Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Koblenz Urteil vom 10.08.1998 - 2 Ss 206/98 - Zur Einordnung als Unterschlagung bei der Benutzung einer Selbstbedienungstankstelle ohne Bezahlung

OLG Koblenz v. 10.08.1998: Zur Einordnung als Unterschlagung bei der Benutzung einer Selbstbedienungstankstelle ohne Bezahlung


Das OLG Koblenz (Urteil vom 10.08.1998 - 2 Ss 206/98) hat entschieden:
Der eine Selbstbedienungstankstelle benutzende und zunächst zahlungswillige Kunde, der sich nach Beendigung des Tankens entschließt, ohne Bezahlung wegzufahren, macht sich bei Ausführung dieses Entschlusses der Unterschlagung schuldig.


Siehe auch Tankbetrug und Verkehrsstrafsachen


Gründe:

Das Amtsgericht Koblenz verurteilte den Angeklagten am 27. Januar 1998 wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 90 DM. Auf seine Berufung hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Koblenz die Entscheidung des Amtsgerichts mit Urteil vom 24. März 1998 aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte am 2. August 1997 gegen 4.40 Uhr mit einem PKW an der Selbstbedienungstankstelle "..." an der B in K vor und tankte dort Kraftstoff im Wert von 50,17 DM. Sodann begab er sich in der Absicht, das getankte Benzin zu bezahlen, in den Kassenraum der Tankstelle. Aus einer hier aufgestellten Lebensmitteltruhe entnahm er eine Essware im Wert von etwa 5 DM und ging damit zur Kasse, wo er die Ware und einen 100 DM-Schein vorlegte. Zugleich gab er dem Kassierer W die Nummer der Tanksäule an, an der er zuvor getankt hatte. W, der unmittelbar zuvor in der sich im Kassenbereich befindlichen Backstube tätig gewesen war, nahm an, der Angeklagte wolle nur die Essware kaufen, rechnete lediglich diese ab und gab ihm Wechselgeld in Höhe von ca. 95 DM heraus. Der Angeklagte, der den Irrtum des Kassierers erkannte, nutzte die sich ihm bietende Gelegenheit dazu, den Kassenraum ohne Bezahlung der Tankrechnung zu verlassen und davonzufahren.

Zwar hat die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten, nicht bemerkt zu haben, dass er – bei Berücksichtigung des für das getankte Benzin zu zahlenden Betrages – zu viel Geld herausbekommen habe, als Schutzbehauptung gewertet, ihn jedoch gleichwohl aus Rechtsgründen freigesprochen. Eine Verurteilung wegen Betrugs nach § 263 StGB scheide aus, da der an sich zahlungswillige Angeklagte nicht verpflichtet gewesen sei, den Zeugen W über dessen Irrtum aufzuklären. Aber auch der Tatbestand einer des weiteren in Betracht kommenden Unterschlagung nach § 246 StGB liege nicht vor, da der Angeklagte bereits mit dem Einfüllen des Kraftstoffs in den Tank des Fahrzeugs Eigentümer des Benzins geworden und dieses in der Folge für ihn keine fremde Sache mehr gewesen sei.

Gegen das freisprechende Urteil des Landgerichts hat die Staatsanwaltschaft Koblenz Revision mit dem Ziel einer Verurteilung wegen Unterschlagung eingelegt. Das in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Rechtsmittel hat auch in der Sache einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Der hinsichtlich des dem Angeklagten ursprünglich angelasteten Betrugs erfolgte Freispruch, den auch die Staatsanwaltschaft nicht angreift, ist aus den von der Strafkammer zutreffend angestellten Erwägungen nicht zu beanstanden. Indessen halten die Ausführungen zur Verneinung des Unterschlagungstatbestandes rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Wenn sich das Landgericht für seine Rechtsauffassung auch auf Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf berufen kann, wonach beim Tanken an einer Selbstbedienungszapfsäule Besitz und Eigentum an dem getankten Benzin nach der Verkehrsanschauung bereits beim Einfüllen in den Kraftfahrzeugtank auf den Kunden übergehen (vgl. OLG Düsseldorf in NStZ 1982, 249 und in NStZ 1985, 270; so auch Herzberg in NStZ 1983, 251), vermag der Senat sich dem nicht anzuschließen. Vielmehr folgt er im Ergebnis der gegenteiligen Ansicht, wonach das Eigentum erst mit der Bezahlung an der Kasse übergeht, so dass der ohne Begleichung des Kaufbetrages fortfahrende Tankkunde den Tatbestand der Unterschlagung erfüllen kann (vgl. OLG Hamm in NStZ 1983, 266; Borchert/Hellmann in NJW 1983, 2799, 2803; Ruß in Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 246 Rdnr. 8; Palandt, BGB, 57. Aufl., § 145 Rdnr. 8). Denn nur diese Betrachtungsweise wird der Interessenlage zwischen Käufer und Verkäufer, der für die Bestimmung der Verkehrsanschauung über den rechtlichen Ablauf eines Selbstbedienungstankgeschäfts maßgebliche Bedeutung zukommt, letztlich in ausreichendem Maße gerecht. Im Interesse des Käufers liegt es, dass der schuldrechtliche Kaufvertrag bereits beim Einfüllen des Benzins an der Zapfsäule zustande kommt; könnte anderenfalls doch der die Offerte des Kunden nach Belieben ablehnende Tankstellenbesitzer das bereits getankte Benzin sogar wieder herausverlangen (vgl. Herzberg, a.a.O., 252). Ein weitergehender Schutz des Kunden durch gleichzeitigen Eigentumserwerb ist dagegen nicht erforderlich und entspricht unter Berücksichtigung des Verkäuferinteresses auch nicht dem übereinstimmenden Willen der Parteien. Vielmehr verfahren diese auch hier nach dem Grundsatz Ware gegen Bezahlung (vgl. Borchert/Hellmann, a.a.O., 2803), sei es gegen Bargeldzahlung oder – wie immer häufiger anzutreffen – gegen Akzeptierung einer gültigen Kreditkarte. Dies wird insbesondere dann zu gelten haben, wenn – wie im vorliegenden Fall auch – der Verkäufer Name und Anschrift des Käufers nicht kennt, dessen Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit nicht von vornherein einzuschätzen vermag und keine Veranlassung hat, diesem etwa – von der Akzeptanz einer Kreditkarte abgesehen – weitergehende Zahlungsziele einzuräumen (vgl. OLG Hamm, a.a.O., 267). Die Abweichung des Tankgeschäfts vom typischen Handkauf besteht allein in der im beiderseitigen Streben nach Kostenersparnis begründeten Einschaltung der Arbeitskraft des Käufers bei der Besitzverschaffung. Es ist aber kein vernünftiger Grund ersichtlich, die damit geschaffene faktisch schlechtere Position des Verkäufers, die in der räumlichen, ein Wegfahren ohne Bezahlung erst ermöglichenden Distanz begründet liegt, zusätzlich noch durch eine rechtliche Benachteiligung, nämlich einen noch vor dem Gang des Kunden zur Kasse liegenden Eigentumsverlust, zu verstärken (vgl. Borchert/Hellmann, a.a.O.). Aus den dargelegten Gründen kommt nach Auffassung des Senats der Eigentumsübergang noch nicht mit dem Tankvorgang als solchem, sondern erst mit der Bezahlung an der Kasse zustande, wobei es letztlich dahinstehen kann (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 246 Rdnr. 7), ob insoweit stillschweigend ein Eigentumsvorbehalt bis zur Bezahlung als vereinbart anzusehen ist (so OLG Hamm, a.a.O.), ob der Verkäufer seine Einigungserklärung unter der aufschiebenden Bedingung der Bezahlung des Kaufpreises erklärt (so Palandt, a.a.O.) oder ob das Übereignungsgeschäft erst mit der Bezahlung erfolgt, da erst jetzt eine Einigung über Art und genaue Menge des zu übereignenden Kraftstoffs hergestellt wird (so Borchert/Hellmann, a.a.O., 2802).

Der in der Revisionshauptverhandlung von der Verteidigung gegebene Hinweis, dass der Angeklagte möglicherweise durch Vermischung des hinzugetankten mit dem bei Beginn des Tankvorgangs im Tank noch vorhandenen Kraftstoff doch schon beim Einfüllen des Benzins jedenfalls Miteigentümer des gesamten Tankinhalts geworden sein könnte (§§ 947, 948 BGB), stünde – ungeachtet des Umstandes, dass das Landgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat – einer Verurteilung wegen Unterschlagung nicht entgegen. Denn zum Nachteil weiterer Miteigentümer kann den Tatbestand der Unterschlagung auch erfüllen, wer an einer angeeigneten Gesamtmenge eines Stoffes einen Miteigentumsanteil innehatte (vgl. BGH bei Dallinger in MDR 1953, 400, 402; OLG Düsseldorf in NJW 1992, 60, 61).

Wenngleich der Senat damit von der Rechtsauffassung eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, bedurfte es einer Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 GVG nicht, da den vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedenen Fällen andere Sachverhalte zugrunde lagen. So war – anders als in vorliegender Sache – in einem Fall der Kunde von vornherein zahlungsunwillig gewesen (so in NStZ 1982, 249), während er in dem anderen Fall zunächst zahlungswillig gewesen war, dann jedoch zusätzliche Handlungen vorgenommen hatte, um das Tankpersonal durch Täuschung zu veranlassen, das getankte Benzin nicht zu berechnen (so in NStZ 1985, 270). In beiden Fällen hatte das Oberlandesgericht Betrug nach § 263 StGB angenommen.

Das angefochtene Urteil war danach mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. An der Möglichkeit, den Angeklagten in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO aufgrund eigener Sachentscheidung wegen Unterschlagung schuldig zu sprechen und die Sache lediglich hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs zurückzuverweisen, hat sich der Senat gehindert gesehen. Denn die Befugnis, im Rahmen einer sinngemäßen Auslegung dieser Vorschrift auf Abänderung zu erkennen, ist dem Revisionsgericht grundsätzlich nur dort gewährt, wo es gilt, eine bereits erfolgte, jedoch wegen unzutreffender Anwendung des Strafgesetzes auf den festgestellten Sachverhalt aufgehobenen Verurteilung durch einen zutreffend begründeten Urteilsspruch zu ersetzen. Für die entsprechende Anwendung ist hingegen im allgemeinen kein Raum, wo die Revision der Staatsanwaltschaft sich erfolgreich gegen den Freispruch des Angeklagten wendet (vgl. Pikart in Karlsruher Kommentar, StPO, 3. Aufl., § 354 Rdnr. 13; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 354 Rdnr. 23). Eine andere Sachbehandlung würde denn auch in vorliegender Sache die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten unangemessen verkürzen. Denn da er durch das freisprechende Urteil des Landgerichts im Ergebnis nicht beschwert war, hatte er im Revisionsverfahren keine Möglichkeit, die seiner Einlassung entgegenstehende Feststellung des Landgerichts überprüfen zu lassen, er habe den Irrtum des Zeugen W und den Rückerhalt eines zu hohen Geldbetrages nicht erkannt, was zur Folge gehabt hätte, dass er ohne Unterschlagungsvorsatz gehandelt hätte.