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OVG Hamburg Beschluss vom 19.10.2011 - 2 B 148/11 - Zur Anordnung einer MPU bei mehreren Alkoholauffälligkeiten ohne Zusammenhang mit dem Straßenverkehr

OVG Hamburg v. 19.10.2011: Zur Anordnung einer MPU bei mehreren Alkoholauffälligkeiten ohne Zusammenhang mit dem Straßenverkehr


Das OVG Hamburg (Beschluss vom 19.10.2011 - 2 B 148/11) hat entschieden:

  1.  Die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens über die Fahreignung nach § 13 Nr. 2a 2. Alt. FeV setzt keinen unmittelbarem Zusammenhang zwischen der Alkoholauffälligkeit und dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder der Teilnahme am Straßenverkehr voraus.

  2.  Im Ausnahmefall liegen eine Gutachtensanordnung rechtfertigende Umstände auch dann vor, wenn der Betroffene mehrere schwere Alkoholisierungen aufweist und unter dieser Alkoholisierung ein Ausmaß an unbeherrschter Aggressivität und Rücksichtslosigkeit gegen die Interessen anderer offenbart hat, das auf einen allgemeinen Verlust der Steuerungsfähigkeit unter Alkoholeinfluss hinweist.

  3.  In diesen Fällen ist es angezeigt, durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten klären zu lassen, ob der Fahrerlaubnisinhaber hinreichend sicher zwischen dem Führen von Fahrzeugen und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum trennen kann.


Siehe auch
Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)
und
Alkohol und Trennungsvermögen

Gründe:


I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Der 1986 geborene Antragsteller war seit 2002 im Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse M und seit dem 19.11.2009 im Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse B.

Am 15.03.2008 um 4.40 Uhr wurde der Antragsteller auf dem Betriebshof der Straßenbahn, wo er mit einem Busfahrer in Streit geraten war, von der Polizei in Gewahrsam genommen. Nach dem Polizeibericht war der Antragsteller sehr stark alkoholisiert.

Am 18.10.2009 um 01.00 Uhr wurde der Antragsteller erneut in Gewahrsam genommen, nachdem er wegen einer Körperverletzung angezeigt worden war. Nach Aussagen von Zeugen hat der Antragsteller in einer Straßenbahn auf einen anderen Fahrgast eingeprügelt und eingetreten. Ein um 2.05 Uhr auf der Polizeiwache durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 1,21 mg/l Serum.

Am 20.11.2010 um 04.30 Uhr wurde Strafanzeige gegen den Antragsteller wegen Körperverletzung gestellt. Der Antragsteller soll im Zusammenwirken mit seiner Freundin und deren Bruder vor einer Diskothek auf zwei Männer eingeschlagen haben. Ein um 5.21 Uhr auf der Polizeiwache durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,90 mg/l Serum. Der Antragsteller wurde in Gewahrsam genommen.

In allen drei Fällen verhielt sich der Antragsteller auch nach Eintreffen der Polizei sehr aggressiv.




Mit Bescheid vom 15.12.2010 forderte das Stadtamt Bremen den Antragsteller auf, ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) beizubringen. Der Antragsteller habe am 15.03.2008, 18.10.2009 und 20.11.2010 jeweils unter erheblichem Alkoholeinfluss Anlass zu polizeilichem Einschreiten gegeben und habe jeweils aufgrund der Alkoholisierung zum Schutz seiner Person bzw. zur Verhinderung von Straftaten in Gewahrsam genommen werden müssen. Wegen der Häufigkeit der Auffälligkeiten und der Höhe der Alkoholkonzentrationen sei bei ihm von Alkoholmissbrauch auszugehen. Nachdem der Antragsteller das Gutachten nicht beigebracht hatte, entzog ihm das Stadtamt Bremen mit Bescheid vom 09.02.2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Zur Begründung heißt es, dass die Behörde auf die Ungeeignetheit des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfe, wenn der Betroffene sich ohne ausreichenden Grund weigere, sich untersuchen zu lassen oder ein berechtigt angefordertes Gutachten beizubringen. Es werde unterstellt, dass der Antragsteller ihm bekannte und seine Eignung ausschließende Mängel verbergen wolle. Dagegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.

Den am 20.04.2011 vom Antragsteller beim Verwaltungsgericht gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht Bremen mit Beschluss vom 08.06.2011 ab. In den Gründen führt das Verwaltungsgericht u. a. aus, dass die Gutachtensanordnung in materiellrechtlicher Hinsicht keinen Bedenken begegne. Zweifel an der Fähigkeit, zwischen Alkoholkonsum und dem Führen eines Fahrzeugs zu trennen, könnten auch aus solchen Fallkonstellationen folgen, die keinen unmittelbaren Bezug zum Straßenverkehr aufzeigten; ausreichend sei ein auch nur mittelbarer Straßenverkehrsbezug. Über die erhebliche Alkoholgewöhnung hinaus zeige der Antragsteller weitere Auffälligkeiten, die den Schluss auf einen Alkoholmissbrauch als nicht rechtsfehlerhaft erscheinen ließen. Umstände wie Hilflosigkeit, exzessives/aggressives Verhalten oder eine fehlende Verhaltenskontrolle in Verbindung mit einer Alkoholauffälligkeit deuteten auf ein mangelndes Trennungsvermögen hin. Wer in derartiger Weise unter Alkoholeinfluss die Kontrolle über sein eigenes Verhalten verliere bzw. unter Alkoholeinfluss zu sozial expansivem Verhalten neige, bei dem bestehe die Gefahr, dass er in diesem Zustand auch ein Fahrzeug führe. Derartige Anhaltspunkte lägen beim Antragsteller vor. Zu berücksichtigen sei weiterhin, dass der Antragsteller nach seinem eigenen Vorbringen zwingend auf die Fahrerlaubnis für seine Berufstätigkeit angewiesen sei, woraus ein mittelbarer Bezug zum Straßenverkehr folge.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde.




II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 08.06.2011.

Der Antragsteller rügt mit der Beschwerde, dass hinreichende Anhaltspunkte für ein fehlendes Trennungsvermögen nicht gegeben seien, da sich aus den gemessenen Alkoholwerten nicht schließen lasse, er trinke täglich oder nahezu täglich Alkohol in solchen Mengen trinke, dass er wegen seines beruflichen Angewiesenseins auf die Fahrerlaubnis in einem Dauerkonflikt zwischen Alkoholkonsum und Teilnahme am Straßenverkehr stehe. Es fehle somit zumindest an einem mittelbaren Zusammenhang mit einer Straßenverkehrsteilnahme. Damit dringt der Antragsteller nicht durch.

Gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).




Nach § 13 Satz 1 Nr. 2a 2. Alt. FeV i. V. mit § 46 Abs. 1 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn bedeutet nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV, dass das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Für die Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2a 2. Alt. FeV i. V. mit § 46 Abs. 1 FeV genügt es, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Kraftfahrer zwischen einem schädlichen Alkoholkonsum und einer Teilnahme am Straßenverkehr möglicherweise nicht hinreichend sicher trennen kann.

Weigert der Betroffene sich, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. nur: BVerwG, Urt. vom 05.07.2001 -3 C 13.01 -, NJW 2002, 78 und vom 09.06.2005 -3 C 25.04 -NJW 2005, 3081).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist umstritten, ob eine außerhalb der Teilnahme am Straßenverkehr aufgetretene Alkoholauffälligkeit die Annahme von Alkoholmissbrauch im Sinne der Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV begründen und somit Anlass für eine Gutachtensanordnung nach § 13 Nr. 2a 2. Alt. FeV geben kann. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (Beschl. vom 18.9.2000 -9 W 5/00 -, zfs 2001, 92) und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (Beschl. vom 9.11.2000 -2 TG 3571/00 -juris) findet § 13 Abs. 1 Nr. 2a 2. Alt. FeV keine Anwendung in Fällen von Alkoholmissbrauch, die in keinerlei Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder der Teilnahme am Straßenverkehr stehen. Hingegen erfasst § 13 Abs. 1 Nr. 2a 2. Alt. FeV nach überwiegend vertretener Auffassung nicht nur ein alkoholkonsumbedingtes Fehlverhalten im Straßenverkehr, sondern gestattet auch die Berücksichtigung nicht straßenverkehrsbezogener Alkoholauffälligkeiten. Dies wird damit begründet, dass § 13 Nr. 2a 2. Alt. FeV, wie ein Vergleich zu den den Bereich des Alkoholmissbrauchs in Verbindung mit der Teilnahme am Straßenverkehr erfassenden Regelungen der Nr. 2 b, c und d des § 13 FeV zeige, ein Auffangtatbestand sei. Mit ihm solle sichergestellt werden, dass die Fahrerlaubnisbehörde in Fällen eines greifbaren Gefahrenverdachts nicht „sehenden Auges“ untätig bleiben müsse, bis noch weitere Verdachtsmomente hinzuträten, die einen unmittelbaren Verkehrsbezug aufweisen würden. Nach dieser Auffassung kann eine außerhalb des Straßenverkehrs aufgetretene Alkoholauffälligkeit eine Gutachtensanordnung jedenfalls dann rechtfertigen, wenn deutliche Indizien für eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung des Betroffenen vorliegen und außerdem weitere tatsächliche Umstände zu der begründeten Annahme Anlass geben, der Betreffende werde angesichts der bei ihm erkennbar gewordenen Alkoholgewohnheiten voraussichtlich schon in überschaubarer Zukunft nach dem Genuss von Alkohol ein Kraftfahrzeug führen und so zu einer konkreten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden. Angenommen wird dies insbesondere in Fällen von Berufskraftfahrern, die in besonderer Weise auf das regelmäßige Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr angewiesen sind und bei denen bei einem häufigen und intensiven unkontrollierten Alkoholkonsum davon ausgegangen wird, dass es nur eine Frage der Zeit ist, dass sie in den Konflikt geraten, am Straßenverkehr berufsbedingt teilnehmen zu „müssen“, obwohl sie alkoholbedingt fahruntüchtig sind (OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschl. vom 12.11.2008 -3 M 503/08 -NJW 2009, 1829-1832; OVG Lüneburg, Beschl. vom 06.03.2008 – 12 ME 377/07 -juris und Beschl. vom 29.01.2007 -12 ME 416/06 -DAR 2007, 227-228; Bay.VGH, Beschl. vom 11.06.2007 -11 CS 06.3023 – juris (dort als mittelbarer Zusammenhang bezeichnet), Beschl. vom 22.10.2007 -11 C 07.2311 – juris -und Beschl. vom 04.04.2006 -11 CS 05.2439 -DAR 2006, 413-414; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. vom 05.06.2007 -10 A 10062/07 (dort als besondere verkehrsbezogene Umstände bezeichnet) und vom 11.09.2006 -10 B 10734/06 – beide juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 29.07.2002 -10 S 1164/02 – juris -und Beschl. vom 24.06.2002 -10 S 985/02 -NZV 2002, 580-582; vgl. auch: Hentschel/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 13 FeV Rz. 21 m. w. N.).




Ein Anlass für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wird auch dann angenommen, wenn tatsächliche Umstände die Annahme rechtfertigen, dass bei einem weit überdurchschnittlich alkoholgewöhnten Fahrerlaubnisinhaber schwer wiegende charakterliche Mängel bestehen, wie sie etwa in einem verantwortungslosen Umgang mit dem körperlichen Wohl von Schutzbefohlenen oder in ungezügelter Aggressivität im Umgang mit Dritten zum Ausdruck kommen (VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 24.06.2002 -10 S 985/02 – aa0., dort allerdings auch frühere Trunkenheitsfahrt).

Der Senat hat bereits im Beschluss vom 12.09.2011 (2 B 52/11) ausgeführt, dass allein der Umstand, dass ein Fahrerlaubnisinhaber einmal eine Alkoholkonzentration aufgewiesen hat, die auf ein deutlich normabweichendes Trinkverhalten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit und damit darauf schließen lassen, dass er massiv an Alkohol gewöhnt ist, allein noch nicht den Verdacht begründet, dass er zukünftig ein Fahrzeug führen könnte, obwohl er hierzu wegen alkoholbedingter Beeinträchtigungen nicht mehr uneingeschränkt in der Lage ist. Hinzutreten müssen weitere tatsächliche Umstände, die die Annahme rechtfertigen, dass das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. In dem zugrunde liegenden Fall lag allerdings ein konkreter straßenverkehrlicher Bezug vor.

Mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung geht auch der beschließende Senat davon aus, dass die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens über die Fahreignung nach § 13 Nr. 2a 2. Alt. FeV auch dann in Betracht kommt, wenn die festgestellte Alkoholauffälligkeit nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder der Teilnahme am Straßenverkehr steht. Auszuschließen sind allerdings die Umstände, die nur entfernt auf die Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeuten (BVerfGE 89, 69-91). Die entgegenstehende Rechtsprechung überzeugt nicht. Sie berücksichtigt nicht die Funktion des § 13 Nr. 2a 2. Alt. FeV als Auffangtatbestand, mit dem Gefahren durch die Teilnahme von zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeigneten Fahrern am Straßenverkehr auch außerhalb der Fallkonstellationen des § 13 Nr. 2 b bis e FeV abgewehrt werden sollen, wenn Tatsachen hinreichende Zweifel am Trennungsvermögen begründen.




Neben den Fällen eines Dauerkonflikts zwischen Alkoholkonsum und Teilnahme am Straßenverkehr aufgrund beruflicher Notwendigkeit, ein Fahrzeug zu führen, liegen im Ausnahmefall eine Gutachtensanordnung rechtfertigende Umstände auch dann vor, wenn der Betroffene mehrere schwere Alkoholisierungen aufweist und unter dieser Alkoholisierung ein Ausmaß an unbeherrschter Aggressivität und Rücksichtslosigkeit gegen die Interessen anderer offenbart hat, das auf einen allgemeinen Verlust der Steuerungsfähigkeit unter Alkoholeinfluss hinweist. Ein derartiger allgemeiner Kontrollverlust begründet hinreichende Zweifel, dass der Betroffene zukünftig die nötige Selbstkontrolle aufbringen wird, um von der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss abzusehen. Der Senat hält es in diesen Fällen für angezeigt, durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten klären zu lassen, ob der Fahrerlaubnisinhaber hinreichend sicher zwischen dem Führen von Fahrzeugen und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum trennen kann.

So liegt es hier: Der Antragsteller ist bisher nicht im Straßenverkehr im Zusammenhang mit Alkohol auffällig geworden. Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat aber davon aus, dass bei ihm erhebliche Alkoholprobleme bestehen. Die bei dem Antragsteller anlässlich gegen ihn geführter polizeilicher Ermittlungen gemessenen Alkoholkonzentrationen von 1,21 mg/l am 18.10.2009 und von 0,90 mg/l am 20.11.2010, die in BAK-Werte umgerechnet Werte von 2,4 bzw. 1,8 ‰ ergeben, lassen darauf schließen, dass der Antragsteller in weit überdurchschnittlichem Maße an Alkohol gewöhnt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 15.07.1988 (BVerwGE 80, 43-50; vgl. auch: BVerwG, Urt. vom 27.09.1995 – 11 C 34/94 -BVerwGE 99, 249-254) unter Rückgriff auf verkehrsmedizinische Untersuchungen ausgeführt, dass ein „Geselligkeitstrinker“ alkoholische Getränke allenfalls bis zu einem Blutalkoholgehalt von 1 ‰ oder maximal 1,3 ‰ vertrage und zu sich nehmen könne und dass Personen, die BAK-Werte über etwa 1,6 ‰ erreichen würden, regelmäßig bereits an einer dauerhaften ausgeprägten Alkoholproblematik litten. BAK-Werte von über 1,3 ‰ sprechen daher dafür, dass über den sozialüblichen Rahmen hinaus häufig und viel Alkohol konsumiert und dadurch eine gesteigerte Alkoholverträglichkeit erworben worden ist (Bay.VGH, Beschl. vom 11.06.2007 – 11 CS 06.3023 – juris). Für die Frage der überdurchschnittlichen Alkoholgewöhnung spielt es keine Rolle, an welchem Tag und zu welchem Anlass der Alkohol konsumiert wird (VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 29.07.2002 – 10 S 1164/02 -NZV 2002, 582-583).

Die gemessenen Alkoholwerte lassen allerdings nicht den Schluss zu, dass der Antragsteller auch unter der Woche oder täglich, bspw. auch wenn er in Rufbereitschaft ist, in einem Ausmaß Alkohol konsumiert, dass er zwangsläufig in einen Dauerkonflikt zwischen Alkoholkonsum und berufsbedingter Teilnahme am Straßenverkehr gerät. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die erhebliche Alkoholgewöhnung des Antragstellers auf häufigem und intensivem Trinken am Wochenende beruht. Soweit der Antragsteller vorgetragen hat, er nehme an Notdiensten teil und stehe in ständiger Rufbereitschaft, geht dies auf die Erklärung seines Arbeitgebers im Widerspruchsverfahren zurück. Dieser Erklärung lässt sich nicht hinreichend sicher entnehmen, dass der Antragsteller quasi ständig oder ununterbrochen ohne gesicherte Freizeiten in Rufbereitschaft steht, so dass er jederzeit in den Konflikt geraten könnte, unter Alkoholeinfluss berufsbedingt Auto fahren zu müssen.

Dies kann aber dahinstehen, denn der Antragsteller ist im Rahmen dieses Alkoholkonsums und der Alkoholauffälligkeit am 15.03.2008 in einer Weise auffällig geworden, die auf einen allgemeinen Verlust der Steuerungsfähigkeit unter Alkoholeinfluss hindeutet und damit auch den Schluss auf ein mangelndes Trennungsvermögen zulässt.

Der Antragsteller ist am 15.03.2008 mit einem Busfahrer, der ihn aufgefordert hatte, den Betriebshof zu verlassen und ca. 50m weiter zur nächsten Haltestelle zu gehen, aneinander geraten. Beim Eintreffen der Polizei musste der Antragsteller von mehreren Angestellten der BSAG auf dem Boden fixiert werden. Auch nach Eintreffen der Polizei gebärdete sich der Antragsteller sehr aggressiv und brauste immer wieder auf. Mehrmals drohte er mit den Worten „ich haue dem Busfahrer gleich eins in die Fresse, sobald ihr weg seid“. Ein Angriff gegenüber einem Polizeibeamten scheiterte aufgrund der mangelhaften Koordinationsfähigkeit des nach dem Polizeibericht sehr stark alkoholisierten Antragstellers.


Bei dem Vorfall am 18.10.2009 trat der Antragsteller als Tatverdächtiger einer Körperverletzung in Erscheinung; er hatte in der Straßenbahn auf eine andere Person eingeschlagen und eingetreten. Beim Eintreffen der Polizei wurde er von zwei Personen festgehalten und gebärdete sich überaus aggressiv und sprach weiterhin Drohungen gegen andere Personen aus. Aufgrund seines anhaltend aggressiven Verhaltens wurde er in Gewahrsam genommen. Als seine Mutter erschien, um ihn abzuholen, erklärte der Antragsteller auf den Hinweis, dass diese nunmehr die Verantwortung für seinen Aufenthaltsort übernehmen müsse, dass ihn das nicht interessieren und er die ganze Nacht nach den anderen Beteiligten der Körperverletzung suchen werde. Die Ingewahrsamnahme wurde daraufhin aufrechterhalten.

Am 20.11.2010 trat der Antragsteller erneut als Tatverdächtiger einer Körperverletzung in Erscheinung. Nach Zeugenberichten schlug und trat der Antragsteller zusammen mit seiner Freundin und deren Bruder vor einer Diskothek auf zwei Personen ein. Anlass soll ein „Anfassen“ seiner Freundin gewesen sein. Vor Ort und auf der Polizeiwache verhielt sich der Antragsteller äußerst aggressiv und unkooperativ. Als seine Freundin, die ebenfalls als Beschuldigte auf dem Polizeirevier war, einen Beamten passieren musste, pöbelte der Antragsteller den Polizeibeamten an, nicht hinter seiner Freundin herzuschauen und nahm dabei eine drohende Körperhaltung ein. Er ließ sich nicht beruhigen und wurde erneut aggressiv. Er wies den Polizeibeamten erneut an, nicht hinter seiner Freundin herzuschauen. Während der gesamten Maßnahme zeigte der Antragsteller ein erhebliches Aggressionspotential.

Die Vorfälle zeigen, dass der Antragsteller sich unter Alkoholeinfluss äußerst aggressiv und rücksichtslos gegenüber Dritten, die mehr oder wenig zufällig mit ihm in Kontakt geraten, verhält. Auch bei Einschreiten der Polizei zeigt er sich uneinsichtig und ist nicht bereit oder unfähig, sich gegenüber den Verhaltensanforderungen der ermittelnden Polizeibeamten situationsangemessen zu verhalten. Vielmehr hält seine Aggressivität an oder steigert sich oder wird auf einen neuen Anlass bezogen. Ins Gewicht fällt dabei auch, dass die zu Tage getretene Aggressivität des Antragstellers in keinem Verhältnis zu den eher geringfügigen Anlässen der Konflikte steht, sowie die sich daran anschließende Hartnäckigkeit, mit der der Antragsteller an der weiteren Verfolgung anderer an dem Konflikt beteiligter Personen festhält und sich jeder Deeskalation entzieht. Der Antragsteller hat zudem wiederholt dieses hohe Aggressionspotential und beharrlich uneinsichtige und gegenüber Regeln gleichgültige Verhalten gezeigt.



Vor diesem Hintergrund war die Antragsgegnerin berechtigt, durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten klären zu lassen, ob der Antragsteller hinreichend sicher zwischen dem Führen von Fahrzeugen und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum trennen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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