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OLG Hamm Urteil vom 31.01.2012 - 9 U 143/11 - Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht beim Kenntlichmachen von Hindernissen bei Schnee
OLG Hamm v. 31.01.2012: Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht beim Kenntlichmachen von Hindernissen bei Schnee
Das OLG Hamm (Urteil vom 31.01.2012 - 9 U 143/11) hat entschieden:
Die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht erfordert die Kenntlichmachung von Hindernissen in der Weise, dass diese auch unter widrigen Witterungsbedingungen erkennbar sind (hier: geschlossene hohe Schneedecke).
Siehe auch Verkehrssicherung - Winderdienst - Räum- und Streupflicht und Verkehrssicherungspflicht
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt das beklagte Land aus übergegangenem Recht seines Versicherungsnehmers, des Zeugen L., auf Schadensersatz wegen einer Amtspflichtverletzung in Anspruch.
Als Haftpflicht- und Vollkaskoversicherer des Pkw Seat Ibiza, ..., hat er dessen Eigentümer aus dem streitgegenständlichen Schadensereignis vom 20.02.2010 auf einem Pendlerparkplatz an der S-Straße einen Schaden in Höhe von 5.390,06 € ausgeglichen. Im Wege des Regresses verlangt er Erstattung von dem beklagten Land, wobei er die Betriebsgefahr des Fahrzeugs in Abzug bringt.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf das gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage nach Vernehmung von Zeugen bis auf einen geringfügigen Zinsanteil stattgegeben.
Es hat ausgeführt, der an dem Fahrzeug des Versicherungsnehmers entstandene Schaden sei auf eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des beklagten Landes zurückzuführen. Es habe sich bei dem schneebedeckten Grünstreifen um eine gefährliche und damit verkehrssicherungspflichtige Stelle gehandelt, da auch ein sorgfältiger Verkehrsteilnehmer den dort befindlichen Baumstumpf habe übersehen können.
Dagegen richtet sich die Berufung des beklagten Landes.
Es ist der Ansicht, das Landgericht habe die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht überspannt. Es sei mit zumutbarem Aufwand nicht möglich, sämtliche Grünstreifen einzuzäunen oder zu markieren, nur um einem fern liegenden Unfallereignis vorzubeugen. Bei Beachtung der gebotenen Eigensorgfalt sei der Grünstreifen eindeutig als solcher zu erkennen gewesen, schon allein aufgrund des Bewuchses mit Gräsern und Gestrüpp. Zudem habe in der vermeintlichen Parkbucht der Schnee höher gelegen und es hätten sich dort, im Gegensatz zu anderen Parkbuchten, keine Fahrspuren befunden, so dass bei diesen winterlichen Verhältnissen erhöhte Sorgfaltspflichten bestanden hätten.
Das Ausmaß der Schäden lasse außerdem darauf schließen, dass die Zeugin L. sehr zügig in die Parkbox eingefahren sei. Bei angepasstem, langsamem Einfahren sei ein Schaden des entstandenen Ausmaßes vermeidbar gewesen.
Deshalb sei jedenfalls ein deutlich höherer Haftungsanteil auf Klägerseite zu berücksichtigen.
Das beklagte Land beantragt,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Tatsächlich sei der Grünstreifen mit dem Baumstumpf bei den gegebenen Verhältnissen nicht erkennbar gewesen. Mit einfachsten Mitteln, beispielsweise dem Aufstellen einer Warnbake habe eine ausreichende Sicherung erreicht werden können. Die von dem beklagten Land eingereichten Fotos zeigten auch nicht den Zustand zur Zeit des Unfalls, denn da habe es aus der geschlossenen Schneedecke herausragenden Bewuchs nicht gegeben.
Schließlich sei die Zeugin L. auch nicht unangemessen schnell gefahren, weshalb ein Mitverschulden nicht zu berücksichtigen und die Betriebsgefahr des Fahrzeugs mit 20% ausreichend in Rechnung gestellt sei.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
Zu Recht ist das Landgericht vom Bestehen eines nach § 86 VVG auf den Kläger übergegangenen Anspruchs des Fahrzeugeigentümers aus Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB ausgegangen.
Dieser ist wegen erheblichen Mitverschuldens der Zeugin L. bei der Schadensentstehung um 60% zu kürzen.
1. Das gemäß §§ 2 Abs. 2 Ziff. 1b), 9, 9a, 43 Abs. 1 StrWG NW für die Landesstraße und den an dieser gelegenem Parkplatz in hoheitlicher Tätigkeit verkehrssicherungspflichtige Land hat die ihm obliegenden Pflichten verletzt, indem es zwischen den übrigen Parkflächen einen nicht ausreichend abgetrennten Erdstreifen mit einem aufstehendem Baumstumpf belassen hat.
Nach gefestigter Rechtsprechung haben die für die Sicherheit der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen zuständigen Gebietskörperschaften tunlichst darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesen Bereichen nicht zu Schaden kommen. Sie haben die öffentlichen Verkehrswege möglichst gefahrlos zu gestalten und sie in diesem Zustand vorzuhalten sowie im Rahmen des Zumutbaren alles zu tun, um Gefahren zu vermeiden, die den Verkehrsteilnehmern aus einem nicht ordnungsgemäßen Zustand der Verkehrsflächen drohen. Dabei müssen Straßen, Wege und Plätze nicht frei von allen möglichen Gefahren gehalten werden, da sich ein solcher Zustand mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln nicht erreichen lässt. Grundsätzlich muss sich daher jeder Verkehrsteilnehmer den gegebenen Verhältnissen anpassen und die Flächen in dem Zustand hinnehmen, indem sie sich ihm erkennbar darbieten. Vorsorgemaßnahmen sind nur dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung anderer ergibt. Das ist dann zu bejahen, wenn eine Gefahrenquelle trotz Anwendung der von den Verkehrsteilnehmern zu erwartenden eigenen Sorgfalt nicht rechtzeitig erkennbar ist und diese sich auf die Gefahrensituation nicht rechtzeitig einstellen können (BGH, VersR 1979, 1055; BGH NJW 1985, 1076; OLG Hamm, NZV 2006,35; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 14, Rn 44; Palandt/Sprau; BGB, 70. Aufl., § 823, Rn 51).
Die am Unfallort bestehende Situation, wie ihn die mit der Klageschrift eingereichten Fotos zeigen, stellt eine gefährliche und deshalb abhilfebedürftige Gefahrenquelle im vorgenannten Sinne dar, auch wenn der Baumstumpf bei normalen Sichtverhältnissen für einen einparkenden Autofahrer nicht zu übersehen war.
Die Frage der Sicherungspflichtigkeit einer Verkehrsfläche ist nach der Rechtsprechung des Senats nämlich unter Zugrundelegung eines generell-abstrakten Maßstabs zu beurteilen, so dass auch ungünstigste Wahrnehmungsbedingungen einzukalkulieren sind; auch für solche Situationen ist Vorsorge zu treffen (Senat, NZV 2007, 576; NZV 2008, 405).
Hierzu zählen auch widrigste Witterungsbedingungen, beispielsweise, wie hier, das Vorhandensein einer geschlossenen Schneedecke, die bei Dunkelheit und Nebel oder bei Schneetreiben die Wahrnehmbarkeit des Baumstumpfes und der nicht weiter abgegrenzten, nicht zum Parken bestimmten Fläche, erschweren. Unter solchen Bedingungen fällt dann auch eine im Verhältnis zur gewöhnlichen Parkbucht geringere Breite dieses Bereichs nicht zwingend auf. Es besteht die Gefahr, dass ein ortsunkundiger Autofahrer diese vermeintliche Parklücke ansteuert und dabei auch den Baumstumpf übersieht oder nicht wahrnimmt.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gefahrenbereich wegen aus der Schneefläche herausragenden Bewuchses erkennbar war. Die von der Beklagtenseite eingereichten Fotos sind erst 10 Monate später, im nächsten Winter, aufgenommen worden. Sie zeigen einen Zustand mit erheblichem Bewuchs, der zur Unfallzeit offenbar nicht vorhanden war, wie die zeitnah von der Zeugin L. gefertigten Fotos zeigen.
Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist auch vorwerfbar, da das Land durch Belassen des Baumstumpfes die Gefahrenstelle geschaffen hat. Die Gefahrensituation hätte, außer mit der inzwischen erfolgten Entfernung des Baumstumpfs selbst, auch mit anderen Mitteln, beispielsweise durch Versperrung der Einfahrt mittels eines einfachen Hindernisses, entschärft werden können.
2. Neben der von der Klägerin bereits berücksichtigten Betriebsgefahr muss allerdings auch ein erhebliches Mitverschulden der Zeugin L. am Entstehen des Schadens gemäß § 254 BGB in Ansatz gebracht werden.
Bei gehöriger und zumutbarer Aufmerksamkeit hätte diese die Gefahrensituation erkennen können und müssen und zudem durch vorsichtigere Fahrweise einem Schaden in dem eingetretenen Ausmaß vermeiden können.
Der Baumstumpf war nicht unter einer einheitlich glatten Schneedecke vollständig verborgen, sondern ragte, wenn auch seinerseits vom Schnee bedeckt, erhöht aus der übrigen Fläche heraus. Wie die Fotos zeigen, hatte der Stumpf auch nicht unerhebliche Ausmaße.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass insbesondere für einen Ortsunkundigen das Einfahren auf eine unbekannte, hoch mit Schnee bedeckte und zudem unberührte Schneefläche erhöhte Vorsicht erfordert, weil der Zustand des Untergrundes nicht verlässlich einzuschätzen ist.
Der Umfang des eingetretenen Schadens spricht außerdem dafür, dass die Zeugin L. deutlich zu forsch in die vermeintliche Parklücke eingebogen ist und das Fahrzeug deshalb auf den Baumstumpf aufgefahren ist, mit der Folge der Beschädigung der Ölwanne und letztlich auch des Eintritts des Motorschadens. Bei einem der Situation angepassten, vorsichtigen Hereintasten in die unbekannte Fläche hätte ein solch kapitaler Schaden nicht entstehen können, weil das Fahrzeug dann beim ersten Widerstand im Bereich der Fahrzeugfront sofort zum Stillstand hätte gebracht werden können.
Bei einer Abwägung der genannten Verursachungs- und Verschuldensanteile hält der Senat eine leicht überwiegende Haftung der Klägerseite für angemessen, mit der Folge, dass dem Kläger 40 Prozent des von ihm regulierten Schadens, mithin der ausgeurteilte Betrag von 2.156,03 € nebst Verzugszinsen zusteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.