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Amtsgericht Berlin-Mitte Urteil vom 19.12.2008 - 114 C 3088/08 - Zu den rechtlichen Wirkungen einer schriftlichen Schuldübernahmeerklärung

AG Berlin-Mitte v. 19.12.2008: Zu den rechtlichen Wirkungen einer schriftlichen Schuldübernahmeerklärung eines unfallbeteiligten Fahrzeugführers


Das Amtsgericht Berlin-Mitte (Urteil vom 19.12.2008 - 114 C 3088/08) hat entschieden:
Eine schriftliche Schuldübernahmeerklärung eines Unfallbeteiligten kann nicht als deklaratorisches Schuldanerkenntnis gewürdigt werden. Einer solchen Erklärung fehlt in aller Regel der rechtsgeschäftliche Charakter. Sie stellt sich vielmehr als eine Äußerung dar, mit der der Erklärende unter Verwendung eines - einfachen - Rechtsbegriffs zusammenfassend zum Unfallhergang Stellung nimmt. Einer solchen Erklärung kommt dann zwar nicht als deklaratorisches Schuldanerkenntnis, aber doch als allgemeines Schuldbekenntnis im Schadensersatzprozess eine erhebliche Bedeutung zu. Auch bloße Bekenntnisse der Schuld, die keinen besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen des Erklärenden verkörpern, verbessern die Beweislage des Erklärungsempfängers. Der Erklärungsempfänger ist damit als Folge der Erklärung der Beweisanforderungen, denen er ohne die Erklärung zur Erreichung seines Prozesszieles genügen müsste, zunächst enthoben; die Notwendigkeit, die sein Prozessbegehren tragenden Behauptungen zu beweisen, trifft ihn erst dann, wenn dem Erklärenden der Nachweis der Unrichtigkeit des Anerkannten gelingt.


Siehe auch Schuldbekenntnis nach einem Unfall und Regulierungsverhalten und Zahlungen der Versicherung als deklaratorisches Schuldanerkenntnis?


Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 12. Oktober 2007 in Berlin.

Auf Klägerseite unfallbeteiligt war das Taxi des Klägers / Widerbeklagten (im Folgenden: Kläger) mit dem amtlichen Kennzeichen ..., geführt vom Drittwiderbeklagten zu 1. und pflichtversichert bei der Drittwiderbeklagten zu 2.. Der Beklagte zu 1. / Widerkläger (im Folgenden: Beklagter zu 1.) war Eigentümer des von ihm auch geführten und bei der Beklagten zu 2. pflichtversicherten PKW ... mit dem amtlichen Kennzeichen ....

Zum angegebenen Zeitpunkt befuhren der Drittwiderbeklagte zu 1. und der Beklagte zu 1. die Behrensstraße im gleichgerichteten Verkehr in der Absicht, nach rechts in die Ebertstraße abzubiegen. Das Beklagtenfahrzeug befand sich dabei links vom Klägerfahrzeug. Bei Grünschaltung der an der Einmündung befindlichen Lichtzeichenanlage bogen Kläger- und Beklagtenfahrzeug paarweise nach rechts ab, wobei es unter im Einzelnen streitigen Umständen zur Kollision kam. Das klägerische Fahrzeug wurde an der vorderen linken Seite beschädigt, der Schaden am Beklagtenfahrzeug befindet sich im Bereich der hinteren rechten Tür mit Schwerpunkt hinten. Nach der Kollision bestätigte der Beklagte zu 1. am Unfallort schriftlich die Übernahme der Unfallschuld.

Nach anteiliger Klagerücknahme im Hinblick auf die Höhe der Kostenpauschale beziffert der Kläger den ihm unfallbedingt entstandenen Schaden auf Grundlage des Schadensgutachtens ... vom 17. Oktober 2007 auf Nettoinstandsetzungskosten von 1.647,56 Euro zuzüglich Nettosachverständigenkosten von 400,00 Euro und zuzüglich einer Kostenpauschale von 20,00 Euro. Auf diesen Schaden zahlte die Beklagte zu 2. vorprozessual auf Grundlage hälftiger Haftung den Betrag von 1.036,28 Euro. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren errechnet die Klägerseite auf netto 229, 30 Euro, auf die bereits 155,30 Euro erstattet wurden. Mit der Klage verfolgt der Kläger Zahlung restlichen Schadensersatzes.

Der Beklagte zu 1. verfolgt im Rahmen der Widerklage Erstattung von 50 % seines Gesamtschadens, den er auf 2.700,98 Euro beziffert. Weiterhin wird Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 186,24 Euro geltend gemacht. Hinsichtlich Zusammensetzung und Berechnung der Widerklageforderung wird auf den Schriftsatz der Beklagtenseite vom 7. Juli 2008 verwiesen.

Der Kläger behauptet, beim Abbiegen nach rechts sei das Fahrzeug der Beklagten zu 1. auf die Fahrspur des klägerischen Fahrzeugs geraten und der Beklagte zu 1. habe hierbei das klägerische Taxi gerammt. Allein aufgrund der Eindeutigkeit des Unfallherganges sowie dem verbindlichen Schuldanerkenntnis des Beklagten zu 1. seien die unfallbeteiligten Parteien übereingekommen, die Polizei nicht hinzuzuziehen.

Nach anteiliger Klagerücknahme in Höhe von 5,00 Euro nebst anteiliger Zinsen hinsichtlich des Hauptanspruches und Neuberechnung und entsprechender anteiliger Rücknahme betreffend die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren von ursprünglich 117,75 Euro auf nunmehr 74,00 Euro beantragt der Kläger,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 1.031,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29. Januar 2008 zu zahlen,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger Rechtsanwaltsgebühren für das außergerichtliche Verfahren in Höhe von 74,00 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend beantragt der Beklagte zu 1.,
  1. die Widerbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen ,an den Kläger 1.350,49 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 1. Juli 2008 zu zahlen,

  2. die Widerbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 186,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 11. Juli 2008 freizustellen.
Die Widerbeklagten beantragen,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1. sei in großem Bogen links haltend in die äußerste linke Spur der Ebertstraße eingebogen und kurz nach dem Anfahren sei es im hinteren Bereich seines PKW zur Kollision gekommen. Der Beklagte zu 1. sei außerordentlich aggressiv durch den Drittwiderbeklagten zu 1. angesprochen worden, so dass der Beklagte zu 1. am Unfallort eine Erklärung zur Schuldübernahme am Zustandekommen des Unfalls abgegeben habe. Die Polizei sei auf Wunsch des Fahrers des Klägerfahrzeugs nicht zum Unfallort gerufen worden. Nachdem der klägerische PKW sich vom Unfallort entfernt habe, habe der Beklagte zu 1. noch einmal die Unfallschäden und die Spurführung der Unfallkreuzung betrachtet und dabei habe er festgestellt, dass er selbst spurgetreu gefahren sei und das Klägerfahrzeug beim Abbiegen in die Spur des Beklagtenfahrzeugs hineingelangt sei, zumal in der linken Fahrspur auch noch eine Gummileiste vom Beklagtenfahrzeug vorzufinden gewesen sei. Die Beklagten erheben Einwendungen zum klägerseits geltend gemachten Schaden.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen des Beklagten zu 1. und des Drittwiderbeklagten zu 1. im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 5. November 2008 verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet, die Widerklage hingegen unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten Anspruch auf Zahlung vollen Schadensersatzes aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfallereignisses, eine Haftung der Widerbeklagten gegenüber dem Beklagten zu 1. entfällt hingegen, §§ 7, 17, 18 StVG; 823, 249 BGB; 3 PflVG alter Form bzw. 115 VVG neuer Form.

Grundsätzlich gilt, dass den nach rechts abbiegenden Verkehrsteilnehmer, der sich - entgegen der Regel des § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO - nicht möglichst weit rechts eingeordnet hat und links neben einem weiteren Rechtsabbieger fährt, gegenüber diesem eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft; er muss den vorschriftsmäßig eingeordneten Rechtsabbieger sorgfältig beobachten, darf ihn nicht behindern, in Bedrängnis bringen oder gefährden und muss ihm notfalls den Vortritt lassen.

Zu beachten ist aber die jeweilige Verkehrsführung. Schreiben Richtungspfeile auf der Fahrbahn unmittelbar vor einer Kreuzung oder Einmündung die künftige Fahrtrichtung vor, dann kann dem am weitesten rechts eingeordneten Rechtsabbieger nicht stets das Vortrittsrecht zugebilligt werden. Ist paralleles Abbiegen in einer mehrspurigen Straße durch Richtungspfeile geboten, dann ist das Fahren in mehreren Reihen nebeneinander erlaubt. An die Stelle des Rechtsfahrgebotes tritt die Pflicht zum Spurhalten (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 -XI ZR 75/06-). In einem solchen Fall sind die über § 1 Abs. 2 StVO für den Spurwechsel geltenden Sorgfaltpflichten zu beachten. Bleibt unklar, welcher der unfallbeteiligten Fahrer die Pflicht zum Spurhalten nicht beachtet hat, so kommt eine hälftige Schadensteilung unter Berücksichtigung der von den Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr in Betracht.

Nach alledem wäre grundsätzlich im vorliegenden Fall eine Schadensteilung nach einer Quote von ½ angezeigt. Unfallzeugen stehen den Parteien jeweils nicht zur Verfügung. Ein Sachverständigengutachten könnte die Kollisionsstellung der Fahrzeuge zueinander feststellen, aber nicht, in welchem der Fahrstreifen sich die Kollision konkret ereignete. Der Unfallhergang bleibt insoweit ungeklärt.

Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1. nach dem Unfall schriftlich bestätigt hat, dass er die Schuld übernimmt. Diese schriftliche Erklärung des Beklagten zu 1. kann nicht als deklaratorisches Schuldanerkenntnis gewürdigt werden. Einer solchen Erklärung fehlt in aller Regel der rechtsgeschäftliche Charakter. Sie stellt sich vielmehr als eine Äußerung dar, mit der der Erklärende unter Verwendung eines - einfachen - Rechtsbegriffs zusammenfassend zum Unfallhergang Stellung nimmt. Einer solchen Erklärung kommt dann zwar nicht als deklaratorisches Schuldanerkenntnis, aber doch als allgemeines Schuldbekenntnis im Schadensersatzprozess eine erhebliche Bedeutung zu. Auch bloße Bekenntnisse der Schuld, die keinen besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen des Erklärenden verkörpern, verbessern die Beweislage des Erklärungsempfängers. Der Erklärungsempfänger ist damit als Folge der Erklärung der Beweisanforderungen, denen er ohne die Erklärung zur Erreichung seines Prozesszieles genügen müsste, zunächst enthoben; die Notwendigkeit, die sein Prozessbegehren tragenden Behauptungen zu beweisen, trifft ihn erst dann, wenn dem Erklärenden der Nachweis der Unrichtigkeit des Anerkannten gelingt (vgl. BGH, NJW 1984, 799 f).

Im vorliegenden Fall führt dies dazu, dass der klägerische Vortrag zum Unfallhergang -das Beklagtenfahrzeug gerät in den Fahrstreifen des Klägerfahrzeugs- zunächst als richtig anzusehen ist. Der Gegenbeweis gelingt der Beklagtenseite nicht, mit der Folge der vollen Haftung der Beklagten.

Auf Grundlage der Erklärungen des Beklagten zu 1. sowie des Drittwiderbeklagten zu 1. im Rahmen der mündlichen Verhandlung kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte zu 1. zur fraglichen Erklärung genötigt wurde. Der Beklagte zu 1. erklärte, er sei im Stress gewesen, um seine Frau abzuholen, nach dem Unfall sei er durcheinander gewesen und habe weggewollt. Deshalb sei er sich mit dem Unfallgegner im Rahmen der abgegebenen Schulderklärung einig geworden. Diese Angaben korrespondieren mit denjenigen des Drittwiderbeklagten zu 1., dass nämlich der Beklagte zu 1. es eilig hatte. Unter diesen Voraussetzungen kann von einem aggressiven oder gar nötigenden Verhalten seitens des Drittwiderbeklagen zu 1. gerade nicht ausgegangen werden. Insoweit muss sich der Beklagte zu 1. an seiner Erklärung festhalten lassen. Wenn er sich den Unfallhergang hinterher anders überlegt hat - er sei so gefahren wie immer - muss er demzufolge die Erstangabe, die im Übrigen in der Regel den tatsächlichen Wahrnehmungen von Unfallbeteiligten am ehesten entspricht, widerlegen.

Hinsichtlich der Höhe der klägerischen Forderung greifen die Einwendungen der Beklagtenseite nicht durch, nachdem der Kläger die Klage anteilig - Kostenpauschale und Rechtsanwaltsgebühren - zurückgenommen hat.

Nunmehr eingereicht ist das korrekte Gutachten ... vom ...x mit der Gutachtennummer: .... Dieses Gutachten weist Instandsetzungskosten in Höhe von netto 1.647,56 Euro aus. Das Gutachten führt selbst Vorschäden am Klägerfahrzeug an. Dass auf diese im Gutachten bereits berücksichtigten Vorschäden sich der hiesige Schadensumfang verringern würde, ist nicht ersichtlich und von den Beklagten auch nicht hinreichend dargetan. Nach Vorlage des korrekten Gutachtens hat die Beklagtenseite auch vorherige Einwendungen zur Schadenshöhe so nicht wiederholt, sondern sich nunmehr auf das korrekte Schadensgutachten bezogen. Eine Rechnung des Sachverständigen über 400,00 Euro netto liegt im Übrigen vor. Eine Abtretungserklärung hinsichtlich der Gutachterkosten ist nicht ersichtlich, so dass davon auszugehen ist, dass der Kläger anspruchsberechtigt ist. Auf die tatsächliche Zahlung der Gutachterkosten kommt es dabei vorliegend nicht an, denn da die Beklagtenseite weitere Zahlung verweigert hat, wandelt sich ein etwaiger Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um. Die allgemeine Kostenpauschale beträgt, wie nunmehr auch beantragt, 20,00 Euro. Insgesamt errechnet sich ein Schadensersatzanspruch des Klägers in Höhe von 2.067,56 Euro. Hierauf sind bereits 1.036,28 Euro gezahlt, so dass ein Restanspruch in noch geltend gemachter Höhe von 1.031,28 Euro verbleibt.

Gegen die geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von nunmehr noch 74,00 Euro haben die Beklagten konkrete Einwendungen nicht erhoben. Der Betrag war daher in geltend gemachter Höhe dem Kläger, der eine entsprechende Einverständniserklärung seiner Rechtsschutzversicherung vorgelegt hat, zuzusprechen.

Der Zinsanspruch ist begründet gemäß §§ 286, 288, 247 BGB. Hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren war der Klageantrag dahin auszulegen, dass gesetzliche Zinsen begehrt werden in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 92 Abs. 2, 100 Abs. 4, 269 Abs. 3, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Soweit der Kläger die Klage anteilig zurückgenommen hat, hätte er grundsätzlich die Kosten des Verfahrens zu tragen. Seine zurückgenommene Forderung war jedoch insgesamt nur unerheblich und hat keine besonderen Kosten veranlasst.