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BayObLG Beschluss vom 29.06.1998 - 2 ObOWi 266/98 - Zur Bewertung des Videomessgeräts Proof Speed als standardisierte Messmethode
BayObLG v. 29.06.1998: Zur Bewertung des Videomessgeräts Proof Speed als standardisierte Messmethode für die Geschwindigkeitsfeststellung durch Nachfahren
Das BayObLG (Beschluss vom 29.06.1998 - 2 ObOWi 266/98) hat entschieden:
Bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren unter Verwendung eines Proof Speed Messgerätes handelt es sich um ein sog standardisiertes Messverfahren. Es genügt deshalb in der Regel, wenn sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit stützt.
Siehe auch Digitaler Tachometer Proof Speed und Geschwindigkeitsverstöße - Nachweis - standardisierte Messverfahren
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zur Geldbuße von 400 DM verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet.
Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG n. F. statthafte und im übrigen zulässige, ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung nicht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen fuhr der Betroffene am 10.7.1997 mit seinem Pkw auf der Bundesstraße 303 von Schweinfurt kommend in Richtung Coburg und überschritt dabei gegen 15.34 Uhr zwischen den Straßenkilometern 4,9 und 4,2 infolge Unachtsamkeit die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 44 km/h.
Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde durch Nachfahren mit einem Polizeifahrzeug ermittelt, das mit einem geeichten Proof Speed Messgerät ausgerüstet war. Aus der in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Video-Aufzeichnung der Messung ergab sich, dass der Betroffene in dem fraglichen Bereich mit mindestens 160 km/h gefahren ist, so dass sich abzüglich einer Messtoleranz von 16 km/h eine Geschwindigkeit von mindestens 144 km/h ergibt.
2. Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht. Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen sind nicht ersichtlich.
Die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen zur Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung sind nicht etwa deshalb lückenhaft, weil nicht mitgeteilt wird, dass das Polizeifahrzeug im Verlauf der Nachfahrstrecke von 700 m einen gleichbleibenden Abstand - zu dessen Länge das Urteil ebenfalls keine Angaben enthält - zum Pkw des Betroffenen einhielt.
a) Die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren unter Verwendung eines sog. Proof Speed Messgerätes ist nach Auffassung des Senats ein sog. standardisiertes Messverfahren im Sinne der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.8.1993 (BGHSt 39, 291). Dieser Begriff bedeutet nicht, dass die Messung in einem vollautomatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren stattfinden muss. Vielmehr ist hierunter ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. BGH NJW 1998, 321/322 = DAR 1998, 110/111).
Bei dem Proof Speed Messgerät handelt es sich um eine Videoanlage mit Datengenerator, die das Fahrverhalten des verfolgten Fahrzeuges während der Messung aufzeichnet, wobei in die Aufzeichnung insbesondere auch die vom nachfolgenden Polizeifahrzeug eingehaltene Geschwindigkeit eingeblendet wird.
Das Messverfahren wird zum einen bestimmt durch die rein technischen Bedienungsvorschriften des Herstellers für das Messgerät und zum anderen durch die Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern in den Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung. In der Anlage 2 a zu diesen Richtlinien ist für die Geschwindigkeitsüberwachung mit Hilfe (nach-) fahrender Polizeifahrzeuge vorgeschrieben, dass die Messstrecke bei einer Geschwindigkeit von über 90 km/h nicht kürzer als 500 m sein soll und dass der Abstand zwischen dem Polizeifahrzeug und dem überwachten Fahrzeug während der Messung möglichst gleichgehalten werden soll. Um Änderungen des Abstandes rechtzeitig bemerken zu können, darf dieser zwischen den beiden Fahrzeugen nicht zu groß sein. Er sollte möglichst dem "halben Tacho-Abstand" entsprechen und bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h ca. 100 m nicht überschreiten.
Diese Vorgaben entsprechen den allgemein anerkannten Richtwerten für die Verwertbarkeit einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren (vgl. BayObLGSt 1994, 135/139; Mühlhaus/Janiszewski StVO 14. Aufl. § 3 Rn. 78 f.).
Unter Zugrundelegung des oben erläuterten Begriffs des standardisierten Messverfahrens sind dessen Voraussetzungen auch hier gegeben, obgleich die Messung nur teilweise auf automatischen Abläufen (Geschwindigkeitsmessung des Polizeifahrzeuges), im wesentlichen aber darauf beruht, dass die Polizeibeamten die erwähnten Vorgaben hinsichtlich Nachfahrstrecke und Abstand einhalten.
Insoweit unterscheidet sich dieses Messverfahren nicht von dem Lasermessverfahren, das als standardisiertes Messverfahren anerkannt ist (vgl. BGH NJW 1998, 321). Im Gegensatz zu diesem Verfahren kann hier sogar der Messvorgang deshalb überprüft werden, weil die Videoaufzeichnung eine Kontrolle der Einhaltung der Vorgaben ermöglicht. Damit sind auch die denkbaren Fehlerquellen, wie beispielsweise die Zuordnung des gemessenen Fahrzeugs beim Lasermessverfahren, geringer.
Der Senat hat deshalb keine Bedenken, auch die Geschwindigkeitsmessung mit einem Proof Speed Messgerät als standardisiertes Messverfahren anzusehen mit der Folge, dass auch hier geringere Anforderungen an den notwendigen Umfang der Urteilsfeststellungen zu stellen sind.
Es genügt deshalb in der Regel, wenn der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, neben dem angewandten Messverfahren jeweils auch den berücksichtigten Toleranzwert mitteilt (vgl. BGHSt 39, 291/302 f.).
Soweit dem Urteil keine gegenteiligen Anhaltspunkte zu entnehmen sind, ist dabei davon auszugehen, dass die Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung eingehalten sind.
Dies gilt vorliegend um so mehr, als auch der Betroffene und sein Verteidiger den durch die Videoaufzeichnung dokumentierten Messvorgang nachvollziehen konnten.
Dass die Richtlinien nicht eingehalten worden wären, ist ersichtlich weder in der Hauptverhandlung geltend gemacht worden noch wird dies mit der Rechtsbeschwerde behauptet. Mit der bloßen Rüge eines Darstellungsmangels kann das Rechtsmittel keinen Erfolg haben; Einwendungen gegen die Richtigkeit der vorgenommenen Messung wegen Nichteinhaltung der für das Messverfahren vorgeschriebenen Richtlinien hätten - so sie überhaupt erhoben werden sollten und könnten - vielmehr in der Hauptverhandlung mit einem Beweisantrag und im Rechtsbeschwerdeverfahren mit einer Verfahrensrüge vorgebracht werden müssen (vgl. BGHSt 39, 291/300).
b) Bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist ein Sicherheitsabschlag von 10 % in aller Regel ausreichend, wenn das nachfolgende Polizeifahrzeug mit einem von der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB) zugelassenen, geeichten Messgerät wie hier vom Fabrikat Proof Speed und einer damit gekoppelten Videoanlage ausgerüstet ist, und wenn sich der auf dem Videoband festgehaltene Abstand vom vorausfahrenden Fahrzeug - wovon hier nach dem vorstehend Dargelegten auszugehen ist - nicht (nennenswert) verkürzt hat (vgl. BayObLGSt 1992, 165/168; ferner Beschluss vom 20.5.1998 - 1 ObOWi 188/98). Dieser Toleranzwert von 10 % entspricht auch den genannten Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung (Anlage 2 a Nr. 4) und berücksichtigt alle Fehlerquellen in ausreichendem Maße. Darüber hinaus ist im Urteil - wohl auf den vom Betroffenen erhobenen Einwand hin - festgehalten, dass der als Zeuge vernommene Messbeamte die Reifen des Messfahrzeugs und auch den Luftdruck vor der Messung überprüft und für in Ordnung befunden hat. Die Feststellung, dass das Messgerät entgegen der Aussage des Messbeamten für die Tatzeit nicht geeicht war, hätte ebenfalls nur mit einer Verfahrensrüge angegriffen werden können.
3. Auch der Rechtsfolgenausspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Der Senat nimmt insoweit auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht vom 14.5.1998 Bezug und weist ergänzend lediglich darauf hin, dass ein Regelfall für die Anordnung eines Fahrverbotes nicht nur wegen grober, sondern auch wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV vorliegt, und zwar sogar in dreifacher Hinsicht. Denn dem Betroffenen ist in bezug auf jeden der drei im Urteil als Vorahndungen mitgeteilten Bußgeldbescheide vorzuwerfen, dass gegen ihn wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidungen eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begangen hat. Bei derart massiven Vorbelastungen wäre die Anordnung eines Fahrverbots nach ständiger Rechtsprechung des Senats selbst dann verhältnismäßig, wenn sein Vollzug für den Betroffenen mit durchgreifenden beruflichen Nachteilen verbunden wäre (vgl. auch OLG Hamm VRS 90, 213 und 93, 377).
4. Für die Anwendung von § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG i. d. F. des Gesetzes vom 26.1.1998 (BGBl I S. 156) ist kein Raum, weil gegen den Betroffenen mit dem seit dem 12.9.1996 rechtskräftigen Bußgeldbescheid vom 31.7.1996 bereits ein Fahrverbot von einem Monat - ebenfalls wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit - verhängt worden war.
5. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird deshalb gemäß § 349 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 OWiG durch einstimmig gefassten Beschluss des Senats mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG als unbegründet verworfen.