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BGH Urteil vom 25.11.2009 - VIII ZR 318/08 - Zur Rückabwicklung eines sittenwidrigen Kaufvertrages über ein Radarwarngerät
BGH v. 25.11.2009: Zum Widerrufsrecht zwecks Abwicklung eines an sich nichtigen Kaufvertrages über ein Radarwarngerät
Der BGH (Urteil vom 25.11.2009 - VIII ZR 318/08) hat entschieden:
- Dem Verbraucher steht, sofern nicht Treu und Glauben (§ 242 BGB) etwas anderes gebietet, ein Widerrufsrecht nach § 312d BGB auch dann zu, wenn der Fernabsatzvertrag nichtig ist.
- Das Widerrufsrecht besteht auch bei einem wegen beiderseitiger Sittenwidrigkeit nichtigen Fernabsatzvertrag, der den Kauf eines Radarwarngeräts zum Gegenstand hat (Fortführung des Senatsurteils vom 23. Februar 2005, VIII ZR 129/04, NJW 2005, 1490).
Siehe auch Radarwarngeräte und Geschwindigkeitsthemen
Tatbestand:
Nach einem am 1. Mai 2007 erfolgten Werbeanruf durch einen Mitarbeiter der Beklagten bestellte die Klägerin bei dieser am darauf folgenden Tag per Fax einen Pkw-Innenspiegel mit einer unter anderem für Deutschland codierten Radarwarnfunktion zum Preis von 1.129,31 € zuzüglich Versandkosten. Der von der Klägerin ausgefüllte Bestellschein enthält unter anderem den vorformulierten Hinweis:
"Ich wurde darüber belehrt, dass die Geräte verboten sind und die Gerichte den Kauf von Radarwarngeräten zudem als sittenwidrig betrachten."
Die Lieferung des Geräts erfolgte per Nachnahme am 9. Mai 2007. Die Klägerin sandte am 19. Mai 2007 das Gerät an die Beklagte zurück und bat um Erstattung des Kaufpreises. Die Beklagte verweigerte die Annahme des Gerätes und die Rückzahlung des Kaufpreises.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung des Kaufpreises zuzüglich 8,70 € Rücksendungskosten, insgesamt 1.138,01 € nebst Zinsen. Darüber hinaus hat sie beantragt, die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 155,30 € nebst Zinsen zu verurteilen und festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 19. Mai 2007 mit der Rücknahme des Gerätes in Annahmeverzug befindet.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert. Es hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.138,01 € nebst Zinsen zu zahlen, und hat dem Feststellungsantrag entsprochen; im Übrigen hat das Landgericht die Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung der Klägerin weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat, soweit im Revisionsverfahren von Interesse, ausgeführt:
Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 1.129,01 € aus § 812 BGB und auf Zahlung weiterer 8,70 € gemäß § 357 Abs. 2 Satz 2 BGB.
Zu Recht habe das Amtsgericht angenommen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag gemäß § 138 BGB nichtig sei. Verträge über den Kauf von Radarwarngeräten seien stets als sittenwidrig zu beurteilen, wenn - wie vorliegend - der Vertragszweck erkennbar auf eine Verwendung des Radarwarngerätes im Geltungsbereich der deutschen Straßenverkehrsordnung gerichtet sei. § 817 Satz 2 BGB stehe einer Rückforderung des Kaufpreises entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht entgegen. Zwar lägen die Voraussetzungen des § 817 Satz 2 BGB dem Grunde nach vor, da der Klägerin die Radarwarnfunktion des Spiegels bekannt gewesen sei und die Beklagte in ihrem Bestellformular auf die Sittenwidrigkeit entsprechender Verträge hingewiesen habe. Der Beklagten sei es jedoch gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf § 817 Satz 2 BGB zu berufen. Die Berufung auf die Nichtigkeit eines Vertrages könne in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Der Verbraucherschutz rechtfertige einen solchen Ausnahmefall. Die Sittenwidrigkeit des Vertragszwecks könne gesetzliche Regelungen mit verbraucherschützender Intention nicht ausschließen. Der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag unterfiele den verbraucherschützenden Regelungen zum Fernabsatzvertrag gemäß § 312b ff. BGB, wenn er nicht wegen der Sittenwidrigkeit des Vertragszwecks nichtig wäre. Die Nichtanwendung der §§ 312b ff. BGB würde eine unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers bedeuten, wenn diesem im Rahmen der Geltendmachung seines gesetzlichen Widerrufs- und Rückgaberechts gemäß § 312d BGB die Sittenwidrigkeit des zugrunde liegenden Vertrages entgegengehalten werden könnte. Ein Verbraucher müsse auch dann, wenn er in der Situation des Fernabsatzes einen sittenwidrigen Vertrag schließe, die Möglichkeit haben, sich von dem Vertrag zu lösen. Diesen Schutz nicht zu gewähren, würde bedeuten, den redlichen Verkäufer schlechter zu stellen als den unredlichen, der aufgrund der Sittenwidrigkeit des Vertrages nicht zur Rücknahme der veräußerten Ware verpflichtet wäre. Dieser Wertungswiderspruch könne nur dadurch aufgelöst werden, dass der Verbraucher, welcher an einem sittenwidrigen Vertragsschluss beteiligt sei, sich über § 242 BGB auf verbraucherschützende gesetzliche Regelungen berufen könne.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist. Die Klägerin hat Anspruch auf Rückerstattung des für das Radarwarngerät gezahlten Kaufpreises und auf Rücknahme des Gerätes durch die Beklagte. Dieser Anspruch ergibt sich allerdings nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, aus § 812 BGB. Vielmehr steht der Klägerin ein gesetzlicher Rückabwicklungsanspruch aufgrund der Regelungen über das Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen zu (§ 346 Abs. 1 i.V.m. §§ 433, 312b, 312d, 355 ff. BGB). Dem steht die Nichtigkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrags nicht entgegen.
1. Bei dem zwischen den Parteien aufgrund schriftlicher Bestellung seitens der Klägerin und Zusendung des Geräts durch die Beklagte zustande gekommenen Kaufvertrag über das Radarwarngerät handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB. Denn der Vertrag hat die Lieferung einer Ware zum Gegenstand und wurde nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts zwischen einem Unternehmer (Beklagte) und einem Verbraucher (Klägerin) unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (§ 312b Abs. 2 BGB) geschlossen. Dies wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen.
2. Die Klägerin hat Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrages gemäß § 346 Abs. 1 BGB. Bei einem Fernabsatzvertrag steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu (§ 312d Abs. 1 Satz 1 BGB), auf das die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) entsprechende Anwendung finden (§ 357 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klägerin hat das Widerrufsrecht fristgerecht ausgeübt, indem sie das am 9. Mai 2007 gelieferte Radarwarngerät am 19. Mai 2007 an die Beklagte zurücksandte (§ 355 Abs. 1 Satz 2 BGB), und ist deshalb an ihre auf den Abschluss des Vertrages gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden (§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sie hat damit Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises (§ 346 Abs. 1 BGB) zuzüglich der Kosten für die Rücksendung des Geräts (§ 357 Abs. 2 Satz 2 BGB).
3. Eine direkte Anwendung der Regelung über das gesetzliche Widerrufsrecht der Klägerin aus § 312d Abs. 1 BGB ist nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, deshalb ausgeschlossen, weil der Fernabsatzvertrag wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB nichtig ist. Auch bei einem nichtigen Fernabsatzvertrag besteht grundsätzlich das Widerrufsrecht des Verbrauchers. Ein Ausnahmefall, in dem dies nicht gelten würde, liegt hier nicht vor.
a) Der Kaufvertrag über den Erwerb eines Radarwarngeräts ist, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, nach der Rechtsprechung des Senats sittenwidrig und damit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn der Kauf nach dem für beide Seiten erkennbaren Vertragszweck auf eine Verwendung des Radarwarngeräts im Geltungsbereich der deutschen Straßenverkehrsordnung gerichtet ist (Urteil vom 23. Februar 2005 - VIII ZR 129/04, NJW 2005, 1490, unter II 1 b; zustimmend Emmerich, JuS 2005, 746 f.; Möller, EWiR 2005, 529; Singer, LMK 2005, II, 80 f.; Hardung, SVR 2005, 339 f.; Diehl, ZfS 2005, 442; Albrecht, DAR 2006, 481, 485; Hufnagel, NJW 2008, 621, 624; Palandt/Ellenberger, BGB, 68. Aufl., § 138 Rdnr. 42; Staudinger/S. Lorenz, BGB (2007), § 817 Rdnr. 21; Martinek in: jurisPK-BGB, 4. Aufl., § 817 Rdnr. 28). Diese Voraussetzungen für die Nichtigkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags sind nach den rechtsfehlerfreien Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts erfüllt. Von der Nichtigkeit des Vertrags gehen auch die Parteien im Revisionsverfahren aus.
b) Das Recht der Klägerin, sich von dem Fernabsatzvertrag durch Widerruf ihrer Willenserklärung zu lösen, wird von der Nichtigkeit des Vertrags nicht berührt.
aa) Ob das Widerrufsrecht des Verbrauchers - jedenfalls grundsätzlich - auch bei einem unwirksamen Vertrag besteht, ist allerdings umstritten. Es wird die Auffassung vertreten, dass dies aus Gründen des Verbraucherschutzes zu bejahen sei, um dem Verbraucher die gegenüber einer kondiktionsrechtlichen Rückabwicklung günstigeren Rechtsfolgen der §§ 355, 346 ff. BGB zu erhalten (MünchKommBGB/Wendehorst, 5. Aufl., § 312d Rdnr. 13; MünchKommBGB/Masuch, 5. Aufl., § 355 Rdnr. 28; Erman/Saenger, BGB, 12. Aufl., § 355 Rdnr. 20; v. Westphalen/Emmerich/v.Rottenburg, Verbraucherkreditgesetz, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 13; HK-BGB/Schulze, 6. Aufl., § 355 Rdnr. 5; Wildemann in: jurisPK-BGB, aaO, § 355 Rdnr. 7). Dagegen wird eingewandt, das Widerrufsrecht nach § 312d BGB setze einen wirksamen Fernabsatzvertrag voraus, da nur von einem wirksam geschlossenen Vertrag zurückgetreten werden könne und es den dogmatischen Strukturen des Vertragsrechts widerspreche, wenn auch nichtige Verträge nach den Rücktrittsvorschriften rückabgewickelt werden könnten (Staudinger/Thüsing, BGB (2005), § 312d Rdnr. 10; ebenso Lütcke, Fernabsatzrecht, § 312d Rdnr. 17; Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 6. Aufl., § 495 BGB Rdnr. 53, zum Widerrufsrecht beim Verbraucherdarlehensvertrag).
bb) Der Senat hat die Frage, ob ein Widerrufsrecht unabhängig davon besteht, ob die Willenserklärung bzw. der Vertrag ansonsten wirksam ist, in seinem Urteil vom 17. März 2004 offen gelassen (VIII ZR 265/03, WM 2004, 2451, unter II 2 b und c). Er bejaht sie in Übereinstimmung mit der in der Kommentarliteratur überwiegend vertretenen Auffassung.
Der Sinn des Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrag besteht darin, dem Verbraucher ein an keine materiellen Voraussetzungen gebundenes, einfach auszuübendes Recht zur einseitigen Loslösung vom Vertrag in die Hand zu geben, das neben und unabhängig von den allgemeinen Rechten besteht, die jedem zustehen, der einen Vertrag schließt. Dies kommt etwa im Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. EG Nr. L 144 S. 19) zum Ausdruck, wonach das Widerrufsrecht nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Rechte des Verbrauchers berührt. Dementsprechend hat der Verbraucher etwa ein Wahlrecht, ob er einen Fernabsatzvertrag nach §§ 312d, 355 BGB mit der Rechtsfolge einer Rückabwicklung nach §§ 346 ff. BGB widerruft oder ob er den Vertrag - gegebenenfalls - wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung gemäß §§ 119 ff., 142 BGB anficht und sich damit für eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nach §§ 812 ff. BGB entscheidet (ebenso v. Westphalen/Emmerich/v.Rottenburg, aaO; Bülow/Artz, aaO). Es besteht unter dem Gesichtspunkt des bei einem Fernabsatzvertrag gebotenen Verbraucherschutzes kein Grund, den Verbraucher schlechter zu stellen, wenn der Fernabsatzvertrag nicht anfechtbar, sondern nach §§ 134, 138 BGB nichtig ist. Auch in einem solchen Fall rechtfertigt es der Schutzzweck des Widerrufsrechts, dem Verbraucher die Möglichkeit zu erhalten, sich von dem geschlossenen Vertrag auf einfache Weise durch Ausübung des Widerrufsrechts zu lösen, ohne mit dem Unternehmer in eine rechtliche Auseinandersetzung über die Nichtigkeit des Vertrages eintreten zu müssen. Auch bei einer etwaigen Nichtigkeit des Vertrages hat der Verbraucher deshalb grundsätzlich die Wahl, seine auf den Abschluss des Fernabsatzvertrags gerichtete Willenserklärung zu widerrufen oder sich auf die Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags zu berufen.
Die dagegen vorgebrachten dogmatischen Einwände greifen nicht durch. Das begriffslogische Argument, nur ein wirksamer Vertrag könne widerrufen werden (Staudinger/Thüsing, aaO), berücksichtigt nicht, dass in der Zivilrechtsdogmatik seit langem anerkannt ist, dass auch nichtige Rechtsgeschäfte angefochten werden können (sog. Doppelwirkungen im Recht; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., Einl. zu §§ 104 ff. Rdnr. 80 m.w.N.; Bülow/Artz, aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Juni 1955 - V ZR 53/54, JZ 1955, 500). Für den Widerruf eines nichtigen Vertrages gilt unter dogmatischem Gesichtspunkt nichts Anderes als für dessen Anfechtung.
cc) Es ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen der Grundsatz, dass der Verbraucher auch einen nichtigen Fernabsatzvertrag widerrufen kann, einzuschränken ist. Denn ein Ausnahmefall, in dem die mit dem Widerrufsrecht verbundene Privilegierung des Verbrauchers nicht gerechtfertigt wäre, liegt hier nicht vor.
Nicht zu folgen vermag der Senat der Auffassung, dass der Verbraucher sich bei einer Nichtigkeit des Fernabsatzvertrags schon dann nicht auf sein Widerrufsrecht berufen könne, wenn er den die Vertragsnichtigkeit nach §§ 134, 138 BGB begründenden Umstand jedenfalls teilweise selbst zu vertreten habe (so MünchKommBGB/Masuch, aaO). Ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) kann nur unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers in Betracht kommen, etwa bei arglistigem Handeln des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer (v. Westphalen/Emmerich/v.Rottenburg, aaO, Rdnr. 14). Arglistiges Handeln der Klägerin gegenüber der Beklagten liegt hier jedoch nicht vor. Vielmehr fällt bei dem nichtigen Kaufvertrag über das Radarwarngerät, wie unter 3 a ausgeführt, beiden Parteien - auch der Beklagten - ein Verstoß gegen die guten Sitten zur Last (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 2005, aaO, unter II 2). Unter diesen Umständen gebietet es der Gesichtspunkt von Treu und Glauben jedenfalls nicht, der Klägerin das Widerrufsrecht zu Gunsten der Beklagten vorzuenthalten.