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BGH Urteil vom 31.01.2002 - 4 StR 289/01 - Zur Garantenstellung und Garantenpflicht bei arbeitsteiliger Beseitigung von Gefahrenquellen bei der Wuppertaler Schwebebahn
BGH v. 31.01.2002: Zur Garantenstellung und Garantenpflicht bei arbeitsteiliger Beseitigung von Gefahrenquellen bei der Wuppertaler Schwebebahn
Der BGH (Urteil vom 31.01.2002 - 4 StR 289/01) hat entschieden:
Zur Garantenstellung und Garantenpflicht bei arbeitsteiliger Beseitigung einer Gefahrenquelle im schienengebundenen Verkehr (Wuppertaler Schwebebahn).
Siehe auch Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr und Verkehrsstrafsachen
Gründe:
I.
Im Rahmen der Erneuerung des Traggerüstes der Wuppertaler Schwebebahn wurden im Bereich des Bahnhofs Robert-Daum-Platz Teile der Tragkonstruktion ausgetauscht. Nach Abschluß der Bauarbeiten, die zuletzt unter großem Zeitdruck durchgeführt wurden, wurde die Strecke für den Schwebebahnverkehr freigegeben. Der erste Schwebebahnzug, ein dreigliedriger Gelenktriebwagen, der die Strecke in Richtung Oberbarmen befuhr, kollidierte im Bereich der Stütze 206 mit einer etwa 26 cm in den Fahrbereich hineinragenden Stahlkralle, entgleiste und stürzte in die Wupper. Bei dem Unfall wurden fünf Fahrgäste getötet und mindestens 37 der Überlebenden - zum Teil schwer - verletzt. Für den Unfall war das Fehlverhalten mehrerer Personen mitursächlich:
Nach den Feststellungen waren vor Beginn der Bauarbeiten im Bereich der Stütze 206 zur Fixierung der in diesem Bereich befindlichen Dehnstellen (Dilatationen) in beiden Fahrtrichtungen an den T-Trägern des Traggerüstes sog. Dilatationsüberbrückungen angebracht worden. Hierzu wurden an jedem der T-Träger vor und hinter der Dilatation jeweils mit sechs Schrauben "Krallen" befestigt, die aus zwei hälftigen etwa 50 cm hohen, etwas mehr als 40 cm breiten und 2 cm starken Stahlplatten bestanden. Zwischen die Stahlkrallen wurde eine Hub-Druck-Zylinderkonstruktion gesetzt und so eine starre Verbindung hergestellt. Ebenso wie der Anbau dieser Hilfskonstruktionen lag deren Abbau im Verantwortungsbereich der Firma ..., für die in der Nacht zum 12. April 1999 der Angeklagte F. die Bauleitung hatte. Diesem wurde, obwohl eine der Stahlkrallen in Fahrtrichtung Oberbarmen nicht abgebaut worden war, sondern "noch vollständig und fest" mit sechs Schrauben an dem T-Träger montiert war, von einem der mit den Abbauarbeiten befaßten Angeklagten L., S., W. oder Wi. der vollständige Abbau der Dilatationsüberbrückungen im Bereich der Stütze 206 gemeldet.
Der von den Wuppertaler Stadtwerken zum Betriebsleiter bestellte Angeklagte B. hatte von dem Ingenieur, den er mit der Leitung des Bereichs "bauliche Anlagen" betraut hatte, ein Sicherheitskonzept für die Durchführung der geplanten Baumaßnahmen ausarbeiten lassen. Nach diesem Regelwerk hatten vor der Freigabe der Strecke und der Wiederaufnahme des Fahrbetriebs unabhängig voneinander sowohl die Bauleitung, als auch die bahntechnische Aufsicht und die Bauüberwachung die Kollisionsfreiheit des Fahrbereichs zu überprüfen. Weder der Angeklagte F., der in der Unfallnacht die Bauleitung hatte, noch der Angeklagte E., der die bahntechnische Aufsicht führte, noch der Angeklagte P., der für die Bauüberwachung zuständig war, nahmen jedoch die vorgesehenen Kontrollen im Bereich der Stütze 206 vor der Freigabe der Strecke mit der gebotenen Sorgfalt vor.
II.
Das Landgericht hat die Angeklagten F., E. und P. jeweils wegen fahrlässiger Tötung in fünf rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in 37 rechtlich zusammentreffenden Fällen schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten F., insoweit ist das Urteil rechtskräftig, zu einer Geldstrafe, den Angeklagten E. zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten und den Angeklagten P. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten B., L., S., W. und Wi. sind freigesprochen worden.
Die Angeklagten E. und P. rügen mit ihren Revisionen die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung sachlichen Rechts und erstrebt mit ihren zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen die Aufhebung des Urteils in den die Angeklagten E. und P. betreffenden Strafaussprüchen und in den die Angeklagten L., S., W. und Wi. betreffenden Freisprüchen. Die Nebenkläger Maria und Theodor T. fechten das Urteil an, soweit der Angeklagte B. freigesprochen worden ist. Der Nebenkläger Theodor T. wendet sich ferner gegen die Freisprüche der Angeklagten L. und S. Die Nebenkläger rügen die Verletzung sachlichen Rechts.
III.
Die Revisionen der Angeklagten E. und P. und die sie betreffenden Revisionen der Staatsanwaltschaft haben keinen Erfolg.
1. Die von den Angeklagten übereinstimmend erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 20. August 2001 Bezug genommen. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachbeschwerden hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
2. Auch die insoweit zum Strafausspruch eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft sind unbegründet. Die Strafzumessungserwägungen weisen, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten auf.
IV.
Die Revisionen der Nebenkläger Maria und Theodor T. gegen den Freispruch des Angeklagten B. haben ebenfalls keinen Erfolg.
Soweit das Landgericht einzelne Mängel des Sicherheitskonzepts festgestellt hat, waren diese nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen für den Unfall der Schwebebahn nicht ursächlich, so daß der für eine die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Schadenseintritt nicht gegeben ist.
V.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers Theodor T. gegen die Freisprüche der Angeklagten L. und S. und die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen die Freisprüche der Angeklagten W. und Wi. haben dagegen im wesentlichen Erfolg.
1. Das Landgericht hat zum Ablauf der Demontagearbeiten im Bereich der Stütze 206 folgendes festgestellt:
Gegen 23.30 Uhr erteilte der Angeklagte F. den Angeklagten W. und Wi. den Auftrag, die Dilatationsüberbrückungen an der Stütze 206 abzubauen. Er begleitete sie dorthin, stieg mit ihnen in den Montagekorb der Arbeitsbühne auf der Nordseite und erklärte ihnen in groben Zügen, wie der Abbau der Dilatationsüberbrückungen zu erfolgen habe. Die Arbeitsbühne war mittels Kettenzügen am Schwebebahngerüst befestigt worden und wurde von Bolzen gehalten. Sie ließ ein eigenständiges Arbeiten an dem Schwebebahngerüst in jeder Fahrtrichtung zu. Die etwa vier Meter lange und ein Meter hohe Metallkonstruktion der Arbeitsbühne hatte bei einem mittleren Zwischenraum von etwa zwei Metern jeweils rechts und links separate Arbeitsbereiche, die rundherum mit Metallschutzgittern versehen waren. Der Bereich der Stütze 206, in dem die Dilatationsüberbrückungen abzubauen waren, wurde durch eine in der Mitte des Traggerüstes angebrachte Kabellampe ausgeleuchtet, deren Lichtkegel ausreichte, die Schrauben und Muttern an den Krallen sowie deren blaue Farbe zu erkennen.
Die Angeklagten W. und Wi. bauten von dem T-Träger auf der Nordseite, nachdem sie unter Zuhilfenahme eines manuellen Kettenzuges den Hub-Zylinder entfernt hatten, beide Stahlkrallen ab. Die abgebauten Teile legten sie auf der Arbeitsbühne ab. Als sie mit dem Abbau fast fertig waren, kamen die Angeklagten L. und S. hinzu. Sie erklärten, sie seien gekommen, um zu helfen, damit die Arbeiten zügig fertig würden. Nach ihren unwiderlegten Einlassungen schlossen die Angeklagten W. und Wi. daraus, der Angeklagte F. habe die Angeklagten L. und S. geschickt, um sie bei dem Abbau der Dilatationsüberbrückung zu unterstützen. Als die Angeklagten W. und Wi. die Stahlkrallen an der Nordseite vollständig demontiert und die Arbeitsstelle aufgeräumt hatten, verließen sie mit den Angeklagten L. und S. diesen Montagekorb der Arbeitsbühne, um von dem anderen Montagekorb aus die Dilatationsüberbrückung von dem T-Träger auf der Südseite abzubauen. Da sie nunmehr zu viert waren, entfernten die Angeklagten gemeinsam mittels Körperkraft die Hydraulikstange und hoben den Hub-Zylinder aus der Verankerung. "Dann teilten sie sich auf, um zu zweit jeweils eine der beiden 'Krallen' zu demontieren."
Die Angeklagten Wi. und W. bauten gemeinsam die hintere, in Richtung Barmen angebrachte Stahlkralle ab. "In der irrigen Annahme, daß die Angeklagten L. und S. ebenso verfahren und mit dem Abbau der anderen, in Richtung Vohwinkel befindlichen 'Kralle' kurzfristig fertig sein würden", stiegen die Angeklagten Wi. und W. auf die Brücke des Traggerüstes und bereiteten das spätere Herablassen der Arbeitsbühne vor. Das hierfür erforderliche Einhängen der elektrisch betriebenen Kettenzüge in die Arbeitsbühne erwies sich als schwierig. Während sie über den richtigen Weg für die Kettenführung diskutierten, kam einer der beiden anderen Angeklagten, die sich bis dahin in dem Montagekorb aufgehalten hatten, auf die Brücke und zeigte den Angeklagten W. und Wi., wie sie vorzugehen hatten. Ob dies der Angeklagte L. oder der Angeklagte S. war, konnte nicht geklärt werden. Als die Kettenzüge vollständig eingehängt waren, kam auch der bis dahin auf der Arbeitsbühne verbliebene Angeklagte auf die Brücke. Zu viert ließen die Angeklagten die Arbeitsbühne langsam in die Wupper herab. Danach gingen die Angeklagten auf dem Gerüst der Schwebebahn zurück in Richtung Robert-Daum-Platz. Die Angeklagten W. und Wi. waren "unwiderlegbar" der festen Überzeugung, daß die Angeklagten L. und S. "die ihnen zum Abbau zugeteilte 'Kralle' genauso gewissenhaft und ordnungsgemäß abgebaut hatten", wie sie selbst die andere. Das traf jedoch nicht zu; an der zweiten Kralle war überhaupt nicht gearbeitet worden. Als die Angeklagten L., S., W. und Wi. dem Bauleiter F. begegneten, der auf dem Weg zur Stütze 209 war, wurde diesem von einem der Angeklagten mitgeteilt, sie seien mit dem Abbau der Dilatationsüberbrückungen fertig, die Arbeitsbühne sei in die Wupper abgelassen worden, lediglich die Kettenzüge seien noch zu entfernen. Nicht geklärt werden konnte, wer den Angeklagten F. über den Stand der Arbeiten informierte.
2. Das Landgericht meint, den Angeklagten W. und Wi. könne es nicht zum Vorwurf gereichen, daß sie in dem Glauben, der Angeklagte F. habe die Angeklagten L. und S. zu ihnen geschickt, diese arbeitsteilig in die Demontage der letzten Dilatationsüberbrückung in der Weise eingebunden hätten, daß den Angeklagten L. und S. die Aufgabe zukommen sollte, die andere Stahlkralle abzuschrauben. Insoweit greife der Vertrauensgrundsatz ein, der den Verantwortungsbereich mehrerer Personen dahingehend eingrenze, daß jeder grundsätzlich sein eigenes Verhalten nur darauf auszurichten habe, daß er selbst nicht fremde geschützte Rechtsgüter verletze. Da die Angeklagten arbeitsteilig vorgegangen seien, seien die Angeklagten W. und Wi. nicht verpflichtet gewesen, sich davon zu überzeugen, daß ihre Kollegen die andere Stahlkralle ordnungsgemäß abgebaut hatten.
Auch die Angeklagten L. und S. waren nach Auffassung des Landgerichts freizusprechen. Zwar habe zumindest einer von ihnen schwerste Schuld auf sich geladen. Aufgrund der Einlassungen der Angeklagten W. und Wi. stehe aber lediglich fest, daß bei der Abgrenzung des Verantwortungsbereichs für den unterlassenen Abbau der Stahlkralle ausschließlich die Angeklagten L. und S. in Betracht kämen. Eine weitergehende konkrete Schuldzuweisung in Bezug auf den einen oder den anderen dieser Angeklagten sei nicht möglich, weil ungeklärt sei, aus welchem Grund der Abbau bis zu dem Zeitpunkt unterblieben sei, als der erste dieser beiden Angeklagten die Arbeitsbühne verließ, und wer sich zuletzt auf der Arbeitsbühne aufgehalten habe.
3. Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, daß das Landgericht den einheitlichen Arbeitsvorgang unter Anwendung des Vertrauensgrundsatzes in einzelne Verantwortungsbereiche aufgeteilt und demgemäß ein pflichtwidriges Unterlassen allein in dem Verhalten desjenigen Angeklagten gesehen hat, der als letzter die Arbeitsbühne verließ und dessen Identität nicht festgestellt werden konnte. Damit hat sich das Landgericht den Blick dafür verstellt, daß nach den bisherigen Feststellungen in Betracht kommt, daß jeder der Angeklagten - unbeschadet der Aufteilung einzelner Arbeitsschritte - für die Abwendung der von der abzubauenden Dilatationsüberbrückung ausgehenden Gefahren für die Allgemeinheit einzustehen hatte, und daß jeder die ihm insoweit obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt und dadurch den eingetretenen Erfolg gemäß §§ 222, 230 StGB fahrlässig mitverursacht hat.
a) Die im Bereich der Stütze 206 angebrachten Dilatationsüberbrückungen waren als Hindernisse im Fahrbereich besondere Gefahrenquellen für die Allgemeinheit. Die Betreiberin der Schwebebahn hatte die ihr im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflichten obliegende Beseitigung dieser Gefahrenquellen vor Wiederaufnahme des Fahrbetriebes durch Vereinbarung entsprechender Vertragsbedingungen der Bietergemeinschaft ARGE übertragen (zur Zulässigkeit der Übertragung von Schutzpflichten vgl. BGHSt 19, 286, 288; Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 28), die unter Federführung der Firma , in deren Verantwortungsbereich auch der Abbau der Dilatationsüberbrückungen fiel, die Stahlbauarbeiten ausführte (UA 22, 38, 112 f.). Der von der ARGE bestimmte Bauleiter war für die Räumung der Dilatationsüberbrückungen aus dem Fahrbereich nach Beendigung der eigentlichen Bauarbeiten verantwortlich (UA 112 f.,144). Neben dem Bauleiter F. und den ebenfalls zur eigenständigen Kontrolle der Kollisionsfreiheit des Fahrbereichs verpflichteten Angeklagten E. und P. hatten aber auch die Angeklagten W. und Wi. eine Garantenstellung, die sie gemäß § 13 Abs.1 StGB zur Abwendung der von den Dilatationsüberbrückungen im Bereich der Stütze 206 ausgehenden Gefahren für die Allgemeinheit verpflichtete.
Ihre Garantenstellung wurde durch die tatsächliche Übernahme des ihnen von dem Angeklagten F. erteilten Auftrages begründet (vgl. BGH VRS 17, 424, 428; OLG Celle NJW 1961, 1939, 1940; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 13 Rdn. 26; Jescheck aaO Rdn. 27). Der Auftrag bezog sich auf die gezielte Beseitigung einer offenkundig hochbrisanten Gefahrenquelle für den Fahrbetrieb. Die tatsächliche Übernahme der Ausführung dieses Auftrages begründete deshalb eine Schutzfunktion der Angeklagten gegenüber den Benutzern der Schwebebahn. Entgegen der vor der Verteidigung vertretenen Auffassung ist insoweit ohne Bedeutung, ob die Angeklagten arbeitsvertraglich verpflichtet waren, eine solche Schutzfunktion zu übernehmen. Maßgebend für die Begründung einer Garantenstellung ist allein die tatsächliche Übernahme des Pflichtenkreises, nicht (auch) das Bestehen einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung (vgl. Jescheck aaO; Stree aaO Rdn. 28).
Durch das Hinzutreten der "hilfswilligen" Angeklagten L. und S. wurden die Angeklagten W. und Wi. aus ihrer Garantenstellung in Bezug auf den Abbau der vierten Kralle nicht entlassen. Selbst wenn W. und Wi. - wie zu ihren Gunsten festgestellt - geglaubt haben, der Bauleiter F. habe L. und S. ausdrücklich beauftragt, am Abbau der Dilatationsüberbrückung an der Stütze 206 mitzuwirken, war ein solcher Auftrag ersichtlich nicht dahin zu verstehen, daß nunmehr vom Bauleiter eine Trennung der Aufgaben- und Verantwortungsbereiche vorgenommen worden wäre. Eine solche, angesichts einer einheitlichen Gefahrenquelle, die es zu beseitigen galt, ohnehin denkbar fern liegende Möglichkeit kam hier schon deshalb nicht in Betracht, weil der Bauleiter nicht vor Ort und damit über den Stand der bereits ausgeführten und der noch zu erledigenden Aufgaben nicht informiert war.
Scheidet jedoch die Beendigung der Garantenstellung durch eine den ursprünglichen Auftrag ganz oder teilweise zurücknehmende Weisung des Auftraggebers aus, finden die sich aus der Garantenstellung ergebenden Garantenpflichten ihr Ende erst dann, wenn der Garant die übernommene Schutzaufgabe vollständig erfüllt hat (vgl. Rudolphi in SK-StGB § 13 Rdn. 63; Stree in FS für Hellmuth Mayer, 1966, S. 145, 161 f.). Die hier allein in Betracht kommende Mitübernahme der Pflichten der ursprünglichen Garanten durch Dritte - die Angeklagten L. und S. - läßt die Garantenstellung der bisherigen Garanten grundsätzlich unberührt (zum Fortbestehen von Sicherungspflichten der ursprünglichen Garanten bei Übernahme von Sicherungspflichten durch eine weitere Person vgl. BGH VRS 17, 424, 427 f.). Sie kann aber zu einer Modifizierung der auf die vollständige Erfüllung der übernommenen Schutzaufgabe gerichteten Garantenpflichten (vgl. BGHSt 19, 286, 288 f.; Jescheck aaO Rdn. 28) und der sich daraus ergebenden Sorgfaltspflichten (Jescheck aaO vor § 13 Rdn. 97) führen. So muß der ursprüngliche Garant die übernommene Gefahrenbeseitigung nicht mehr notwendig eigenhändig durchführen, sondern kann sie ganz oder arbeitsteilig dem zur Übernahme bereiten Dritten überlassen.
Welche Sorgfaltspflichten ihn im letztgenannten Fall treffen, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Von Bedeutung sind insbesondere das Ausmaß der Gefahr, für deren Beseitigung der (ursprüngliche) Garant einzustehen hat, und die Zuverlässigkeit der an der Beseitigung der Gefahrenquelle beteiligten übrigen Garanten.
Schon mit Blick auf die außerordentlich hohe Gefährlichkeit der Kralle im Schienenbereich der Schwebebahn (zur Abhängigkeit zwischen dem Maß der Gefahr und Sorgfaltspflicht vgl. auch BGHSt 37, 184, 187) traf die Angeklagten W. und Wi. jedenfalls die Verpflichtung, sich durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern, ob auch L. und S. die ihnen nach den bisher getroffenen Feststellungen im Wege interner Arbeitsteilung überlassene Entfernung der vierten Kralle ordnungsgemäß vorgenommen hatten. Verblieb nämlich die Kralle auf der Schiene, so gingen von ihr bei Wiederaufnahme des Fahrbetriebs Gefahren für Leib und Leben einer Vielzahl von Personen aus. Den besonderen Sorgfaltspflichten, die bei der Beseitigung von Hindernissen aus dem Bereich eines schienengebundenen Verkehrsmittels für jeden bestehen, der es übernommen hat, an der Gefahrenbeseitigung mitzuwirken, trägt denn auch die Dienstanweisung 33 Rechnung, über die nach den Feststellungen alle auf der Baustelle Beschäftigten bei Unterweisungen durch die Baufirma und die Wuppertaler Stadtwerke zu informieren waren (UA 38). Danach muß sich jeder Beschäftigte bei Arbeitsunterbrechung und nach beendeter Arbeit davon überzeugen, daß die Strecke betriebssicher ist (UA 26). Unabhängig von der konkreten Kenntnis dieser Dienstanweisung lag das Ausmaß der Gefahr für jeden an der Strecke beschäftigten Arbeiter auf der Hand.
Zumutbarkeitsgesichtspunkte standen einer solchen Verpflichtung der Angeklagten Wi. und W. zur Kontrolle nach den bislang getroffenen Feststellungen schon deshalb nicht entgegen, weil die vier Angeklagten am selben Ort arbeiteten und der jeweilige Stand der Arbeiten für alle gleichermaßen leicht zu überschauen (auch zu hören) gewesen wäre. Ein umfassender Vertrauensschutz in die ordnungsgemäße Erfüllung der von einem anderen arbeitsteilig übernommenen Aufgabe, wie er insbesondere im Bereich der ärztlichen Heilbehandlung für Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen und damit klar abgegrenzter Aufgaben anerkannt ist (vgl. dazu BGH NJW 1980, 650; Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder aaO § 15 Rdn. 151; Schroeder in LK 11. Aufl. § 16 Rdn. 176), kam hier von vornherein nicht in Betracht.
Ob besondere Umstände vorlagen, aus denen sich ergeben könnte, daß die Angeklagten Wi. und W. sich trotz der erkennbaren Gefahrenlage auf die ordnungsgemäße Erledigung des Abbaus der vierten Kralle durch die Angeklagten L. und S. verlassen durften, wird der neue Tatrichter zu klären haben.
b) Auch für die Angeklagten L. und S. kann eine Garantenstellung mit der sich daraus ergebenden Pflicht zur Beseitigung der Kralle als Gefahrenquelle im Schienenverkehr entstanden sein, insbesondere dann, wenn sie es auf Weisung des Angeklagten F. übernommen hätten, die bei ihrem Eintreffen an der Stütze 206 noch nicht erledigten Arbeiten gemeinsam mit den Angeklagten W. und Wi. auszuführen. Eindeutige Feststellungen enthält das Urteil insoweit nicht. In Betracht kommt aber auch eine freiwillige Beteiligung an den noch ausstehenden Arbeiten. Erfolgt die - auch konkludent mögliche - Mitübernahme einer Pflicht gegenüber Personen, die, wie die Angeklagten W. und Wi., ihrerseits Garanten sind, so rückt der Übernehmende in vollem Umfang in die Garantenstellung ein (Stree aaO Rdn. 26, 30). Allerdings reicht hierfür nicht jedes allgemein gehaltene, ersichtlich unverbindliche Hilfsangebot aus. Erforderlich ist vielmehr, daß durch die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben in zurechenbarer Weise das Vertrauen der übrigen Garanten in die verantwortliche Mitwirkung des Hilfswilligen bei der Gefahrabwendung begründet wird (vgl. BGH NJW 1993, 2628, 2629; Stree in FS für Hellmuth Mayer, 1966, S. 145, 155 f., 158). Sofern die Angeklagten L. und S. nach diesen Grundsätzen eine Garantenstellung hatten, steht einer Verurteilung der Angeklagten nicht entgegen, daß nicht geklärt werden kann, wer als letzter die Arbeitsbühne verließ.
Hatte derjenige Angeklagte, der die Arbeitsbühne als vorletzter verließ, ohne weiteres auf einen ordnungsgemäßen Abbau der Kralle durch den auf der Arbeitsbühne verbliebenen Angeklagten vertraut, so gelten für ihn die gleichen Erwägungen wie für die Angeklagten W. und Wi.
Ausgehend von dem unrichtigen Ansatz eines umfassenden Vertrauensschutzes für alle an der Stütze 206 arbeitenden Angeklagten sind die vom Landgericht insoweit getroffenen Feststellungen lückenhaft oder entbehren einer tragfähigen Beweisgrundlage. Soweit in den Urteilsgründen (UA 55, 56) von einer paarweisen Aufteilung der vier Arbeiter für den Abbau jeweils einer "zugeteilten" Kralle ausgegangen wird, beruhen diese Feststellungen auf Aussagen der Angeklagten W. und Wi., die das Landgericht in Anwendung des Zweifelssatzes zu Gunsten dieser Angeklagten für unwiderlegt erachtet hat. Angesichts des naheliegenden Motivs, sich auf diese Weise auf Kosten der Angeklagten S. und L. zu entlasten, können die Angaben der Angeklagten W. und Wi. jedoch nicht ungeprüft zur Grundlage einer Verurteilung der Angeklagten S. und L. gemacht werden, die zu dem Anklagevorwurf geschwiegen haben.
Der Senat hebt deshalb die Feststellungen zum Abbau der Dilatationsüberbrückungen im Bereich der Stütze 206, einschließlich der Feststellungen zu den hierfür von Vorgesetzten den Angeklagten W., Wi., S. und L. erteilten Aufträgen und einer Arbeitsteilung dieser Angeklagten untereinander auf (S. 53 dritter Absatz bis S. 57 [einschließlich] der Urteilsabschrift). Die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten, weil sie von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind.