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OLG Stuttgart Urteil vom 18.08.2011 - 7 U 109/11 - Zur Aktivlegitimation des Mietwagenunternehmers und zum Zuschlag für Winterreifen

OLG Stuttgart v. 18.08.2011: Zur Aktivlegitimation des Mietwagenunternehmers aus abgetretenem Recht und zum Mietwagenkosten-Zuschlag für Winterreifen


Das OLG Stuttgart (Urteil vom 18.08.2011 - 7 U 109/11) hat entschieden:
  1. Ein Mietwagenunternehmer ist für die Geltendmachung abgetretener Schadensersatzansprüche aktivlegitimiert. Die Beitreibung der abgetretenen Forderungen ist selbst dann, wenn ein fremdes Geschäft nicht zu leugnen ist, nur ein Annex – und damit bloße Nebenleistung - zum eigentlichen Hauptgeschäft, so dass in jedem Falle eine erlaubnisfreie Dienstleistung i. S. v. § 5 Abs. 1 RDG vorliegt.

  2. Der Geschädigte bzw. der Abtretungsgläubiger kann bei den Mietwagenkosten ein zusätzliches Entgelt für Winterreifen verlangen werden, weil ein Fahrzeug mit Winterreifen am Markt nur gegen einen solchen Entgeltzuschlag angemietet werden kann.


Siehe auch Mietwagenkosten und Winterreifen


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Der Senat nimmt Bezug auf die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts in den Entscheidungsgründen (Abschnitt 1.) des angefochtenen Urteils und macht sich diese zu Eigen. Dass der Gesetzentwurf, der in BT-Drucksache 16/3655, S. 53 begründet wurde, nicht seinem gesamten Wortlaut nach tatsächlich Gesetz geworden ist, entkräftet die Argumentation des Landgerichts nicht. Der gesetzgeberische Wille, die Erbringung von Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit anderweitigen Haupttätigkeiten gegenüber dem Rechtszustand unter Geltung des Rechtsberatungsgesetzes zu erleichtern und zu liberalisieren, bestand nämlich unverändert fort.

Ergänzend ist auszuführen:

a. Die Beurteilung der streitentscheidenden Frage, ob Mietwagenunternehmer im Falle sicherungshalber abgetretener Schadensersatzforderungen von Kunden im Unfallersatzwagengeschäft aktivlegitimiert oder die erfolgte Abtretung wegen Verstoßes gegen Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes gem. § 134 BGB nichtig ist, erfolgt in der Rechtsprechung bislang uneinheitlich. So vertreten beispielsweise die Landgerichte Stuttgart (4 S 154/10; 4 S 278/10, 5 S 207/10), Saarbrücken (7 O 222/09), Konstanz (61 S 40/10 c) sowie etliche Amtsgerichte die Auffassung, die gerichtliche Geltendmachung abgetretener Schadensersatzforderungen durch Mietwagenunternehmen stellten verbotswidrige Rechtsdienstleistungen dar mit der Folge, dass die entsprechenden Abtretungsvereinbarungen gem. § 134 BGB nichtig seien. Demgegenüber sind die Landgerichte Baden-Baden (3 S 78/09), Darmstadt (25 S 230/09), Frankenthal (2 S 163/10), Köln (9 S 252/10), Mönchen-Gladbach (5 S 110/08), Stade (1 S 37/10) und verschiedene Amtsgerichte, z. B. AG Waiblingen (8 C 1039/10), AG Köln (266 C 63/10) der gegenteiligen Auffassung.

b. Nach Auffassung des Senats sprechen die besseren Argumente für die letztgenannte Auffassung. Die Klägerin betreibt das Kfz-Vermietungsgeschäft, nicht etwa ein Inkasso-Unternehmen. Die Abtretung der Schadensersatzansprüche der Kunden erfolgte ausweislich der vorgelegten Abtretungsvereinbarungen sicherungshalber. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, da ein Sicherungsbedürfnis der Klägerin anzuerkennen ist. Tritt der Sicherungsfall ein, so verfolgt die Klägerin mit der Geltendmachung der abgetretenen Forderung kein fremdes Geschäft; gerade im Sicherungsfall ist die Verwertung der Sicherheit vielmehr ein eigenes Geschäft der Klägerin. Unabhängig davon, ob sich die Tätigkeit der Klägerin in den vorliegenden Fällen als – jedenfalls – erlaubtes Nebengeschäft i. S. v. § 5 Abs. 1 RDG darstellt, fehlt es damit bereits sowohl an der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten i. S. v. § 2 Abs. 1 RDG als auch an einem geschäftsmäßigen Inkasso gem. § 2 Abs. 2 RDG.

c. Das Landgericht hat im vorliegenden Fall den jeweiligen Eintritt des Sicherungsfalls bezweifelt. Der Senat teilt diese Zweifel nicht. Immerhin haben die Kunden in den Fällen 1, 2, 9, 10, 12, 13 und 17 zur Abwehr der angemahnten, nicht von der Beklagten bezahlten restlichen Mietzinsforderungen Rechtsanwälte eingeschaltet, alle übrigen Kunden haben - mit unterschiedlichen Formulierungen, teils handschriftlich, teils maschinenschriftlich - darauf verwiesen, dass sie eine eigene Haftung für die begründeten Mietwagenkosten ablehnten, weil sie am Unfall kein Verschulden träfe, mithin alle Aufwendungen seitens des jeweiligen Unfallgegners und seiner Versicherung, also der Beklagten, zu tragen seien. Diese Weigerung der Mieter, die von der Beklagten nicht bezahlten Mietkosten aus eigenen Mitteln zu begleichen, genügt, um den Sicherungsfall eintreten zu lassen. Da eine Rangfolge zwischen gesicherter Forderung und Sicherungszession (etwa im Sinne einer Vorausklage aus der gesicherten Forderung) weder aus dem Gesetz noch aus der vertraglichen Sicherungsabrede ersichtlich ist, steht es der Klägerin nach Eintritt des Sicherungsfalles frei, ob sie aus der gesicherten Forderung gegen die Mieter oder aus der Sicherungszession gegen die Klägerin vorgeht.

Weder aus der Entscheidung der Klägerin, nicht die Mieter, sondern die Beklagte aus der Sicherungszession in Anspruch zu nehmen, noch aus dem Verhalten der Kunden lassen sich hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme eines abgestimmten und mit der Klägerin abgesprochenen Verhaltens entnehmen.

d. Auch das Argument der Beklagten, die Inkassotätigkeit der Klägerin ergebe sich aus der Vielzahl der Prozesse, die die Klägerin gegen die Beklagte führe, verfängt nicht.

Die Klägerin kann sich am Markt der Autovermieter im Unfallersatzwagen-Geschäft nur dann dauerhaft behaupten, wenn die geschädigten Kfz-Mieter die vereinbarten Mietwagenkosten – im Falle unstreitiger Alleinhaftung des Unfallgegners – in vollem Umfang ersetzt bekommen. Es liegt auf der Hand, dass die Kunden nicht auf selbst zu tragenden Kostenanteilen sitzen bleiben wollen. Gleichzeitig erwartet ein beachtlicher Anteil der Geschädigten, mit der Schadensregulierung in keinem größeren Umfang behelligt zu werden, als unbedingt notwendig. Demzufolge sind Direktabrechnungen nicht nur von Autovermietern, sondern auch von Reparaturbetrieben mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung gang und gäbe. Damit ist es für die Klägerin von hohem eigenem Interesse, ihre Tarife so zu gestalten, dass sie einerseits dem eigenen Gewinnmaximierungsinteresse entsprechen, andererseits in der Abrechnung mit der Haftpflichtversicherung komplikationslos durchgesetzt werden können; denn der Kunde erwartet nicht nur, bei der Regulierung nicht selbst Kostenanteile tragen zu müssen, sondern mit der Schadensregulierung selbst möglichst nicht behelligt zu werden. Die Klärung im Rahmen einer Vielzahl abgetretener Kunden-Ersatzforderungen, in welcher Höhe die Mietwagenkosten ersetzt werden, dient deshalb eigenen Interessen der Klägerin und stellt nicht primär eine Dienstleistung für den Kunden dar.

e. Aus dieser Überlegung wird auch deutlich, dass die Beitreibung der streitgegenständlichen Forderungen selbst dann, wenn ein fremdes Geschäft nicht zu leugnen wäre, nur ein Annex – und damit bloße Nebenleistung - zum eigentlichen Hauptgeschäft der Klägerin wäre, so dass in jedem Falle eine erlaubnisfreie Dienstleistung i. S. v. § 5 Abs. 1 RDG vorläge, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat.

...

4. Die Klägerin kann die in den Fällen Nr. 1, 3, 5 bis 10 und 14 geltend gemachten Kosten für Winterreifen im Gesamtbetrag von 900,- € ersetzt verlangen.

a. Gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB haben die Geschädigten Anspruch auf die zur Naturalrestitution erforderlichen Mittel. Im Falle des Ausgleichs verloren gegangener Nutzungsmöglichkeiten als Folge des an ihrem Kfz eingetretenen Unfallschadens ist der Anspruch darauf gerichtet, die Kosten für die Anmietung eines geeigneten Ersatzfahrzeugs zu ersetzen. „Erforderlich“ ist demnach der Geldbetrag, der nach den Marktgegebenheiten für eine solche Anmietung aufgewandt werden muss. Wenn auf dem Mietwagenmarkt Mietfahrzeuge mit Winterbereifung nur gegen Zahlung eines Zuschlags für dieses Ausstattungsmerkmal angeboten werden, dann ist der zusätzliche Kostenaufwand für die Ausstattung mit Winterreifen erforderlich i. S. v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Vorausgesetzt ist dabei, dass die Winterbereifung ihrerseits erforderlich ist, um den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des eigenen Kfz auszugleichen. Dies ist nicht nur stets dann der Fall, wenn das verunfallte Kfz mit Winterreifen ausgestattet war, sondern in allen Fällen, in denen während der Mietdauer ernstlich mit der Möglichkeit von Wetterlagen gerechnet werden muss, die mit Rücksicht auf § 2 Abs. 3 a StVO eine Winterausrüstung des Mietwagens erforderlich machen. Da der Mieter Verantwortung für fremdes Eigentum übernehmen muss, ist ihm in der kalten Jahreszeit die Haftung für den Mietwagen ohne Winterreifen selbst dann nicht zuzumuten, wenn er sein eigenes Fahrzeug nicht mit Winterreifen ausgerüstet hat. Diese letztgenannten Voraussetzungen stehen jedoch außer Streit.

b. Das Argument, in der Winterzeit sei die Ausrüstung eines Mietwagens mit Winterreifen eine „Selbstverständlichkeit“, die mit dem Normaltarif abgegolten sei, trägt dann nicht, wenn der Markt dies gerade nicht als „selbstverständlich“ voraussetzt. Dass dies so ist, ergibt sich zur Überzeugung des Senats nicht nur aus dem Artikel der Stiftung Warentest in der Ausgabe vom 10.12.2010, sondern auch aus dem Umstand, dass die Schwacke-Liste aufgrund der Erhebungen bei unzähligen Autovermietern Winterreifen als typischerweise gesondert zu vergütende Zusatzausstattung ausweist.

c. Auch der Hinweis auf die Winterreifenpflicht gem. § 2 Abs. 3 a StVO liefert kein durchgreifendes Argument gegen eine zusätzliche Entgeltpflicht. Zum einen fordert § 2 Abs. 3 a StVO nicht generell, ein Fahrzeug mit Winterreifen auszurüsten, sondern nur im Bedarfsfall, nämlich bei entsprechenden Witterungs- und/oder Straßenverhältnissen. Zum anderen lässt sich aus dem Umstand, welche Leistung vom Autovermieter verlangt werden kann (nämlich Überlassung eines verkehrstauglichen, den aktuell geltenden und eingreifenden Bestimmungen genügenden Fahrzeugs), nicht auf die dafür geschuldete Gegenleistung schließen. Im Rahmen der Privatautonomie sind die Parteien frei, auch für eine nur im Bedarfsfall notwendige Zusatzausstattung eine besondere Vergütung zu vereinbaren.

d. Ein Anspruch auf ein zusätzliches Entgelt für die Ausrüstung mit Winterreifen auf der Grundlage der Schwacke-Liste lässt sich auch nicht mit der Erwägung verneinen, dass in den Mietverhältnissen zwischen der Klägerin und den Mietern diesbezüglich AGB-rechtliche Bedenken bestehen.

aa. Das zusätzliche Entgelt für eine Winterausrüstung lässt sich den vorgelegten Verträgen nicht entnehmen. Es ist deshalb nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin dieses Zusatzentgelt mit den Mietern jeweils individuell ausgehandelt hat. Vielmehr spricht alles dafür, dass sich die Vergütungspflicht für diese Zusatzausstattung allein aus der – nicht vorgelegten – Preisliste ergibt, also aus von der Klägerin verwandten und vorformulierten Vertragsbedingungen. Schon der erwähnte Artikel der Stiftung Warentest legt nahe, dass ein Großteil der Kunden nicht damit rechnet, für die „Selbstverständlichkeit“ von Winterreifen einen Zuschlag zahlen zu müssen, so dass der allein aus der Preisliste ersichtliche Zuschlag eine überraschende Entgeltregelung i. S. v. § 305 c Abs. 1 BGB sein könnte. In der Folge wäre fraglich, ob diese Entgeltklausel Vertragsinhalt geworden ist und die Klägerin auf dieser Grundlage ein Entgelt für die Ausrüstung mit Winterreifen verlangen könnte, mithin der Kostenaufwand für diese Zusatzausstattung im schadensersatzrechtlichen Sinne „erforderlich“ war (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB). Darüber hinaus wäre selbst dann, wenn die Entgelt-Klausel Vertragsinhalt geworden wäre, die Frage aufzuwerfen, ob sie die Kunden nicht unangemessen benachteilige (§ 307 Abs. 1 BGB).

bb. Da die Klägerin jedoch nicht Ersatz des den Kunden konkret entstandenen Mietkostenaufwandes verlangt, sondern den Schaden im Wege der Schätzung gem. § 287 Abs. 1 ZPO auf der Grundlage der Schwacke-Liste abstrakt bzw. fiktiv abrechnet, kommt es auf Bedenken hinsichtlich des konkret den Geschädigten entstandenen Kostenaufwandes und seiner Erforderlichkeit jedenfalls dann nicht an, wenn den Geschädigten – wie vorliegend – tatsächlich Kosten mindestens in der Höhe des sich bei abstrakter Betrachtung ergebenden Schätzungsbetrages entstanden sind.

cc. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass das in der Schwacke-Liste ausgewiesene Zusatzentgelt für Winterreifen generell am Markt nicht wirksam vereinbart würde.

e. Im Ergebnis kann die Kläger somit ein zusätzliches Entgelt für Winterausrüstung deshalb verlangen, weil ein Fahrzeug mit Winterausrüstung am Markt nur gegen einen solchen Entgeltzuschlag angemietet werden kann.

..."