnenen Urinproben, die einen längeren Zeitraum abdecken, kein EtG, geht die gutachterliche Praxis davon aus, dass ein angegebener Alkoholverzicht glaubhaft gemacht wurde (vgl. BayVGH vom 31.7.2008 a.a.O.). Obwohl so der Nachweis der Alkoholabstinenz zu führen wäre, hat der Kläger weitere Urinscreenings zur EtG-Bestimmung nicht vorgelegt. Bislang kann deshalb auch nicht davon ausgegangen werden, dass er mindestens ein Jahr lang durchgehend alkoholabstinent gelebt hat. Die mit der Klage vorgelegten Laborberichte des Hausarztes des Klägers aus dem Jahr 2007 sind zum Führen des Abstinenznachweises schon deshalb nicht geeignet, weil nicht nachvollziehbar ist, unter welchen Bedingungen die den Laboruntersuchungen zugrunde liegenden Proben gewonnen wurden, weil die überprüften Laborparameter zum Abstinenznachweis ohnehin nicht geeignet sind (s.o.), und weil teilweise der Gamma-GT als einer der Laborparameter, deren Erhöhung auf übermäßigen Alkoholkonsum hindeutet, beim Kläger bei der Mehrzahl der dokumentierten Laboruntersuchungen erhöht war.
Auch die zuletzt vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 3. Februar 2009 ist nicht geeignet, die Erfüllung der Voraussetzungen von Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV für die Wiedererlangung der Fahreignung nach Alkoholabhängigkeit nachzuweisen. Insbesondere wird damit nicht belegt, dass der Kläger seit einem Jahr stabile Abstinenz einhält.
b) Falls die weitere Sachverhaltsaufklärung ergibt, dass beim Kläger keine Alkoholabhängigkeit festzustellen ist, kann von ihm nicht der Nachweis gefordert werden, dass er die Fahreignung wiedererlangt hat.
Mit der am 3. Juni 1993 geahndeten Trunkenheitsfahrt hat der Kläger einen Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne, gemäß dem Klammerzusatz zu Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ("Das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum kann nicht hinreichend sicher getrennt werden.") verwirklicht. Nachdem die besagte Trunkenheitsfahrt aber aus dem Verkehrszentralregister getilgt und für die Zwecke der Feststellung der Fahreignung nicht mehr verwertbar ist, darf dieser gesamte Komplex im vorliegenden Verfahren nicht mehr berücksichtigt werden und folglich vom Kläger auch nicht der Nachweis verlangt werden, dass er die Fahreignung wieder erlangt habe.
Die Unverwertbarkeit der Trunkenheitsfahrt ergibt sich aus folgendem: Gemäß § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG werden Entscheidungen, die vor dem 1. Januar 1999 in das Verkehrszentralregister eingetragen worden sind, bis 1. Januar 2004 nach den Vorschriften in § 29 StVG und § 13 a StVZO jeweils in der bis 1. Januar 1999 geltenden Fassung getilgt. Nach § 13 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 2 a und c StVZO a.F. galt für die Verurteilung vom 3. Juni 1993 wegen der Trunkenheitsfahrt eine Frist von fünf Jahren. Ob der Ablauf der Tilgungsfrist gemäß § 13 a Abs. 3 Satz 1 StVZO a.F. durch Eintragung der Verurteilung vom 14. Mai 1998 zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 45,- DM wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gehemmt wurde, kann nicht sicher beurteilt werden. Den Akten lässt sich nicht entnehmen, zu welchem Zeitpunkt diese Verurteilung in das Verkehrszentralregister eingetragen wurde. Der Antrag des Antragstellers vom 14. März 2007 auf Erteilung einer Fahrerlaubnis trägt den Vermerk "VZR neg.", was darauf hinweist, dass ein Verkehrszentralregisterauszug des Klägers nicht (mehr) vorlag, weil die Verurteilung vom 14. Mai 1998 erst nach dem 3. Juni 1998 eingetragen wurde. Hierauf, sowie auf die Frage, ob möglicherweise die Bestimmung des § 65 Abs. 9 Satz 2 StVG zur Folge hat, dass auch eine Eintragung der Verurteilung vom 14. Mai 1998 nach dem 3. Juni 1998 noch eine Ablaufhemmung ausgelöst haben könnte, obwohl in § 13 a Abs. 3 StVZO a.F. eine dem § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG n.F. entsprechende Regelung fehlte, kommt es jedoch nicht an. Der Senat versteht nämlich die in § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG getroffene Übergangsregelung dahin, dass sich der Beginn der dort für die Verwertbarkeit vor dem 1. Januar 1999 ins Verkehrszentralregister eingetragener Entscheidungen bestimmten zehnjährigen Frist nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG richtet (BayVGH vom 6.8.2007 Az. 11 ZB 06.1818 m.w.N.). Danach lief die zehnjährige Tilgungsfrist bezüglich der am 3. Juni 1993 geahndeten Trunkenheitsfahrt spätestens am 3. Juni 1998 an und somit spätestens am 3. Juni 2008 ab, so dass die Tat jedenfalls seit diesem Zeitpunkt unverwertbar ist.
Dies ist auch bei der vorliegenden Entscheidung zu berücksichtigen. Zwar ist der hier maßgebliche Zeitpunkt der Bewilligungsreife der 30. Mai 2008. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt die Trunkenheitsfahrt noch nicht unverwertbar gewesen sein sollte, hätte das Verwaltungsgericht aber bei seiner Prognose über die Erfolgsaussichten der Verpflichtungsklage in Betracht ziehen müssen, dass die Tat spätestens in wenigen Tagen unverwertbar werden würde. Das Verwaltungsgericht muss seine Prognose im Rahmen der Prozesskostenhilfeentscheidung nämlich auf den für die Beurteilung der Begründetheit des in der Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs maßgeblichen Zeitpunkt beziehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Prüfung der hier in der Hauptsache erhobenen Verpflichtungsklage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife (30.5.2008) musste das Verwaltungsgericht somit bei seiner Prognose über die Erfolgsaussichten davon ausgehen, dass die spätestens mit Ablauf des 3. Juni 2008 unverwertbare Trunkenheitsfahrt im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr berücksichtigt werden darf.
Ist somit von der Nichtverwertbarkeit der Verurteilung vom 3. Juni 1993 wegen der Fahrt des Klägers mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,92 Promille auszugehen, darf nicht mehr von einem Verlust der Fahreignung ausgegangen und folglich auch kein Nachweis für deren Wiedererlangung gefordert werden.
Selbst wenn - wie nicht - von einem Alkoholmissbrauch des Klägers auszugehen wäre, wäre im Übrigen die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens nach § 13 Nr. 2 FeV nicht gerechtfertigt. Die Rechtmäßigkeit eines Vorgehens nach § 13 Nr. 2 c FeV würde voraussetzen, dass die Verurteilung des Klägers vom 3. Juni 1993 wegen seiner Fahrt mit 1,92 Promille Alkohol im Blut noch verwertbar wäre, was - wie dargestellt - nicht der Fall ist. Die Unverwertbarkeit ist auch zu beachten, wenn sie erst nach der Gutachtensanforderung bis zu dem in der Hauptsache maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eintritt (vgl. BayVGH vom 25.10.2007 Az. 11 CS 07.1242). Auch § 13 Nr. 2 d und e FeV scheiden wegen des Verwertungsverbots bezüglich der Trunkenheitsfahrt aus, welches aus dem eindeutigen Wortlaut von § 29 Abs. 8 StVG folgt, wonach Tat und Entscheidung dem Betroffenen für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintragung über die gerichtliche Entscheidung im Verkehrszentralregister getilgt ist.
Schließlich liegt auch kein Fall von § 13 Nr. 2 a FeV vor. Hiernach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten vom Fahrerlaubnisbewerber zu fordern, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für gegenwärtigen Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von gegenwärtigem Alkoholmissbrauch begründen (vgl. BayVGH vom 12.4.2006 Az. 11 ZB 05.3395). Hinreichende Anzeichen oder Tatsachen für die Annahme eines gegenwärtigen Alkoholmissbrauchs des Klägers im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne liegen aber nicht vor. Die Auslegung der gutachterlichen Äußerungen ergibt, dass dort der Begriff des "Alkoholmissbrauchs" im medizinischen Sinne eines übermäßigen, schädlichen Gebrauchs verwendet wurde (vgl. auch die Formulierung auf Seite 2 der Gutachtensergänzung vom 14. Mai 2008 "Aufgrund der Alkoholfolgeerkrankung ist Alkoholmissbrauch belegt"). Alkoholmissbrauch des Klägers im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn fehlenden Trennungsvermögens zwischen Trinken und Fahren (vgl. Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV) mit einem zumindest mittelbaren Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum und einer möglichen Teilnahme am Straßenverkehr (vgl. BayVGH vom 4.1.2006 Az. 11 CS 05.1878) lässt sich aus dem Gutachten vom 24. Mai 2007 nebst Ergänzung nicht ansatzweise entnehmen. Der Gutachter bescheinigt dem Kläger, die bei ihm festgestellten, erhöhten Leberwerte sprächen (nach wie vor) für einen erhöhten Alkoholkonsum und damit gegen die Annahme, dass er sein Trinkverhalten wirksam kontrolliere und steuere. Allein hieraus kann aber nicht darauf geschlossen werden, dass der Kläger zwischen Trinken und Fahren nicht trennen kann. Das kann auch nicht aus dem Zusammenhang erschlossen werden. Der Kläger verfügt seit mehr als 15 Jahren nicht mehr über eine Fahrerlaubnis. Zwar könnte er theoretisch auch ohne Fahrerlaubnis mit einem Kraftfahrzeug oder aber mit einem nicht motorisierten Fahrzeug alkoholisiert fahren. Es fehlen aber jegliche Anhaltspunkte dafür, dass dies geschehen sein könnte oder dafür, dass der Kläger etwa aus beruflichen Gründen Situationen nicht ausweichen könnte, in denen ein Konflikt zwischen Alkoholkonsum und Straßenverkehrsteilnahme entsteht (vgl. auch OVG Koblenz vom 5.6.2007 ZfSch 2007, 656 ff.). Auch die weiteren, sich aus den Akten ergebenden Umstände erlauben diesen Schluss nicht. Danach hatte der Kläger im Jahr 2006 mehrfach Krankenhausaufenthalte wegen akuter Bauchspeicheldrüsenentzündung und Diabetes mellitus. In den ärztlichen Berichten ist jeweils chronischer Alkoholabusus vermerkt und der Hinweis angebracht, es sei dringend Alkoholkarenz nötig. Trotzdem hat der Kläger weiterhin Alkohol getrunken, obwohl er davon krank wurde. Seine Steuerungsfähigkeit war insoweit eingeschränkt bzw. aufgehoben, sein Verlangen nach Alkohol offenbar so groß, dass er gravierende körperliche Folgen dafür in Kauf nahm. Deshalb kann aber nicht automatisch auch von einem fehlenden Trennungsvermögen i.S.v. Nr. 8.1 Anlage 4 zur FeV beim Kläger ausgegangen werden.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da sich die Haftung für vor dem Verwaltungsgerichtshof angefallene Gerichtskosten bereits aus § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG ergibt und außergerichtliche Kosten der Beteiligten gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, da streitwertabhängige Gerichtskostentatbestände nicht verwirklicht wurden.