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BGH Beschluss vom 17.10.1983 - GSSt 1/83 - Zur gerichtlichen Vernehmung von Vertrauenspersonen der Polizei und zur Zulässigkeit verdeckter Ermittlungen

BGH v. 17.10.1983: Zur gerichtlichen Vernehmung von Vertrauenspersonen der Polizei und zur Zulässigkeit verdeckter Ermittlungen


Der BGH (Beschluss vom 17.10.1983 - GSSt 1/83) hat entschieden:
Es ist nicht zulässig, die kommissarische Zeugenvernehmung einer Vertrauensperson der Polizei gegen den Willen des Verteidigers in dessen Abwesenheit durchzuführen, weil die oberste Dienstbehörde den Zeugen aus Sorge vor dessen Enttarnung nur unter dieser Voraussetzung freigibt.


Siehe auch Verwertungsverbote im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren und Zeugen - Zeugenbeweis


Gründe:

I.

Der 2. Strafsenat hat gemäß § 137 GVG dem Großen Senat für Strafsachen folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Darf die kommissarische Zeugenvernehmung einer Vertrauensperson der Polizei gegen den Willen des Verteidigers in dessen Abwesenheit durchgeführt werden, weil die oberste Dienstbehörde den Zeugen aus Sorge vor dessen Enttarnung nur unter dieser Voraussetzung freigibt?

II.

1. Dem Vorlegungsverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Das Landgericht, das den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt hat, hatte vergeblich versucht, einen als Scheinkäufer aufgetretenen Vertrauensmann der Polizei (sog. V-Mann) in der Hauptverhandlung als Zeugen zu vernehmen oder ihn wenigstens durch einen beauftragten Richter in Anwesenheit des Verteidigers vernehmen zu lassen. Der zuständige Innenminister hatte die Bekanntgabe von Name und Anschrift des V-Mannes wegen der "Gefahr der Enttarnung" verweigert und nur einer Vernehmung durch die Berufsrichter unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zugestimmt. Die Strafkammer hat darauf den Zeugen als für eine Vernehmung in der Hauptverhandlung unerreichbar erachtet und zur Vermeidung des sonst drohenden Beweismittelverlustes gegen den Widerspruch des Verteidigers beschlossen, den Informanten durch die Berichterstatterin in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers kommissarisch vernehmen zu lassen. Die über die Vernehmung gefertigte Niederschrift wurde in der fortgesetzten Hauptverhandlung verlesen.

Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung der §§ 240, 250, 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO. Sie ist der Auffassung, dass sowohl die Behördenentscheidung als auch der Gerichtsbeschluss Begründungsmängel aufweisen; deshalb sei die trotz Widerspruchs seines Verteidigers durchgeführte kommissarische Zeugenvernehmung und die Verlesung der Vernehmungsniederschrift unzulässig gewesen.

2. Der 2. Strafsenat ist in seiner Mehrheit der Auffassung, dass die Entscheidung des Innenministers ermessensfehlerfrei begründet und die auf ihrer Grundlage durchgeführte kommissarische Zeugenvernehmung sowie die Verwertung der Vernehmungsniederschrift an sich zulässig gewesen seien. Er meint jedoch, unabhängig hiervon sei die Frage, ob die kommissarische Zeugenvernehmung gegen den Willen des Verteidigers in dessen Abwesenheit habe durchgeführt werden können, von grundsätzlicher Bedeutung. Da verschiedene Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu dieser Rechtsfrage bisher unterschiedliche Ansichten haben erkennen lassen, hält er zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Großen Senats für erforderlich.

Zur Begründung hat der 2. Strafsenat ausgeführt: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei anerkannt, dass von einer zuständigen Behörde ermessensfehlerfrei angeordnete Beschränkungen hinsichtlich der Vernehmung einer V-Person den Tatrichter berechtigen und verpflichten könnten, anstelle der Vernehmung der V-Person als Zeugen in der Hauptverhandlung eine nachrangige Beweiserhebung zu wählen, z.B. die kommissarische Vernehmung des Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung und die Verlesung der hierüber gefertigten Niederschrift gemäß §§ 223, 224, 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO oder die Verlesung schriftlicher Äußerungen des Zeugen gemäß § 251 Abs. 2 StPO. Dabei sei die kommissarische Vernehmung der V-Person unter Ausschluss des Angeklagten und des Verteidigers jedenfalls dann für zulässig gehalten worden, wenn der Angeklagte zur eigenen Entlastung eine richterliche Vernehmung des Gewährsmannes für erforderlich erachtet habe und er nur so die Möglichkeit habe erhalten können, dem Zeugen – über den vernehmenden Richter – vorbereitete Fragen zu stellen; dagegen sei die Frage, ob der Verteidiger auch gegen seinen Willen von der Vernehmung ausgeschlossen werden dürfe, bisher vom Bundesgerichtshof nicht entschieden worden. Es gebe jedoch immer wieder Fälle, in denen die Verwaltungsbehörde eine Zeugenvernehmung der V-Person nur ermögliche, wenn diese in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers erfolge.

3. Der Generalbundesanwalt beantragt, die Frage wie folgt zu beantworten:
Die kommissarische Zeugenvernehmung einer Vertrauensperson der Polizei darf gegen den Willen des Verteidigers in dessen Abwesenheit durchgeführt werden, wenn die oberste Dienstbehörde der Polizei den Zeugen aus Sorge um dessen Enttarnung nur unter dieser Voraussetzung freigibt, sofern die Weigerung nicht ermessensfehlerhaft ist und die Durchführung der kommissarischen Vernehmung im Einzelfall nicht gegen die Grundsätze eines rechtsstaatlichen und fairen Verfahrens oder strafprozessuale Vorschriften verstößt.
Er ist der Auffassung, dass das Interesse an der Aufklärung schwerster Straftaten es erforderlich mache, die kommissarische Vernehmung eines Zeugen auch in Abwesenheit des Verteidigers gegen dessen Willen zuzulassen, da einer richterlichen Vernehmung grundsätzlich ein höherer Wert zukomme, als einer polizeilichen Vernehmung oder einer nur schriftlichen Äußerung der V-Person, die – bei Ablehnung der Zulässigkeit einer kommissarischen Zeugenvernehmung – gemäß § 251 StPO als Beweisersatz in Betracht kämen. Der Verzicht auf die kommissarische richterliche Vernehmung könne dem Verzicht auf den sicheren Nachweis teils schwerster Straftaten gleichkommen und zu schwerwiegenden Konflikten mit dem Legalitätsprinzip führen. Aus dem Prinzip der Güterabwägung, wie es in § 34 StGB seinen Niederschlag gefunden habe, ergebe sich, dass unter Umständen auch Verteidigerrechte eingeschränkt werden müssten. Ausschlaggebend sei jedoch, dass kein sachlicher Grund dafür ersichtlich sei, die kommissarische richterliche Vernehmung und die Verlesung der Niederschrift gemäß § 251 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung nicht zuzulassen, während die Niederschrift über eine polizeiliche Vernehmung und/oder eine schriftliche Äußerung der V-Person gemäß § 251 Abs. 2 StPO unbegrenzt verwertbar seien, obwohl bei der polizeilichen Vernehmung ein Anspruch des Verteidigers auf Mitwirkung nicht bestehe und bei der schriftlichen Äußerung der V-Person ohnedies nicht in Betracht komme. Es bestehe kein Anlass, an die kommissarische richterliche Vernehmung in Bezug auf die Verteidigermitwirkung generell sehr viel strengere Anforderungen zu stellen als an die polizeiliche Vernehmung einer V-Person oder an ihre schriftliche Befragung und Äußerung. Bei Prüfung der Frage, welche Art der Durchführung der Vernehmung in Betracht komme, dürfe nicht allein auf den Willen des Verteidigers abgestellt werden, vielmehr habe das Gericht im Interesse der Abrundung der Sachaufklärung in eigener Zuständigkeit und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und aller abgegebenen Erklärungen der Beteiligten darüber zu befinden, wie es seiner Aufklärungspflicht am besten genüge.

4. Der Präsident des Bundeskriminalamtes hat in seiner Stellungnahme vom 21. September 1983 insbesondere Ausführungen über den Einsatz von V-Leuten in der praktischen Polizeiarbeit und über ihre Bedeutung bei der Verbrechensbekämpfung gemacht. Auch die Verteidiger des Angeklagten haben zur Vorlage Stellung genommen.


III.

Die Vorlegung ist zulässig. Die noch von keinem Senat des Bundesgerichtshofs verbindlich entschiedene Vorlegungsfrage ist für die Rechtsentwicklung auf dem Gebiet der Beweisaufnahme von grundsätzlicher Bedeutung. Die im Vorlegungsbeschluss aufgezeigten gegensätzlichen Entscheidungsmöglichkeiten begründen außerdem die nicht auszuschließende Gefahr einer uneinheitlichen Rechtsprechung. Die Beantwortung der Vorlegungsfrage dient daher auch der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Dies gilt ebenfalls für das von der Vorlegungsfrage nicht ausdrücklich erfasste Problem der Zulässigkeit der Geheimhaltung der Personalien eines Zeugen (vgl. BGHSt 23, 244 ff.). Auch die Beantwortung dieser Frage hat präjudizielle Wirkung für künftige Fälle (vgl. KK-Salger § 137 GVG Rdn. 3).


IV.

Die Entwicklung der Kriminalität im mittleren und schweren Bereich in den vergangenen Jahren ist nicht nur durch einen zahlenmäßigen Anstieg der Straftaten gekennzeichnet, sie lässt vielmehr auch eine qualitative Veränderung insoweit erkennen, als in verstärktem Maße kriminelle Organisationen in Erscheinung treten, durch die die Verbrechensaufklärung wesentlich erschwert wird. Dies gilt insbesondere auf dem Gebiet des Rauschgifthandels, bei Straftaten im Zusammenhang mit dem "Nachtgewerbe", im Hinblick auf die Verschiebung hochwertiger Kraftfahrzeuge, für Diebstähle in großem Ausmaß, teilweise auf Bestellung, auf dem Hintergrund eines organisierten Hehlerrings, für die Herstellung und Verbreitung von Falschgeld sowie beim illegalen Waffenhandel. Die Vorgehensweise der Täter im Rahmen dieses "organisierten Verbrechens" ist darauf angelegt, die Hauptpersonen möglichst nicht nach außen in Erscheinung treten zu lassen. Die Polizei kann mit herkömmlichen Ermittlungsmethoden bei derart organisierten Gruppierungen häufig nur solche Straftäter überführen, die innerhalb der Gruppierung eine untergeordnete Rolle spielen. Da diese Straftäter in der Regel beliebig austauschbar und ersetzbar sind, werden die kriminellen Aktivitäten der Organisation durch eine Aufdeckung der Taten dieser Randfiguren im Kern nicht gestört, zumal die Randtäter in der Regel keinen Einblick in Aufbau und Zusammensetzung der Gesamtorganisation haben. Unvermeidbare Mitwisser werden im übrigen mittels Schweigegeldern oder durch Drohung und Einschüchterung davon abgehalten, ihre Wahrnehmungen weiterzugeben. Wird ein Einzeltäter gefasst und in Haft genommen, gewährt die Organisation den bedürftigen Familienangehörigen häufig materielle Unterstützung und übernimmt die Verteidigerkosten, um auf diese Weise Gefügigkeit zu erreichen und der Offenbarung von Wissen, das die Organisation betrifft, vorzubeugen.

Der Erfolg der Verbrechensbekämpfung hängt daher letztlich davon ab, inwieweit die hauptverantwortlichen Straftäter, die Organisatoren, Finanziers und im Hintergrund agierenden Drahtzieher der Begehung von Straftaten überführt werden können. Um diesem Ziel näher zu kommen, sind die Ermittlungsbehörden dazu übergegangen, verdeckt operierende Polizeibeamte in die Organisationen einzuschleusen und V-Leute einzusetzen.

Der Begriff des V-Mannes ist nicht fest umgrenzt. Im Allgemeinen handelt es sich um eine Person, die der Polizei nicht nur im Einzelfall aus unterschiedlichen Motiven bei der Aufklärung von Straftaten behilflich ist, die Hinweise gibt, die zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten dienlich sind, und deren Identität nach Möglichkeit von der Ermittlungsbehörde, für die sie tätig ist, geheimgehalten wird. Der Begriff des V-Mannes umfasst sowohl den gelegentlichen Hinweisgeber, der berufsbedingt (z.B. als Taxifahrer oder Gastwirt) Erkenntnisse erlangt, die für die Polizei von Interesse sein können, als auch Personen, die entweder dem kriminellen Milieu angehören oder angehört haben oder die mit der Absicht in dieses Milieu eingedrungen sind (z.B. undercover-agent), Erkenntnisse zu erlangen, und die ihr Wissen der Polizei preisgeben.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes hat in seiner Stellungnahme vom 21. September 1983 insoweit u.a. folgendes ausgeführt:
"Erfahrungsgemäß gehören V-Leute zu einem großen Teil dem kriminellen Milieu an. Sie haben häufig Zugang zu dem Kreis der Straftäter, ohne dass sie mit dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens in direktem Zusammenhang stehen. In Ausnahmefällen kann es sich bei ihnen aber auch um Randfiguren des kriminellen Geschehens handeln. Als V-Leute, insbesondere in der Form von Hinweisgebern, kommen aber auch unbescholtene Bürger in Betracht, die auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit (z.B. als Gaststättenbesitzer, Kellner, Taxifahrer) Berührung zum kriminellen Milieu haben."

V.

Im Hinblick auf die veränderten Kriminalitätsstrukturen und der durch sie bewirkten erheblichen Erschwerung der Verbrechensaufklärung besteht in der neueren Rechtsprechung der Obergerichte und auch des Bundesgerichtshofs Einigkeit darüber, dass die Bekämpfung der geschilderten Formen der Kriminalität den Einsatz anonymer Gewährsleute erfordert (BGH NStZ 1982, 40; 1983, 325, 326). Die Notwendigkeit des Einsatzes von V-Personen zur Bekämpfung besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Kriminalität ist unbestritten. Nach der insoweit feststehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist auch nicht zu bezweifeln, dass es zulässig ist, das Wissen von V-Personen in das Strafverfahren einzuführen (BGH JR 1969, 305; GA 1975, 333; NJW 1980, 1761; NStZ 1981, 70; NJW 1981, 1626; BGH, Urteil vom 16. Februar 1983 – 2 StR 437/82 – S. 10; vgl. ferner KK-Mayr § 250 StPO Rdn. 13 ff m.w.N.; kritisch hierzu aus der Literatur: Lüderssen, Festschrift für Karl Peters, 1974, S. 349 ff; Dencker, Festschrift für Dünnebier, 1982, S. 447 ff; Berz JuS 1982, 417 ff; Bruns NStZ 1983, 49). Auch der Vorlegungsbeschluss geht davon aus, dass der V-Mann als solcher ein mögliches Beweismittel ist. Gegen die Verwertung des Wissens des V-Mannes, das prozessordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden ist, bestehen danach keine grundsätzlichen Einwendungen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 57, 250 ff folgt eindeutig, dass jedenfalls gegen die Verwendung des Wissens einer namentlich bekannten V-Person keine verfassungsrechtlichen Bedenken hergeleitet werden können.


VI.

1. Da der Richter verpflichtet ist, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, ist er gehalten, gegebenenfalls das Wissen des V-Mannes im Prozess zu verwerten. Bei dieser gesetzlichen Aufklärungspflicht, die sich auf alle materiell- und verfahrensrechtlich erheblichen Tatsachen erstreckt, handelt es sich um einen die Handhabung aller Verfahrensvorschriften beherrschenden Grundsatz, wenn es darum geht, ob überhaupt etwas aufgeklärt oder ob etwas noch besser aufgeklärt werden kann (KK-Herdegen § 244 StPO Rdn. 26 m.w.N.). Ein Gericht kommt deshalb seiner Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung nicht ausreichend nach, wenn es ein erreichbares sachnäheres Beweismittel nicht nützt. Es kann daher einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht bedeuten, wenn nur ein mittelbarer Zeuge vernommen wird, obwohl die Vernehmung des unmittelbaren Zeugen möglich wäre (BGHSt 6, 209; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 244 StPO Rdn. 8; Herdegen aaO Rdn. 28). Nur dann, wenn ein Zeuge für eine unmittelbare Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung steht, ist es unter dem Gesichtspunkt der Amtsaufklärungspflicht unbedenklich, allein das sachfernere Beweismittel zu benutzen.

2. Die in § 244 Abs. 2 StPO normierte Amtsaufklärungspflicht hat jedoch gesetzliche Grenzen.

a) Die Strafprozessordnung selbst enthält Bestimmungen, die einer unbeschränkten Sachaufklärung entgegenstehen. So setzen beispielsweise die §§ 52, 53 StPO der jeden Zeugen treffenden Pflicht zur Aussage Verweigerungsrechte entgegen, die als Einschränkungen der umfassenden Pflicht zur Sachaufklärung verstanden werden können; ein in bestimmter Hinsicht beschränktes Beweisverbot enthält auch § 252 StPO, der es nach erklärter Zeugnisverweigerung verbietet, die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen zu verlesen und zu verwerten. Zu den Vorschriften, die die gerichtliche Aufklärungspflicht begrenzen, gehören auch § 54 StPO i. Verb. m. § 39 BRRG sowie § 96 StPO. Danach kann der Dienstherr einem Beamten oder einer anderen Person des öffentlichen Dienstes die Genehmigung zur Aussage über Umstände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, versagen (§ 54 Abs. 1 StPO i. Verb. m. § 39 Abs. 3 BRRG); ferner kann die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken von der obersten Dienstbehörde verweigert werden (§ 96 StPO). Diese Vorschrift ist auf das Verlangen nach Auskunft über den Namen und die ladungsfähige Anschrift eines behördlich geheimgehaltenen Zeugen entsprechend anzuwenden (BGHSt 30, 34; vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 – 5 StR 545/80 – bei Holtz MDR 1981, 101).

b) Bei der Entscheidung darüber, ob die materiellen Voraussetzungen für die Versagung einer Aussagegenehmigung oder die Verweigerung einer Auskunft über die Personalien eines Zeugen gegeben sind, hat sich auch die zuständige Verwaltungsbehörde am Gebot einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung zu orientieren. Sie darf nicht nur die von ihr wahrzunehmenden Aufgaben zur Grundlage ihrer Entscheidung machen und sie – auch wenn es sich dabei um noch so bedeutsame Anliegen handelt – als genügende Rechtfertigung dafür betrachten, sich ihrer dem Gericht gegenüber grundsätzlich bestehenden Auskunftspflicht, wie sie in Art. 35 GG vorausgesetzt wird, zu entziehen. Die Bedeutung der gerichtlichen Wahrheitsfindung für die Sicherung der Gerechtigkeit und das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschuldigten gebieten es vielmehr, dass die Exekutive in Anerkennung des Gewaltenteilungsgrundsatzes diese Belange bei ihrer Entscheidung mitberücksichtigt und ihnen genügendes Gewicht beimisst (BVerfGE 57, 250, 283 ff; vgl. auch BGHSt 29, 109, 112).

Im übrigen ist die Verwaltungsbehörde gehalten, sich bei ihrer Entscheidung an den Regeln der Strafprozessordnung auszurichten, an die das Gericht gebunden ist. So hat auch die Verwaltungsbehörde davon auszugehen, dass ein Zeuge grundsätzlich in öffentlicher Hauptverhandlung zu vernehmen ist. Die zwingende verfahrensrechtlichen Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes lassen es nicht zu, dass etwa die Laienrichter oder der Verteidiger auch nur zeitweilig von der Teilnahme an der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden. Ebensowenig erkennt das geltende Recht die Möglichkeit an, die Anonymität eines Zeugen zu wahren, der richterlich vernommen werden soll. Auch eine Beweisaufnahme unter optischer oder akustischer Abschirmung eines Zeugen, sieht das geltende Recht (entgegen Rebmann NStZ 1982, 315, 318 ff; ebenso BGHSt 31, 148, 156; 31, 290, 293; offen gelassen in BGH NStZ 1982, 42) nicht vor.

Zulässig wäre hingegen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 172 GVG gegeben sind, die Freigabe eines Zeugen mit dem Verlangen zu verknüpfen, seine Vernehmung wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der Staatssicherheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Ebenso käme, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, ein Ausschluss oder ein Abtretenlassen des Angeklagten von einem Teil der Hauptverhandlung in Betracht. Auch gegen das Verlangen der Verwaltungsbehörde, die Hauptverhandlung für die Dauer der Vernehmung eines gefährdeten Zeugen aus Sicherheitsgründen an einen besonders geschützten Ort zu verlegen, bestehen, wenn zugleich die Voraussetzungen des § 172 GVG gegeben sind, keine Bedenken.

c) Da allein das Gericht die Verantwortung für die Entscheidung darüber trägt, welche Beweismittel zur Sachaufklärung notwendig sind, ist es nicht damit getan, dass die Verwaltungsbehörde ihrerseits gehalten ist, bei ihrer Entscheidung über die "Freigabe" eines Zeugen neben ihrem Interesse an der Geheimhaltung auch die Verpflichtung des Gerichts zur Wahrheitserforschung mitzuberücksichtigen. Die Behörde muss vielmehr die Gründe ihrer eventuellen Auskunftsverweigerung verständlich machen. Allerdings können es unabweisbare, zwingende Sachgründe verbieten, dem Gericht eine vollständige Sachprüfung zu ermöglichen. Dem Gericht darf jedoch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Weigerung auf offensichtliche Fehler nicht völlig verschlossen sein. Die Behörde ist daher auch dann, wenn Geheimhaltungsinteressen nur eine unvollständige Darlegung der für ihre Entscheidung maßgebenden Gründe ermöglichen, verpflichtet, diese soweit mitzuteilen, als die geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge dies zulassen.

3. Dem Gericht obliegt es aufgrund seiner umfassenden Pflicht zur Sachaufklärung, auf die Vernehmung einer V-Person in der Hauptverhandlung hinzuwirken, sofern von ihr sachdienliche Angaben zu noch aufklärungsbedürftigen Tatsachen erwartet werden können (§ 244 StPO). Verweigert die zuständige Dienstbehörde die Erteilung einer Aussagegenehmigung oder die Mitteilung der Personalien eines namentlich nicht bekannten Zeugen, ergibt sich aus § 244 Abs. 2 StPO die Verpflichtung des Gerichts, die behördliche Weigerung auf eine ausreichende Begründung im dargelegten Sinne zu überprüfen. Ist die Weigerung nicht oder nicht verständlich begründet worden (BVerfGE 57, 250, 288), muss das Gericht – ebenfalls als Folge der Pflicht zur vollständigen Sachaufklärung – von der Verwaltungsbehörde eine Überprüfung verlangen (vgl. BGHSt 29, 109, 112; 31, 148, 155).

Der Strafrichter ist allerdings von der Behördenentscheidung insofern abhängig, als er eine Änderung nicht erzwingen kann. Hat die Verwaltungsbehörde einen Zeugen nur mit einer Einschränkung freigegeben, so ist diese an den Vorschriften der Strafprozessordnung zu messen, an die der Richter gebunden ist. Er ist nicht befugt, sich über zwingende Regeln des Gesetzes hinwegzusetzen, um der Entscheidung der Verwaltungsbehörde Rechnung zu tragen. Würde das Verlangen gegen das Gesetz verstoßen, so liegt – falls die Behörde weiterhin darauf beharrt – eine "Sperrung" des Zeugen vor, ihn in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Das Gericht hat dann zu prüfen, welche Möglichkeiten ihm das Gesetz bietet, um seiner Pflicht zur Sachaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO zu genügen.


VII.

Wenn die Verwaltungsbehörde einen Zeugen für die Vernehmung in der Hauptverhandlung aus Gründen des § 96 StPO oder des § 54 StPO i. Verb. m. § 39 Abs. 3 BRRG endgültig gesperrt hat, so ist der Zeuge ein Beweismittel, das unerreichbar im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO ist (vgl. Kleinknecht/Meyer, 36. Aufl. § 244 StPO Rdn. 66; KK-Herdegen § 244 StPO Rdn. 93). Seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung stehen damit "andere nicht zu beseitigende Hindernisse" entgegen (§ 223 Abs. 1 StPO), die es zulässig machen, den Zeugen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter vernehmen zu lassen und dann das Vernehmungsprotokoll gemäß § 251 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung zu verlesen (vgl. BGHSt 29, 390, 391; BGH NStZ 1982, 40). Das Gebot, zwingende verfahrensrechtliche Bestimmungen zu beachten, gilt jedoch auch hier: Die kommissarische Vernehmung des Zeugen ist daher nicht gegen den Willen des Verteidigers in dessen Abwesenheit zulässig, weil die Verwaltungsbehörde nur unter dieser Voraussetzung einer kommissarischen Zeugenvernehmung zugestimmt hat. Es ist auch nicht zulässig, dem Zeugen bei dieser Vernehmung die Nichtangabe seiner Personalien zu gestatten.

1. Der Zeugenbeweis ist eines der wichtigsten Beweismittel, das die Strafprozessordnung zur Wahrheitserforschung zur Verfügung stellt. Anders als bei den Mitteln des Sachbeweises und weitaus stärker als beim Sachverständigenbeweis hängt die Bedeutung des Zeugenbeweises von Umständen ab, die in diesem Beweismittel selbst begründet sind, namentlich seine Persönlichkeit, sein Lebenslauf, sein Charakter und seine Beweggründe. Diese besondere Natur des Zeugenbeweises hat schon das Reichsgericht (RGSt 47, 100, 104 f), wenn auch in anderem Zusammenhang, zutreffend charakterisiert:
"Der Zeuge hat in der Regel über Vorgänge zu berichten, die abgeschlossen in der Vergangenheit liegen. Er gibt aber nicht die Vorgänge selbst wieder, sondern nur die Wahrnehmungen, die er über sie gemacht hat. Hierbei kommt es ganz wesentlich auf das Auffassungsvermögen, das Urteil und die Gedächtnisstärke des Zeugen an, sowie auf seine Fähigkeit, streng sachlich zu berichten, auf seine persönliche Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit u. dgl. Das Ergebnis der Wahrnehmungen und ihre Wiedergabe sind m.a.W. regelmäßig durchaus persönlicher Art. Ein Zeuge kann daher in der Regel nicht durch einen anderen Zeugen und zumeist auch nicht durch ein anderes Beweismittel beliebig ersetzt werden, ist in diesem Sinne vielmehr unersetzbar."
Dieser Einschätzung des Zeugenbeweises, die der Bundesgerichtshof teilt (vgl. BGHSt 22, 347, 348 f), hat der Gesetzgeber u.a. durch die Vorschrift des § 68 StPO Rechnung getragen. Diese Vorschrift dient zwar hauptsächlich dem Zweck, Personenverwechslungen zu vermeiden, sie soll aber auch eine verlässliche Grundlage für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen schaffen (vgl. BGHSt 23, 244, 245).

Nach § 68 Satz 1 StPO beginnt daher die Vernehmung eines Zeugen damit, dass er "über Vornamen und Zunamen, Alter, Stand oder Gewerbe und Wohnort befragt wird". Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann der Vorsitzende dem Zeugen lediglich gestatten, seinen Wohnort nicht anzugeben. Der Sinn der Verpflichtung des Zeugen zur Angabe seiner Personalien besteht darin, es den Verfahrensbeteiligten zu ermöglichen, Erkundigungen über den Zeugen einzuholen (vgl. § 246 Abs. 2 StPO). Der Bundesgerichtshof hat deshalb in BGHSt 23, 244 entschieden, dass die Personalien eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung vernommen wird, vor dem Angeklagten und dem Verteidiger nicht geheimgehalten werden dürfen. An dieser Auffassung hält der Große Senat für Strafsachen fest. Sie entspricht auch der Auffassung des Gesetzgebers, der in Kenntnis der Problematik durch die Einfügung von Satz 2 durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. Oktober 1978 (BGBl I 1645) dem Zeugen bei drohender Gefährdung lediglich ermöglicht hat, seinen Wohnort zu verschweigen, § 68 Satz 1 StPO aber unverändert gelassen hat.

Dies gilt auch für die kommissarische Vernehmung. Von der Verpflichtung zur Angabe des Namens kann der Zeuge auch für diese Vernehmung nicht freigestellt werden. Die in BGHSt 29, 109, 113 erwähnte Sachlage (Fall einer Identitätsänderung) bleibt hiervon unberührt.

2. Eine Verpflichtung zur Teilnahme an der kommissarischen Zeugenvernehmung besteht für den Verteidiger nicht. Er darf jedoch nicht gegen seinen Willen von ihr ausgeschlossen werden.

Nach dem Wortlaut der Strafprozessordnung ist dem Verteidiger die Anwesenheit bei richterlichen Untersuchungshandlungen stets gestattet. Im Ermittlungsverfahren ist das Anwesenheitsrecht des Verteidigers für die richterliche Vernehmung des Beschuldigten in § 168 c Abs. 1 StPO, für die richterliche Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen in § 168 c Abs. 2 StPO und für die Teilnahme an einem richterlichen Augenschein in § 168 d Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich geregelt.

Für die kommissarische Beweiserhebung gilt nichts anderes. In § 224 Abs. 1 StPO ist die Benachrichtigung des Verteidigers vom Vernehmungstermin vorgeschrieben. Die Vorschrift des § 224 StPO geht also vom Anwesenheitsrecht des Verteidigers aus. Dies ergibt sich vor allem auch aus Absatz 2, wo das Gesetz eine Fallgestaltung regelt, in der der Angeklagte keinen Anspruch auf Anwesenheit hat. Nach § 224 Abs. 1 Satz 2 StPO kann lediglich die Benachrichtigung auch des Verteidigers vom Vernehmungstermin unterbleiben, wenn sie den Untersuchungserfolg gefährden würde. Die Gefährdung des Untersuchungserfolges kann in der zeitlichen Verzögerung liegen, die eine Benachrichtigung der Beteiligten zur Folge haben würde. Sie kann bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte aber auch darin gesehen werden, dass der (Angeklagte oder) Verteidiger die Benachrichtigung zur Vornahme von Verdunkelungshandlungen ausnützen könnte (BGHSt 29, 1, 3 f). Welche weiteren Fälle geeignet sein könnten, den Untersuchungserfolg zu gefährden, braucht der Große Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls kann in der bloßen Anwesenheit des Verteidigers bei der Vernehmung eine Gefährdung des Untersuchungserfolges nicht gesehen werden. Ein Absehen von der Benachrichtigung allein aus diesem Grunde ist daher nicht zulässig.

Auch in Fällen, in denen die Benachrichtigung des Verteidigers vom Vernehmungstermin unterbleiben kann, weil durch sie der Untersuchungserfolg gefährdet würde, hat er gleichwohl ein Anwesenheitsrecht, wenn er auf andere Weise von dem Vernehmungstermin Kenntnis erhält (vgl. BGHSt 31, 148, 153; Welp JZ 1980, 134 ff; Grünwald, Festschrift für Dünnebier, 1982, S. 347, 361; Engels NJW 1983, 1530, 1531). § 224 Abs. 1 Satz 1 StPO a.F. hat die Benachrichtigung der Beteiligten vorgeschrieben, "soweit dies nicht wegen Gefahr im Verzug untunlich ist". In der durch Art. 1 Nr. 72 des 1. StVRG vom 9.12.1974 (BGBl. I 3393) neugefassten Vorschrift hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen, unter denen die Benachrichtigung unterbleiben kann, erweitert. § 224 Abs. 1 Satz 2 StPO n.F. lässt es genügen, wenn die Benachrichtigung den Untersuchungserfolg gefährden würde. Nicht beschnitten wurde durch die Gesetzesänderung jedoch das Anwesenheitsrecht des Verteidigers. Der Gesetzgeber hat damit in Kenntnis der Problematik eindeutig zu erkennen gegeben, dass selbst dann, wenn eine Gefährdung des Untersuchungserfolges durch die Terminsmitteilung zu besorgen ist, dies am Anwesenheitsrecht des Verteidigers selbst nichts ändern soll.


VIII.

Die Vorlegungsfrage ist wie aus dem Leitsatz ersichtlich zu beantworten.