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OLG Hamburg Beschluss vom 02.11.2011 - 8 W 71/11 - Zur Höhe der erstattungsfähigen fiktiven Reisekosten bei Einschaltung eines Unterbevollmächtigten

OLG Hamburg v. 02.11.2011: Zur Höhe der erstattungsfähigen fiktiven Reisekosten bei Einschaltung eines Unterbevollmächtigten


Das OLG Hamburg (Beschluss vom 02.11.2011 - 8 W 71/11) hat entschieden:
  1. Wenn die Kosten eines Unterbevollmächtigten 10% der fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten der auswärtigen Partei überschreiten und deshalb nicht erstattet verlangt werden können (BGH NJW 2003, 898; NJW-RR 2005, 707), kann die Partei die volle Erstattung der Kosten des Unterbevollmächtigten nicht mit der Begründung verlangen, dass sie aus ex ante-Sicht zum Zeitpunkt der Beauftragung des Unterbevollmächtigten davon ausgehen konnte , dass jedenfalls zwei Verhandlungstermine anfallen würden, so dass die Reisekosten ihrer Prozessbevollmächtigten für die zweimalige Anreise höher ausgefallen wären als die Kosten des Unterbevollmächtigten. Für die Kostenerstattung ist eine ex post-Betrachtung des tatsächlichen Prozessverlaufs maßgeblich; das Risiko einer unzutreffenden Prognose trägt die Partei, die den Unterbevollmächtigten einschaltet.


    Die Partei kann in diesem Fall aber 110 % der fiktiven Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten erstattet verlangen (wie OLGe Frankfurt und Kammergericht gegen OLG Oldenburg).

Siehe auch Reisekosten und Stichwörter zum Thema Rechtsanwaltsgebühren - Anwaltshonorar - Rechtsanwaltskosten


Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Kostenausgleichsverfahren nach § 106 ZPO darum, ob der Kläger die Erstattung der Kosten eines Unterbevollmächtigten verlangen kann.

Der in ... K. ansässige Kläger nahm die Beklagte auf Bezahlung des Kaufpreises für einen PKW in Anspruch. Er beauftragte seine in ... N./D. ansässigen Prozessbevollmächtigten mit seiner Vertretung. Das zunächst angerufene Landgericht Ingolstadt verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Hamburg. Das Landgericht Hamburg beraumte für den 03.12.2010 einen Verhandlungstermin an. In diesem Termin wurde der Kläger durch einen Unterbevollmächtigten vertreten. Unter dem 16.02.2011 stellte das Landgericht Hamburg fest, dass zwischen den Parteien ein Vergleich zustande gekommen war. Dieser sah vor, dass die Kosten des Rechtsstreits zu 5/7 von der Beklagten und zu 2/5 von dem Kläger getragen werden sollten.

Im anschließenden Kostenausgleichsverfahren hat der Kläger unter anderem die Kosten des Unterbevollmächtigten in Höhe von insgesamt € 930,82 geltend gemacht. Die fiktiven Kosten für eine Anreise seiner Prozessbevollmächtigten zu dem Termin hat er mit € 629,05 beziffert.

Mit Beschluss vom 11.07.2011 hat das Landgericht die von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden Kosten auf € 1.640,33 festgesetzt. Hierbei hat es die Kosten des Unterbevollmächtigten lediglich in Höhe der fiktiven Reisekosten der Prozessbevollmächtigten des Klägers berücksichtigt.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde. Er trägt vor, dass zum Zeitpunkt der Beauftragung des Unterbevollmächtigten erkennbar gewesen sei, dass ein zweiter Verhandlungstermin mit Zeugen erforderlich werden würde. Bei einem weiteren Verhandlungstermin wären durch eine erneute Anreise seiner Prozessbevollmächtigten höhere Kosten entstanden als durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigten.


II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist gemäß den §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO zulässig und hat im erkannten Umfang Erfolg.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass eine Partei, welche an einem auswärtigen Gericht klagt, in der Regel einen an ihrem Wohnort oder Sitz ansässigen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragen darf und dessen Reisekosten als Kosten zweckentsprechender Rechtsverfolgung gemäß § 91 Abs. 1 ZPO vom Gegner ersetzt verlangen kann, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn diese Reisekosten die Kosten eines Unterbevollmächtigten beträchtlich übersteigen (Beschluss v. 11.12.2007 zum Aktz. X ZB 21/07, Rn. 7 und 10; Beschluss v. 28.01.2010 zum Aktz. III ZB 64/09, Rn. 9, jeweils zitiert nach juris). Entscheidet sich die Partei stattdessen für die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten zur Terminsvertretung, sind dessen Kosten nur dann erstattungsfähig, wenn sie um nicht mehr als 10 % die fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten überschreiten (BGH NJW 2003, 898; NJW-RR 2005, 707). Hiervon ist auch das Landgericht im vorliegenden Fall ausgegangen und hat lediglich die fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten des Klägers (€ 629,05) berücksichtigt, weil die Kosten des Unterbevollmächtigten (€ 930,82) diese um mehr als 10 % übersteigen.

Die letztgenannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs dürften mit der Kommentierung von Gerold/Schmidt-Müller-Rabe (RVG, 19. Aufl., VV 3401 Rn. 82) dahingehend zu verstehen sein, dass die Vergleichsberechnung aus der ex post-Betrachtung vorzunehmen ist - also anhand der tatsächlich angefallenen Kosten - und nicht aus der ex ante-Sicht. Mithin spielt es nach dieser Auffassung und entgegen der Beschwerde im vorliegenden Fall keine Rolle, von welchem Prozessverlauf die Partei ausgehen durfte und ob es aus der ex ante-Sicht möglicherweise kostengünstiger gewesen wäre, statt der Anreise des Prozessbevollmächtigten einen Unterbevollmächtigten zu beauftragen; dieser Unsicherheitsfaktor wird über die 10%tige Toleranzgrenze ausgeglichen, während im Übrigen die Partei das Risiko einer unzutreffenden Prognose trägt (Gerold/Schmidt-Müller-Rabe a.a.O.). Die Auferlegung dieses Risikos erscheint deshalb nicht unbillig, weil die Partei - wenn sie es vermeiden will - grundsätzlich das Recht hat, ihren Prozessbevollmächtigten auch mehrfach anreisen zu lassen (s.o.).

Allerdings ist es nach Auffassung des Senats konsequent, die 10%tige Toleranzgrenze zum Ausgleich des Risikos einer fehlerhaften Prognose der Partei auch dann gutzubringen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Kosten des Unterbevollmächtigten die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten um mehr als 10 % übersteigen. Das bedeutet, dass die Partei dann 110 % der fiktiven Reisekosten erstattet verlangen kann. Dieses Ergebnis entspricht zudem der Billigkeit, weil es auch im Interesse der gegnerischen Partei liegt, dass die erstattungsberechtigte Partei Überlegungen dazu anstellt, ob es kostengünstiger ist, einen Unterbevollmächtigten zu bestellen als ihren Prozessbevollmächtigten ggf. mehrfach anreisen zu lassen, was ihr - wie ausgeführt - grundsätzlich als Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung erlaubt ist. Der Senat folgt damit der Rechtsprechung des Oberlandgerichts Frankfurt (Beschluss v. 29.09.2004 zum Aktz. 12 W 152/04, Rn. 7 zitiert nach juris) und des Kammergerichts (Beschluss vom 24.10.2007 zum Aktz. 2 W 114/07) sowie der Kommentierung von Zöller-Herget (ZPO, 28. Aufl., § 91 Rn. 13 „Unterbevollmächtigter“). In einer jüngeren Entscheidung hat das OLG Oldenburg allerdings eine gegenteilige Auffassung vertreten und - wie vorliegend das Landgericht - lediglich 100 % der fiktiven Reisekosten anerkannt (Beschluss vom 18.02.2008 zum Aktz. 5 W 8/08, Rn. 7, zitiert nach juris).

110 % der fiktiven Reisekosten ergeben hier einen Betrag von € 691, 96. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers belaufen sich damit auf insgesamt € 2.671,04 und die gesamten außergerichtlichen Kosten beider Parteien auf € 3.865,24 (€ 2.671,04 + € 1.194,20). Hiervon hat die Beklagte 5 /7 = € 2.760,89 und der Kläger 2/7 = 1.104,35 zu tragen, d.h. die Beklagte hat dem Kläger € 1.566,69 zu erstatten. Ferner hat sie ihm € 118,58 der Gerichtskosten zu erstatten, so dass sich insgesamt ein Betrag von € 1.685,27 statt der festgesetzten € 1.640,33 ergibt. In diesem Umfang war der Beschluss des Landgerichts zu ändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zur Vergleichsberechnung bei der Einschaltung eines Unterbevollmächtigten zugelassen (§§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 , Abs. 3 ZPO).