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OLG Zweibrücken Beschluss vom 17.06.1992 - 1 Ss 20/92 - Zur Inbetriebsetzung eines nichtzugelassenen Fahrzeugs durch Missbrauch von roten Kennzeichen
OLG Zweibrücken v. 17.06.1992: Zur Inbetriebsetzung eines nichtzugelassenen Fahrzeugs durch Missbrauch von roten Kennzeichen
Das OLG Zweibrücken (Beschluss vom 17.06.1992 - 1 Ss 20/92) hat entschieden:
Zur Frage, ob der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit nach StVZO §§ 18 Abs 1, 69a Abs 2 Nr 3 - Inbetriebsetzung eines nicht zugelassenen Pkw - verurteilt werden darf, wenn ihm im Bußgeldbescheid eine Ordnungswidrigkeit nach StVO §§ 32 Abs 1 S 1, 49 Abs 1 Nr 27 - den Verkehr erschwerendes Verbringen eines nicht zugelassenen Pkw auf eine Straße - zur Last gelegt ist.
Gründe:
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen nach § 69 a Abs. 2 Nr. 3 StVZO eine Geldbuße von 80,00 DM festgesetzt, weil er entgegen § 18 Abs. 1 StVZO ein Kraftfahrzeug ohne die erforderliche Zulassung auf öffentlichen Straßen in Betrieb gesetzt habe. Nach den Urteilsfeststellungen fuhr der Betroffene am 3. Dezember 1990 morgens mit seinem Pkw Fiat auf öffentlichen Straßen in P und stellte ihn gegenüber dem Anwesen A ab. Am Abend desselben Tages bewegte er das Fahrzeug von diesem Standort wieder weg. Bei beiden Fahrten waren an dem Pkw rote Kennzeichen angebracht, die dem Betroffenen für die von ihm betriebene kleine Kfz-Werkstatt zugeteilt worden waren. Während das Fahrzeug in der A straße abgestellt war, entfernte der Betroffene die Kennzeichen vorübergehend, weil er sie für ein anderes Fahrzeug benötigte. Keine der beiden vom Betroffenen am 3. Dezember 1990 mit dem Fiat durchgeführten Fahrten diente der Prüfung, Erprobung oder Überführung des Fahrzeugs (§ 28 Abs. 1 StVZO).
Gegen diese Verurteilung richtet sich der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Der Betroffene beanstandet, dass das Amtsgericht ihn wegen einer anderen als der im Bußgeldbescheid bezeichneten Tat verurteilt habe. Dort war ihm zur Last gelegt worden, er habe den Pkw Fiat in der A straße abgestellt und dadurch den Verkehr erschwert, so dass eine Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 32 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO vorliege.
Auf den in formaler Hinsicht nicht zu beanstandenden Antrag des Betroffenen lässt der Senat die Rechtsbeschwerde zu, weil die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Verfahrensrechts hinsichtlich der Umgestaltung des durch den Bußgeldbescheid bezeichneten Verfahrensgegenstandes geboten ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Der Zulassung wegen dieser Rechtsfrage, die ein mögliches Verfahrenshindernis betrifft, steht auch § 80 Abs. 5 OWiG nicht entgegen (OLG Hamm VRS 74, 212; KK-Steindorf, OWiG § 80 Rdn. 60; Bundestags-Drucksache 10/2652 S. 30). Im Ergebnis ist das angefochtene Urteil jedoch nicht zu beanstanden.
Zu Recht hat das Amtsgericht, das eine Erschwerung des Verkehrs im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 1 StVO nicht hat feststellen können, auch das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 18 Abs. 1 StVZO (Fahren ohne erforderliche Zulassung) untersucht, obwohl der Bußgeldbescheid einen solchen Vorwurf nicht erwähnt. Es handelt sich bei dem der Verurteilung zugrunde gelegten Sachverhalt um dieselbe Tat. Der Bußgeldbescheid stellte daher auch insoweit eine ausreichende Verfahrensgrundlage dar (vgl. allgemein Göhler, OWiG 9. Aufl. vor § 65 Rdn. 8).
Gegenstand der Urteilsfindung im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist die im Bußgeldbescheid bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt (§§ 46, 71 Abs. 1 OWiG, § 264 StPO; vgl. Göhler aaO, § 71 Rdn. 40 a). Eine Umgestaltung des Prozessstoffes ist dementsprechend nur soweit zulässig, wie die Identität der Tat gewahrt bleibt (KK-Kurz OWiG, § 66 Rdn. 66 ff; Göhler aaO, § 66 Rdn. 45 a). Unter dem Begriff der Tat im Sinne des Straf- und Bußgeldverfahrens wird nach anerkannter Definition (vgl. nur Kleinknecht/Meyer, StPO 40. Aufl. § 264 Rdn. 2 f. m.w.N.) ein konkretes Vorkommnis als einheitlicher geschichtlicher Vorgang verstanden, das sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Betroffene den Tatbestand (hier einer Ordnungswidrigkeit) verwirklicht haben soll. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt, der durch getrennte Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren unnatürlich aufgespaltet würde. Dabei ist der so umrissene Tatbegriff im verfahrensrechtlichen Sinne grundsätzlich selbständig gegenüber dem materiellen Recht und kann so auch mehrere Taten im Sinne von § 53 StGB, § 20 OWiG umfassen (aaO Rdn. 2). Umgekehrt liegt aber – abgesehen von hier offensichtlich nicht zutreffenden Sonderfällen – bei Tateinheit nach materiellem Recht regelmäßig auch nur eine einheitliche prozessuale Tat vor (aaO, Rdn. 3).
Tateinheit im Sinne von § 19 OWiG ist gegeben, wenn durch dieselbe Handlung mehrere Gesetze verletzt werden. Dementsprechend liegt ein im Sinne der Vorschrift einheitliches Tatgeschehen vor, wenn sich verschiedene (mögliche) Verkehrsverstöße wenigstens in Teilen ihrer Ausführungshandlungen überlagern, d. h. wenn einzelne der einem Tatbestand zugeordneten Willensbetätigungen auch einen anderen Tatbestand ganz oder teilweise erfüllen (BGH VRS 52, 129).
So ist auch hier das Verhältnis zwischen der im Bußgeldbescheid beschriebenen und der dem Urteil zugrunde gelegten Tathandlung zu sehen. Nach §§ 32 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO ist es verboten und ordnungswidrig, "...Gegenstände auf Straßen zu bringen ..., wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann." Der Tatbestand knüpft damit an den Vorgang an, durch den das Hindernis bereitet, der Gegenstand an bestimmter Stelle auf die Straße gebracht wird. Dementsprechend ist dem Betroffenen durch den Bußgeldbescheid hier zur Last gelegt worden, er habe eine Ordnungswidrigkeit nach dieser Vorschrift begangen, indem er den Pkw Fiat an der genannten Stelle abgestellt und dadurch den Verkehr erschwert habe. Dies soll nach dem Bescheid zwar am 3. Dezember 1990 "um 15.30 Uhr" geschehen sein, womit offensichtlich der Zeitpunkt angegeben ist, zu dem das ohne Kennzeichen geparkte Fahrzeug bei einer Kontrolle festgestellt wurde. Dies stellt aber die Wirksamkeit des Bußgeldbescheides als Verfahrensgrundlage nicht in Frage, denn durch derartige Angaben wird allgemein die letzte der Kontrolle vorausgegangene Fahrt als hinreichend bezeichnet angesehen (vgl. BayObLG VRS 62, 131; OLG Stuttgart Die Justiz 1986, 497), zumindest soweit sie – wie hier – dem angegebenen Kontrollzeitpunkt nahe vorausgegangen ist (BayObLGSt 1974, 58).
Das danach mit dem Bußgeldbescheid gemeinte Einparken des Pkw an der fraglichen Stelle (oder das sonstige Verbringen dorthin) war aber auch Teil der Tathandlung des Deliktes, das der Verurteilung zugrunde gelegt worden ist. Nach §§ 18 Abs. 1, 69 a Abs. 2 Nr. 3 StVZO handelt ordnungswidrig, wer "ein Kraftfahrzeug ... ohne die erforderliche Zulassung ... auf öffentlichen Straßen in Betrieb setzt." Das Tatbestandsmerkmal "in Betrieb setzen" bezeichnet dabei nicht nur das In-Bewegung-Bringen des Fahrzeuges zu Beginn der jeweiligen Fahrt, sondern auch die daran anschließende weitere Teilnahme am Verkehr (BGHSt 25, 341 ff), so dass in Fällen der vorliegenden Art eine Dauerordnungswidrigkeit gegeben ist (BGH VRS 52, 129).
Diese hier vom Amtsgericht festgestellte Dauerordnungswidrigkeit der Inbetriebnahme, d. h. des Führens eines nicht zugelassenen Fahrzeuges fällt in ihrem letzten Teil, dem Abstellen des Pkw am späteren Kontrollort, zusammen mit der im Bußgeldbescheid bezeichneten Ausführungshandlung, dem Verbringen des Fahrzeuges als Hindernis auf die Straße. Es ist also eine Teilidentität der (angenommenen) tatbestandlichen Ausführungshandlungen gegeben, die zur Tateinheit führt (BGH VRS 52, 129).
Über eine derartige Verknüpfung hinaus kann zur Begründung der Tateinheit nicht verlangt werden, es müsse auch ein innerer und nicht nur zeitlicher oder formaler Zusammenhang zwischen den verschiedenen Verkehrsverstößen vorliegen (BGH aaO; anders noch OLG Karlsruhe VRS 46, 194). Im übrigen wäre auch ein derartiger innerer Zusammenhang ohne weiteres anzunehmen zwischen einer (angenommenen) Tat des Hindernisbereitens durch Verbringen eines nicht zugelassenen Fahrzeuges an eine bestimmte Stelle des Verkehrsraumes und der (festgestellten) Tat der Fahrt mit diesem Fahrzeug zu der bezeichneten Örtlichkeit.
Nach alledem gehörte auch die morgendliche erste Fahrt mit dem nicht zugelassenen Fahrzeug zu der mit dem Bußgeldbescheid bezeichneten Tat, und das Amtsgericht hat zu Recht seine Untersuchung hierauf erstreckt. Dagegen durfte die "am Abend" durchgeführte weitere Fahrt mit dem Fiat nicht berücksichtigt werden. Sie deckt sich nirgends mit der im Bußgeldbescheid beschriebenen Handlung, sondern stellte – durch die Entfernung des angenommenen Hindernisses – geradezu die Beseitigung des damit beanstandeten ordnungswidrigen Zustandes dar. Die durch die Hinfahrt verwirklichte Dauerordnungswidrigkeit muss bei einem derartigen zeitlichen Abstand – das Fahrzeug war von morgens bis abends in der A-straße abgestellt – als beendet angesehen werden, auch wenn – wie der Zusammenhang der Urteilsgründe ohne weiteres ergibt – die spätere Fahrt von Anfang an geplant gewesen ist. Nur bei kürzeren Unterbrechungen – etwa auch zum Besuch eines Lokals – kann noch von einer im natürlichen Sinne einheitlichen und andauernden Handlung ausgegangen werden (vgl. etwa BayObLG NStZ 1987, 114; OLG Karlsruhe VRS 35, 267; Schönke/Schröder-Stree, StGB 24. Aufl. vor § 52 Rdnr. 84 m.w.N.). Eine fortgesetzte Handlung scheidet mangels (Gesamt-)Vorsatzes (siehe unten) aus. Zum gesonderten Ausspruch einer Verfahrenseinstellung führt das Ausscheiden der zweiten Fahrt allerdings nicht, denn der Senat hat lediglich das Ergebnis herzustellen, zu dem bei richtiger Sachbehandlung schon die Vorinstanz hätte kommen müssen (BayObLG VRS 57, 41).
Ein Verfahrenshindernis kann auch nicht aus der von der Verwaltungsbehörde am 14. Mai 1991 gegenüber dem Betroffenen ausgesprochenen Einstellung des Verfahrens hergeleitet werden. Die Behörde war zum damaligen Zeitpunkt für eine solche Entscheidung funktionell nicht mehr zuständig, nachdem die Sache auf den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid über die Staatsanwaltschaft an das Amtsgericht abgegeben worden war (§§ 47 Abs. 1 und 2, 69 Abs. 4 Satz 1 OWiG). Die später getroffene Einstellungsentscheidung war daher offensichtlich unwirksam und nicht geeignet, dem bereits laufenden gerichtlichen Verfahren die Grundlage zu entziehen. Zwar wird nach allgemeiner Ansicht die Wirksamkeit eines Bußgeldbescheides als Verfahrensgrundlage nicht durch die sachliche oder örtliche Unzuständigkeit der ihn erlassenden Verwaltungsbehörde in Frage gestellt, solange der Fehler nicht so offensichtlich ist, dass er zur Nichtigkeit führt (vgl. nur BGHSt 27, 198; Göhler aaO, § 36 Rdn. 15; § 37 Rdn. 13 m.w.N). Gerade ein solcher schwerwiegender Fehler ist aber hier gegeben, da die Behörde in die Befugnisse der im Verfahrenszug übergeordneten Instanz eingegriffen hat.
Auch der weiteren Nachprüfung aufgrund der mit Geltendmachung eines Verfahrenshindernisses erhobenen Sachrüge (Kleinknecht/Meyer aaO, § 344 Rdn. 14) hält das Urteil stand. Die Feststellungen des Amtsgerichts sind rechtsfehlerfrei getroffen worden. Sie tragen auch den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 18 Abs. 1, 69 a Abs. 2 Nr. 3 StVZO. Der hier vorliegende "Missbrauch" roter Kennzeichen zu anderen als den nach § 28 Abs. 1 StVZO zugelassenen besonderen Fahrten stellt sich – da dann die sich sonst aus dieser Vorschrift ergebende Berechtigung entfällt – als Fahren ohne Zulassung dar, während die zu § 28 StVZO erlassenen Bußgeldvorschriften (§ 69 a Abs. 2 Nr. 4 und 13 StVZO) schon nach ihrem Wortlaut nicht erfüllt sind (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 31. Aufl. § 28 StVZO Rdn. 17). Auch eine Straftat – etwa Kennzeichenmissbrauch nach § 22 Abs. 1 StVG – liegt allein darin regelmäßig nicht (vgl. BayObLG VRS 73, 62).
Das angefochtene Urteil enthält allerdings keine ausdrücklichen Ausführungen zur inneren Tatseite. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist jedoch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass fahrlässiges Handeln geahndet werden soll. Insbesondere wird mitgeteilt, der Betroffene habe den letztlich zu seiner Verurteilung führenden Vorwurf so lange freimütig eingeräumt, bis er auf das Verbotensein auch dieses Verhaltens hingewiesen worden sei. Der Tatrichter hatte danach von einem – auf Fahrlässigkeit beruhenden, den Vorsatz jedoch ausschließenden – Irrtum nach § 11 Abs. 1 OWiG über das normative Tatbestandsmerkmal der Zulassung im Sinne der §§ 18 Abs. 1, 28 Abs. 1, 69 a Abs. 2 Nr. 3 StVZO auszugehen. Insoweit bedurfte es also lediglich einer Klarstellung im Schuldspruch (vgl. OLG Koblenz NStZ 1984, 370).
Der Senat hält auch die Geldbuße von 80,00 DM in dieser Höhe aufrecht (§ 79 Abs. 6 OWiG). Zwar hat sich der Umfang der Tat durch den Wegfall der zweiten Fahrt verringert. Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erscheint die schon vom Amtsgericht verhängte Buße dennoch (weiterhin) angemessen. Zugunsten des Betroffenen war zu berücksichtigen, dass er – wie nach dem Urteil anzunehmen ist – straßenverkehrsrechtlich nicht vorbelastet ist. Zu seinen Lasten ist aber von einem hohen Grad der Fahrlässigkeit auszugehen. Als Betreiber einer Autowerkstatt, dem von der Zulassungsstelle rote Kennzeichen zur wiederkehrenden Verwendung anvertraut waren, hätte er die dadurch verliehenen Befugnisse genau kennen müssen. Sein Verhalten ergibt daher ein erhebliches Maß von Unbekümmertheit und Verantwortungslosigkeit. Auch handelte es sich bei der festgestellten Fahrt nicht um einen Einzelfall. Vielmehr hat es – wie die Urteilsgründe ergeben – eine große Anzahl weiterer, wenn auch nicht im einzelnen festgestellter derartiger Missbräuche gegeben. Es handelt sich danach um eine Tat, bei der die Eintragung ins Verkehrszentralregister (§ 28 Nr. 3 StVG) durchaus angemessen und erforderlich erscheint.
Der Betroffene trägt auch die Kosten seines im Ergebnis erfolglosen Rechtsmittels (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 StPO).