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OLG Brandenburg Urteil vom 18.11.2008 - 2 U 8/08 - Zum Verhältnis Tierhalterhaftung und Amtspflichtverletzung - Entlastungsmöglichkeit
OLG Brandenburg v. 18.11.2008: Zum Verhältnis Tierhalterhaftung und Amtspflichtverletzung - Entlastungsmöglichkeit
Das OLG Brandenburg (Urteil vom 18.11.2008 - 2 U 8/08) hat entschieden:
Kommt es zu einem Unfall mit einem Diensthund, den ein Zollbeamter aufgrund öffentlich-rechtlicher Dienstpflicht sowie seiner Verpflichtungserklärung führt, pflegt und beaufsichtigt, so bestehen Ansprüche nicht aus der Tierhalterhaftung sondern aus Amtspflichtverletzung, weil § 839 BGB eine Spezialvorschrift ist, durch die § 833 BGB verdrängt wird. Die Entlastungsmöglichkeit gem. § 833 Satz 2 BGB bleibt jedoch erhalten.
Siehe auch Amtshaftung im Verkehrsrecht und Tierhalterhaftung/Tiergefahr
Gründe:
I.
Der Kläger macht als Halter und Eigentümer des PKW Citroen, amtliches Kennzeichen …, Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 4. April 2003 gegen 13:30 Uhr auf der Landstraße … zwischen den Ortschaften G. K. und K. K. ereignete. Der von dem Enkel des Klägers, dem Zeugen L., geführte PKW stieß im linken Frontbereich mit dem Hund „R.“ zusammen, der unvermittelt auf die Straße gelaufen war. Der Hund hatte sich bei einem Spaziergang von dem Beklagten zu 2., dem er dienstlich anvertraut war, losgerissen. Halter des Hundes ist die Beklagte zu 1., die ihn als Rauschgiftspürhund im Zolldienst nutzt. Die gegen den Beklagten zu 2. gerichtete Klage wurde durch Teilurteil vom 31.03.2004 abgewiesen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand dieses Teilurteils sowie den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung und mündliche Anhörung eines Sachverständigen der Bundesanstalt für Materialforschung die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, eine Amtspflichtverletzung des Beklagten zu 2. liege zwar vor. Denn dieser sei verpflichtet gewesen, bei der Führung des Hundes unbeteiligte Personen vor einem Angriff dieses Tieres zu schützen. Ihn treffe jedoch kein Verschulden, denn dem Beklagten zu 2. sei der Entlastungsbeweis nach § 833 Satz 2 BGB gelungen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nämlich nicht fest, dass von dem Hund im Vergleich zu anderen Hunden besondere Gefahren ausgegangen seien. Insbesondere sei nicht erwiesen, dass der Hund vor dem hier streitgegenständlichen Vorfall bereits mehrfach entlaufen sei. Der Beklagte zu 2. habe daher - indem er den Hund angeleint ausgeführt habe, die Leine grundsätzlich geeignet war, den Hund zurückzuhalten und er versucht habe, den ansonsten gehorsamen Hund mit Kommandos sowie dem Festhalten der Hundeleine zum Anhalten zu bewegen - seiner Sorgfaltspflicht genügt. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Der Kläger hat gegen dieses, ihm am 4. Februar 2008 zugestellte Urteil mit einem am 21. Februar 2008 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und stützt diese vorrangig auf eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung durch das Landgericht. Zur Begründung führt er an, die Beweisaufnahme habe entgegen den Feststellungen des Landgerichts ergeben, dass der Hund bereits vor dem Vorfall auffällig gewesen sei und von ihm daher eine besondere Gefahr ausgegangen sei. Außerdem sei die verwendete Hundeleine ungeeignet gewesen, jedenfalls sei sie nicht hinreichend kontrolliert worden.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Cottbus vom 16.01.2008 die Beklagte zu 1. zu verurteilen, an den Kläger 3.546,07 € nebst 5 Prozent Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 17.05.2003 zu zahlen.
Die Beklagte zu 1. beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil, hält die Begründung des Landgerichts für rechtsfehlerfrei und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) nicht zu. Der Beklagte zu 2. hat eine ihm gegenüber dem Kläger obliegende Amtspflicht, für die die Beklagte zu 1. nach Art. 34 GG haftet, nicht schuldhaft verletzt.
a) Der Beklagte zu 2. hat den Diensthund im Rahmen hoheitlicher Tätigkeit eingesetzt, denn er war als Zollbeamter aufgrund öffentlich-rechtlicher Dienstpflicht sowie seiner Verpflichtungserklärung vom 03.11.2000 zur Führung, Pflege und Beaufsichtigung des Hundes verpflichtet.
b) Bei der Ausübung dieser hoheitlichen Tätigkeit hat der Beklagte zu 2. keine schuldhafte Amtspflichtverletzung begangen. Zutreffend hat das Landgericht im Ausgangspunkt festgestellt, dass ein Anspruch allein aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht kommt, weil § 833 BGB von § 839 BGB als Spezialvorschrift verdrängt wird. Bei der Feststellung der Amtspflichtverletzung ist jedoch die Beweislastregel des § 833 Satz 2 BGB anzuwenden (vgl. OLG Hamm, VersR 1998, 495). Vorliegend hat sich auch eine typische Tiergefahr verwirklicht. Dies ist immer der Fall, wenn die durch die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens hervorgerufene Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter zu einem Schaden geführt hat (vgl. Palandt/Sprau, 67. Auflage, § 833, Rdnr. 7). Da der Diensthund „Berufstier“ im Sinne des § 833 Satz 2 BGB ist, obliegt der Beklagten zu 1. der Nachweis, dass der Beklagte zu 2. bei der Beaufsichtigung des Tiers die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Diesen Beweis hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht als erbracht angesehen.
(1) Das Landgericht hat es nach der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen Z., L., B., K. und H. als erwiesen erachtet, dass von dem Diensthund im Vergleich zu anderen Hunden keine besonderen Gefahren ausgegangen sind. Weder habe die Beweisaufnahme ergeben, dass das Tier bereits vor dem klagegegenständlichen Unfall mehrfach entlaufen noch als „dorfbekannter Streuner“ bekannt gewesen sei. Der Kläger stützt seine Berufung darauf, dass das Landgericht zu Unrecht zu dieser Feststellung gelangt sei. Insbesondere habe das Landgericht den Aussagen der Zeugen L. und B. keine hinreichende Bedeutung beigemessen. Bei sachgerechter Würdigung dieser Aussagen habe das Landgericht zu dem Schluss kommen müssen, dass der Hund bereits mehrfach ausgerissen sei und von ihm daher eine besondere Gefahr ausgegangen sei.
Damit greift die Berufung die Beweiswürdigung des Landgerichts an, allerdings ohne Erfolg. Denn § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hindert eine eigenständige Bewertung des Beweisergebnisses durch den Senat. Nach dieser Regelung hat das Berufungsgericht grundsätzlich die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen der eigenen Entscheidung zu Grunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung begründen. Konkrete Anhaltspunkte für fehler- oder lückenhafte Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichtes bestehen etwa, wenn die Tatsachenfeststellung verfahrensfehlerhaft gewonnen wurde, die Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder gerichtsbekannte oder allgemein bekannte Tatsachen bei der Beweiswürdigung keine Berücksichtigung erfahren (vgl. Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Auflage, Band II, § 529 ZPO, Rdnr. 18).
Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Das Landgericht hat mit nachvollziehbaren Erwägungen, denen sich der Senat anschließt, insbesondere unter Hinweis auf Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der Zeugen L. und B., begründet, weshalb es die Aussage des Zeugen Z., nicht aber die Aussagen der Zeugen L. und B. für glaubhaft erachtet. Dies lässt Fehler in der Beweiswürdigung nicht erkennen. Die Rüge des Klägers erschöpft sich insoweit in einer anderen, jedoch keinesfalls zwingenden, Würdigung der Zeugenaussagen und vermag daher keine hinreichenden Zweifel im Sinne von § 529 ZPO zu begründen.
Das Landgericht hat auch nicht verfahrensfehlerhaft Beweisangebote des Klägers übergangen. Die Rüge der Berufung, die Vernehmung der Schwester des Beklagten zu 2., der Zeugin H., sei zu Unrecht unterblieben, greift nicht durch. Von einer Vernehmung dieser - von der Beklagten zu 1. gegenbeweislich benannten Zeugin - hat das Landgericht folgerichtig abgesehen, nachdem es bereits die Behauptung des Klägers zur Gefährlichkeit des Hundes für nicht erwiesen erachtet hat.
Zu Unrecht rügt die Berufung ferner, das Landgericht habe bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen, dass der Beklagte zu 2. selbst ein zweimaliges Entlaufen des Hundes in der Vergangenheit eingeräumt habe. Das Landgericht hat diesen Umstand gewürdigt und ist dabei zu dem Schluss gelangt, dass diese beiden Vorkommnisse, die mit dem hier klagegegenständlichen Vorfall nicht vergleichbar sind, nicht den Schluss zulassen, der Hund würde häufiger ausbrechen oder streunen. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an.
Soweit die Berufung schließlich vorbringt, das Landgericht habe nicht aufgeklärt, welche Schutzhundprüfungen das Tier mit welchen Ergebnissen abgelegt habe, ist weder ersichtlich noch von der Berufung dargelegt, zu welchem Zweck diese Aufklärung hätte erfolgen sollen, insbesondere welche Konsequenzen sich für die Beurteilung der von dem Hund ausgehenden Gefahr hieraus ergeben hätten.
(2) Auch die von dem Landgericht getroffene Feststellung, die Hundeleine sei gerissen, als der Beklagte zu 2. den durch ein Reh aufgeschreckten Hund zurückhalten wollte, ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht stützt diese Feststellung mit nachvollziehbaren und zutreffenden Erwägungen auf die insgesamt glaubhafte Aussage des Beklagten zu 2. sowie die mündliche Anhörung des Sachverständigen Dr. K.. Der Sachverständige hat in seinem mündlich erstatteten Gutachten ausgeführt, dass das gleichzeitige Brechen des Karabinerhakens und das Reißen der Leine möglich sind. Substantiierte Einwände gegen diese Ausführungen des Sachverständigen werden durch die Berufung nicht vorgebracht. Soweit die Berufung beanstandet, das Landgericht habe sich durch den Sachverständigen eine rechtliche Bewertung abnehmen lassen, trifft dies nicht zu. Bei der von dem Sachverständigen in seinem mündlichen Gutachten beantworteten Frage, ob bei dem von dem Zeugen Z. geschilderten Vorfall an der Hundeleine die Schnur reißen und der Karabinerhaken brechen konnten, handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine sachverständig zu klärende Tatsachenfrage.
(3) Eine Pflichtverletzung des Beklagten zu 2. liegt auch nicht darin, dass er, so die Behauptung des Klägers, den Hund mit einer ungeeigneten Hundeleine ausgeführt habe. Ohne Erfolg stellt die Berufung die grundsätzliche Geeignetheit der Leine in Frage. Ausweislich der zur Akte gereichten Beschreibung war die verwendete Leine „Flexi New Giant 8 m“ für große Hunde bis 60 kg geeignet; der Hund der Beklagten zu 1. wog aber nur ca. 30 kg. Die Verwendung der Leine war daher, auch wenn sie vorliegend aus letztlich ungeklärter Ursache nicht ordnungsgemäß funktionierte, nicht sorgfaltspflichtwidrig; ein Versagen der Leine war für den Beklagten zu 2. nicht vorhersehbar.
(4) Auch die unterbliebene Kontrolle der Leine auf etwaige Vorschäden vor dem Ausführen des Hundes begründet keine Pflichtverletzung des Beklagten zu 2. Der Senat folgt auch in diesem Punkt den Ausführungen des Landgerichts, wonach der Beklagte zu 2. mit der im Abstand von sechs Wochen erfolgenden Überprüfung der Leine im Rahmen der Dienstübungen für die Zollhunde seinen Sorgfaltspflichten genügt hat. Eine tägliche Kontrolle der Leine würde die an den Hundehalter zu stellenden Sorgfaltsanforderungen überspannen; dies vorliegend insbesondere deshalb, weil es sich um eine sog. „Gurt-Roll-Leine“ handelte, die sich für den Hundehalter nicht sichtbar im Gehäuse befindet. Abgesehen davon liegen hier auch keine Anhaltspunkte vor, die auf eine erkennbare Vorschädigung der Leine schließen lassen könnten. Es ist daher nicht ersichtlich, inwieweit die unterlassene Überprüfung der Leine für das Entlaufen des Hundes ursächlich geworden sein kann.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
3. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Auch ist die Zulassung nicht zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Entscheidung beruht allein auf der Würdigung der Umstände des Einzelfalles.
4. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.546,07 € festgesetzt.