Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 20.03.1990 - VI ZR 127/89 - Zur Bruttoberechnung des Verdienstausfalls bei Steuerrückzahlungen des Finanzamts - Vorteilsausgleichung

BGH v. 20.03.1990: Zur Bruttoberechnung des Verdienstausfalls bei Steuerrückzahlungen des Finanzamts - Vorteilsausgleichung


Der BGH (Urteil vom 20.03.1990 - VI ZR 127/89) hat entschieden:
Der Unterhaltsschaden, den der für den Tod eines Ehegatten verantwortliche Schädiger dem Unterhaltsberechtigten zu ersetzen hat, ist auf der Grundlage der Bruttoeinkommen der Ehepartner zu ermitteln, wenn und solange das Finanzamt den Eheleuten die von ihrem Arbeitseinkommen einbehaltenen Steuerbeträge zurückzuerstatten hatte und auch diese voll für den Familienunterhalt zur Verfügung standen.


Siehe auch Vorteilsausgleichung und Unterhaltsschaden


Tatbestand:

Der Erstbeklagte verursachte am 8. Juni 1985 mit einem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Pkw einen Verkehrsunfall, bei dem die Ehefrau des Klägers tödlich verletzt wurde. Die volle Haftung der Beklagten für sämtliche Unfallfolgen ist außer Streit.

Der Kläger verlangt, zugleich im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft für seine vier volljährigen Kinder, von den Beklagten Ersatz des Unterhaltsschadens, der ihm und seinen Kindern durch den Tod seiner Ehefrau entstanden ist. Das Landgericht hat dem Kläger auf den im ersten Rechtszug allein geltend gemachten Betreuungsunterhalt für die Zeit von Juli 1985 bis November 1986 einen Betrag von 32.047,77 DM nebst Zinsen zuerkannt. Das Oberlandesgericht hat unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten dem Kläger nach Erweiterung der Klage auch auf den Barunterhaltsschaden für die Zeit bis 31. Januar 1989 einen Kapitalbetrag von 129.200 DM zugesprochen (Ziffer I a der Urteilsformel) sowie für die Zeit vom 1. Februar bis 30. Juni 1989 eine monatliche Rente von 3.200 DM und für die Zeit vom 1. Juli 1989 bis 31. Dezember 1990 eine monatliche Rente von 3.600 DM nebst Zinsen zuerkannt (Ziffer I b des Urteilsausspruchs). Das Gericht hat ferner festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, dem Kläger und seinen Kindern den ihnen aus dem Unfall entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialleistungsträger übergegangen seien.

Mit der Revision hat der Kläger zunächst seine im Berufungsrechtszug abgewiesenen Zahlungsansprüche weiterverfolgt, die dahin gingen, ihm für die Zeit bis zum 31. Dezember 1987 einen Kapitalbetrag von insgesamt 147.802,23 DM sowie ab 1. Januar 1988 eine Monatsrente von 5.995 DM, jeweils nebst Zinsen, zuzusprechen. Die Beklagten haben ihrerseits Revision eingelegt mit dem Ziel der Abweisung der Klage, soweit sie für die Zeit von Juli 1985 bis November 1986 zu mehr als 21.311,17 DM nebst Zinsen und für die Zeit von Dezember 1986 bis Mai 1987 zu mehr als dem anerkannten Betrag von 7.548,42 DM verurteilt worden seien. Der Senat hat durch Beschluss vom 19. Dezember 1989 die Revision der Beklagten nicht zur Entscheidung angenommen; die Revision des Klägers hat er nur insoweit angenommen, als das Berufungsgericht die Klage in Ziffer I a in Höhe von 48.391 DM und in Ziffer I b in Höhe eines monatlichen Rentenbetrages von 1.087 DM, jeweils nebst Zinsen, abgewiesen hat. In diesem Umfang erstrebt der Kläger weiterhin die Verurteilung der Beklagten.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht geht bei der Ermittlung des dem Kläger und seinen Kindern entstandenen Barunterhaltsschadens, über den gegenwärtig allein noch zu befinden ist, von den monatlichen Nettoeinkommen der Eheleute aus, die es beim Kläger auf 4.300 DM und bei seiner Ehefrau auf 3.200 DM ansetzt. Mit einer sich darauf gründenden Berechnung weist es das auf einen höheren Betrag gerichtete Zahlungsbegehren des Klägers, der seiner Berechnung die jeweiligen Bruttoeinkommen zugrunde gelegt hat, ab. Ferner kürzt das Berufungsgericht den Unterhaltsschaden um monatlich 600 DM, weil der Kläger bereits kurze Zeit nach dem Unfall ein um diesen Betrag höheres Nettogehalt erzielt habe.


II.

Die Revision des Klägers führt im Umfang der Annahme zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dessen Erkenntnis hält in den beiden unter I. genannten Punkten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Dem Berufungsgericht ist zwar dahin zu folgen, dass beim Tode eines Ehepartners der Unterhaltsschaden des überlebenden Ehegatten und derjenige der Kinder regelmäßig auf der Grundlage des Nettogehalts des Verstorbenen zu ermitteln ist, da im Regelfall nur dieser Betrag der Familie jetzt weniger zur Verfügung steht. Dies kann jedoch unter besonderen Umständen auch einmal anders sein. So liegen die Dinge nach dem Vortrag des Klägers hier.

a) Der Kläger hatte dargelegt, dass und warum der restlichen Familie nach dem Unfall seiner Ehefrau deren Bruttoeinkommen fehle. Er hatte ausgeführt, dass er und seine Ehefrau sich mit ererbtem Geld an Abschreibungsobjekten beteiligt und deshalb letztlich keine Steuern zu zahlen gehabt hätten; die von ihren Gehältern zunächst einbehaltenen Steuerbeträge seien ihnen vom Finanzamt stets wieder zurückerstattet worden mit der Folge, dass bis auf die Sozialabgaben ihre Bruttogehälter zugleich die Nettoeinkommen gewesen seien (GA II 298, 311, 316, 353). Das Berufungsgericht ist diesem Vorbringen zunächst auch nachgegangen und hat dem Kläger die Vorlage von Gehaltsmitteilungen sowie der Einkommensteuererklärung und des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 1984 aufgegeben (GA II 369). Der Kläger hat dem entsprochen (GA II 398, 437ff, 461ff). Aus dem Steuerbescheid ergab sich, dass in der Tat jedenfalls die im Jahre 1984 einbehaltenen Steuern zurückerstattet worden waren (GA II 465f). Auch sprachen die vom Kläger vorgelegten Unterlagen dafür, dass seine Angaben über die Höhe der monatlichen Bruttobezüge ohne die Sozialabgaben, nämlich beim Kläger rund 5.000 DM und bei seiner Ehefrau ca. 4.400 DM (GA II 298), zutreffen konnten. Auf dieser Grundlage verstößt es aber gegen die prozessuale Pflicht zur vollständigen Würdigung des Sachvortrags der Parteien (§ 286 Abs. 1 ZPO), dass das Berufungsgericht in seinem Urteil, zumal ohne jede Begründung, lediglich von den Nettogehältern der Eheleute ausgeht. Bei der vom Kläger behaupteten Fallgestaltung fehlte ihm und seinen Kindern, wie die Revision mit Recht rügt, nach dem Tod seiner Ehefrau deren um die Sozialabgaben bereinigtes Bruttoeinkommen, wenn und soweit hiervon nicht etwaige mit der Steuerentlastung im Zusammenhang stehende Verbindlichkeiten zu erfüllen waren, sondern die Steuererstattungen voll für den Familienunterhalt zur Verfügung standen. Der sich daraus ergebene Unterhaltsschaden wird auch nicht etwa von dem Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts umfasst; die dort festgestellte Ersatzpflicht der Beklagten bezieht sich gemäß dem Endzeitpunkt in Ziffer I b des Urteilstenors nach den Ausführungen auf S. 31 des Berufungsurteils allein auf die Zeit nach dem 31. Dezember 1990.

b) Geht man deshalb von den vom Kläger genannten monatlichen Bezügen der Eheleute von 5.000 DM und 4.400 DM aus, die das Berufungsgericht allerdings ebenso wie den von den Beklagten bestrittenen Umfang der Steuerentlastung, auch in ihrer zeitlichen Erstreckung auf den hier geltend gemachten Schadenszeitraum, noch näher zu prüfen haben wird, so ergibt sich anstelle der auf S. 26 des Berufungsurteils angestellten Berechnung folgendes: Nach Abzug fixer Kosten von 2.750 DM verbleibt ein verteilbares Einkommen von 6.650 DM. Damit sind auf der Grundlage der insoweit vorgenommenen Aufteilung von 2/2/1/1/1/1 gemäß der Berechnung des Berufungsgerichts der Ehefrau des Klägers aus dessen Einkommen 884 DM, dem Kläger aus dem Einkommen seiner Frau 778 DM und den Kindern aus dem Einkommen ihrer Mutter je 389 DM zuzuordnen. Dadurch erhöhen sich die im Berufungsurteil auf S. 27 unter "Schadensermittlung" genannten Beträge beim Geldunterhaltsausfall und in der jeweiligen Summe beim Kläger um 271 DM und bei den Kindern um je 136 DM, was bei letzteren nach Abzug des Waisengeldes gemäß S. 28 des Berufungsurteils zu Ersatzansprüchen von je (946 - 380 =) 566 DM führt. Bei der Errechnung des Ersatzanspruchs des Klägers ist zusätzlich noch der sogleich darzulegende weitere Fehler des Berufungsgerichts zu berichtigen.

2. Das Berufungsgericht kürzt, was die Revision ebenfalls mit Recht beanstandet, den Ersatzanspruch des Klägers im Wege des Vorteilsausgleichs um den Mehrbetrag seines Gehalts von monatlich 600 DM (Seiten 25 und 28 seines Urteils), ohne aufzuzeigen, dass diese Gehaltserhöhung mit dem Tod der Ehefrau in einem sachlichen Zusammenhang steht (zu diesem Erfordernis vgl. BGHZ 77, 151, 154; 91, 206, 209f und 357, 363f). Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen, insbesondere der Arbeitsvertrag vom 4. Juni 1986, sprechen eher gegen einen solchen inneren Zusammenhang. Besteht dieser aber nicht, dann kann dem Kläger im Wege des Vorteilsausgleichs nur derjenige Teil der 600 DM angerechnet werden, der sonst seiner Ehefrau zugestanden hätte und der wegen ihres Todes nun dem Kläger verbleibt. Das sind nach der Ausgangsberechnung gemäß S. 26 des Berufungsurteils 25%, also 150 DM. Der Abzug ist überdies nicht, wie das Berufungsgericht meint, bereits ab Juli 1985 vorzunehmen, denn das höhere Gehalt wurde vom Kläger erst ab Juni 1986 erzielt, und das war entgegen dem Berufungsgericht nicht "kurze Zeit nach dem Unfall", sondern ein volles Jahr später.

Auf dieser Grundlage ergibt sich für den Kläger vor dem Abzug der 150 DM, d.h. für den Zeitraum von Juli 1985 bis Mai 1986 in Abweichung von S. 27, 28 des Berufungsurteils und unter Berücksichtigung der obigen Berechnung zu 1b ein Ersatzanspruch von (2.386 + 271=) 2.657 - 884 = 1.773 DM. Ab Juni 1986 verringert sich dieser Anspruch um monatlich 150 DM auf 1.623 DM.

3. Die Gesamtsumme für den Kläger und die Kinder beläuft sich damit für 11 Monate (Juli 1985 bis Mai 1986) statt auf die vom Berufungsgericht errechneten 2.800 DM auf jeweils (1.773 + (566 * 4 =) 2.264 =) 4.037 DM und für 10 Monate (Juni 1986 bis März 1987) auf (1.623 + (566 * 4 =) 2.264 =) 3.887 DM. Daraus ergeben sich bis März 1987 insgesamt (44.407 + 38.870=) 83.277 DM. Wird der Monatsbetrag ab April 1987 für die 22 Monate bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht im Januar 1989, die als Endpunkt für die Berechnung des Kapitalbetrags in Ziffer Ia des Urteilsausspruchs angesetzt worden ist, gemäß S. 30 des Berufungsurteils um monatlich 400 DM auf 4.287 DM erhöht, so kommen bis zu diesem Stichtag weitere 94.314 DM hinzu. Daraus errechnen sich insgesamt (83.277 + 94.314 =) 177.591 DM, also gegenüber der Urteilssumme des Berufungsgerichts in Ziffer I a ein Mehrbetrag von 48.391 DM. In gleicher Weise erhöhen sich entsprechend der oben für die Zeit von Juni 1986 bis März 1987 angestellten Berechnung auch für die Folgemonate bis zum 31. Dezember 1990 die in Ziffer I b der Urteilsformel genannten Renten um monatlich 1.087 DM.


III.

Demgemäß war das Berufungsurteil, soweit die Klage in Ziffer I a und I b abgewiesen worden ist, in diesem Umfang auf die Revision des Klägers aufzuheben und die Sache gemäß § 565 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.