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OLG Köln Beschluss vom 08.06.2004 - Ss 247/04 - Zu den Voraussetzungen eines Fahrverbots, wenn seit der Tat mehr als zwei Jahre vergangen sind
OLG Köln v. 08.06.2004: Zu den Voraussetzungen eines Fahrverbots, wenn seit der Tat mehr als zwei Jahre vergangen sind
Das OLG Köln (Beschluss vom 08.06.2004 - Ss 247/04) hat entschieden:
Eine Verfahrensdauer von mehr als 2 Jahren rechtfertigt jedenfalls dann ein Absehen vom Fahrverbot, wenn zwischenzeitlich kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt wird und die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereiches des Betroffenen liegen.
Siehe auch Fahrverbot und Zeitablauf und Fahrverbotsthemen
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 06.06.2003 wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit "gemäß § 24 StVG" zu einer Geldbuße von 500,-- Euro verurteilt. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat der Senat durch Beschluss vom 07.10.2003 das Urteil im Schuldspruch dahingehend berichtigt, dass der Betroffene wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Abs. 1 StVG verurteilt wird, und es im Rechtsfolgenausspruch mit seinen dazugehörigen Feststellungen aufgehoben. Mit Urteil vom 27.01.2004 hat das Amtsgericht erneut von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen und den Betroffenen wiederum zu einer Geldbuße von 500,-- Euro verurteilt. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft erneut Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts mit der Begründung rügt, das Amtsgericht habe nicht von der Verhängung eines Fahrverbots absehen dürfen. Es wird beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde begegnet auch hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen im übrigen keinen Bedenken. In der Sache erweist sie sich indessen als unbegründet.
Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Begründung des Rechtsmittels ergibt, dass es letztlich nicht auf einem Rechtsfehler zugunsten des Betroffenen beruht.
Das Amtsgericht hat zum Rechtsfolgenausspruch ausgeführt:
"Der Betroffene ist Taxifahrer bei der Firma N.. Er fährt dort Nachtschicht, Herr N. tagsüber. Weitere Fahrer sind nicht vorhanden. Er ist am Umsatz beteiligt. Sein monatlicher Nettoverdienst beträgt knapp 1.000, Euro. Bei Abgabe des Führerscheins für einen Monat würde er den Arbeitsplatz verlieren. Die Lage im Taxigewerbe ist sehr angespannt. Er wäre längere Zeit arbeitslos, da neue Fahrer derzeit nicht eingestellt werden. Möglich sei ihm allenfalls jeweils für 2 Wochen mit Unterbrechung den Führerschein abzugeben. Dies sieht das Gesetz nicht vor. In Anbetracht der derzeitigen desolaten Wirtschaftslage in der Bundesrepublik Deutschland und der sehr hohen Arbeitslosenzahlen ist es auch Aufgabe der Rechtsprechung durch angepasste Auslegung der Normen dafür zu sorgen, dass ein weiterer Anstieg der Arbeitslosenzahlen und damit eine Belastung der öffentlichen Haushalte vermieden wird. Von daher ist § 25 StVG derzeitig nicht so restriktiv auszulegen wie vor 20 Jahren. Die rechtfertigenden Ausnahmefälle, vom Fahrverbot abgesehen, sind daher nicht mehr so eng anzusiedeln. Hier kommt auch hinzu, dass die Tat am 26.04.202 begangen wurde, danach und davor kein Verstoß beim Betroffenen vorliegt und die Tat damals anlässlich einer persönlichen Lebenskrise begangen wurde. Sein Vater hatte ihm versprochen, den elterlichen Taxibetrieb zu überschreiben. Im April 2002 verkaufte der Vater dann den Betrieb jedoch an einen außenstehenden Dritten. Das traf den Betroffenen hart. Aufgrund dieser Umstände hielt das Gericht unter Wegfall des Regelfahrverbots die Erhöhung der Geldbuße auf 500, Euro für gerechtfertigt und ausreichend."
Die Vorschrift des § 25 Abs. 1 S. 2 StVG enthält ein gesetzliches Regelfahrverbot für § 24a StVG, von dem allerdings in Fällen außergewöhnlicher Härte – wie etwa bei drohender Existenzvernichtung – abgesehen werden kann (vgl. u.a. Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 17. Aufl., § 25 Rn 12 m.w.N.). Eine außergewöhnliche Härte, die es rechtfertigt, von der Verhängung des Regelfahrverbots abzustehen, ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn diese Sanktion mit beruflichen und/oder wirtschaftlichen Nachteilen für den Täter verbunden ist. Denn solche sind im allgemeinen, zumindest aber häufig, Folge eines Fahrverbotes. Anders kann es jedoch sein, wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots Arbeitsplatz- oder Existenzverlust droht und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet bzw. vermieden werden kann OLG Düsseldorf NZV 1999, 257).
Zutreffend verweist die Staatsanwaltschaft in dieser Hinsicht darauf, dass es rechtsfehlerhaft ist, die pauschalen Angaben des Betroffenen, er sei beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen und müsse bei Vollstreckung des Fahrverbots mit dem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen, ohne Überprüfung auf ihre Richtigkeit dem Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots zugrunde zu legen (vgl. hierzu OLG Düsseldorf NZV 1999, 477 = VRS 97, 214), wie es das Amtsgericht getan hat.
Gleichwohl rechtfertigen die getroffenen Feststellungen ein Absehen vom Fahrverbot wegen des vom Amtsgericht auch zur Begründung angeführten Zeitablaufs.
Die Notwendigkeit der Verhängung eines Fahrverbots kann durch den Zeitablauf seit der zu ahndenden Ordnungswidrigkeit in Frage gestellt sein. Denn das Fahrverbot nach § 25 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (BVerfGE 27, 36 [42] = NJW 1969, 1623 [1624]) und kann als solche seinen Sinn verloren haben, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Wirksamwerden seiner Anordnung ein erheblicher Zeitraum liegt und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist (BayObLG DAR 1997, 115 = NZV 1998, 82 m. w. Nachw.). Die Entscheidung darüber liegt im tatrichterlichen Ermessen, das auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles auszuüben ist (vgl. SenE v. 06.08.1996 - Ss 346/96 B -; SenE v. 19.11.1996 - Ss 537/96 B -; SenE v. 16.06.2000 - Ss 241/00 B - = NZV 2000, 430 = DAR 2000, 484 = VRS 99, 212 = NStZ-RR 2000, 342 = zfs 2000, 511 = NStZ 2001, 361 [H/L]; SenE v. 05.04.2001 - Ss 95/01 B -; SenE v. 06.07.2001 - Ss 168/01 B - = NZV 2001, 442 = DAR 2001, 469 [470] = VRS 101, 133 [137] = zfs 2002, 42 [44] = VM 2002, 20 [Nr. 19]).
Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. Dementsprechend finden sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Antworten auf die Frage, ab wann von einem "erheblichen Zeitraum" zwischen dem Verkehrsverstoß und seiner Ahndung ausgegangen werden kann. In der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung ist jedenfalls die Tendenz erkennbar, den Sinn eines Fahrverbots in Frage zu stellen, wenn die zu ahndende Tat "mehr als zwei Jahre" zurückliegt (vgl. BayObLG NZV 2004, 210; BayObLG DAR 2002, 275 [276] = NZV 2002, 280 = VRS 102, 461 [462] = zfs 2002, 452 [453] m. zahlr. Nachw.; OLG Düsseldorf DAR 2003, 85 [86]; OLG Hamm DAR 2004, 106 [107] = zfs 2004, 135 [137] = VRS 106, 57 [60] Hentschel NJW 2003, 716 [727]).
So liegt es auch hier. Tatzeit war der 26.04.2002, die zu ahndende Tat liegt also inzwischen mehr als zwei Jahre zurück. Der Betroffene hat sich nach den Feststellungen des Tatrichters auch weder vorher noch nachfolgend eines Fehlverhaltens im Straßenverkehr schuldig gemacht. Auch liegen die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen (vgl. hierzu, SenE v. 16.06.2000 -Ss 241/00 B- = NStZ-RR 2000, 342 = NZV 2000, 430 = DAR 2000, 484 = VRS 99, 212 = zfs 2000, 511; SenE v. 05.04.2001 - Ss 95/01 B -; SenE v. 30.09.2003 - 394/03 B -; vgl. a. BayObLG NZV 2004, 210; BayObLG DAR 2002, 275 [276] = NZV 2002, 280 = VRS 102, 461 [462] = zfs 2002, 452 [453]; OLG Hamm DAR 2004, 106 [107] = zfs 2004, 135 [137] m. Anm. Bode = VRS 106, 57 [60] = VM 2004, 29 [Nr. 27]; OLG Naumburg zfs 2003, 96 = DAR 2003, 133; OLG Schleswig DAR 2000, 584 m. w. Nachw.; OLG Schleswig DAR 2002, 326; KG [23.11.01] VRS 102, 127 [128] = VM 2002, 42 [43](Nr. 38) = NZV 2002, 281).
Angesichts dessen lässt die angefochtene Entscheidung Ermessensfehler zugunsten des Betroffenen nicht erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.