Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Urteil vom 20.11.2008 - IX ZR 186/07 - Rechtsanwaltskosten - Zum Entstehen einer Einigungsgebühr für den Entwurf eines entsprechend geschlossenen Vertrages

BGH v. 20.11.2008: Rechtsanwaltskosten - Zum Entstehen einer Einigungsgebühr für den Entwurf eines entsprechend geschlossenen Vertrages


Der BGH (Urteil vom 20.11.2008 - IX ZR 186/07) hat entschieden:
Die Ausarbeitung eines Entwurfs eines Vertrages, der danach abgeschlossen wird, kann - sofern damit eine auf ein Rechtsverhältnis bezogene Unsicherheit beseitigt wird - eine Mitwirkung beim Abschluss eines Einigungsvertrags im Sinne der Nr. 1000 RVG-VV bedeuten.


Siehe auch Einigungsgebühr (ehemals Vergleichsgebühr) und Anwaltskosten


Tatbestand:

Die Klägerin ist eine aus zwei Rechtsanwältinnen bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Beklagte hat die Gesellschafterin W. in den Kanzleiräumen aufgesucht, um sich wegen einer Trennungsvereinbarung beraten zu lassen, die am nächsten Tag beurkundet werden sollte. Das Mandatsverhältnis wurde zwischen der Klägerin und der Beklagten begründet. Aufgrund des erteilten Auftrags entwarf die Anwältin einen Ehe- und Scheidungsfolgenvertrag. Diesen holte die Beklagte am nächsten Tag ab, worauf der Vertrag zwischen der Beklagten und ihrem Ehemann ohne weitere Abänderung notariell beurkundet wurde. In diesem Vertrag haben die Beklagte und ihr Ehemann unter anderem wechselseitig auf etwaige Ansprüche auf Zugewinnausgleich oder sonstige Vermögensauseinandersetzung und auf Zahlung nachehelichen Unterhalts verzichtet. Als Gegenstandswert wurden 100.000 € in Ansatz gebracht. Mit Kostennote vom 17. November 2005 machte die Klägerin eine 1,3 Geschäftsgebühr sowie eine 1,5 Einigungsgebühr gegenüber der Beklagten geltend und bezifferte ihren Honoraranspruch auf 4.420,99 € einschließlich Post- und Telekommunikationsgebühren und Mehrwertsteuer. Hierauf zahlte die Beklagte 1.279,71 €.

Den Restbetrag macht die Klägerin gerichtlich geltend. Das Amtsgericht hat ihr auf die Geschäftsgebühr noch 785,32 € zugesprochen und die auf die Einigungsgebühr gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag im vorgenannten Umfang weiter.


Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, eine Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000 VV RVG stehe der Klägerin nicht zu. Diese Gebühr setze die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages voraus, durch welchen der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt werde. Hieran fehle es. Die Klägerin habe mit der Fertigung des Entwurfs nur bei der Gestaltung eines Vertrages mitgewirkt. Diese Tätigkeit sei in Vorbemerkung 2.3 vor Nr. 2300 VV RVG ausdrücklich erwähnt. Eine Einigungsgebühr wäre nur angefallen, wenn es über den Vertragsentwurf im Nachhinein zwischen den Ehegatten Streit gegeben und die Klägerin an dessen Beilegung mitgewirkt hätte.


II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, der Klägerin stehe die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG nicht zu.

1. Gemäß Nr. 1000 Abs. 1 VV RVG entsteht die Einigungsgebühr als zusätzliche Gebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.

a) Die Einigungsgebühr soll die frühere Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzen und gleichzeitig inhaltlich erweitern. Während die Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben vorausgesetzt hat, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren. Durch den Wegfall der Voraussetzung des gegenseitigen Nachgebens soll insbesondere der in der Vergangenheit häufige Streit darüber vermieden werden, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist (vgl. Entwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts, BT-Drucks. 15/1971, S. 147 und 204). Unter der Geltung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes kommt es deswegen nicht mehr auf einen Vergleich im Sinne von § 779 BGB, sondern nur noch auf eine Einigung an (BGH, Urt. v. 10. Oktober 2006 - VI ZR 280/05, MDR 2007, 492, Beschl. v. 17. September 2008 - IV ZB 17/08 Rn. 7, z.V.b.). Durch die zusätzliche Gebühr soll die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden, durch die zudem die Belastung der Gerichte gemindert wird (BGH, Urt. v. 10. Oktober 2006 - VI ZR 280/05, aaO).

b) Nach dem zweiten Halbsatz des Abs. 1 der Nr. 1000 VV RVG reicht allerdings die bloße Annahme eines einseitigen Verzichts oder ein Anerkenntnis für die Entstehung der Einigungsgebühr nicht aus (vgl. BGH, Beschl. v. 28. März 2006 - VIII ZB 29/05, MDR 2006, 1375; Urt. v. 10. Oktober 2006 - VI ZR 280/05, aaO). Hieraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass bei Abschluss eines sich wechselseitig auf ein Anerkenntnis und einen Verzicht beschränkenden Vertrags grundsätzlich eine Einigungsgebühr nicht entsteht. Selbst ein Vergleich, in welchem der Schuldner den Ausgleich eines Teils der vom Gläubiger geltend gemachten Forderung zusagt und der Gläubiger den weitergehenden Anspruch fallen lässt, ist nichts anderes als eine Kombination von Anerkenntnis und Verzicht. Die Einigungsgebühr gelangt daher nur dann nicht zur Entstehung, wenn der von den Beteiligten geschlossene Vertrag ausschließlich das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch zum Inhalt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 28. März 2006 - VIII ZB 29/05, aaO; Urt. v. 10. Oktober 2006 - VI ZR 280/05, aaO).

Vorliegend handelt es sich um wechselseitige Verzichtserklärungen der Vertragsparteien auf Zugewinnausgleich und nacheheliche Unterhaltsansprüche, so dass der Ausnahmetatbestand des zweiten Halbsatzes des Abs. 1 der Nr. 1000 VV RVG nicht eingreift. Bei einem gegenseitigen Verzicht auf Unterhalt liegt eine Einigung vor. Dies gilt selbst dann, wenn vorher nicht gegenseitige Unterhaltsansprüche geltend gemacht wurden, weil jedenfalls, was die zukünftigen Ansprüche angeht, eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Sinne der Nr. 1000 VV RVG beseitigt wird. (OLG Koblenz NJW 2006, 850 f; OLG Frankfurt a. M. FamRZ 2007, 843; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., VV 1000 Rn. 182 f).

Dass im vorliegenden Fall eine Ungewissheit bestanden hat, die durch die Tätigkeit der Klägerin beseitigt wurde, wird durch den unstreitigen Umstand belegt, dass die Beklagte sich an die Klägerin gewandt hat, weil sie befürchtete, von der Gegenseite "über den Tisch gezogen zu werden".

c) Nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum bedeutet Mitwirkung im Sinne der Nr. 1000 VV RVG, dass der Anwalt eine auf das Zustandekommen der Einigung gerichtete Tätigkeit vornimmt und diese sich mitursächlich auf den Vertragsabschluss auswirkt. Es genügt hierfür jede Tätigkeit, die auf den Abschluss der Einigung ausgerichtet ist (OVG Hamburg Rechtspfleger 2008, 46, 47; AnwK-RVG/N. Schneider, 4. Aufl. VV 1000 Rn. 121; Hk-RVG/Klees, 2. Aufl. Nr. 1000 VV Rn. 33; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, aaO Rn. 269; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl. Nr. 1000 Rn. 59; Römermann in Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl. Nr. 1000 Rn. 20). Der Entwurf einer Vereinbarung, der von den Parteien im Wesentlichen übernommen wird, kann bereits ausreichen (Fraunholz in Riedel/Sußbauer RVG, 9. Aufl. VV Teil 1 Rn. 9). Die schriftliche Niederlegung einer bereits bestehenden, vollständigen Willensübereinstimmung würde dagegen nicht genügen.

d) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wird hier die Ausarbeitung des gegenseitigen Verzichtsvertrages nicht ausschließend durch die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG abgegolten. In der Vorbemerkung 2.3. zu Nr. 2300 VV RVG wird zwar als Tätigkeitsbeispiel angeführt, dass die Geschäftsgebühr auch für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrages entstehen kann. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine abschließende Regelung. Die Einigungsgebühr der Nr. 1000 VV RVG ist eine Zusatzgebühr, die zusätzlich zu einer Tätigkeitsgebühr, wie vorliegend die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, anfallen kann (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, aaO Rn. 4; Madert in Gerold/Schmidt, RVG, aaO Rn. 38). Wer als Anwalt an der Gestaltung eines Vertrages mitwirkt, der unmittelbar zu einer Einigung der Vertragsparteien führt, verdient sowohl die Tätigkeitsgebühr der Nr. 2300 VV RVG als auch die auf einen Erfolg ausgerichtete Zusatzgebühr der Nr. 1000 VV RVG.

2. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Vielmehr sind auch die übrigen Voraussetzungen der geltend gemachten Einigungsgebühr aus Nr. 1000 VV RVG erfüllt.

Die auf die Herbeiführung der Einigung gerichtete Tätigkeit der Klägerin war mitursächlich für den Abschluss des notariell beurkundeten Vertrags zwischen der Beklagten und deren Ehemann. Es ist nicht erforderlich, dass es sich hierbei um die ausschlaggebende Ursache handelt. Es genügt, dass der Anwalt nur in irgendeiner nicht völlig unbedeutenden Weise kausal tätig geworden ist (vgl. OLG Frankfurt JurBüro 1983, 573, 576; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, aaO Rn. 297). Dies kann bei der Ausarbeitung eines Vertragsentwurfs, der einen Tag später von den vertragsschließenden Parteien unverändertübernommen wird, nicht zweifelhaft sein.


III.

Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine eigene Sachentscheidung zu treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO).