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Landgericht Paderborn Urteil vom 24.11.2011 - 3 O 230/11 - Zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei eigenen Verletzungsfolgen und dem Tod eines nahen Angehörigen
LG Paderborn v. 24.11.2011: Zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei eigenen Verletzungsfolgen und dem Tod eines nahen Angehörigen
Das Landgericht Paderborn (Urteil vom 24.11.2011 - 3 O 230/11) hat entschieden:
- Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist der Umstand, dass die Geschädigte den Unfalltod ihres Lebensgefährten miterleben musste ebenso mit zu berücksichtigen, wie die Dauer der eigenen stationären Behandlung im Krankenhaus, die der anschließenden Reha-Maßnahme und die noch heute unterstellten Einschränkungen im täglichen Leben. Andererseits ist zu berücksichtigen, wenn ein Verkehrsunfall als tragisches Ereignis einzustufen ist, an dem menschliches Versagen oder Verschulden keinen Verursachungsbeitrag gefunden hat. Damit entfällt dann die dem Schmerzensgeld grundsätzlich ebenfalls zukommende Genugtuungsfunktion vollständig.
- Dritter kann auch der Versicherungsnehmer sein, soweit seine Ansprüche nicht versicherungsvertraglich ausgeschlossen wurden. Denn der Regelung des § 10 Abs. 2 c AKB kommt nach ihrem sachlichen Gehalt die Bedeutung einer Versicherung für fremde Rechnung zu. Und da § 11 Nr. 2 AKB in seiner ab 1. Januar 1977 geltenden Fassung Ersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen den mitversicherten Fahrer wegen Personenschadens von der Versicherung nicht mehr ausschließt, ist kein überzeugender Grund ersichtlich, dem Versicherungsnehmer insoweit die Eigenschaft eines Dritten im Sinne des § 115 VVG abzusprechen. Hinsichtlich der dem geschädigten Versicherungsnehmer selbst entstandenen Sach- oder Vermögensschäden, welche nicht auf dem erlittenen Personenschaden beruhen, ist er als Versicherungsnehmer und damit als Partei des Versicherungsvertrages nicht zugleich "Dritter" im Sinne von § 115 VVG. Denn insoweit greift der Leistungsausschluss des § 11 Nr. 2 AKB.
Siehe auch Schmerzensgeld und Personenschaden
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie Feststellung künftigen Schadensersatzes aus einem Verkehrsunfall vom 26.01.2009 in ... in Anspruch.
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Am Unfalltage befand sich die Klägerin als Beifahrerin in ihrem Pkw, welcher bei der Beklagten haftpflichtversichert ist. Das Fahrzeug wurde von dem Lebensgefährten der Klägerin gesteuert. Dieser erlitt während der Fahrt einen Herzinfarkt und prallte mit dem Fahrzeug gegen einen Baum. Der Lebensgefährte der Klägerin verstarb in Folge des Unfallereignisses, die Klägerin selbst zog sich erhebliche Verletzungen zu. So erlitt sie eine dislozierte distale Humerusschaft-Mehrfachfragmentut links, eine dislozierte Olecranonfraktur links, eine Rippenserienfraktur links 8. bis 10. Rippe, eine Platzwunde am linken Unterschenkel, eine subcapitale Mittelfußfraktur 4.5 sowie eine Halswirbeldistorsion. Infolge der erlittenen Verletzungen befand sich die Klägerin in der Zeit vom 26.01.2009 bis zum 11.02.2009 in stationärer Behandlung des ... . Unmittelbar im Anschluss hieran absolvierte sie eine Reha-Maßnahme in der Fachklinik ..., welche bis zum 12.03.2009 andauerte. Operativ wurde die Humerusschaftfraktur mittels einer DC-Platte und PDS-Cercrage therapiert. Es folgten weitere ambulante Behandlungen sowie eine Physiotherapie. Gutachterlich wurde eine MdE von 7 % festgestellt. Am Oberarm hat die Klägerin eine 23 cm lange Narbe zurückbehalten.
Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig. So regulierte die Beklagte insgesamt Ersatzleistungen in Höhe von 11.000,00 €, wobei 1.800,00 € auf den von der Klägerin geltend gemachten Haushaltsführungsschaden gezahlt wurden und 9.200,00 € an Schmerzensgeld. Weitere Zahlungen erfolgten nicht.
Die Klägerin behauptet, sie leide bedingt durch das Unfallereignis an einer posttraumatischen Belastungsstörung zudem könne sie viele Tätigkeiten im Bereich des täglichen Lebens aufgrund der erlittenen orthopädischen Verletzungen nicht mehr ohne weiteres ausführen (hinsichtlich der einzelnen behaupteten Einschränkungen wird auf die Auflistung Bl. 5 ff. der Klageschrift vom 14.06.2011, Bl. 5 und 6 GA, Bezug genommen); nach einer stärkeren Belastung des linken Armes habe sie stets starke Schmerzen; nach wie vor nehme sie täglich Schmerzmittel (400 mg Ibuprophen). Die Klägerin erachtet daher angesichts der weitreichenden Verletzungsfolgen, der unansehnlichen Narbe auf dem Arm sowie den Beeinträchtigungen in der privaten Lebensführung die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrages in Höhe von mindestens 7.500,00 € für angemessen.
Die Klägerin beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie ein in das ausdrückliche Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit (29.07.2011) zu zahlen;
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 26.01.2009 in …. zu bezahlen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet die von der Klägerin geschilderten Beeinträchtigungen; die von der Klägerin empfundene psychische Belastung belaufe sich auf das Normalmaß einer Trauerreaktion nach dem Miterleben des Todes einer nahestehenden Person.
Daneben ist die Beklagte der Ansicht, dass für den Feststellungsantrag bereits das erforderliche Feststellungsinteresse fehle, da sich das streitgegenständliche Unfallereignis bereits vor 2 ½ Jahren ereignet habe und es sich bei dem gesundheitlichen Zustand der Klägerin um einen Endzustand handele.
Entscheidungsgründe:
I.
Die zulässige Klage ist im zuerkannten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes zu. Denn die Beklagte hat der Klägerin bereits ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 9.200,00 € gezahlt.
Dabei bedurfte es hier keiner weiteren Beweiserhebung über die von der Klägerin behaupteten und von der Beklagten bestrittenen psychischen und körperlichen Belastungsfolgen anlässlich des Unfalles und den Umfang der Einschränkungen im täglichen Leben. Denn selbst den klägerischen Vortrag als zutreffend unterstellt, ist die außergerichtliche Regulierung durch die Beklagte als billig und angemessen anzusehen.
Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenigen Lebenshemmungen, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (BGHZ 18, 149, 154 ff.). So bilden in erster Linie die Größe, die Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentliche Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung. Zugleich soll es dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (BGH a.a.O.).
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist vorliegend der Umstand, dass die Klägerin den Unfalltod ihres Lebensgefährten miterleben musste ebenso mit zu berücksichtigen, wie die Dauer der stationären Behandlung im Krankenhaus, die der anschließenden Reha-Maßnahme und die noch heute unterstellten Einschränkungen im täglichen Leben. Andererseits ist der Verkehrsunfall als tragisches Ereignis einzustufen, an dem menschliches Versagen oder Verschulden nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien keinen Verursachungsbeitrag gefunden hat. Damit entfällt die dem Schmerzensgeld grundsätzlich ebenfalls zukommende Genugtuungsfunktion im vorliegenden Fall vollständig.
Die vorgetragenen Widrigkeiten des täglichen Lebens sind zudem nicht zu gravierend, dass von einer übermäßigen Beeinträchtigung im Alltag gesprochen werden kann.
Auch ist festzuhalten, dass die Klägerin entgegen ihrer eigenen Einschätzung ihren psychischen Gesundheitszustand betreffend seit den Rehabilitationsmaßnahmen eigenverantwortlich keine nervenärztliche oder psychologische Hilfe mehr in Anspruch genommen hat. Dementsprechend kann die Beklagte nicht für eine möglicherweise noch bestehende posttraumatische Belastungsstörung schmerzensgelderhöhend zur Verantwortung gezogen werden.
Weiter ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu beachten, dass sich das zuzubilligende Entgelt in das allgemeine Schmerzensgeldgefüge einfügt. Die Rechtsprechung ist bestrebt, vergleichbare Schäden mit einem vergleichbaren Schmerzensgeld auszugleichen.
All dies berücksichtigend erachtet das Gericht in dem hier zu entscheidenden Fall das von der Beklagten bereits geleistete Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 9.200,00 € für angemessen und insgesamt ausreichend. Insofern kann Bezug genommen werden auf das Tabellenwerk von Hacks/Ring/Böm, 29. Auflage, 2010, lfd. Nr. 1485. In der dort zitierten Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt in einem vergleichbaren Fall ein Schmerzensgeld von 9.000,00 € zugesprochen. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des OLG Hamm aus dem Jahre 1997 Bezug nimmt (Hacks/Ring/Böm, a.a.O., Lfd. Nr. 1791), in welcher das entscheidende Gericht ein Schmerzensgeld von 12.500,00 € bei einer Luxationsfraktur des linken oberen Sprunggelenkes zugesprochen hat, ist zu berücksichtigen, dass vorliegend die dem Schmerzensgeld innewohnende Genugtuungsfunktion gänzlich entfällt. Soweit die Klägerin desweiteren hinsichtlich der geschilderten posttraumatischen Belastungsstörungen auf ein Urteil des OLG Frankfurt (Lfd. Nr. 1976) aus dem Jahre 2004 Bezug nimmt, so kann auch dies einem Vergleich nicht standhalten. Zu keinem Zeitpunkt ist bei der Klägerin aufgrund des Miterlebens des Unfalltodes ihres Lebenspartners ein schwerer Schock mit psychopathologischen Ausfällen diagnostiziert worden. Zudem lehnt die Klägerin - wie bereits ausgeführt - eine fachärztliche Weiterbehandlung zur Verarbeitung des Unfalltodes ihres Lebenspartners ab. Auch wurden in der zitierten Entscheidung die Verhältnisse des Heimatlandes der Geschädigten (Georgia/USA) bei der Bemessung der Entschädigungssumme mit in die Erwägungen einbezogen.
Der Klageantrag zu 2) ist dagegen zulässig und in vollem Umfang begründet.
a. Insbesondere ist das für den Feststellungsantrag erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin zu bejahen. Dagegen spricht nicht, dass die Klägerin nicht vorgetragen hat, welche weiteren Beeinträchtigungen in der Zukunft denkbar sein sollen. Ausreichend ist, wenn aus Sicht des Anspruchsstellers bei verständiger Würdigung des Falles die Möglichkeit weiterer künftiger Schäden besteht. Dies ist hier angesichts der geschilderten orthopädischen Beeinträchtigungen und des Umstandes, dass diesbezüglich jedenfalls keine Besserung zu erwarten ist, der Fall.
b. Die Beklagte haftet der Klägerin dem Grunde nach aus § 115 VVG.
Trotz ihrer Eigenschaft als Versicherungsnehmerin ist sie vorliegend als "Dritte" im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Denn Dritter kann auch der Versicherungsnehmer sein, soweit seine Ansprüche nicht versicherungsvertraglich ausgeschlossen wurden (BGH VersR 2008, 1202; OLG Hamm VersR 94, 301; Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage 2010, § 115 Rd. 3; Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrversicherung, 3. Aufl. 2009, § 115, Rn. 12). Denn der Regelung des § 10 Abs. 2 c AKB kommt nach ihrem sachlichen Gehalt die Bedeutung einer Versicherung für fremde Rechnung zu. Und da § 11 Nr. 2 AKB in seiner ab 1. Januar 1977 geltenden Fassung Ersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen den mitversicherten Fahrer wegen Personenschadens von der Versicherung nicht mehr ausschließt, ist kein überzeugender Grund ersichtlich, dem Versicherungsnehmer insoweit die Eigenschaft eines Dritten im Sinne des § 115 VVG abzusprechen (s.a. BGHZ 43, 42 ff.; Langheid VersR 1986, 15 ff.). Soweit dem Versicherungsnehmer ein vom Versicherungsvertrag gedeckter Schadensersatzanspruch gegen seinen Haftpflichtversicherer zusteht, gebietet es die Interessenlage, ihn auch in die Verbesserung des Schutzes der Unfallgeschädigten mit einzubeziehen, den der Gesetzgeber durch die Einführung der Direktklage in § 3 Nr. 2 PflichtVG a.F. geschaffen und in § 115 VVG fortgesetzt hat.
Die Beklagte hat sich vorliegend nicht auf einen etwaigen vertraglichen Ausschluss berufen. Auch ist das Versicherungsverhältnis erkennbar nicht im Innenverhältnis gestört, so dass aus diesem Grunde ein etwaiger Anspruch der Klägerin entfallen könnte (vgl. BGH VersR 86, 1010).
Hinsichtlich der ihr selbst entstandener Sach- oder Vermögensschäden, welche nicht auf dem erlittenen Personenschaden beruhen, ist die Klägerin als Versicherungsnehmerin und damit als Partei des Versicherungsvertrages nicht zugleich "Dritte" im Sinne von § 115 VVG. Denn insoweit greift der Leistungsausschluss des § 11 Nr. 2 AKB. Dementsprechend war der Klageantrag zu 2) in dem aus der Tenorierung ersichtlichen Umfang klarzustellen.
Angesichts der verhältnismäßig schweren orthopädischen Unfallfolgen und des festgestellten Dauerschadens ist nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin in Zukunft weitere körperliche Beeinträchtigung resultierend aus dem Unfallereignis erleiden wird, d. h. für den Eintritt eines weiteren Schadens spricht eine gewissen Wahrscheinlichkeit, so dass der Feststellungsantrag insgesamt begründet ist (vgl. hierzu auch BGH NJW 2001, 1431).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.