Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Urteil vom 16.01.1990 - VI ZR 170/89 - Zur Vorteilsausgleichung bei einer Arbeitgeberabfindung für den gekündigten Arbeitnehmer

BGH v. 16.01.1990: Zur Vorteilsausgleichung bei einer Arbeitgeberabfindung für den gekündigten Arbeitnehmer


Der BGH (Urteil vom 16.01.1990 - VI ZR 170/89) hat entschieden:
Auf den Ersatz seines Verdienstausfallschadens muss sich der Geschädigte, dem sein Arbeitgeber wegen der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat, eine im Kündigungsschutzprozess vereinbarte Abfindung grundsätzlich nicht anrechnen lassen.


Siehe auch Versicherungsthemen und Verdienstausfall


Tatbestand:

Die Beklagte hat als Haftpflichtversicherer für die Schäden aufzukommen, die die Klägerin bei einem Verkehrsunfall am 11. November 1985 erlitten hat. Die Klägerin wurde damals schwer verletzt; sie war nach ihrer Behauptung bis zum 31. Dezember 1987 unfallbedingt arbeitsunfähig. Die Beklagte zahlte auf die Schäden der Klägerin einen Vorschuss in Höhe von 37.000 DM, mit dem u.a. ein materieller Schaden in Höhe von 17.070,80 DM ausgeglichen wurde. Sie weigerte sich jedoch, für den Verdienstausfallschaden der Klägerin Ersatz zu leisten.

Die Klägerin war seit 1981 bei der K.-Automobile GmbH in A. (im folgenden: K.-GmbH) als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Mit Schreiben vom 12. Februar 1986 kündigte die K.-GmbH dieses Arbeitsverhältnis zum 31. März 1986 wegen "der anhaltend schlechten und sich verschärfenden Marktsituation" und des "rückläufigen Geschäftsumfangs insbesondere bei der Verkaufsabteilung". Dagegen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Das Verfahren endete am 13. Mai 1986 mit einem Vergleich, in dem es u.a. heißt, dass sich die Parteien über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 1986 einig seien und die K.-GmbH der Klägerin eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 10.000 DM zahle. In späteren Schreiben teilte die K.-GmbH der Klägerin und der Beklagten mit, dass sie das Arbeitsverhältnis u.a. wegen der nicht vorhersehbaren Länge der unfallbedingten Krankheit der Klägerin aufgelöst und eine betriebsbedingte Kündigung vorgeschoben habe, weil eine personalbedingte Kündigung nur sehr schwer durchzusetzen gewesen sei.

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten Ersatz ihres auf 8.117,15 DM bezifferten unfallbedingten Verdienstausfalls für die Jahre 1986 und 1987; sie errechnet diesen Verdienstausfall aus der Differenz zwischen dem erhaltenen Krankengeld und dem Gehalt, das sie in diesem Zeitraum ohne den Unfall bei der K.-GmbH bezogen hätte. Außerdem begehrt die Klägerin Erstattung von Anwaltskosten in Höhe von 1.717,98 DM, die ihr in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren entstanden sind.

Die Beklagte hat die Klageansprüche in Höhe von 1.514,04 DM (für Arbeitslosenversicherungsbeiträge, vermögenswirksame Leistungen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld) anerkannt und mit ihrem - erst in Höhe von 17.070,80 DM ausgeschöpften - Vorschuss von 37.000 DM verrechnet. Ferner hat sie geltend gemacht, der Verdienstausfallschaden der Klägerin sei nicht unfallbedingt, zumindest habe die Klägerin gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, als sie sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren auf den Vergleich eingelassen habe statt die nicht gerechtfertigte Kündigung abzuwehren. Jedenfalls müsse sich die Klägerin die Abfindung aus dem Vergleich auf ihren Klageanspruch anrechnen lassen.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.


Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheitern die Klageansprüche daran, dass der Klägerin der mit der Klage geltend gemachte Schaden nicht entstanden sei. Zwar müsse die Beklagte für den geltend gemachten Verdienstausfall der Klägerin aufkommen, weil sie durch den Unfall ihren Arbeitsplatz verloren habe; die Beklagte müsse auch für die Anwaltskosten einstehen, weil sich die Klägerin schon wegen ihrer Schadensminderungspflicht gegen die Kündigung habe wehren müssen. An der Einstandspflicht der Beklagten ändere sich auch nichts dadurch, dass sich die Klägerin im arbeitsgerichtlichen Verfahren auf den Vergleich, der zum Verlust ihres Arbeitsplatzes geführt habe, eingelassen habe. Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs sei hierdurch nicht eingetreten. Angesichts der Belastungen, denen ein Arbeitsverhältnis bei seiner Fortführung nach einem arbeitsgerichtlichen Verfahren erfahrungsgemäß ausgesetzt sei und auch mit Blick auf mögliche neue Kündigungen ihrer Arbeitgeberin sei die Entscheidung der Klägerin, die Kündigung hinzunehmen und sich mit einer Abfindung zufriedenzugeben, nicht ungewöhnlich gewesen. Hierin liege auch nicht eine Verletzung ihrer Schadensminderungspflicht. Die Klageansprüche scheiterten aber - so führt das Berufungsgericht weiter aus - daran, dass sich die Klägerin nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung den Abfindungsbetrag von 10.000 DM auf ihren Verdienstausfallschaden anrechnen lassen müsse. Sie habe durch den Unfall zwar ihren Arbeitsplatz verloren, hierdurch aber eine Abfindungszahlung erhalten, so dass Vorteil und Nachteil gewissermaßen eine Rechnungseinheit bildeten. Der Abfindungsbetrag stelle für den Verlust ihres sozialen Besitzstandes eine Entschädigung dar, die insoweit weitere Schadensersatzansprüche der Klägerin ausschließe.


II.

Diese Erwägungen halten einer Überprüfung nicht stand.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Beklagte, die nach § 823 BGB, § 3 Nr. 1 PflVG voll für die Unfallfolgen aufkommen muss, der Klägerin nach §§ 842, 843 BGB den unfallbedingten Verdienstausfall zu erstatten hat. Weiter ist es richtig, dass sie der Klägerin auch die ihr im arbeitsgerichtlichen Verfahren entstandenen Anwaltskosten ersetzen muss, weil die Kündigung, gegen die sich die Klägerin zur Schadensminderung (§ 254 Abs. 2 BGB) gewehrt hat, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin beruhte.

Nicht zu folgen vermag der Senat aber der Auffassung des Berufungsgerichts, dass sich die Klägerin den Abfindungsbetrag von 10.000 DM nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung auf ihren Verdienstausfallschaden anrechnen lassen müsse.

Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm im adäquaten Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nicht alle durch das Schadensereignis begründeten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, sondern nur solche, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, d.h. wo diese dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (vgl. BGHZ 91, 206, 209f. m.w.N.).

Danach kann der Abfindungsbetrag auf den Verdienstausfallanspruch der Klägerin nicht angerechnet werden. Das folgt aus der Rechtsnatur und Zweckbestimmung der Abfindung, wie sie hier vereinbart worden ist. Sie ist zwar eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes (BAG, NJW 1989, 1381, 1382), jedoch ist sie nicht dazu bestimmt, die mit der Klage geltend gemachte Verkürzung des Arbeitseinkommens während der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin auszugleichen. Dies folgt schon daraus, dass für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ihre Arbeitgeberin auch bei Fortbestand des Anstellungsverhältnisses keine Leistungen hätte erbringen müssen. Für die Partner des Abfindungsvergleichs stand deshalb die Einkommenseinbuße der Klägerin während ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht zur Erörterung, vielmehr kam es für sie darauf an, der Klägerin für etwaige Nachteile, die für sie - unabhängig von der krankheitsbedingten Verkürzung ihres Arbeitseinkommens - mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes in Zukunft verbunden sind, einen Ausgleich zu verschaffen. Die Abfindung war aber auch nicht als Leistung auf einen etwaigen Verdienstausfall der Klägerin für die Zeit nach Herstellung ihrer Arbeitsfähigkeit bis zum Eintritt in ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart. Das findet darin Ausdruck, dass die Klägerin nicht verpflichtet war, ihrer Arbeitgeberin die Abfindung ganz oder wenigstens teilweise zurückzuerstatten, wenn sie alsbald eine ebenso gut oder gar besser dotierte Anstellung gefunden hätte. Umso weniger erscheint es gerechtfertigt, die Klägerin zugunsten des Schädigers im Wege des Vorteilsausgleichs zu einer solchen Anrechnung der Abfindung auf seine Einstandspflicht für diese beschäftigungslose Zeit zu verpflichten.

Eine Anrechnung der Abfindung auf den Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Anwaltskosten kommt gleichfalls nicht in Betracht. Auch hier fehlt der innere Zusammenhang zwischen Vor- und Nachteilen, den eine Vorteilsanrechnung voraussetzt. Die Abfindung ist nicht zum Ausgleich der Aufwendungen bestimmt, die der Klägerin in Wahrnehmung ihrer Rechte im arbeitsgerichtlichen Verfahren entstanden sind.

2. Die Klageansprüche scheitern auch nicht daran, dass sich die Klägerin auf den Vergleich, der zum Verlust ihres Arbeitsplatzes geführt hat, eingelassen hat.

Allerdings kann der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang unterbrochen werden, wenn der Geschädigte selbst in völlig ungewöhnlicher oder unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen Geschehensablauf eingreift und eine weitere Ursache setzt, die den Schaden endgültig herbeiführt. Danach mag in außergewöhnlichen Fällen eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch den Abschluss eines Vergleichs in Betracht kommen, wenn der Geschädigte damit den Schaden erst eigentlich herbeiführt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 1988 - III ZR 32/87 - VersR 1988, 963, 964 m.w.N.). Um einen solchen Fall geht es hier aber schon deshalb nicht, weil der Schaden, den die Klägerin hier für die Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit geltend macht, auch bei Fortbestand ihres Anstellungsverhältnisses eingetreten wäre. Hinzu kommt vor allem:

Zwar ist eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen nur unter engen Voraussetzungen durchsetzbar. Die betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes notwendig machen; die Kündigung muss wegen der betrieblichen Lage unvermeidbar sein. Beruft sich der Arbeitgeber in seiner Kündigung auf betriebsbedingte Umstände, dann darf er sich nicht auf schlagwortartige Umschreibungen beschränken. Er muss seine tatsächlichen Angaben vielmehr so im einzelnen darlegen, dass sie vom Arbeitnehmer mit Gegentatsachen bestritten und vom Gericht überprüft werden können. Der Arbeitgeber hat insbesondere darzulegen, wie sich die von ihm behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf den Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers auswirken (vgl. BAG BB 1986, 2129 = DB 1986, 2236 m.w.N.). Danach mögen zwar der Kündigung, mit der die Klägerin konfrontiert war, geringe Erfolgsaussichten beschieden gewesen sein. Dennoch kann der Abschluss des Abfindungsvergleichs nicht als eine völlig ungewöhnliche oder unsachgemäße Entscheidung der Klägerin angesehen werden. Das Berufungsgericht hat die Situation, in der sich die Klägerin im arbeitsgerichtlichen Verfahren befunden hat, dahin gewertet, dass sie bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Belastungen zu gewärtigen gehabt hätte, die eine vorzeitige Resignation verständlich erscheinen ließen. Diese Wertung ist im Revisionsrechtszug nicht in Zweifel gezogen worden. Der Senat kann deshalb von ihr ausgehen, zumal sie in den Erfahrungen der arbeitsgerichtlichen Praxis eine Bestätigung findet. Dies aber bedeutet, dass mit dem Berufungsgericht eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zu verneinen ist.

3. Obwohl somit die Klageansprüche weder unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung noch des Zurechnungszusammenhangs scheitern, vermag sie der Senat der Klägerin nicht zuzuerkennen. Das Berufungsgericht hat sich - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Beklagte gehindert ist, die im Prozess anerkannten und später korrigierten Ansprüche der Klägerin mit dem noch nicht ausgeschöpften Vorschuss von 37.000 DM zu verrechnen, nachdem sie vorprozessual Ersatzleistungen abgelehnt hat. Die Feststellungen des Berufungsgerichts geben dem Senat keine Grundlage, hierüber zu befinden. Die Entscheidung ist nach den zum Verbot des Selbstwiderspruchs (§ 242 BGB) entwickelten Grundsätzen und damit unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles zu treffen. Insoweit kommt es darauf an, ob - wie die Klägerin geltend gemacht hat - der nicht ausgeschöpfte Teil des Vorschusses zur Abgeltung der Schmerzensgeldforderung der Klägerin bestimmt gewesen ist. Ist dies nicht der Fall, so ist von Bedeutung, ob der Beklagten - wie sie geltend gemacht hat - eine frühere Anerkennung von Ansprüchen der Klägerin schon deshalb nicht möglich gewesen ist, weil die Klägerin in den vorprozessualen Verhandlungen ihrer Schadensnachweispflicht nicht nachgekommen ist. Hierzu bedarf es noch weiterer Feststellungen.