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BGH Beschluss vom 13.07.2010 - VI ZB 61/09 - Zu den erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten des Rechtsmittelgegners bei verfrühtem Berufungszurückweisungantrag
BGH v. 13.07.2010: Zu den erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten des Rechtsmittelgegners bei verfrühtem Berufungszurückweisungantrag - Berufungsverwerfung
Der BGH (Beschluss vom 13.07.2010 - VI ZB 61/09) hat entschieden:
Hat der Rechtsmittelgegner bereits vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt, gehört die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV regelmäßig zu den zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Kosten im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO, wenn nach dem verfrühten Zurückweisungsantrag das Rechtsmittel noch begründet wird und das Rechtsmittelgericht in der Sache entscheidet (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 1. April 2009, XII ZB 12/07, NJW 2009, 2220 f.).
Siehe auch Kostenerstattung für Antrag auf Zurückweisung eines Rechtsmittels und Kostenfestsetzung - Kostenfestsetzungsverfahren
Gründe:
I.
Der Kläger hat gegen das seine Klage abweisende Endurteil des Landgerichts Berufung eingelegt. Nachdem die Prozessbevollmächtigten des Beklagten bereits nach Zugang der Berufung mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2008 die Vertretung des Beklagten auch im zweiten Rechtszug angezeigt und den Antrag auf Zurückweisung der Berufung angekündigt hatten, hat der Kläger seine Berufung mit Schriftsatz vom 24. November 2008 begründet. Nach einer Ankündigung des Oberlandesgerichts, es sei beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, hat der Kläger seine Berufung nicht zurückgenommen. Sie wurde schließlich mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 27. Januar 2009 zurückgewiesen, ohne dass sich der Beklagte nochmals geäußert hatte. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden dem Kläger auferlegt.
Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat beantragt, die vom Kläger an den Beklagten zu erstattenden Kosten für die zweite Instanz mit einer 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV-RVG festzusetzen. Das Landgericht hat jedoch nur eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV-RVG festgesetzt. Die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter.
II.
1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, der Beklagte könne vom Kläger für die Berufungsinstanz nur eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV-RVG erstattet verlangen, weil der Antrag auf Zurückweisung der Berufung vor Begründung der Berufung nicht notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewesen sei. Es sei dabei ohne Bedeutung, dass eine Berufungsbegründung später noch eingegangen sei. Die Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendig gewesen seien, beurteile sich nämlich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei eine die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich hätte ansehen dürfen. Ein vor Zustellung der Berufungsbegründung gestellter Zurückweisungsantrag sei zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht geeignet gewesen, das Verfahren zu fördern. Dies gelte unabhängig davon, ob die Berufung später noch begründet werde.
2. Die Rechtsbeschwerde ist nach Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 567 Abs. 2, 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Auch wenn der Rechtsmittelgegner bereits vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt, können die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren im Einzelfall zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO darstellen, wenn nach dem verfrühten Zurückweisungsantrag das Rechtsmittel noch begründet worden ist und das Rechtsmittelgericht in der Sache entschieden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 12/07 - NJW 2009, 2220 f.).
Zwar beurteilt sich die Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendig waren, grundsätzlich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei eine die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte (vgl. BGHZ 166, 117, 124; BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2005 - VII ZB 53/05 - NJW 2006, 446, 447; vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 - NJW-RR 2004, 430 und vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - FamRZ 2003, 441, 443).
Nach Einreichung der Rechtsmittelbegründung kann dem Rechtsmittelgegner aber ein berechtigtes Interesse nicht mehr abgesprochen werden, mit anwaltlicher Hilfe eine Zurückweisung des Rechtsmittels anzustreben und einen entsprechenden Antrag anzukündigen. In diesem Zeitpunkt, auf den der verfrühte Zurückweisungsantrag fortwirkt, wird eine Verteidigung somit notwendig und wäre mit Kosten in der geltend gemachten Höhe verbunden gewesen. Diese wären bei einer Antragstellung nach Eingang der Rechtsmittelbegründung zweifellos auch erstattungsfähig gewesen. Unter solchen Umständen kann es für die Frage der Erstattungsfähigkeit aber nicht auf die zeitliche Reihenfolge der jeweiligen Anträge ankommen. Vielmehr wäre es eine unnötige Förmelei, von dem Rechtsmittelgegner zu verlangen, dass er nach Eingang der Rechtsmittelbegründung nochmals einen Schriftsatz mit einem Gegenantrag bei Gericht einreicht, um die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr herbeizuführen. Dieser Beurteilung steht die Entscheidung des erkennenden Senats vom 3. Juli 2007 - VI ZB 21/06 - NJW 2007, 3723 nicht entgegen, da sie einen Fall betraf, in welchem der Auftrag wegen Rücknahme der Berufung vor Durchführung des Rechtsmittels vorzeitig beendet worden ist, so dass sich der verfrüht gestellte Antrag nicht nachträglich als notwendig erweisen konnte.