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OLG Hamm Beschluss vom 07.11.2006 - 4 Ws 556/06 - Zur Zulässigkeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis in der Berufungsinstanz

OLG Hamm v. 07.11.2006: Zur Zulässigkeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis in der Berufungsinstanz


Das OLG Hamm (Beschluss vom 07.11.2006 - 4 Ws 556/06) hat entschieden:
  1. Die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erst in der Berufungsinstanz ist grundsätzlich zulässig.

  2. Verfahren, in denen die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden ist, sind beschleunigt zu führen.

Siehe auch Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Arnsberg hat gegen den Angeklagten mit Strafbefehl vom 30. August 2006 wegen unerlaubtem Entfernens vom Unfallort eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,00 € sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt; wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 9 Abs. 5, 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO, 24 StVG ist ferner eine Geldbuße von 60,00 € festgesetzt worden.

Nachdem der Angeklagte dagegen Einspruch eingelegt hatte, ist er durch Urteil des Amtsgerichts Arnsberg vom 6. Oktober 2006 wegen der genannten Verstöße zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 25,00 € und zu einer Geldbuße von 60,00 € verurteilt worden. Ferner ist dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist gemäß § 69 a StGB angeordnet worden.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13. Oktober 2006 Berufung eingelegt. Durch Beschluss vom 26. Oktober 2006 hat das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 111 a StPO die Fahrerlaubnis des Angeklagten vorläufig entzogen und am selben Tag die Berufungshauptverhandlung auf den 6. März 2007 terminiert.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 3. November 2006 hat der Angeklagte gegen den vorgenannten Beschluss Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.


II.

Das zulässige Rechtsmittel erweist sich als - derzeit - unbegründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 27. November 2006 Folgendes ausgeführt:
"Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschwerdeführer die Fahrerlaubnis gem. § 69 StGB entzogen werden wird (§ 111 a Abs. 1 S. 1 StPO). Insoweit wird auf das Urteil des Amtsgerichts Arnsberg vom 06.10.2006 Bezug genommen. Danach ist sowohl von einem dringenden Tatverdacht auszugehen als auch die Annahme gerechtfertigt, dass der Angeklagte voraussichtlich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Angesicht des Umstandes, dass zum Zeitpunkt der Anordnung über die vorläufige Entziehung das erstinstanzliche Urteil zugestellt und die Gründe demgemäß bekannt gewesen sein dürften, durfte das Landgericht seine Entscheidung auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils stützen.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist zwar wie alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen, die sich besonders im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und in dem Beschleunigungsgebot konkretisieren. Die Belastungen aus einem Eingriff in dem grundrechtlich geschützten Bereich eines Angeklagten muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen stehen. Dieses Übermaßverbot setzt der Zulässigkeit eines Eingriffs nicht nur bei dessen Anordnung und Vollziehung, sondern auch bei dessen Fortdauer Grenzen. Darüber hinaus erfordert das Rechtsstaatsgebot und Art. 6 Abs. 1 EMRK eine angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Anderenfalls wird bei Versäumnissen im Justizbereich und dadurch eintretenden erheblichen Verfahrensverzögerungen das Recht eines Beschuldigten auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren verletzt (zu vgl. OLG Düsseldorf, StV, 1994, 233; Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 10).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze begegnet die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erst in der Berufungsinstanz keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die in früheren Verfahrensabschnitten unterbliebene Beantragung bzw. Anordnung einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensgrundsatzes bzw. des Beschleunigungsgebots kein Absehen von deren Anordnung. Der Umstand, dass seit der der noch nicht rechtskräftigen Verurteilung zu Grunde liegenden Verkehrsstraftat annähernd fünf Monate verstrichen sind, führt nicht zur Unzulässigkeit der angefochtenen Maßnahme. Die Anordnung nach § 111 a StPO ist grundsätzlich auch im späteren Verfahrensabschnitt bis zur Rechtskraft des Urteils zulässig (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 111 a Rdnr. 14). Nach dem Sinn und Zweck des § 111 a StPO soll ein schon vor dem rechtskräftigen Urteil gebotener Schutz der Allgemeinheit vor den von einem ungeeigneten Kraftfahrer regelmäßig ausgehenden Gefahren ermöglicht werden. Dass die Staatsanwaltschaft im Hauptverhandlungstermin am 06.10.2006 die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis für den Fall der Einlegung eines Rechtsmittels durch den Angeklagten beantragt hat (zu vgl. Bl. 65 d.A.), stellt keinen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar. Es ist nicht ersichtlich, dass mit der "bedingten" Antragstellung eine Drucksituation für den Angeklagten geschaffen werden sollte, das amtsgerichtliche Urteil zu akzeptieren. Insbesondere sachliche Gründe dürften die Staatsanwaltschaft dazu bewogen haben, den Abschluss der Beweisaufnahme in erster Instanz abzuwarten.

Dass bis zur Verurteilung in erster Instanz von einer vorläufigen Entziehung abgesehen worden ist, stellt auch keinen Vertrauenstatbestand dar, der der Anordnung der Maßnahme erst in der Berufungsinstanz entgegenstehen könnte. Schließlich hat das Landgericht dem Beschleunigungsgebot Rechnung getragen. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass Termin zur Durchführung der Berufungshauptverhandlung erst für den 06.03.2007 (zu vgl. Bl. 82 d.A.) anberaumt worden ist. Die Terminsverfügung ist unmittelbar nach Eingang der Akten beim Berufungsgericht erfolgt. Dabei ist davon auszugehen, dass der Vorsitzende der Berufungskammer bei der Terminsbestimmung nicht außer Acht gelassen hat, dass angesichts der ergangenen vorläufigen Entziehung das Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung zu fördern ist.

Berufliche Nachteile, wie sie etwa von dem Angeklagten im Rahmen der Beschwerde vorgetragen werden, haben bei der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (zu vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1990, 937). Der vorläufige Charakter einer Maßnahme nach § 111 a StPO rechtfertigt vor dem Hintergrund der dieser Vorschrift zu Grunde liegenden gesetzgeberischen Intention, Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Fahrzeugführern zu schützen, eine Abstandnahme von der Maßregel bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nicht. Bei der gebotenen Abwägung zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Angeklagten und dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Kraftfahrern ist Letzterem der Vorrang zu gewähren, und zwar jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - ein auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtetes Urteil bereits ergangen ist.

Anlass zur Prüfung, ob vorliegend mit Blick auf die Regelung im § 111 a Abs. 1 S. 2 StPO die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nur auf Kraftfahrzeuge zu beschränken war, also beruflich genutzte Nutzfahrzeuge von der Entziehung auszunehmen waren, bestand nicht, da die Tat ausweislich der Gründe des erstinstanzlichen Urteils während der Arbeitszeit begangen wurde. Für das weitere Verfahren ist indes darauf hinzuweisen, dass das Landgericht - soweit der Angeklagte, was bisher nicht der Fall ist, substantiiert darlegt, dass der Verlust seines Arbeitsplatzes konkret droht - bei der Frage der Fortdauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zu prüfen haben wird, ob aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Beschränkung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf Kraftfahrzeuge geboten und geeignet ist, um den von § 111 a StPO intendierten vorbeugenden Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Kraftfahrern zu erfüllen. Für eine solche Prüfung besteht insbesondere vor dem Hintergrund Anlass, dass der Hauptverhandlungstermin erst für den 07.03.2007 anberaumt ist."
Dem schließt sich der Senat an, weist jedoch - insoweit einschränkend - auf Folgendes hin:

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, die als solche, auch zum jetzigen Zeitpunkt, rechtlich nicht zu beanstanden ist, hätte den Vorsitzenden der kleinen Strafkammer zu einer zeitnahen Terminierung der Berufungshauptverhandlung veranlassen müssen. Ein Verfahren, in dem die Maßnahme nach § 111 a StPO angeordnet worden ist, muss ebenso beschleunigt erledigt werden wie eine Haftsache (vgl. OLG Hamm, NZV 2002, 380). Nach Auffassung des Senats hätte sich daher, um diesem Beschleunigungsgebot Genüge zu tun, in Anbetracht des einfach gelagerten Sachverhalts und einer Verhandlungsdauer vor dem Amtsgericht von lediglich 45 Minuten, ein Termin bis spätestens Ende Januar 2007 finden lassen müssen. Ein Termin erst im März des nächsten Jahres ist im vorliegenden Fall nicht hinnehmbar. Sollte sich das Landgericht nach diesem Hinweis des Senats zu einer entsprechenden Umterminierung nicht in der Lage sehen, wird es unverzüglich eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zu prüfen haben.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.



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