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BGH Urteil vom 24.01.1978 - VI ZR 220/76 - Zur Beauftragung von Rechtsanwälten, vor allem einer Sozietät, durch Rechtsschutzversicherer

BGH v. 24.01.1978: Zur Beauftragung von Rechtsanwälten, vor allem einer Sozietät, durch Rechtsschutzversicherer


Der BGH (Urteil vom 24.01.1978 - VI ZR 220/76) hat entschieden:
  1. Unter der Geltung der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung in der Fassung von 1954 wurde davon ausgegangen, dass der Rechtsschutzversicherer im eigenen Namen zugunsten des Versicherungsnehmers den Vertrag mit dem Anwalt abschloss, diesem allerdings gemäß § 328 BGB Ansprüche gegen den Anwalt zustanden (Senatsurteil vom 8. November 1966 - VI ZR 30/65 = VersR 1967, 76). Die Neufassung der ARB stellt jedoch eindeutig klar, dass die Mandatserteilung namens und im Auftrag des Versicherungsnehmers erfolgt.

  2. Wer einem nach außen hin als Mitglied einer Sozietät auftretenden Anwalt Vollmacht erteilt, schließt im Zweifel den Anwaltsvertrag mit allen Anwälten ab, die als Gesellschafter der Sozietät in Erscheinung treten. Dies gilt auch dann, wenn ein Rechtsschutzversicherter eine nur auf einen Anwalt lautende Einzelvollmachtsurkunde unterzeichnet, nachdem zuvor seine Rechtsschutzversicherung die Sozietät insgesamt beauftragt hatte.


Siehe auch Rechtsschutzversicherung und Anwaltsvollmacht


Tatbestand:

Am 1. Oktober 1973 wurde der Kläger beim Zusammenstoß mit einem Postfahrzeug verletzt. In seinem Auftrag richtete sein Rechtsschutzversicherer am 12. Oktober 1973 ein Schreiben an die "Rechtsanwälte Dr W.B. und Kollegen" in O., in welchem er diese beauftragte, die Schadensersatzansprüche des Klägers geltend zu machen. Am 18. Oktober 1973 suchte die Mutter des Klägers in dessen Auftrag den damaligen Rechtsanwalt Dr W.B. in dessen Kanzlei auf. Auf dem Praxisschild, das auf die Kanzlei hinwies, waren seinerzeit außer Dr B. der Beklagte (und Rechtsanwalt L.R.) als Rechtsanwälte aufgeführt. Die Mutter des Klägers unterschrieb ein ihr vorgelegtes Vollmachtsformular, in welchem allein Rechtsanwalt Dr B. als Bevollmächtigter angegeben war, und in welchem sie ihm Vollmacht zur Vertretung erteilte, insbesondere auch zur Empfangnahme von Geld. Mit Schreiben vom 19. Oktober 1973 meldete sich Dr B. bei der zuständigen Oberpostdirektion als der Vertreter des Klägers. Für dieses Schreiben und auch für spätere Mitteilungen an den Kläger verwendete er Briefbogen, auf denen im Kopf außer ihm auch der Beklagte (und L.R.) als Rechtsanwälte aufgeführt waren. Am 24. November 1973 setzte der Kläger, nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, in der Anwaltskanzlei der Rechtsanwälte seinen Namen auf die bereits von seiner Mutter unterschriebene Vollmachtsurkunde.

Im Januar und Februar 1974 überwies die Oberpostdirektion zur Regulierung des Schadens insgesamt 3.722,15 DM auf eines der Konten von Dr B. . Dieser leitete das Geld jedoch nicht an den Kläger weiter.

Der Kläger begehrt, nachdem er gegen Dr B. ein rechtskräftiges Teilurteil erstritten hat, auch die Verurteilung des Beklagten auf Leistung von Schadensersatz als Gesamtschuldner mit Dr B. .

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht verneint eine Haftung des Beklagten, weil er nicht Vertragspartner des Klägers geworden sei. Es geht zwar unter Bezugnahme auf das in BGHZ 56, 355 veröffentlichte Senatsurteil davon aus, dass derjenige, der einen nach außen hin als Mitglied einer Sozietät auftretenden Rechtsanwalt beauftragt, im Zweifel den Anwaltsvertrag mit all den Anwälten abschließt, die als Mitglieder der Sozietät in Erscheinung treten. Da die Mutter des Klägers aber in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abschluss des Anwaltsvertrages eine allein auf Dr B. lautende Vollmachtsurkunde unterzeichnet und der Kläger diesen Auftrag später durch seine Unterschrift genehmigt habe, sei im Streitfalle davon auszugehen, dass der Anwaltsvertrag nur mit Dr B. geschlossen worden sei.

Dem an die "Rechtsanwälte Dr W.B. und Kollegen" gerichteten Schreiben des Rechtsschutzversicherers des Klägers misst das Berufungsgericht keine Bedeutung zu, da dieser Auftrag von Rechtsanwalt Dr B. und den beiden weiteren Anwälten nicht so angenommen worden sei.


II.

Die Revision muss Erfolg haben.

1. Dem Berufungsgericht kann bereits nicht dahin gefolgt werden, zwischen dem Kläger und dem Beklagten sei überhaupt kein Anwaltsvertrag zustande gekommen. Insoweit handelt es sich nicht um eine das Revisionsgericht bindende tatsächliche Feststellung, sondern um eine Schlussfolgerung, die der rechtlichen Nachprüfung des Revisionsgerichts unterliegt.

a) Das Berufungsgericht verkennt zwar nicht, dass der ersichtlich auch an den Beklagten gerichtete Auftrag des Rechtsschutzversicherers, die Schadensersatzansprüche des Klägers geltend zu machen, gemäß § 16 Abs 2 ARB als namens und im Auftrag des Versicherten erteilt gilt.

Der Senat war zwar unter der Geltung der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung in der Fassung von 1954 davon ausgegangen, dass der Rechtsschutzversicherer im eigenen Namen zugunsten des Versicherungsnehmers den Vertrag mit dem Anwalt abschloss, diesem allerdings gemäß § 328 BGB Ansprüche gegen den Anwalt zustanden (Senatsurteil vom 8. November 1966 - VI ZR 30/65 = VersR 1967, 76; vgl auch OLG Frankfurt VersR 1957, 672; Mayer JZ 1962, 339, 341; anders damals schon OLG München VersR 1968, 637; vgl dazu auch Prölss VersR 1960, 194). Die Neufassung der ARB stellt jedoch eindeutig klar, dass die Mandatserteilung namens und im Auftrag des Versicherungsnehmers erfolgt (vgl Sperling/Guthke, AnwBl 1969, 293; Sperling, AnwBl 1970, 34, 37). Diese Formulierung beruht auf verschiedenen dahingehenden Änderungsvorschlägen (vgl AnwBl 1962, 120, 121; Möring, VersR 1962, 101).

b) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts, kommt es ferner nicht darauf an, ob dieser Auftrag des Rechtsschutzversicherers von Rechtsanwalt Dr B. und den beiden weiteren Anwälten "so angenommen worden" ist. Ein Vertragsverhältnis mit dem Beklagten kam vielmehr dadurch zustande, dass Dr B. den Auftrag namens der Sozietät annahm. Eine ausdrückliche, dahingehende Erklärung gab Dr B. zwar nicht ab. Es ist auch nicht festgestellt, dass er dem Rechtsschutzversicherer die Mandatsübernahme auf einem Briefbogen mitgeteilt hatte, wie er sie nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen für seine späteren Schreiben an den Kläger und die Oberpostdirektion verwendete, in denen der Beklagte und Rechtsanwalt R. im Briefkopf erwähnt waren. Bei einer derartigen Fallgestaltung hätte sich der Beklagte ohne weiteres an dem von Dr B. gesetzten Rechtsschein festhalten lassen müssen (vgl Müller, NJW 1969, 903, 905; Kornblum, BB 1973, 224 Fn 161 und AnwBl 1973, 153, 154; vgl das gleichzeitig verkündete Urteil gegen denselben Beklagten in dem Rechtsstreit VI ZR 264/76). Nichts anderes kann aber hier gelten, wo Dr B. in den Räumen der Kanzlei, an deren Eingang ein auf alle Anwälte hinweisendes Praxisschild angebracht war, der Mutter des Klägers gegenüber durch sein Verhalten schlüssig zum Ausdruck brachte, dass er den an alle Anwälte gerichteten Auftrag in deren Namen annahm.

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass sich Dr B. von der Mutter des Klägers bei deren Vorsprache in der Anwaltskanzlei eine allein auf ihn lautende Einzelvollmachtsurkunde hatte unterschreiben lassen. Das Berufungsgericht meint zu Unrecht, hierin sei der schlüssig erklärte Wille der Mutter des Klägers als dessen Bevollmächtigter und des Rechtsanwalts Dr B. zum Ausdruck gekommen, dass nur dieser der Anwalt sein sollte, von dem die Erfüllung der Anwaltspflichten erwartet wurde. Dabei übersieht es schon, dass es für die Frage, mit wem der Anwaltsvertrag zustande kommen sollte, auf den Willen der Mutter des Klägers nicht ankam. Sie hatte als Vertreterin ihres Sohnes gemäß § 15 Abs 1 Buchst b ARB vielmehr dem Anwalt Vollmacht zu erteilen, den der Rechtsschutzversicherer mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hatte. Waren das mehrere Anwälte, wie im Streitfalle die "Rechtsanwälte Dr W.B. und Kollegen", so hatte sie diese insgesamt zu bevollmächtigen. Wollte Dr B. den in dieser Form an ihn gerichteten Auftrag nicht annehmen, so hätte auch er dies ausdrücklich erklären müssen. Die von ihm erbetene Unterzeichnung einer Vollmacht, in der nur sein Name vorgedruckt war, konnte diese Erklärung nicht ersetzen. Denn die Vollmacht soll, wie das Berufungsgericht selbst unter Bezugnahme auf das in BGHZ 56, 355, 358 abgedruckte Senatsurteil ausführt, den Anwalt nur nach außen hin legitimieren und hat deshalb mit dem Verhältnis des Anwalts zu dem Mandanten nicht unbedingt etwas zu tun. Zwar kommt ihr auch für das Verhältnis zum Mandanten eine Indizwirkung zu, wie der Senat in der vorerwähnten Entscheidung bemerkt hat. Das gilt jedoch - wenn keine weiteren Umstände hinzukommen - nur, wenn die Vollmacht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auftragserteilung unterzeichnet wird. Das war hier aber nicht der Fall, da der Auftrag bereits vom Rechtsschutzversicherer erteilt war.

2. War somit mit allen Anwälten, die nach außen hin als Mitglieder der Kanzlei Dr B. erschienen, einschließlich des Beklagten, der Anwaltsvertrag zustandegekommen, so umfasste dieser auch die Einziehung der von der OPD gezahlten Schadensersatzsumme.

Allerdings ist im allgemeinen für die Empfangnahme von Zahlungen durch einen Rechtsanwalt, die für seinen Mandanten bestimmt sind, und deren Weiterleitung ein besonderer Auftrag erforderlich (vgl Gerold/Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 6. Aufl, Rdn 3; Lauterbach/Hartmann, Kostengesetze, 18. Aufl, Anm 2 A, beide zu § 22 BRAGO). Die Befugnis, das Geld einzuziehen, könnte deshalb von dem Auftrag, den der Rechtsschutzversicherer erteilt hatte, nicht gedeckt sein, zumal für die Geldeinziehung eine besondere Gebühr entsteht (§ 22 BRAGO) und der Rechtsschutzversicherer gemäß dem in den Akten befindlichen Auftrag den Anwälten mitgeteilt hatte, sie sollten die Maßnahmen, die Kosten auslösen, vorher mit ihm abstimmen. Der Kläger hätte es dann in der Hand gehabt, ob er die Auszahlung der Schadensersatzsumme an sich selbst verlangen oder - gegen Erstattung der Hebegebühr, falls diese nicht von der OPD gezahlt wurde - damit Rechtsanwalt Dr B. alle Anwälte beauftragen wollte (aA offenbar AG Hamburg, VersR 1975, 798). Da in der von der Mutter des Klägers unterzeichneten Vollmacht Rechtsanwalt Dr B. auch gestattet war, Zahlungen für den Kläger zu erheben, ist anzunehmen, dass der Kläger mit der Einziehung des Geldes durch seine Anwälte einverstanden war. Freilich wird die Mutter des Klägers diesen Zusatzauftrag erst mit der Unterzeichnung der Vollmacht erteilt haben. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, der Kläger habe diesen Zusatzauftrag nur an Rechtsanwalt Dr B. erteilt. Zwar ist - wie bereits ausgeführt - dann, wenn im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beauftragung eines Rechtsanwalts eine nur auf einen Anwalt einer Sozietät ausgestellte Vollmacht unterzeichnet wird, im allgemeinen ein Einzelmandat anzunehmen. Jedoch muss im Streitfalle, in dem bereits aufgrund des vom Rechtsschutzversicherer erteilten Auftrags ein Anwaltsvertrag mit allen Rechtsanwälten zustandegekommen war, daher allenfalls eine Erweiterung dieses Vertrages in Betracht kam, davon ausgegangen werden, dass der Kläger auch diesen Auftrag über seine Mutter nur allen Anwälten gemeinsam erteilte, und dass Rechtsanwalt Dr B. ihn in dieser Form annahm. Auch dies folgt daraus, dass aufgrund des gesamten sich bis dahin der Mutter des Klägers bietenden äußeren Bildes nur eine Anwaltssozietät als Vertragspartner in Betracht kam. Bei derartiger Gestaltung besteht daher eine Vermutung dafür, dass auch für den Zusatzauftrag ein Gemeinschaftsmandat bestehen solle.


III.

Bei dieser Sachlage musste der Beklagte auf die Rechtsmittel des Klägers unter Aufhebung des Berufungsurteils und unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils als Gesamtschuldner mit Dr B. antragsgemäß verurteilt werden.