Das Verkehrslexikon

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OLG Oldenburg Beschluss vom 10.05.2011 - 2 SsBs 35/11 - Zur Notwendigkeit von Feststellungen zur ordnungsgemäßen Eichung des Messgeräts bei standardisierten Messverfahren

OLG Oldenburg v. 10.05.2011: Zur Notwendigkeit von Feststellungen zur ordnungsgemäßen Eichung des Messgeräts bei standardisierten Messverfahren


Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 10.05.2011 - 2 SsBs 35/11) hat entschieden:
Standardisierte Messverfahren sind grundsätzlich beweiskräftig, wenn das Messgerät geeicht ist und richtig aufgestellt und bedient wird. Zwar genügt bei standardisierten Messverfahren in den Urteilsgründen in der Regel die Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes. Unterschiedlich beurteilt wird, ob das Urteil darüber hinaus grundsätzlich Feststellungen zur notwendigen Eichung des eingesetzten Messgeräts enthalten muss oder diese Feststellungen ohne konkreten Anlass entbehrlich sind, weil davon ausgegangen werden kann, dass von der Polizei eingesetzte Messgeräte grundsätzlich geeicht sind. Müssen sich aber dem Gericht Zweifel hinsichtlich der Eichung aufdrängen, dann sind Feststellung zur ordnungsgemäßen Eichung im Urteil erforderlich.


Siehe auch Die Eichung von Messgeräten
und Toleranzabzug - Messfehlerabzug


Gründe:

Das Amtsgericht hat durch das angefochtene Urteil den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 240,00 € verurteilt und gegen den Betroffenen ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat festgesetzt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde und erhebt die Aufklärungsrüge sowie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass die Aufklärungsrüge durchgreifen dürfte.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ausgeführt:
"Die Aufklärungsrüge entspricht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG. In zulässiger Weise ist die Aufklärungsrüge nur dann erhoben, wenn die Rechtsbeschwerde die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel bezeichnet, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen. Ferner muss angegeben werden, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 244 Rn. 81 m. w. N.).

Diesen Anforderungen wird die Aufklärungsrüge, mit der der Beschwerdeführer beanstandet, das Amtsgericht habe keine Feststellungen zur Eichung des bei der Geschwindigkeitsmessung eingesetzten Messgeräts getroffen, gerecht.

Der Beschwerdeführer gibt an, dass er bereits im ersten Hauptverhandlungstermin gerügt habe, dass der in der Akte befindliche Eichschein sich nicht auf das eingesetzte Messgerät mit der Geräte-Nr. 11-85-095 beziehe. Zu dem zweiten Hauptverhandlungstermin habe das Gericht den Messbeamten P. geladen und diesen aufgefordert, den zutreffenden Eichschein für das eingesetzte Messgerät mitzubringen. Der Zeuge P. habe den angeforderten Eichschein jedoch nicht mitgebracht. Der Zeuge habe erklärt, dass er sich das eingesetzte Messgerät von der Polizeiinspektion C. ausgeliehen habe, weil das üblicherweise von ihm benutzte Messgerät in der Reparatur gewesen sei.

Weitere Beweise zur Frage der Eichung des eingesetzten Messgeräts seien nicht erhoben worden. Die Amtsrichterin habe unter Verletzung ihrer Amtsaufklärungspflicht nicht die zu dem eingesetzten Messgerät gehörenden Eichscheine von der Polizeiinspektion C. angefordert, obwohl die Rüge des Verteidigers in der ersten Verhandlung hierzu Anlass gegeben hätte.

Bei Anforderung der Eichscheine wäre der Amtsrichterin mitgeteilt worden, dass das eingesetzte Messgerät mit der Geräte-Nr. 11-85-096 seit dem 31.12.2009 nicht mehr geeicht und nur noch zu Schulungszwecken eingesetzt worden sei.

Die Aufklärungsrüge ist begründet.

Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Eichung des eingesetzten Messgeräts Multanova 6 F. Der in der Verwaltungsakte befindliche Eichschein bezieht sich auf das Messgerät 01-90-493 und nicht auf das nach dem Messprotokoll eingesetzte Messgerät 11-85-095 (Bl. 4. d. unpag. Verwaltungsvorgangs).

Bei der Radarmessung mit dem eingesetzten Radarmessgerät Multanova 6 F handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Bamberg, DAR 2010, 279). Solche Messverfahren sind grundsätzlich beweiskräftig, wenn das Messgerät geeicht ist und richtig aufgestellt und bedient wird (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 3 StVO Rn. 59 m. w. N.).

Zwar genügt bei standardisierten Messverfahren in den Urteilsgründen in der Regel die Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes (OLG Koblenz, NZV 2010, 212; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 3 StVO Rn. 59 m. w. N.). Unterschiedlich beurteilt wird, ob das Urteil darüber hinaus grundsätzlich Feststellungen zur notwendigen Eichung des eingesetzten Messgeräts enthalten muss (so: OLG Frankfurt, NZV 2002, 135) oder diese Feststellungen ohne konkreten Anlass entbehrlich sind, weil davon ausgegangen werden kann, dass von der Polizei eingesetzte Messgeräte grundsätzlich geeicht sind (so: OLG Düsseldorf, NZV 1994, 41, vgl. auch Hentschel, a. a. O., anders aber: Hentschel, a. a. O., Rn. 56 b).

Hier liegen jedoch besondere Umstände vor, die in jedem Fall Feststellungen zur Eichung des eingesetzten Messgeräts erfordert hätten. Denn aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass dem Messbeamten das üblicherweise benutzte Messgerät aufgrund einer Reparatur nicht zur Verfügung stand und der sich daher ein baugleiches Messgerät von der Polizeiinspektion C. ausgeliehen hatte. Da danach nicht auszuschließen ist, dass das ausgeliehene Messgerät von der Polizeiinspektion C. zur Zeit der Tat nicht für Geschwindigkeitsmessungen vorgesehen war - was den Rückschluss auf die bestehende Eichung zuließe -, sondern nur zu Schulungszwecken eingesetzt worden sein könnte (vgl. S. 11 der Beschwerdebegründung), hätte das Amtsgericht insoweit weitere Feststellungen treffen müssen. Durch das Unterlassen der Inaugenscheinnahme der Eichscheine des ausgeliehenen Geräts der Polizeiinspektion C. im Wege des Urkundsbeweises bzw. der unterlassenen Vernehmung des zuständigen Beamten der Polizeiinspektion C. hat das Gericht seine Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG verletzt.

Das Erfordernis der Aufklärung des eingesetzten Messgeräts musste sich dem Amtsgericht aufgrund der Rüge des Verteidigers im ersten Hauptverhandlungstermin (Bl. 12 d. A.) und jedenfalls durch die Aussage des Messbeamten im zweiten Hauptverhandlungstermin aufdrängen. Diese Aufklärungsnotwendigkeit hat das Amtsgericht zunächst auch erkannt, in dem es den Messbeamten mit der Ladung zum Hauptverhandlungstermin aufgefordert hat, den entsprechenden Eichschein mitzubringen (Bl. 15 d. A.).

Da nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG), ist es bereits auf die Verfahrensrüge aufzuheben.

Auf die in allgemeiner Form erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts braucht daher nicht mehr eingegangen zu werden."
Dem schließt sich der Senat an.

Die Sache war daher an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Senat bemerkt ergänzend, dass der Tenor der angefochtenen Entscheidung sowie die Wiedergabe der angewendeten Vorschriften den auch im Bußgeldverfahren geltenden Grundsätzen des § 260 Abs. 4 und 5 StPO nicht genügt. Es wäre erforderlich gewesen, die "Verkehrsordnungswidrigkeit" näher zu beschreiben sowie bei den angewendeten Vorschriften diese nach Absatznummer bzw. Buchstabe näher zu konkretisieren. Bei Verweis auf § 41 StVO wäre das betreffende Verkehrszeichen aus der Anlage zu § 41 Abs. 1 StVO näher zu kennzeichnen.