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BGH Urteil vom 12.03.2009 - VII ZR 88/08 - Zur Erstattung fiktiver Reparaturkosten eines Erstunfalls trotz eines späteren Zweitunfalls am gleichen Karosserieteil
BGH v. 12.03.2009: Zur Erstattung fiktiver Reparaturkosten eines Erstunfalls trotz eines späteren Zweitunfalls am gleichen Karosserieteil
Der BGH (Urteil vom 12.03.2009 - VII ZR 88/08) hat entschieden:
Der Geschädigte kann vom Schädiger die fiktiven Kosten der Reparatur seines Pkw auch dann verlangen, wenn das Fahrzeug bei einem späteren Unfall am gleichen Karosserieteil zusätzlich beschädigt worden ist, die Reparatur des Zweitschadens zwangsläufig zur Beseitigung des Erstschadens geführt hat und der Kaskoversicherer des Geschädigten aufgrund seiner Einstandspflicht für den späteren Schaden die Reparaturkosten vollständig erstattet hat.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Ersatz eines Schadens, der an seinem Pkw in der Waschanlage der Beklagten entstanden sein soll.
Am 10. Juni 2006 ließ der Kläger seinen Pkw in der Waschanlage der Beklagten waschen. Nach Ende des Waschvorgangs zeigte er dem Bedienungspersonal der Waschanlage an, dass die Frontschürze vorne links vom vorderen Kotflügel ca. 10 cm abgerissen, im 90°-Winkel abgeknickt und eingerissen sei. Ob dieser Schaden von der Waschanlage verursacht wurde, ist zwischen den Parteien streitig.
Der Kläger begehrt Ersatz des Schadens, den er nach einem Kostenvoranschlag inklusive Kostenpauschale mit insgesamt 1.148,35 € netto beziffert. Nach Klageerhebung verursachte die Ehefrau des Klägers am 28. Dezember 2006 mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug einen Auffahrunfall, durch den die Frontschürze vollständig funktionsunfähig wurde. Der Kläger ließ die Frontschürze erneuern, wodurch auch die bereits vorhandene Beschädigung ohne Mehrkosten behoben wurde. Die Kosten der Reparatur erhielt der Kläger von seinem Vollkaskoversicherer erstattet, den er über den Vorschaden an der Frontschürze nicht informierte.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht lässt offen, ob ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte entstanden ist. Ein solcher Anspruch auf Ersatz der fiktiven Reparaturkosten sei zwar nicht durch den Unfall vom 28. Dezember 2006 untergegangen. Der Kläger habe jedoch seinen Anspruch durch die Leistung seiner Vollkaskoversicherung verloren. Obwohl die Versicherung nicht wegen des ersten, sondern wegen des zweiten Schadensereignisses gezahlt habe, habe diese Leistung Tilgungswirkung auch für die Beklagte. Der Zweitschaden umfasse der Höhe nach vollständig den Erstschaden. Die zu seiner Beseitigung durchgeführten Arbeiten seien auch für die Reparatur des Erstschadens erforderlich gewesen. Es könne dahinstehen, ob die Beklagte und die Kaskoversicherung echte oder unechte Gesamtschuldner seien. Jedenfalls bestehe zwischen ihnen Leistungsidentität.
II.
Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Beklagte ist von einer Pflicht, dem Kläger den möglicherweise am 10. Juni 2006 entstandenen Schaden zu ersetzen, nicht frei geworden.
1. Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, dass dem Kläger wegen der Beschädigung seines Pkw in der Waschanlage ein Schadensersatzanspruch in Höhe der fiktiven Reparaturkosten gegen die Beklagte erwachsen ist.
2. Der Kläger hat diesen Anspruch nicht nachträglich verloren.
a) Das gilt zunächst für den vom Berufungsgericht angenommenen Fall, dass der Unfall vom 28. Dezember 2006 den in der Waschanlage entstandenen Schaden erweitert hat und der Kaskoversicherer für den gesamten Schaden eintrittspflichtig ist.
aa) Die Leistung des Kaskoversicherers hat den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht getilgt.
(1) Eine Erfüllungswirkung nach § 422 Abs. 1 BGB ist nicht eingetreten. Der Kaskoversicherer des Klägers und die Beklagte sind keine Gesamtschuldner im Sinne von § 421 BGB. Zwischen ihnen besteht schon keine gleichstufige Verbundenheit hinsichtlich ihrer Verpflichtung zum Schadensausgleich, die zu einer gesamtschuldnerischen Haftung führen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - VII ZR 126/02, BGHZ 155, 265, 268). Die Beklagte haftet als Schädiger. Der Versicherer ist aus dem mit dem Kläger geschlossenen Versicherungsvertrag einstandspflichtig.
(2) Eine Befreiung der Beklagten von ihrer Verpflichtung gegenüber dem Kläger könnte daher durch die Leistung des Versicherers nur eingetreten sein, wenn, wie die Revisionserwiderung mit dem Amtsgericht meint, der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte nach dem Versicherungsvertragsgesetz, das nach Art. 1 Abs. 2 EGVVG auf bis zum 31. Dezember 2008 eingetretene Versicherungsfälle in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung anzuwenden ist, auf den Kaskoversicherer übergegangen wäre. Dies ist indes nicht der Fall.
Auf den Versicherer gehen nach § 67 Abs. 1 VVG a.F. diejenigen Ansprüche über, die den durch den Versicherungsfall eingetretenen wirtschaftlichen Schaden ersetzen sollen (BGH, Urteil vom 24. November 1971 - IV ZR 71/70, VersR 1972, 194, 195 f.; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 67 Rdn. 3). Der Versicherungsfall, aufgrund dessen der Versicherer Leistungen an den Kläger erbracht hat, betrifft nicht die Beschädigung des Fahrzeugs des Klägers in der Waschanlage der Beklagten.
Nach § 7 Nr. 1 Abs. 1 AKB, von deren Geltung zwischen dem Kläger und dem Versicherer der Senat mangels Feststellungen zugunsten des Klägers ausgeht, ist unter Versicherungsfall das Ereignis zu verstehen, das einen unter die Versicherung fallenden Schaden verursacht. Mehrere Schadensereignisse können als ein Versicherungsfall angesehen werden, wenn sie sich als Teil eines einheitlichen Vorgangs oder eines einheitlichen Geschehensablaufs darstellen. Ob dies der Fall ist, ist nach der Verkehrsauffassung bei natürlicher Betrachtungsweise zu entscheiden (BGH, Urteil vom 9. November 2005 - IV ZR 146/04, NJW 2006, 292, 294; Urteil vom 6. Juni 1966 - II ZR 22/64, VersR 1966, 745).
Nach diesen Grundsätzen stellt der Unfall vom 28. Dezember 2006 einen Versicherungsfall dar, der von der Beschädigung des Fahrzeugs in der Waschanlage der Beklagten aufgrund der zeitlichen und räumlichen Distanz abzugrenzen ist. Fällt der Erstschaden ebenfalls unter die Kaskoversicherung des Klägers, liegt insoweit ein selbständiger Versicherungsfall vor.
Die Leistung des Versicherers bezog sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ausschließlich auf das Ereignis vom 28. Dezember 2006 und den dabei verursachten Schaden. Ein Wille der Versicherung, Leistungen auch für die vom Kläger ihr gegenüber nicht geltend gemachte, ihr nicht einmal bekannte Beschädigung durch die Waschanlage der Beklagten zu erbringen, ist nicht ersichtlich und kann nicht daraus abgeleitet werden, dass dieser Schaden faktisch beseitigt wurde. Auch der Kläger hat die Versicherungsleistung nicht als Ersatz des in der Waschanlage entstandenen Schadens verstanden. Eine Regulierung des ersten Schadensfalls durch den Versicherer ist mithin nicht erfolgt.
(3) Für die Annahme des Berufungsgerichts, das offenbar einen Forderungsübergang nach § 67 VVG nicht annehmen will, die Zahlung der Kaskoversicherung habe Tilgungswirkung wegen der Leistungsidentität zwischen den Schuldnern gehabt, bleibt nach allem kein Raum.
Dass der Versicherer als Dritter im Sinne von § 267 BGB geleistet hat - was das Berufungsgericht auch nicht annimmt - scheidet ersichtlich aus.
bb) Der Kläger muss sich auf seinen Anspruch die Leistung des Versicherers nicht nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen.
Diese Grundsätze beruhen auf dem Gedanken, dass dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen sind, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Dabei sind nicht alle durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, sondern nur solche, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, d.h. dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (BGH, Urteil vom 14. September 2004 - VI ZR 97/04, NJW 2004, 3557; Urteil vom 28. Juni 2007 - VII ZR 81/06, BGHZ 173, 83, 87). Die Versicherungsleistung, die der Kläger wegen des Unfalls vom 28. Dezember 2006 erhalten hat, ist ihm zum einen nicht im Zusammenhang mit dem Schadensereignis vom 10. Juni 2006 zugeflossen. Zum anderen hat er sie durch die Zahlung der Versicherungsprämien selbst "erkauft", was dem Schädiger nicht zugute kommen kann (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1978 - VI ZR 218/76, BGHZ 73, 109, 113 f.).
cc) Der Anspruch des Klägers auf Ersatz der fiktiven Herstellungskosten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist weder durch die zusätzliche Beschädigung bei dem Unfall am 28. Dezember 2006 noch durch die anschließende Reparatur untergegangen. Der Hinweis der Revisionserwiderung, der Anspruch sei deshalb entfallen, weil die Herstellung nunmehr unmöglich sei und der Schaden auf Kosten eines Dritten ohne jede Belastung des Geschädigten beseitigt worden sei, geht fehl. Diese Umstände können den einmal entstandenen Schadensersatzanspruch nicht nachträglich beseitigen und so den Schädiger entlasten.
Dem Geschädigten steht es aufgrund seiner Dispositionsfreiheit grundsätzlich frei, ob er den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag nach dessen Zahlung wirklich diesem Zweck zuführen oder anderweitig verwenden will. Selbst wenn er von vornherein nicht die Absicht hat, die der Berechnung seines Anspruchs zugrunde gelegte Wiederherstellung zu veranlassen, sondern sich anderweit behelfen oder die Entschädigungszahlung überhaupt einem sachfremden Zweck zuführen will, kann der Geschädigte Ersatz der zur Behebung des Schadens erforderlichen Reparaturkosten verlangen (BGH, Urteil vom 23. Mai 2006 - VI ZR 192/05, BGHZ 168, 43, 47).
Lässt der Geschädigte die Sache reparieren und werden die Kosten hierfür von einem Dritten übernommen, dessen Leistung nicht zugleich die Schuld des Schädigers erfüllt, kann jedenfalls dann nichts anderes gelten, wenn die Leistung des Dritten aus einer Versicherung erfolgt, die der Geschädigte mit seinen Beiträgen finanziert hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Reparatur vor oder nach Erhalt des Schadensersatzes durchgeführt wird. Zwar ist grundsätzlich die Schadensentwicklung bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 23. März 1976 - VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241 f.; Urteil vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 249/02, NJW 2004, 444, 445). Es kann dem Geschädigten jedoch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er von seiner Dispositionsbefugnis Gebrauch macht, bevor der Ersatzpflichtige geleistet hat (BGH, Urteil vom 23. März 1976 - VI ZR 41/74, aaO, S. 244).
b) Geht man entgegen dem Ansatz des Berufungsgerichts davon aus, dass der Unfall vom 28. Dezember 2006 den in der Waschanlage entstandenen Schaden nicht (nur) erweitert hat, sondern dass (auch) ein neuer, eigenständiger und abtrennbarer Schaden unabhängig von dem Erstschaden entstanden ist, wäre nicht anders zu entscheiden. Der Versicherer wäre nur für die durch den Unfall vom 28. Dezember 2006 verursachte Erhöhung der Reparaturkosten einstandspflichtig. Die Haftung der Beklagten für den Erstschaden würde dadurch in keiner Weise tangiert. Ein Gesamtschuldverhältnis käme von vornherein mangels einer Leistungspflicht des Versicherers für den Erstschaden nicht in Betracht. Soweit die Leistungen des Versicherers auch durch den Erstschaden verursachte Kosten abdecken, wäre der Kläger einem Rückforderungsanspruch des Versicherers ausgesetzt.
§ 67 Abs. 1 VVG a.F. wäre ebenso wenig anwendbar. Die von der Revisionserwiderung herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass ein Forderungsübergang auch stattfindet, wenn der Versicherer irrtümlich Leistungen aufgrund eines Schadensereignisses erbringt, obwohl er für dieses nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (BGH, Urteil vom 23. November 1988 - IVa ZR 143/87, NJW-RR 1989, 922, 923), betrifft einen anderen Sachverhalt. Dort ging es um die Ausgleichspflicht zwischen zwei Versicherern, von denen der irrtümlich Leistende nur subsidiär nach dem anderen einstandspflichtig war.
III.
Der Senat kann nicht in der Sache entscheiden, da das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Erstschaden durch die Waschanlage verursacht wurde und von der Beklagten zu verantworten ist. Die Sache war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen getroffen werden können.