Das Verkehrslexikon

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Amtsgericht Wetzlar Urteil vom 11.08.2005 - 39 C 949/04 - Zur Berücksichtigung der Betriebsgefahr bei einem Verkehrsunfall mit einem Hund

AG Wetzlar v. 11.08.2005: Zur Berücksichtigung der Betriebsgefahr bei einem Verkehrsunfall mit einem Hund


Das Amtsgericht Wetzlar (Urteil vom 11.08.2005 - 39 C 949/04) hat entschieden:
Besteht für den Führer eines Pkw die Möglichkeit, die Kollision mit einem außerhalb einer geschlossenen Ortschaft auf die Straße laufenden Hund durch ein (weiteres) Ausweich- oder Bremsmanöver zu vermeiden, haftet der Halter für den unfallbedingten Sachschaden in Höhe der einfachen Betriebsgefahr des Fahrzeugs (hier 25%).


Siehe auch Tierhalterhaftung/Tiergefahr und Betriebsgefahr


Tatbestand:

(Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.)


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat aufgrund der von ihm zu tragenden einfachen Betriebsgefahr seines Fahrzeuges keinen Anspruch auf die Zahlung weiteren Schadensersatzes gegen die Beklagte. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere auch nicht aus § 833 Satz 1 BGB. Zwar ist der Schaden am Klägerfahrzeug durch ein von der Beklagten gehaltenes Tier verursacht worden. Der Hund der Beklagten ist auf der Jagd nach einem von ihm aufgescheuchten Reh aus eigenen Antrieb auf die Straße vor das Fahrzeug des Klägers gelaufen. Damit hat sich die spezifische Tiergefahr verwirklicht. Die Beklagte kann sich auch nicht nach § 833 S. 2 BGB entlasten. Sie hat bereit keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass der bei dem Unfall getötete Hund ihrem Beruf, ihrer Erwerbstätigkeit oder ihrem Unterhalt gedient hatte.

Gleichwohl haftet auch der Kläger selber nach § 7 Abs. 1 StVG als Pkw-Halter für die Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeuges. Der Kläger kann sich auch nicht damit entlasten, dass der Unfall auf höherer Gewalt beruht hätte (§ 7 Abs. 2 StVG). Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes, nicht vorhersehbares Ereignis, das bei vernünftiger Weise zu erwartender Sorgfalt nicht hätte verhütet werden können (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage, § 7 StVG, Rz. 32 m.w.N.). Bei dem Überqueren der Straße durch den Hund handelt es sich jedoch bereits weder um ein von außen durch elementare Naturkräfte herbeigeführtes Ereignis, noch um ein Ereignis, das durch eine Handlung dritter Personen herbeigeführt worden wäre.

Damit ist nach § 17 Abs. 4 und Abs. 1 StVG eine Abwägung der jeweiligen Verursachungsanteile des Klägers und der Beklagten gegeneinander vorzunehmen. In ihrem Verhältnis zueinander hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Abwägung können neben unstreitigen nur bewiesene Umstände berücksichtigt werden.

Im Rahmen dieser Abwägung ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die Beklagte den Hund gemeinsam mit drei anderen Hunden ohne Leine in relativer Nähe zu einer Landstraße frei hat laufen lassen. Das Tier war nach den Angaben der Beklagten selber etwa 1 Jahr alt und noch verhältnismäßig verspielt. Die Beklagte musste deshalb damit rechnen, dass das Tier nicht stets ihren Kommandos gehorchen würde und dass es in der Nähe zu einer Landstraße durchaus zu verkehrsgefährdenden Situationen kommen konnte, wenn das Tier nicht angeleint war. Ein überwiegender Mitverursachungsanteil liegt damit zweifelsfrei bei der Beklagten.

Zu Gunsten der Beklagtenseite dagegen lässt sich das Verhalten des Klägers unmittelbar vor der Kollision mit dem Hund anführen. Nach seinen eigenen Angaben im Rahmen der polizeilichen Unfallaufnahme hatte er zunächst gehupt und war dem Tier zunächst auf die linke Straßenseite ausgewichen. Er hat anschließend nach rechts gesteuert. Erst in der Nähe des rechten Straßenrandes ist es dann zu der Kollision mit dem Hund gekommen. Das Verhalten des Klägers stellt gerade im Hinblick auf die Vorschrift des § 3 Abs. 1 S. 4 StVO keine adäquate Reaktion mehr auf die von dem Hund ausgehende Gefahr dar. Zwar muss kein Kraftfahrer außerorts mit dem plötzlichen Auftauchen eines Hundes auf der Fahrbahn rechnen (Hentschel, a.a.O., § 3 StVO, Rz. 30). Der Beklagten ist auch nicht der Nachweis für ihre Behauptung gelungen, dass der Kläger den Hund schon längere Zeit vor dem Unfall auf seinem Weg zur Straße beobachtet hatte oder dass er gar während der Fahrt telefoniert hatte. Zwar haben die beiden Zeugen ..., die Eltern der Beklagten, glaubhaft bekundet, dass der Kläger ihnen gegenüber jeweils erklärt habe, dass er den Hund vor der Kollision noch gesehen habe. Nähere Angaben dazu, wann er den Hund zum ersten Mal wahrgenommen hatte, in welcher Entfernung er von ihm war, oder inwieweit er ihm ausgewichen war, hatte der Kläger den Aussagen der beiden Zeugen zufolge ihnen gegenüber jedoch nicht gemacht. Insoweit sind die ansonsten glaubhaften Zeugenaussagen unergiebig. Durch Vorlage der Einzelverbindungsnachweise für seinen Handy-Anschluss hat der Kläger ferner nachgewiesen, dass er erst nach dem Unfall ein Gespräch geführt hatte, nicht aber vorher oder währenddessen. Auch hier war ihm kein Fehlverhalten vorzuwerfen.

Der Kläger selber hat jedoch bei seiner informatorischen Anhörung angegeben, dass er angesichts des von rechts auf ihn zukommenden Tieres reflexhaft gehupt und gebremst habe. Im Hinblick auf die von ihm selbst gefertigte Unfallskizze ist zudem davon auszugehen, dass der Kläger dem Tier zunächst nach links ausgewichen war und dann erst wieder nach rechts gesteuert hatte. Dies setzt sachlogisch allerdings voraus, dass der Kläger bereits vor dem Hupen eine Reaktionsaufforderung durch das Tier erhalten hatte. Die sogenannte "Schrecksekunde", die auch dem sog. Idealfahrer vor der Reaktion auf ein plötzlich auf der Fahrbahn auftauchendes Hindernis zuzubilligen ist, war zu dem Zeitpunkt, als der Kläger den Wagen wieder nach rechts gezogen hatte, also bereits vorbei. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte er das potenzielle Hindernis erkannt und auf das – seinen Angaben zufolge – wieder nach rechts laufende Tier reagiert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre damit auch eine angemessene Reaktion i. S. v. § 3 Abs. 1 StVO möglich gewesen. Gegebenenfalls hätte der Kläger anstelle eines Brems- ein Ausweichmanöver durchführen können. Der Kläger war seinen – bestrittenen – Angaben zur Folge auch tatsächlich zunächst nach links ausgewichen, hat das Fahrzeug dann allerdings wieder nach rechts gezogen, wo es letztlich zum Zusammenstoß mit dem Hund gekommen war. Allein aus dieser Unfallschilderung ergibt sich zwanglos, dass es nicht zur Kollision zwischen PKW und Tier gekommen wäre, wenn der Kläger das Auto zunächst auf der linken Straßenseite gehalten und dort seine Fahrt mit angemessener Geschwindigkeit fortgesetzt hätte. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Hund zunächst nach rechts ausgewichen war, um sodann wieder auf die Straße zurückzulaufen. Allein durch die Nähe des Hundes zu der Fahrbahn hatte der Kläger bereits eine Reaktionsaufforderung erhalten. Er hätte daher sein Fahrzeug weiter abbremsen oder dem Hindernis auf der linken Fahrbahnseite ausweichen müssen. Zumindest aber hätte er die Fahrt nur mit erheblich erhöhter Vorsicht fortsetzen dürfen, § 3 StVO. Gerade in dem – menschlich vielleicht nachvollziehbaren – nicht angemessenen Fahrverhalten des Klägers angesichts der drohenden Gefahr manifestiert sich die dem vom ihm geführten Kraftfahrzeug immanente Betriebsgefahr. Der Kläger kann sich angesichts des von ihm behaupteten missglückten Ausweichmanövers gerade nicht darauf berufen, dass es sich bei dem Zusammenstoß für ihn um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG gehandelt hätte. Der sogenannte Idealfahrer, von dem diese Norm ausgeht, hätte sein Fahrverhalten den Umständen angepasst und in anderer Weise reagiert als der Kläger es nach seinem eigenen Vortrag getan hat.

Trotz des überwiegenden Mitverursachungsanteils der Beklagten, die das Tier nicht in angemessener Weise beaufsichtigt hat, bleibt es damit bei einer Mithaftung des Klägers. An dieser Stelle soll ausdrücklich klar gestellt werden, dass dem Kläger mit dieser Wertung nicht der Vorwurf eines schuldhaften Fehlverhaltens gemachten werden soll, sondern dass die Entscheidung lediglich auf der Wertung des Gesetzgebers in § 7 Abs. 1 StVG beruht.

Danach haftet jemand, der eine potenziell so gefährliche Sache wie ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehr benutzt, grundsätzlich auch für die bei dem Betrieb des Fahrzeuges entstehenden Schäden, es sei denn, dass diese abstrakte Betriebsgefahr vollständig hinter das Mitverschulden des Unfallgegners zurücktritt. Aus den oben ausführlich dargelegten Gründen ist vorliegend davon jedoch nicht auszugehen.

Andere rechtliche oder tatsächliche Aspekte, die dazu führen würden, der Klage auch nur teilweise stattzugeben, sind nicht ersichtlich. Mangels verzinslicher Hauptforderung war die Klage mit der Nebenforderung abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1 und 269 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet seine Grundlage in den §§ 708 Ziffer 11, 711 und 713 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch einer Entscheidung des Berufungsgerichts zur Rechtsfortbildung oder Vereinheitlichung der Rechtsprechung erforderlich erscheint, § 511 Abs. 4 ZPO.