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OLG Celle Urteil vom 25.04.2012 - 31 Ss 7/12 - Zur Erfolgszurechnung an mittelbaren Verursacher einer fahrlässigen Tötung bei einem "Straßenrennen"
OLG Celle v. 25.04.2012:Zur Erfolgszurechnung an mittelbaren Verursacher einer fahrlässigen Tötung bei einem "Straßenrennen"
Das OLG Celle (Urteil vom 25.04.2012 - 31 Ss 7/12) hat entschieden:
Verhalten sich bei einem Überholvorgang sowohl der überholende als auch der überholte Fahrzeugführer pflichtwidrig und veranstalten spontan eine einem illegalen Rennen zumindest vergleichbare "Kraftprobe", so wird die Zurechnung der Folgen eines hierdurch verursachten Unfalls an den mittelbaren Verursacher nicht durch das sog. Verantwortungsprinzip ausgeschlossen, wenn die geschädigten Beifahrer des unmittelbaren Verursachers keinen beherrschenden Einfluss auf das Geschehen hatten.
Siehe auch Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr und Verbotene Straßenrennen - ungenehmigte Rennveranstaltungen
Tatbestand:
1. Zum Tatgeschehen hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Am 2.4.2010 fuhr der Angeklagte gegen 14.30 Uhr von seiner Wohnung in H. mit seinem BMW Z 4 auf der Bundesstraße 442 nach B. N. Zwischen Ha. und K. fuhr ebenfalls der Zeuge S. mit seinem Pkw Toyota Corolla mit einer Geschwindigkeit von 70 - 80 km/h zunächst vor dem Angeklagten. Als die Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 km/h aufgehoben wurde, scherte der Angeklagte aus, überholte den Zeugen S. und scherte so knapp wieder vor dem Zeugen ein, dass dieser erschrak und ganz unwillkürlich auf die Bremse trat. Der herannahende Gegenverkehr musste aber wegen dieses Überholmanövers nicht abbremsen; auch für den Zeugen S. bestand keine konkrete Gefahr. Der Angeklagte überholte noch zwei bis drei weitere Fahrzeuge, so dass er in der Ortschaft K. nicht unmittelbar vor dem Zeugen S. fuhr.
Innerhalb von K. fuhr der Angeklagte auf das Fahrzeug der Zeugin G. Sch. auf und blieb mit angepasster Geschwindigkeit zunächst hinter ihr. Vor der Zeugin Sch. fuhr ein weißer Golf und an der Spitze der Kolonne fuhr der Nebenkläger A. mit seinem BMW 520i, der mit seiner Ehefrau C. I. A. auf dem Beifahrersitz, seinem einjährigen Sohn H. auf dem rechten Rücksitz, seiner Schwägerin A. K. auf dem mittleren Rücksitz und seiner Tochter M. auf dem linken Rücksitz besetzt war. Alle Insassen waren angeschnallt; die Kinder befanden sich in Kindersitzen. Nach Erreichen des Ortsausgangsschildes beschleunigten der Angeklagte und die vor ihm fahrenden Fahrzeuge. Die Fahrbahn vor dem Nebenkläger war vollkommen frei. Er hatte keine Eile. Die vor dem Nebenkläger liegende Strecke war diesem bestens bekannt. Die Strecke vom Ortsausgangsschild bis zur späteren Unfallstelle beträgt etwa 670 Meter.
Dem Angeklagten war bereits etwa 100 m nach dem Ortsausgangsschild die Beschleunigung/Geschwindigkeit der vor ihm fahrenden Kolonne zu gering, so dass er hinter dem Fahrzeug der Zeugin Sch. ausscherte und weiter beschleunigte, um dieses und die vorausfahrenden Fahrzeuge zu überholen. Er brach aber seinen Überholvorgang bereits nach etwa fünf Sekunden bei einer Geschwindigkeit von ca. 125 km/h wieder ab, da ihm zwei Motorradfahrer entgegenkamen. Um wieder einscheren zu können, bremste er mit einer Verzögerung von ca. 4,0 m/s2 ab.
Der Angeklagte scherte vor der Zeugin G. Sch., die selbst mit 80 km/h fuhr, knapp wieder ein, so dass sich diese erschrak. Nach Abschluss dieses Überholvorgangs befand sich der Angeklagte ca. 253 Meter hinter dem Ortsausgangsschild.
Es dauerte weitere zwei Sekunden, in denen er 44 Meter zurücklegte, bis die Motorradfahrer den Angeklagten auf der Gegenfahrbahn passiert hatten. Danach setzte der Angeklagte erneut zum Überholen an, um den vor ihm mit einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h fahrenden weißen Golf zu überholen. Der Angeklagte beschleunigte daher im dritten Gang mit 1,8 m/s2 durch und passierte den weißen Golf mit einer Geschwindigkeit von etwa 124 km/h.
Als der Angeklagte begann, den weißen Golf zu überholen, beschleunigte ebenfalls der Nebenkläger sein Fahrzeug, das sich zu diesem Zeitpunkt etwa 14 Meter vor dem weißen Golf befand, von etwa 80 km/h und erreichte, als der Angeklagte den Überholvorgang des weißen Golfs beendet hatte, eine Geschwindigkeit von etwa 104 km/h. Der Angeklagte fuhr zu diesem Zeitpunkt immer noch mit einer Geschwindigkeit von 124 km/h.
Der gesamte Überholvorgang des weißen Golfs dauerte knapp 7 Sekunden und der Angeklagte legte während dessen weitere 190 m zurück. Danach scherte der Angeklagte teilweise wieder auf seine Fahrbahn ein, verringerte aber seine Geschwindigkeit nicht, um ebenfalls den vor ihn fahrenden Pkw 520i des Nebenklägers A. zu überholen.
Nachdem der Angeklagte aus seiner Position in der Mitte der Fahrbahn wieder ausscherte, bemerkte der Nebenkläger die Absicht des Angeklagten durch einen Blick in seinen Rückspiegel. Er wollte es sich aber nicht bieten lassen, vom Angeklagten überholt zu werden und beschleunigte seinen Wagen ebenfalls weiter mit einer Beschleunigung von 1,0 m/s2. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Nebenkläger noch etwa 180 Meter vor dem späteren Unfallbaum.
Der Angeklagte erkannte das Fahrmanöver des Nebenklägers, wollte aber unbedingt auch noch diesen Überholvorgang zu Ende bringen. So beschleunigte auch der Angeklagte weiter, um den Nebenkläger noch vor der Kurve zu überholen. Zu diesem Zeitpunkt hätte er noch weitere zwei Sekunden Zeit gehabt, um seinen Überholvorgang abzubrechen und gefahrlos hinter dem Angeklagten einzuscheren.
Ein Abbruch wäre für den Angeklagten auch geboten gewesen, da sich von vorne die Zeugin Le. in ihrem Fahrzeug mit der Zeugin Lü. als deren Beifahrerin näherte und diese zum Baum noch 140 m entfernt waren, obwohl ein Abstand von mindestens 440 m für einen sicheren Überholvorgang erforderlich gewesen wäre. Dies bedeutete, sie befanden sich bereits näher als die erforderliche Sichtweite, die ein gefahrloses Überholen des Angeklagten ermöglicht hätte. Weder der Angeklagte noch der Nebenkläger nahmen aber die Zeugin Le. in ihrem Fahrzeug wahr, da sich beide ganz auf ihren Überholvorgang konzentrierten.
Der Nebenkläger beschleunigte sein Fahrzeug mit 1,0 m/s2 auf 120 km/h, was aber nicht ausreichte, um dem Angeklagten seinen Überholvorgang endgültig zu verwehren, da dieser sein Fahrzeug auf etwa 140 km/h beschleunigte und so mit einem Geschwindigkeitsüberschuss von 20 km/h den Nebenkläger passierte.
Als sich der Angeklagte etwa zwei Fahrzeuglängen noch auf der Gegenfahrbahn fahrend vor dem Nebenkläger befand, lenkte dieser etwa 2 Sekunden vor der Kollision mit dem Baum und 68 - 79 Meter von diesem entfernt zu spät sein Fahrzeug nach links in die Kurve ein, um diese gefahrlos durchfahren zu können. Dazu hätte er sein Lenkrad noch 0,5 bis 1,5 Sekunden früher um ca. 5° nach links einstellen müssen.
Die Zeugin Le. kam mit ihrem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h auf ihrer Fahrbahn den beiden Fahrzeugen entgegen, als der Angeklagte versuchte, den Nebenkläger zu überholen. Sie bekam mit, dass es dem Angeklagten nicht gelang, den Überholvorgang rechtzeitig zu beenden, und versuchte nun, ihr Fahrzeug auf den rechten Seitenstreifen zu lenken. Als der Angeklagte die Zeugin Le. passierte, war er allerdings bereits wieder zu einem guten Stück auf seine Fahrbahn gewechselt, so dass die Fahrzeuge ganz knapp aneinander vorbeipassten, ohne dass es zu einer Kollision zwischen dem Angeklagten und der Zeugin Le. kam. Hiervon bekam der Angeklagte nichts mit.
Zum Ende seines Überholvorgangs erreichte der Angeklagte eine Geschwindigkeit von ca. 140 km/h, als er auf die Kurve zufuhr. Diese Geschwindigkeit verlangte vom Angeklagten sein gesamtes fahrerisches Können ab, da die Kurvengrenzgeschwindigkeit der sich vor ihm auftuenden und sich nach hinten verjüngenden Kurve bei ca. 146 km/h liegt und er de facto mit seinem Fahrzeug höchstens mit 140 km/h die Kurve passieren konnte. Das in dem Fahrzeug installierte ESP half dem Angeklagten zudem, in der Spur zu bleiben. Dieses hatte sich automatisch zugeschaltet. Der Angeklagte fuhr also nunmehr im absoluten Geschwindigkeitsgrenzbereich auf die Kurve zu, was er auch deutlich spürte.
Der gesamte Überholvorgang des Nebenklägers dauerte zwischen 5,7 und 7,3 Sekunden und umfasste eine Länge von 214 bis 278 m. Der Kurvenbereich beginnt ca. 64 Meter vor dem Baum, an dem sich der Unfall ereignet hat. Der Kurvenradius beträgt 274 Meter.
Da der Nebenkläger nicht rechtzeitig nach links gelenkt hatte, fuhr er mit seinem Pkw BMW weiter geradeaus, so dass er mit seinen rechten Rädern auf das Bankett geriet und in eine Dreh-Schleuderbewegung kam. Zu diesem Zeitpunkt bremste der Nebenkläger und versuchte, wieder auf die Straße zurück zu gelangen, was ihm aber unmöglich war, so dass er unweigerlich mit seiner rechten Fahrzeughälfte und einer Geschwindigkeit von 100 - 110 km/h gegen den Baum stieß und diese komplett aufriss. Die Insassen C. I. A., A. K. und H. A. starben sofort. Das Fahrzeug wurde wieder auf die Fahrbahn zurückgeschleudert und kam quer auf der Fahrbahndecke zum Liegen. Als der Nebenkläger mit dem Baum kollidierte, befand sich der Angeklagte etwa 30 Meter hinter dem Baum.
Der Aufprall des Nebenklägers erfolgte, als sich die Zeugin Le. etwa 15 Meter hinter dem Unfallbaum befand. Der BMW schleuderte durch die Drehbewegung seines vom Baum abprallenden Hecks Dreck und Steine auf die Windschutzscheibe des Pkw der Zeugin Le. Dieser gelang es schließlich, etwa 90 Meter hinter dem Unfallbaum ihren Pkw zum Stillstand zu bringen, ohne auch nur einen der rechtsseitigen Begrenzungspfosten umzufahren. Einige der vom Pkw des Nebenklägers hochgeschleuderten Steine beschädigten die Windschutzscheibe ihres Pkw, so dass diese repariert werden musste.
In das nunmehr quer auf der Bundesstraße 442 liegende Wrack des Nebenklägers fuhr der aus Richtung B. N. kommende Motorradfahrer D., ohne dass er eine Chance gehabt hätte, zu bremsen oder auszuweichen. Durch den Aufprall erlitt sein Motorrad einen Totalschaden. Er selbst flog über das Autowrack hinweg und blieb dahinter liegen. Bei diesem Unfall hat sich der Motorradfahrer D. den dritten und fünften Brustwirbel sowie das linke Handgelenk gebrochen und erlitt mehrere Prellungen und Hämatome. Er war für drei Monate krank geschrieben und hatte noch sechs Monate deutlich unter den Folgen seines Sturzes zu leiden. Er musste unter anderem Krankengymnastik durchführen. Sein rechter Ellenbogen bereitet ihm noch heute bei körperlichen Tätigkeiten Probleme. Außerdem bereiten ihm noch heute lange sitzende Tätigkeiten Schwierigkeiten, so dass er darauf angewiesen ist, wechselnde Tätigkeiten auszuführen.
An der Unfallstelle selbst trug der Nebenkläger seinen toten Sohn H. auf den Armen und rief immer wieder nach dem BMW, der ihn überholt hatte. Er rief dabei laut, dieser habe ihn abgedrängt.
Durch den Unfall erlitt der Nebenkläger A. Prellungen, unter anderem an seiner Schulter. Nach einer Kontrolluntersuchung im Krankenhaus in S. konnte er aber sogleich entlassen werden und fuhr zu seiner Tochter M. in die Medizinische Hochschule nach H., wohin sie gebracht worden war. Sie hatte durch den Unfall ein Schädelhirntrauma ersten Grades mit einer Rissquetschwunde am Schädel, ein Thoraxtrauma mit Lungenkontusion sowie eine beidseitige Unterkieferfraktur erlitten und musste mehrere Tage stationär behandelt werden.
Im Nachgang des Unfalls hatte der Nebenkläger noch ca. 5 - 6 Tage körperliche Schmerzen, gegen die er Schmerztabletten einnahm. Den Unfall selbst hat er bis heute nicht verarbeitet und leidet u.a. unter Schlafstörungen. Er ist in psychiatrischer Behandlung. Seine Tochter M. redet noch jeden Tag über den Unfall und fragt nach ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder. Seine große Tochter, die nicht mit im Unfallwagen saß, spricht nicht mehr über den Vorfall, hat diesen aber auch noch nicht verarbeitet.
2. Gegen das Urteil richten sich die Revisionen der Nebenklägerinnen und des Nebenklägers. Sie erheben die Sachrüge und machen geltend, dass der Angeklagte auch wegen fahrlässiger Tötung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen hätte verurteilt werden müssen. Daneben hat die Nebenklägerin H. auch Verfahrensrügen erhoben.
3. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revisionen gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Entscheidungsgründe:
Die Revisionen der Nebenklägerinnen und des Nebenklägers haben Erfolg.
1. Da ausschließlich die Nebenklägerinnen und der Nebenkläger Revision eingelegt haben, erstreckt sich die Prüfung durch den Senat gemäß § 400 Abs. 1 StPO nur auf die richtige Anwendung der Vorschriften über die zur Nebenklage berechtigenden Delikte, hier also § 222 StGB. Dies gilt auch dann, wenn diese - wie hier - in Tateinheit mit nicht zur Nebenklage berechtigenden Delikten (§§ 229, 315 c StGB) stehen. Eine Zulassung der Nebenkläger A. und M. A. ist ausschließlich im Hinblick auf die Tötung ihrer Angehörigen nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO, nicht aber auch nach § 395 Abs. 3 StPO wegen ihrer eigenen Verletzungen erfolgt.
2. Bereits die zulässig erhobenen Sachrügen führen zum Erfolg, so dass auf die Verfahrensrügen nicht einzugehen ist. Die Rechtsmittelführer beanstanden zu Recht, dass der Angeklagte nicht auch wegen fahrlässiger Tötung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen (§ 222 StGB) schuldig gesprochen worden ist.
Der Angeklagte hat nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen fahrlässig den Tod von C. I. A., H. A. und A. K. verursacht.
Fahrlässig handelt ein Täter, der eine objektive Pflichtverletzung begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs brauchen dagegen nicht vorhersehbar zu sein (st. Rspr.; vgl. BGHSt 49, 166, 174 m.w.N.).
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08 - BGHSt 53, 55 (m. Anm. Puppe, GA 2009, 486; Renzikowski, HRRS 2009, 347; Roxin JZ 2009, 399; Duttge NStZ 2009, 690) in einem dem vorliegenden vergleichbaren Fall Grundsätze aufgestellt, nach denen die Strafbarkeit eines Fahrzeugführers wegen fahrlässiger Tötung zu beurteilen ist, der sich im Rahmen eines Überholvorganges pflichtwidrig verhalten, aber nicht unmittelbar den Unfall mit tödlichem Ausgang für die Beifahrer eines anderen, sich bei demselben Überholvorgang ebenfalls pflichtwidrig verhaltenden Fahrzeugführers verursacht hat. Dass es sich in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um ein zwischen den Fahrzeugführern vorher vereinbartes Rennen gehandelt hat, steht der Übertragung der Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn die Zurechnung beruhte dort nicht allein auf der Absprache des illegalen Rennens, sondern auch auf den während der Fahrt konkret begangenen Pflichtverletzungen beider Fahrer. Abgesehen davon handelte es sich im vorliegenden Fall ab dem Zeitpunkt, als der Nebenkläger beschleunigte, um den Angeklagten am Überholen zu hindern, und der Angeklagte dieses erkennend sein Fahrzeug umso mehr beschleunigte, um den Nebenkläger unbedingt zu überholen, faktisch um ein spontanes Rennen bzw. eine diesem gleichzustellende „Kraftprobe“.
Hiernach gilt Folgendes:
a) Seine Pflichten als Fahrzeugführer hat der Angeklagte verletzt, indem er den Überholvorgang vorschriftswidrig durchgeführt hat. Er hat nämlich zum einen überholt, obwohl er nicht übersehen konnte, ob während des ganzen Überholvorganges jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 StVO). Zum anderen war das Überholen für ihn auch deshalb unzulässig, weil aufgrund des Beschleunigens des Nebenklägers und der Annäherung an die sich nach hinten verjüngende Kurve für den Angeklagten eine unklare Verkehrslage bestand (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Des Weiteren hat er seine Pflichten als Fahrzeugführer verletzt, indem er entgegen § 1 Abs. 2 StVO nicht alles unternommen hat, um die mit dem Überholvorgang verbundene Gefährdung zu vermeiden, und schließlich die im Bereich des Unfallorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erheblich überschritten hat.
b) An der Vermeidbarkeit des Todes von C. I. A., H. A. und A. K. bei pflichtgemäßem Verhalten des Angeklagten besteht nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kein Zweifel. Als der Angeklagte erkannte, dass der Nebenkläger sein Fahrzeug auch beschleunigte, wäre ihm ein Abbrechen des Überholvorgangs noch möglich gewesen.
c) Die Vorhersehbarkeit des Todes von C. I. A., H. A. und A. K. für den Angeklagten wird durch die vom Landgericht getroffenen Feststellungen ebenfalls ausreichend belegt. Im Hinblick auf die während des Überholens von dem Angeklagten und dem Nebenkläger gefahrenen Geschwindigkeiten und die nahende, sich nach hinten verjüngende Kurve war ein schwerer Verkehrsunfall und der Tod von Insassen des überholten Fahrzeugs nicht nur objektiv, sondern für ihn subjektiv vorhersehbar. Denn dies erfordert nicht, dass der Angeklagte die Folgen seines Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; vielmehr genügt, dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGHSt 53, 55, 60; 39, 322, 324; jew. m.w.N.).
d) Auch an der Kausalität zwischen dem pflichtwidrigen Handeln des Angeklagten und dem Tod von C. I. A., H. A. und A. K. fehlt es nicht.
Für die Prüfung der Kausalität ist bei fahrlässigen Erfolgsdelikten der Eintritt der konkreten Gefährdungslage maßgeblich, die unmittelbar zum schädigenden Erfolg geführt hat (BGHSt 53, 55; 60 ff.; Fischer StGB 59. Aufl. Vor § 13 Rn. 33 m.w.N.). Bezogen hierauf waren kausal für den Tod von C. I. A., H. A. und A. K. jedenfalls die Fortsetzung des Überholvorgangs, obwohl der Angeklagte erkannt hatte, dass auch der Nebenkläger in diesem Moment sein Fahrzeug beschleunigte, und sich dadurch sein eigener Überholweg verlängern würde.
e) Die Zurechnung des Todes ist ebenfalls zu bejahen. Diese könnte allenfalls dann zweifelhaft sein, wenn eine Selbstgefährdung oder eine dieser ausnahmsweise gleichzustellende Fremdgefährdung vorliegen würde (vgl. BGHSt 53, 55, 60 ff.; 39, 322, 324 f.; jew. m.w.N.). Das ist indes nicht der Fall.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich bei Fahrlässigkeitsdelikten die Abgrenzung zwischen der Selbst- und der Fremdgefährdung nach der Herrschaft über den Geschehensablauf, die weitgehend nach den für Vorsatzdelikte zur Tatherrschaft entwickelten objektiven Kriterien festgestellt werden kann (vgl. BGHSt 53, 55, 60 ff.). Bei der Prüfung, wer die Gefährdungsherrschaft innehat, kommt dem unmittelbar zum Erfolgseintritt führenden Geschehen besondere Bedeutung zu.
bb) Ausgehend hiervon ist vorliegend ein Fall der Fremd- und nicht der Selbstgefährdung gegeben. Die Herrschaft über das Geschehen unmittelbar vor sowie ab dem Beginn des Überholvorgangs lag allein bei den Fahrzeugführern. Sie haben die Entscheidung getroffen und umgesetzt, jeweils den Überholvorgang vorschriftswidrig durchzuführen. Allein sie haben die Geschwindigkeit der Fahrzeuge und die Lenkbewegungen bestimmt. Die Beifahrer des Nebenklägers hatten in diesem Zeitraum dagegen nicht die Möglichkeit, ihre Gefährdung durch eigene Handlungen abzuwenden.
cc) Soweit das Landgericht die Zurechnung hier deshalb abgelehnt hat, weil es in der Tat des Angeklagten die straflose Mitwirkung an einer der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung gleichzustellenden Fremdgefährdung gesehen hat, kann ihm nicht gefolgt werden. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es der Zurechnung nicht entgegensteht, wenn beide an dem Überholvorgang beteiligten Fahrzeugführer ein in etwa gleiches Maß an Tatherrschaft besessen haben, weil dies nicht im Verhältnis der Fahrzeugführer zu den Beifahrern gilt (BGH aaO). Dass der Nebenkläger hier seinerseits gegen § 5 Abs. 6 Satz 1 StVO verstoßen und dadurch eine mindestens gleichwertige Ursache für den Unfall gesetzt hat, wirkt sich hinsichtlich des Angeklagten nicht auf die Zurechnung des Erfolges aus, sondern ist lediglich im Rahmen der Strafzumessung von Bedeutung.
Demgegenüber hat sich das Landgericht der Ansicht angeschlossen, dass der Zurechnung eines nur mittelbar verursachten Taterfolgs das „Verantwortungsprinzip“ entgegenstehe; danach habe „jeder sein Verhalten grundsätzlich nur darauf auszurichten, dass er selbst Rechtsgüter nicht gefährdet, nicht aber darauf, dass andere dies nicht tun - denn dies fällt in deren eigene ‚Zuständigkeit‘ “; dies gelte auch, wenn nicht nur der eigentlich verantwortliche Letztverursacher, sondern zusätzlich Dritte zu Schaden kommen (so OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. April 2011 - 2 Ss 14/11 - DAR 2011, 4152 mit krit. Anm. Puppe, JR 2012, 164). Damit hat sich das Landgericht aber einer Ansicht angeschlossen, die einen restriktiven Täterbegriff vertritt (vgl. Renzikowski aaO, 351) und „die am weitesten gehende Entlastung zugunsten des Hintermannes eines Fahrlässigkeitsdelikts, die in der Literatur vorgeschlagen wird“ (Puppe aaO, 165). Diese Ansicht ist „weit davon entfernt, in Wissenschaft und Praxis allgemein anerkannt zu sein“ (Puppe aaO) und weicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 53, 55, 60 ff.) ab. Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Denn die Argumente, die gegen eine Zurechnung des Erfolges sprechen, wenn der Angeklagte als „Hintermann“ ausschließlich zu einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des „Vordermannes“ beigetragen hat, also in erster Linie der Schluss a maiore ad minus aus der Straflosigkeit der Teilnahme am Selbstmord (BGHSt 32, 262, 264), aber auch der Respekt vor der Autonomie dessen, der über die Gefährdung seiner Rechtsgüter selbst entscheiden darf (vgl. Radtke in FS Puppe (2011) 6, 10), greifen nicht, wenn der Angeklagte - wie hier - zugleich auch zu einer Gefährdung Dritter beigetragen hat, die ihrerseits auf das Tatgeschehen keinerlei beherrschenden Einfluss hatten (vgl. BGHSt 53, 55, 60 ff.; Puppe aaO).
Einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG bedarf es nicht. Denn der vorliegende Einzelfall liegt anders als der, welchen das Oberlandesgericht Stuttgart durch seinen Beschluss vom 19. April 2011 - 2 Ss 14/11 - entschieden hat. Dort war der Tod eines Passanten deshalb nicht dem Angeklagten zugerechnet worden, weil der unmittelbar den Unfall verursachende Fahrzeugführer, der sich durch den Angeklagten bei einem vorangegangenen Überholvorgang provoziert gefühlt hatte, erst „über einen Kilometer nach Abschluss des Überholvorgangs und damit 36 Sekunden später aus einem autonomen Entschluss heraus“ mit nicht angepasster Geschwindigkeit in eine scharfe Kurve gefahren war, dadurch die Beherrschung über sein Fahrzeug verloren und einen tödlichen Unfall verursacht hatte, während der andere Fahrzeugführer sich hinter ihm befand und zu diesem Zeitpunkt schon wieder zu verkehrsgerechter Fahrweise zurückgekehrt war. Hier war indes der Überholvorgang des Angeklagten noch nicht beendet, als der Nebenkläger den zum Unfall mit tödlichem Ausgang führenden Fahrfehler machte; das Fahrzeug des Angeklagten befand sich vielmehr zu diesem Zeitpunkt noch auf der Gegenfahrbahn und hatte lediglich einen Abstand von zwei Fahrzeuglängen zum Fahrzeug des Nebenklägers. Das Fahrverhalten des Angeklagten war auch nicht ohne Auswirkungen auf den Nebenkläger. So hat das Landgericht in den Urteilsgründen ausgeführt: „Während seiner Beschleunigung wusste der Nebenkläger den Angeklagten neben sich und fuhr auf die ihm bekannte, sich nach hinten verjüngende Kurve zu. Unter diesen Bedingungen brauchte der Nebenkläger seine volle Konzentration, um sein Fahrzeug weiter zu beherrschen und zu überblicken, welche Fahrmanöver der Angeklagte neben ihm vollziehen würde.“ (S. 36 UA).
3. Der Teilfreispruch hätte selbst dann nicht ergehen dürfen, wenn dem Landgericht darin zu folgen wäre, dass der Angeklagte nur der Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig ist. Denn alle Tatvorwürfe, über die das Landgericht - nach dem bereits in erster Instanz rechtskräftig gewordenen Teilfreispruch vom Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort - noch zu entscheiden hatte, stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB). Dies ist zu Recht sowohl in der Anklage als auch im Eröffnungsbeschluss und im Urteil des Amtsgerichts angenommen worden, weil die Tatvorwürfe auf einer einheitlichen Tathandlung beruhen, nämlich dem Überholvorgang des Angeklagten vom Ausscheren hinter dem Fahrzeug des Nebenklägers bis zum Wiedereinscheren vor ihm. Wegen einer einheitlichen Tat im materiellen Sinn kann das Urteil aber nur einheitlich auf Schuldspruch oder Freispruch lauten (vgl. Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl. § 260 Rn. 12 m.w.N.). Ein Teilfreispruch kommt daher nur bei Tatmehrheit - wie hier bei dem Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort - in Betracht (Meyer-Goßner aaO Rn. 13).
4. Der Senat kann den Schuldspruch selbst abändern. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da der Vorwurf der fahrlässigen Tötung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen dem Angeklagten bereits in der Anklageschrift zur Last gelegt und er deswegen auch bereits vom Amtsgericht verurteilt worden war (vgl. BGHSt 53, 55).
Ebenfalls ist unerheblich, dass das Landgericht insoweit rechtsfehlerhaft einen Teilfreispruch ausgesprochen hat. Denn das Landgericht hat auf der Basis einer umfassenden Beweiswürdigung vollständige und tragfähige Feststellungen zu dem gesamten Tatgeschehen getroffen, auf die es sowohl den Schuldspruch als auch den - auf einem reinen Subsumtionsfehler beruhenden und wegen Tateinheit ohnehin nicht Betracht kommenden - Teilfreispruch gestützt hat. In einer derartigen Fallkonstellation wäre ausnahmsweise sogar eine Verurteilung durch das Revisionsgericht möglich gewesen, wenn der Angeklagte vom Berufungsgericht insgesamt freigesprochen worden wäre (vgl. BGH VRS 54, 436; OLG Düsseldorf NZV 1993, 158; LR-Hanack, StPO 25. Aufl. § 354 Rn. 44; KK-Kuckein, StPO 6. Aufl. § 354 Rn. 13; Meyer-Goßner aaO § 354 Rn. 23; jew. m.w.N.). Die gegen eine Verurteilung durch das Revisionsgericht bei Freispruch durch die Tatsacheninstanz bestehenden Bedenken, dass ein freisprechendes Urteil nicht die Gewähr für eine umfassende Beweiswürdigung und vollständige Feststellungen biete und es dem Angeklagten mangels Beschwer nicht möglich sei, gegen etwaige Verfahrensmängel der Tatsacheninstanz vorzugehen (vgl. LR-Hanack aaO; KK-Kuckein aaO; KMR-Paulus, StPO 7. Aufl. § 354 Rn. 19; Laubenthal JR 1994, 202), bestehen im vorliegenden Fall nicht. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen sind gerade aufgrund der Berufung des Angeklagten gegen die amtsgerichtliche Verurteilung getroffen worden. Der Angeklagte hat den hiernach ergangenen Schuldspruch wegen Gefährdung des Straßenverkehrs und die getroffenen Feststellungen zu dem einheitlichen Tatgeschehen nicht mit der Revision angegriffen, obwohl er daran nicht mangels Beschwer gehindert war. Es ist daher auszuschließen, dass ihn nur der rechtsfehlerhafte Teilfreispruch davon abgehalten haben könnte, die Feststellungen anzugreifen, zumal er diese und die Beweiswürdigung des Landgerichts im Rahmen seiner Gegenerklärung nach § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO ausdrücklich verteidigt hat.
Die Änderung des Schuldspruchs führt indes zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und der diesem zugrunde liegenden Feststellungen (BGHSt 53, 55; Meyer-Goßner aaO Rn. 21). Das Landgericht wird über die Rechtsfolgen neu zu entscheiden haben.
5. Schließlich war die Urteilsformel wegen einer offensichtlichen Lücke zu ergänzen, weil das Landgericht hinsichtlich der Verurteilung wegen Gefährdung des Straßenverkehrs die Angabe der Schuldform unterlassen hat, obwohl diese hier notwendig war, weil das Delikt sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann (vgl. LR-Hanack aaO Rn. 48). Die Ergänzung der Schuldform durch das Revisionsgericht ist möglich, wenn die Urteilsgründe hierfür sichere Anhaltspunkte ergeben (BGHSt 19, 219; BGH NJW 1969, 1582; LR-Hanack aaO). Das ist hier der Fall; das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe die Tat rechtlich als „Gefährdung des Straßenverkehrs im Sinne von § 315 c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 3 Nr. 1 StGB“ gewertet (S. 37 UA), also einen Fall, in dem der Angeklagte vorsätzlich gehandelt und die Gefahr fahrlässig verursacht hat. Damit bleibt die Tat gemäß § 11 Abs. 2 StGB eine Vorsatztat, die in der Urteilsformel als solche zu bezeichnen ist (BGH NStZ-RR 1998, 150).
Der Ergänzung der Urteilsformel steht hier nicht entgegen, dass dieser Tatvorwurf gemäß § 400 Abs. 1 StPO nicht dem Revisionsangriff der Nebenkläger unterliegt. Eine Ergänzung der offensichtlich lückenhaften Urteilsformel durch das Revisionsgericht um die fehlende Schuldform kann sogar noch erfolgen, wenn der Schuldspruch bereits rechtskräftig geworden ist (LR-Hanack aaO; KK-Kuckein aaO Rn. 21).