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OLG Hamm Urteil vom 08.10.2009 - 6 U 45/09 - Zur Haftungsverteilung bei einem nächtlichen Verkehrsunfall mit einem ausgebrochenen Springpferd

OLG Hamm v. 08.10.2009: Zur Haftungsverteilung bei einem nächtlichen Verkehrsunfall eines Kraftfahrers mit einem aus einer Pferdeweide ausgebrochenen Springpferd


Das OLG Hamm (Urteil vom 08.10.2009 - 6 U 45/09) hat entschieden:
  1. Eine Zaunhöhe von 1,20 m ist für eine Pferdeweide (hier: Weidegang von Springpferden) nicht genügend.

  2. Kommt es zur Nachtzeit auf einer Landstraße zur Kollision zwischen einem Kraftfahrzeug und einem ausgebrochenen Pferd, ist eine höhere Haftungsquote des Kfz-Halters von mehr als 50% selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot mitgewirkt hat.

Siehe auch Tierhalterhaftung/Tiergefahr und Haftung


Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz, nachdem ihr Pferd X am 10.11.2005 nachts von einer Weide auf eine Landstraße gelangt und dort vom Pkw des Beklagten zu 1), haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 2), angefahren worden ist, woraufhin es nach längeren Bemühungen um eine Gesundung schließlich eingeschläfert werden musste.

Die Beklagte zu 2) hat 6.955,00 Euro an die Klägerin gezahlt, wobei es sich um 50 % des aus ihrer Sicht berechtigten Schadens handelt.

Die Klägerin hat mit der Klage weitere 6.195,74 Euro geltend gemacht, nämlich 75 % der von ihr angesetzten Schadenspositionen, darunter auch Aufwendungen für Haltung, Futter, Hufschmied und Wurmkur in der Genesungszeit mit 160,00 Euro monatlich für 24 Monate.

Die Beklagten haben eingewandt, dass die Klägerin die bei der Unterbringung des Pferdes erforderliche Sorgfalt nicht beachtet habe.

Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung von noch 6.026,99 Euro verurteilt. Der Klägerin komme das Haftungsprivileg des § 833 S. 2 BGB zugute. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Zaun der Weide in Ordnung gewesen. Deshalb komme eine höhere Mithaftungsquote der Klägerin als die zugestandenen 25 % nicht in Betracht. Auch fehlgeschlagene Aufwendungen seien zu ersetzen, weil die Klägerin sie in der berechtigten Erwartung getätigt habe, das Pferd werde durchkommen.

Mit der Berufung erstreben die Beklagten die Abweisung der Klage. Die Weide sei nicht ordnungsgemäß gesichert gewesen. Eine dritte Stromlitze sei – was unbestritten geblieben ist – erst nachträglich angebracht worden. Frustrierte Aufwendungen seien nicht zu ersetzen.


II.

Der Klägerin stehen über die geleisteten Zahlungen hinaus keine weiteren Ansprüche aus dem Schadensfall vom 10.11.2005 zu.

1. Die Klägerin hat gem. § 833 S. 1 BGB für die durch ihr Pferd verursachten Sachschäden einzutreten. Ein von der Weide ausbrechendes und auf eine Landstraße laufendes Pferd zeigt ein unberechenbares tierisches Verhalten, das im vorliegenden Fall für die Kollision mit ursächlich war.

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat sich die Klägerin nicht gem. § 833 S. 2 BGB entlastet. Die Klägerin hat bei der Beaufsichtigung des Pferdes nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet. Der Weidezaun war entgegen der Bewertung des Landgerichts nicht ordnungsgemäß.

Die im Unfallzeitpunkt vorhandenen 2 waagerechten Stromleiter waren nicht ausreichend. Der untere Leiter war in einer Höhe von 70 cm über dem Erdboden zu hoch angebracht, so dass das Pferd darunter durch auf die Straße gelangen konnte. Der obere Leiter war mit 1,20 m Höhe über dem Boden zu niedrig befestigt, denn das Pferd der Klägerin war unstreitig ein Springpferd. Es ist gerichtsbekannt, dass Pferde höher springen können als 1,20 m. Eine Zaunhöhe von 1,20 m ist deshalb für eine Pferdeweide nicht genügend (vgl. OLG Koblenz, Schaden-Praxis 1994, 243, 244).

3. Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ist eine höhere Haftungsquote der Beklagten als 50 % nicht gerechtfertigt. Ein ausgebrochenes Pferd stellt zur Nachtzeit auf einer Landstraße einen gefährlichen Fremdkörper dar. Deswegen wird bei nächtlichen Zusammenstößen zwischen Kraftfahrzeugen und ausgebrochenen Pferden oder Rindern meist eine überwiegende Verantwortlichkeit des Tierhalters angenommen, auch wenn ein Verstoß des Fahrzeugführers gegen das Sichtfahrgebot mitgewirkt hat.

4. Die nach dem Unfall bis zur Einschläferung des Pferdes aufgewandten Futter- und Unterstellkosten sind nicht zu erstatten, weil sie auch ohne den Unfall angefallen wären. Dies hat der Senat bereits in einer Entscheidung vom 23.10.2008, veröffentlicht in OLG-Report Hamm 2009, 133 und r + s 2009, 126, näher ausgeführt, Hieran ist auch für den vorliegenden Fall festzuhalten. Sogenannte frustrierte Aufwendungen werden im Deliktsrecht regelmäßig nicht erstattet (vgl. weiter OLG Hamm, 9. Senat, NJW-RR 1998, 957; BGH, NJW 1991, 2707, 2708).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

Ein Anlass für eine Zulassung der Revision besteht nicht.