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Landgericht Flensburg Urteil vom 24.08.2011 - 4 O 9/11 - Zur Leistungskürzung des Kaskoversicherers um 50% bei einer Trunkenheitsfahrt mit 0,4 ‰
LG Flensburg v. 24.08.2011: Zur Leistungskürzung des Kaskoversicherers um 50% bei einer Trunkenheitsfahrt mit 0,4 ‰
Das Landgericht Flensburg (Urteil vom 24.08.2011 - 4 O 9/11) hat entschieden:
Nach § 81 Abs. 2 VVG ist der Versicherer berechtigt, sofern der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Bei einer BAK von 0,4 ‰ ist von grobfahrlässiger Herbeiführung eines Unfalls auszugehen, wenn auf Grund der festgestellten Beweisanzeichen davon auszugehen ist, dass der Versicherungsnehmer alkoholbedingt fahruntüchtig war. In diesem Fall ist eine Leistungskürzung des Kaskoversicherers um 50% gerechtfertigt.
Siehe auch Alkohol und Kfz-Versicherungsrecht und Stichwörter zum Thema Alkohol
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Zahlung einer Versicherungsentschädigung.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten für seinen Pkw vom Typ Mercedes Benz C 63 AMG, amtliches Kennzeichen ..., eine Vollkaskoversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) der Beklagten mit Stand vom 1.9.2008 zu Grunde. Darin heißt es unter D.2 auszugsweise:
„Zusätzlich in der Kfz-Haftpflichtversicherung und der Kfz-Umweltschadenversicherung
Alkohol und andere berauschende Mittel
D.2.1 Das Fahrzeug darf nicht gefahren werden, wenn der Fahrer durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen.[…]“
Wegen des weiteren Inhalts der AKB wird auf die zur Akte gereichte Kopie (Anlage B 1, Bl. 61ff. d. A.) ergänzend Bezug genommen.
Mit dem vorbezeichneten Pkw erlitt der Kläger am 05.10.2010 gegen 23:15 Uhr in G., J., innerorts einen Verkehrsunfall, anlässlich dessen das vorbezeichnete Fahrzeug erheblich beschädigt wurde. Der Kläger kam mit seinem Fahrzeug in einer Linkskurve von der Straße ab. Das Fahrzeug kollidierte mit einer Straßenlaterne. Der Sachverständige schätzte die Reparaturkosten in Abzug unter dem Gesichtspunkt "Neu für Alt" auf 21.396,78 € inklusive Mehrwertsteuer. Das Fahrzeug wurde von der Fa. KFZ S., F., repariert. Die Reparaturkosten beliefen sich auf 22.344,37 €.
Dem Kläger wurde im Anschluss an das Unfallgeschehen eine Blutprobe entnommen, welche eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,33 Promille aufwies.
Die Beklagte regulierte vorgerichtlich 50 % des Schadens, im Übrigen berief sie sich mit Schreiben vom 15.11.2010 darauf, dass Leistungsfreiheit wegen grober Fahrlässigkeit des Klägers eintrete.
Der Kläger behauptet, er sei nicht alkoholbedingt fahrunfähig gewesen. Der Unfall sei nicht durch den Alkoholgenuss verursacht worden. Bereits geringfügige Fahr- oder Bedienfehler könnten sich, angesichts einer Motorleistung seines Fahrzeugs von 450 PS, sofort verheerend auswirken, als das Fahrzeug außer Kontrolle geraten könne. Dieses könne ohne Weiteres auch einem vollkommen nüchternen Kraftfahrer passieren. Im Übrigen sei er hinsichtlich des genossenen Alkohols gutgläubig gewesen. Er habe nicht die geringste Veranlassung für die Annahme gehabt, dass er in seiner Fahrfähigkeit alkoholbedingt beeinträchtigt sein könnte. Er habe keine alkoholischen Wirkungen verspürt.
Der Kläger beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 11.172,19 € zzgl. 5 % Punkte Zinsen oberhalb des Basiszinssatzes seit dem 16.11.2010 zu zahlen,
- an den Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten Rechtsanwälte S., F., Kosten außergerichtlicher Rechtsverfolgung in Höhe von 430,66 € zzgl. 5 % Punkte Zinsen oberhalb des Basiszinssatzes ab Rechtshängigkeit zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, dem Kläger stehe der verfolgte Leistungsanspruch nicht zu, da die Beklagte wegen einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung des Klägers in Form einer Trunkenheitsfahrt vor Eintritt des Versicherungsfalls bzw. einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls gemäß §§ 28, 81 VVG leistungsfrei geworden sei.
Die Beklagte behauptet, der Kläger habe gegen die Obliegenheit verstoßen, sein Kraftfahrzeug nicht im alkoholisierten Zustand zu fahren. Er sei relativ fahruntüchtig gewesen. Ein nüchterner Verkehrsteilnehmer wäre auch ohne Weiteres in Lage gewesen, die Linkskurve zu meistern, ohne von der Fahrbahn abzukommen.
Die Beklagte meint, es handele sich insoweit um einen klassischen Fahrfehler, der auf der eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit aufgrund des Alkoholkonsums beruhe.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen H.. Die Verkehrsunfallakte der Polizei-Zentralstation G., Vorgangsnummer ..., hat vorgelegen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung einer (weiteren) Versicherungsentschädigung in Höhe von 11.172,19 € aus dem zwischen ihnen geschlossenen Vollkaskoversicherungsvertrag zu.
Zwar besteht im Grundsatz eine Leistungspflicht der Beklagten, da das Fahrzeug des Klägers am 05.10.2010 anlässlich eines Verkehrsunfalls beschädigt wurde. Vorliegend ist für die Beklagte jedoch hinsichtlich der streitgegenständlichen, restlichen Versicherungsentschädigung Leistungsfreiheit eingetreten.
1. Hierbei ergibt sich diese nicht bereits aus einer Obliegenheitsverletzung des Klägers (§ 28 VVG). Die Obliegenheit, nicht unter Einfluss von Alkohol seinen Pkw zu fahren, galt ausweislich der Versicherungsbedingungen der Beklagten nur für die Kfz-Haftpflichtversicherung, nicht jedoch für die hier betroffene Vollkaskoversicherung.
2. Die Beklagte beruft sich allerdings zu Recht auf die Regelung des § 81 VVG. Nach § 81 Abs. 2 VVG ist der Versicherer berechtigt, sofern der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.
a. Der Kläger hat den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt sowohl objektiv als auch subjektiv in einem besonders schweren Maße verletzt hat. Der objektive Sorgfaltsmaßstab richtet sich nach allgemein anerkannten Sorgfalts- und Verkehrsbedürfnissen, die in besonders schwerem Maße verletzt sein müssen. In subjektiver Hinsicht muss der Versicherungsnehmer ein gegenüber der einfachen Fahrlässigkeit gesteigertes und somit schweres Verschulden treffen (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 21. Auflage 2010, § 81 VVG, Rdnr. 3).
Beide Voraussetzungen liegen hier vor.
Es ist zunächst objektiv von einem grob fahrlässigen Verhalten des Klägers auszugehen.
Der Kläger war im Unfallzeitpunkt relativ fahruntüchtig.
Eine relative Fahruntüchtigkeit kann bei einer Blutalkoholkonzentration ab 0,3 Promille gegeben sein. Die um 0:02 Uhr entnommene Blutprobe wies ein BAK-Wert von 0,33 Promille auf. Der Unfall ereignete sich nach den Angaben in der Verkehrsunfallakte gegen 23:15 Uhr, sodass bei Rückrechnung mit einem Abbauwert von 0,1 Promille pro Stunde zum Unfallzeitpunkt ein BAK-Wert von 0,4 Promille vorgelegen haben muss.
Infolge dieses Blutalkoholgehalts war der Kläger fahruntüchtig. Dieses steht auf Grund der weiteren Unfallumstände zur Überzeugung der Kammer fest. Anzeichen, die die relative Fahruntüchtigkeit begründen, können aus dem Verhalten des Fahrers, den Feststellungen des Blutentnahmeprotokolls oder groben Fahrfehler entnommen werden (Prölls-Martin, VVG, 28. Auflage, 2010, AKB 2008, § A 216 Rdnr. 45).
Ausweislich der beigezogenen Verkehrsunfallakte lagen bei dem Kläger keine Ausfallerscheinungen vor, die für sich genommen, auf eine Fahruntüchtigkeit schließen lassen. Soweit die Ärztin in ihrem ärztlichen Untersuchungsbericht angegeben hat, dass der Kläger verwaschen gesprochen und benommen gewesen sei, steht dem entgegen, dass er geordnet denken konnte, sicher urteilsfähig war und eine regelgerechte Erinnerung an den Vorfall hatte.
Vorliegend stellt sich jedoch das Abkommen von der Fahrbahn ohne ersichtlichen Grund als typisch alkoholbedingter Fahrfehler dar (vgl. OLG Hamm NJW 2011, 85ff.). Ausweislich der in der Verkehrsunfallakte befindlichen Fotos ist die Linkskurve klar erkennbar. Zwar fand der Unfall zur Nachtzeit statt, die Straße war jedoch durch Straßenlaternen beleuchtet. Die Straßenoberfläche war trocken. Auch eine mögliche Enge der Linkskurve spricht dabei nicht gegen eine derartige Annahme. Es ist davon auszugehen, dass die Kurve mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h gefahrlos durchfahren werden kann. Die Straße weist eine normale Fahrbahnbreite für zwei Fahrspuren auf. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf unter 50 km/h ist nicht angeordnet, Warnschilder die auf eine scharfe Kurve hinweisen, sind nicht aufgestellt.
Für die Ursächlichkeit der Fahruntüchtigkeit für den Unfall spricht vorliegend zugunsten der Beklagten ein Beweis des ersten Anscheins. Es entspricht der typischen Lebenserfahrung, dass die Alkoholisierung kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls gewesen ist.
Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht entkräftet. Er hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich die ernsthafte, nicht nur theoretische, Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt. Die allgemeine Möglichkeit, dass ein derartiger Fahrfehler auch einem Nüchternen unterlaufen kann, reicht dabei nicht aus, den Anscheinsbeweis zu erschüttern.
Zwar weist das Fahrzeug des Klägers eine sehr hohe Motorleistung auf. Nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung des Klägers ist die Kammer jedoch davon überzeugt, dass der Kläger - ohne Alkoholkonsum - in der Lage gewesen wäre, sein Fahrzeug sicher zu beherrschen. Nach seinen eigenen Angaben kannte er die Fahrstrecke. Er will nur mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gefahren sein. Zudem ist der Kläger Hobby-Rennfahrer, er hat schon Fahrertrainings absolviert und kann mit seinem Fahrzeug sicher umgehen. Hiernach vermag die Einlassung des Klägers, es liege ein bloßer alkoholunabhängiger Fahrfehler dem Unfallereignis zugrunde, nicht zu überzeugen.
Auch in subjektiver Hinsicht trifft den Kläger der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens. Der gesteigerte subjektive Vorwurf ergibt sich vorliegend aus einer mangelnden Selbstprüfung im Hinblick auf seine Fahrfähigkeit. Dass der Kläger selbst angibt, seine Fahruntüchtigkeit nicht erkannt zu haben, kann ihn nicht entlassen. Eine fehlerhafte Selbsteinschätzung des eigenen Fahrvermögens ist typische Folge eines Alkoholkonsums (vgl. Prölls-Martin, aaO. Rdnr. 46).
b. Die von der Beklagten vorgenommene Kürzung ihrer Leistung um 50 % ist nicht zu beanstanden. Die Teilnahme am Straßenverkehr trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit ist eine objektiv besonders grobe und schwerwiegende Verkehrswidrigkeit. Im Hinblick darauf, dass bei dem Konsum von Alkohol im Zusammenhang mit dem Führen eines Pkw im Verkehr ein hohes Unfallrisiko mit beträchtlichem Schadensumfang für die versicherte Sache besteht, muss vorliegend – auch im unteren Bereich der BAK-Werte - eine Kürzung der Ansprüche um 50 % erfolgen (vgl. OLG Hamm NJW 2011, 85ff.).
II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 Satz 2 ZPO.
Der Streitwert wird auf 11.172,19 € festgesetzt.