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OLG Köln Beschluss vom 10.02.1998 - Ss 25/98 - Zum Toleranzabzug bei der Feststellung von Geschwindigkeitsverstößen
OLG Köln v. 10.02.1998: Zum Toleranzabzug bei der Feststellung von Geschwindigkeitsverstößen durch Nachfahren
Das OLG Köln (Beschluss vom 10.02.1998 - Ss 25/98) hat entschieden:
Wenngleich die Bemessung des Sicherheitsabzugs Tat- und nicht Rechtsfrage ist, so können die Rechtsbeschwerdegerichte doch Richtwerte aufzeigen, die im Interesse der Gleichbehandlung aller Fälle in der Regel von den Tatgerichten zu beachten sind, wenn nicht die besonderen Umstände des konkreten Falls eine andere Beurteilung vertretbar erscheinen lassen. Bei Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren in einem Dienstfahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist ein Sicherheitsabzug von 7 % des Skalenendwerts als Ausgleich für mögliche Eigenfehler des Tachometers und ein weiterer Abzug von 12 % der abgelesenen Geschwindigkeit für andere mögliche Ungenauigkeiten im Regelfall ausreichend, aber auch erforderlich.
Gründe:
Das Amtsgericht hat den Betroffenen durch Urteil vom 16.12.1996 "wegen fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 3, 49 StVO" zu einer Geldbuße von 200,00 DM verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat dieses Urteil durch Beschluss vom 20.06.1997, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Durch Urteil vom 15.09.1997 hat das Amtsgericht den Betroffenen erneut verurteilt; die Urteilsformel lautet wie diejenige des Urteils vom 16.12.1996.
Zum Schuldspruch hat das Amtsgericht (nunmehr) folgendes festgestellt:
"Der Betroffene befuhr am 10.04.1996 um 5.20 Uhr in Köln-Deutz die östliche Zubringerstraße vom Deutzer Ring bis zur Severinsbrücke mit seinem PKW Ford-Fiesta... mit einer Geschwindigkeit von 82 km/h (110 km/h abzüglich 28 km/h Toleranz), obwohl an der fraglichen Stelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h betrug."
Zur Beweiswürdigung heißt es im Urteil des Amtsgerichts:
"Der Betroffene hat eingeräumt, zur Tatzeit am Tatort gefahren zu sein. Er hat jedoch erklärt, er sei so schnell nicht gefahren, sondern eher 60 - 70 km/h oder vielleicht auch 75 km/h. Es hätten sich keine Polizisten hinter ihm befunden. Diese Einlassung wertet das Gericht als reine Schutzbehauptung, die durch Aussagen der Zeugen B. und S. widerlegt ist. Beide Zeugen haben bekundet, dass sie sich auf einer Messstrecke von etwa 500 m und einem Abstand von etwa 50 m hinter dem Betroffenen befunden hätten. Der Abstand sei gleichbleibend gewesen, ihr eigener Tacho beleuchtet, so dass sie trotz der Dunkelheit die Geschwindigkeit gut hätten erkennen können. Die auf ihrem Tacho abgelesene Geschwindigkeit habe während der gesamten Messstrecke 110 km/h betragen. Der Zeuge B. konnte sich auch daran erinnern, dass er die an der Straßenseite befindlichen Laternenpfähle als Orientierungspunkte genommen habe, so dass er aufgrund dessen gut überprüfen konnte, dass der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug des Betroffenen gleichblieb. Da der Tacho des Funkstreifenwagens nicht justiert war, ist von der abgelesenen Geschwindigkeit von 110 km/h eine Toleranz von 10 % von 110 km/h (= 11 km/h) sowie eine weitere Toleranz von 7 % des Tachohöchstwertes des Funkstreifenwagens, den die Zeugen B. und S. mit 240 km/h angegeben haben, von 17 km/h zu machen, so dass sich die Toleranz auf insgesamt 28 km/h errechnet."
Auch gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Rüge der Verletzung des Verfahrensrechts ist nicht ausgeführt im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (hier in Verbindung mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und daher unzulässig.
Mit der Sachrüge hat das Rechtsmittel einen Teilerfolg. Es führt zur Herabsetzung der Geldbuße und zum Wegfall des Fahrverbots.
Der Schuldspruch hält mit der Einschränkung rechtlicher Überprüfungsstand, das von einem geringeren Schuldumfang auszugehen ist (vgl. Senatsentscheidung vom 16.01.1990 - 665/89 (B) - .
Den Gründen des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, dass die Voraussetzungen für eine verwertbare Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit Tachometervergleich, die der Senat in seinem das erste Urteil des Amtsgerichts aufhebenden Beschluss vom 20.06.1997 angeführt hat, vorlagen.
Nach den Feststellungen betrug die Messstrecke ca. 500 m, während das nachfolgende Polizeifahrzeug einen gleichbleibenden Abstand von ca. 50 m einhielt. Das genügt den Anforderungen und entspricht den anerkannten Richtwerten (vgl. Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 14. Aufl., StVO § 3 Rdnr. 79 m.N.). Seine Überzeugung, es liege eine zuverlässige Schätzung der Polizeibeamten hinsichtlich des gleichbleibenden Abstands vor, hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei begründet.
Bei der Berechnung der vorwerfbaren Geschwindigkeitsüberschreitung ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Tachometer des nachfolgenden Polizeifahrzeugs abgelesene Geschwindigkeit von 110 km/h um einen Sicherheitsabzug zu ermäßigen ist. Der Sicherheitsabzug von 28 km/h, den das Amtsgericht vorgenommen hat, ist indes zu gering.
Wenngleich die Bemessung des Sicherheitsabzugs Tat- und nicht Rechtsfrage ist, so können die Rechtsbeschwerdegerichte doch Richtwerte aufzeigen, die im Interesse der Gleichbehandlung aller Fälle in der Regel von den Tatgerichten zu beachten sind, wenn nicht die besonderen Umstände des konkreten Falls eine andere Beurteilung vertretbar erscheinen lassen (Senatsentscheidung vom 18.12.1990 - Ss 554/90 Z = DAR 1991, 193 = NZV 1991, 202 = VRS 80, 467 m.N.). Bei Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren in einem Dienstfahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist ein Sicherheitsabzug von 7 % des Skalenendwerts als Ausgleich für mögliche Eigenfehler des Tachometers und ein weiterer Abzug von 12 % der abgelesenen Geschwindigkeit für andere mögliche Ungenauigkeiten im Regelfall ausreichend, aber auch erforderlich (vgl. Senatsentscheidung a.a.O., auch zu den Einzelheiten der Berechnung der Abzüge; vgl. auch den Hinweis, in dem das erste Urteil des Amtsgerichts aufhebenden Beschluss des Senats vom 20.06.1997).
Da dem angefochtenen Urteil keine Umstände zu entnehmen sind, die Abzüge in anderer Höhe rechtfertigen könnten, ist der Senat nicht gehindert (vgl. § 76 Abs. 6 OWiG), entsprechend den oben angegebenen Grundsätzen den Abzug anderweitig selbst zu berechnen:
Von den abgelesenen 110 km/h müssen zunächst 12 % abgesetzt werden, das sind 13,2 km/h. Hinzukommen 7 % des Skalenendwertes des Tachometers des Polizeifahrzeugs von 240 km/h, also weitere 16,8 km/h. Daraus ergibt sich eine Geschwindigkeit von 80 km/h (110 km/h abzüglich 30 km/h), also eine vorwerfbare Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 30 km/h.
Der geringere Schuldumfang bedingt eine Änderung der Rechtsfolgenentscheidung, die der Senat ebenfalls selbst vornehmen kann (§ 76 Abs. 6 OWiG).
Zur Ahndung der fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 30 km/h hält der Senat gemäß Tabelle 1 a laufende Nr. 5.3.2. BKat eine Geldbuße von 120,00 DM für tat- und schuld angemessen. Die Tatumstände ergeben keine Anhaltspunkte für ein Abweichen von diesem Regelsatz.
Die Anordnung eines Fahrverbots kam nicht in Betracht. Ein Regelfahrverbot nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BKat aus dem Gesichtspunkt der groben Pflichtverletzung bei Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts ist erst ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h vorgesehen (laufende Nr. 5.3.3 BKat). Hier hat der Betroffene die Geschwindigkeit "nur" um (vorwerfbarer) 30 km/h überschritten.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG.