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OLG Hamm Beschluss vom 22.09.1998 - 4 Ss OWi 1038/98 - Zu den Anforderung einer Geschwindigkeitsfeststellung bei Nacht und Nebel

OLG Hamm v. 22.09.1998: Zu den Anforderung einer Geschwindigkeitsfeststellung bei Nacht und Nebel und zur erforderlichen Toleranzgewährung


Das OLG Hamm (Beschluss vom 22.09.1998 - 4 Ss OWi 1038/98) hat entschieden:
Wenn das Amtsgericht in seinem Urteil feststellt, dass die Sichtweite infolge des Nebels zur Nachtzeit weniger als 50 m betragen hat, so ist nicht nachzuvollziehen, wie der Tatrichter ausreichende Feststellungen zu einem in etwa gleichbleibenden Abstand des Polizeifahrzeuges zum vorausfahrenden Fahrzeug feststellen konnte. Allerdings sind die vom Tatrichter festgestellten erzielten Messergebnisse nicht schlechthin unbrauchbar, die auf der Hand liegenden Ungenauigkeiten müssten aber je nach festzustellender Sachlage durch höhere Abschläge korrigiert werden. Ein Toleranzabzug von 15% ist dann nicht ausreichend.


Siehe auch Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren oder Vorausfahren


Gründe:

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach §§ 24 StVG, 3 Abs. 1, 49 StVO eine Geldbuße von 300,00 DM festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt. Es hat ausgesprochen, dass das Fahrverbot wirksam werde, wenn der Führerschein nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene in der Nacht zum 3. November 1997 gegen 2:10 Uhr die BAB ... im Bereich T aus Richtung S kommend in Richtung N mit einer Geschwindigkeit von 102 km/h, obwohl die Sichtweite weniger als 50 m betrug.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass auf die erhobene Aufklärungsrüge nicht einzugehen ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 16. September 1998 folgendes ausgeführt:
"Die vom Amtsgericht Lüdinghausen getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 52 km/h bei durch Nebel bedingten Sichtweiten von weniger als 50 Metern nicht. Das Amtsgericht hat bei der Feststellung der Art und des Ausmaßes der dem Betroffenen zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung die von der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur Geschwindigkeitsermittlung mittels Nachfahren mit einem Polizeifahrzeug bei schlechten Witterungs- und Sichtverhältnissen nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt.

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist Voraussetzung für die Verwertbarkeit einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit einem Polizeifahrzeug eine ausreichend lange Messstrecke, ein nicht zu großer, gleichbleibender Abstand sowie die Berücksichtigung eines in Abzug gebrachten Toleranzwertes zum Ausgleich möglicher Fehlerquellen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18.02.1997, VRS Bd. 93, S. 372 f). Die vom Gericht festgestellte Messstrecke von 500 m ist insoweit nicht zu beanstanden. Wenn das Gericht jedoch feststellt, dass die Sichtweite infolge des Nebels zur Nachtzeit (02.10 Uhr) weniger als 50 m betragen hat, so ist nicht nachzuvollziehen, wie der Tatrichter ausreichende Feststellungen zu einem in etwa gleichbleibenden Abstand des Polizeifahrzeuges zum vorausfahrenden Fahrzeug feststellen konnte. Die Polizeibeamten konnten sich bei dieser Sachlage nicht an den rechts neben der Fahrbahn in Abständen von 50 m aufgestellten Reflexpfosten orientieren. Die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung begegnet auch insofern Bedenken, da nach den Feststellungen des Tatrichters bei dem Pkw des Betroffenen lediglich die Rückleuchten erkennbar waren. Dieses reicht jedoch für die Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Nachfahren (gemeint ist hier: bei Berücksichtigung nur des gewöhnlichen Toleranzabzuges für Messungenauigkeiten) nicht aus (vgl. Senatsbeschluss vom 28.11.1995 – 4 Ss OWi 1076/95 – und vom 25.04.1995 – 4 Ss OWi 449/95 –).

Da aufgrund der äußerst schlechten Sichtverhältnisse die Einhaltung eines auch nur annähernd gleichbleibenden Abstandes zumindest erheblich erschwert war, ist nicht auszuschließen, dass Ungenauigkeiten bei der Geschwindigkeitsmessung möglich waren.

Eine Geschwindigkeitsüberschreitung kann vorliegend auch nicht auf ein Geständnis des Betroffenen gestützt werden.

Der Tatrichter darf die Verurteilung auf Angaben des Betroffenen nur stützen, wenn er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Er hat sich aber darüber Klarheit zu verschaffen, wie die Äußerung des Betroffenen in Zusammenhang mit dem übrigen Verfahrensstoff und im Hinblick auf den konkreten Rechtsverstoß zu verstehen ist. Hierzu bedarf es einer Auseinandersetzung damit, ob und aufgrund welcher Umstände der Betroffene in der Lage war, insoweit objektiv zutreffende Angaben zu machen (OLG Düsseldorf, NZV 1997, 321).

Solche Feststellungen sind im angefochtenen Urteil nicht getroffen worden.

Allerdings sind die vom Tatrichter festgestellten erzielten Messergebnisse nicht schlechthin unbrauchbar, die auf der Hand liegenden Ungenauigkeiten müssten aber je nach festzustellender Sachlage durch höhere Abschläge korrigiert werden (zu vgl. Jagusch/Hentschel, StVR, 33. Auflg., § 3 StVO Rdn. 62 ff). Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von 102 km/h. Unter Zugrundelegung der vom Amtsgericht festgestellten Geschwindigkeit des Streifenwagens von 120 km/h ergibt sich insoweit ein Sicherheitsabschlag von 15 %.

Dieser Sicherheitsabschlag wäre zwar ausreichend gewesen, um Ungenauigkeiten bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Nachtzeit bei klaren Sichtverhältnissen auszugleichen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18.02.1997, VRS 93, S. 372, OLG Düsseldorf, a.a.O.), bei durch Nebel bedingter Sichtweite unter 50 m dürfte dieser Sicherheitsabschlag jedoch nicht ausreichend sein.

Da die Feststellungen des Amtsgerichts zur Beurteilung der Sichtverhältnisse widersprüchlich sind, kann das Rechtsmittelgericht nicht nachhalten, ob die ermittelten Messergebnisse zuverlässig sind.

Die Bemessung des jeweiligen Sicherheitsabzuges ist Tat- und nicht Rechtsfrage. Sie hängt insbesondere von den Sichtverhältnissen und der Geschwindigkeitsmessung ab. Der Tatrichter muss in seinem Urteil deutlich machen, dass er sich der möglichen Fehlerquellen bewusst gewesen ist und diese durch einen erheblichen Abschlag zugunsten des Betroffenen berücksichtigen (OLG Naumburg, NZV 1998, S. 39)."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

Für die neue Hauptverhandlung ist anzumerken, dass das Amtsgericht, sofern es ein Fahrverbot für verwirkt hält, auch zu der Frage wird Stellung nehmen müssen, ob ein Absehen von der Verhängung des Fahrverbots gegen Erhöhung des Bußgeldes in Betracht kommen kann (vgl. BGH, NJW 1992, 446 sowie OLG Hamm, Beschluss vom 18.12.1994 – 2 Ss OWi 1465/94 –). Den bisherigen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, dass sich das Amtsgericht der genannten Wechselwirkung bewusst gewesen ist. Zudem wird das Amtsgericht auch erwägen müssen, ob etwa besondere Härten Anlass zum Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots geben können.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.



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