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OLG Hamm Beschluss vom 28.03.2012 - III-3 RBs 19/12 - Regelfahrverbot bei einem freiberuflich tätigen Architekten
OLG Hamm v. 28.03.2012: Zu den Anforderungen an die Darlegungen in den Urteilsgründen beim Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots (hier bei einem freiberuflich tätigen Architekten).
Das OLG Hamm (Beschluss vom 28.03.2012 - III-3 RBs 19/12) hat entschieden:
Zu den Anforderungen an die Darlegungen in den Urteilsgründen beim Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots (hier bei einem freiberuflich tätigen Architekten).
Siehe auch Absehen vom Fahrverbot und Fahrverbots-Themen
Gründe:
I.
Der Oberbürgermeister der Stadt Bielefeld verhängte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 16. Februar 2011 wegen (fahrlässiger) Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 240 € und ordnete ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat an. Nach den Feststellungen im Bußgeldbescheid befuhr der am Tattag 65 Jahre alte Betroffene mit einem Pkw am 9. Januar 2011 um 20.22 Uhr in Bielefeld außerhalb einer geschlossenen Ortschaft die Bundesautobahn 2 in Fahrtrichtung Hannover in Höhe des Streckenkilometers 329,415 mit einer Geschwindigkeit von 146 km/h, obwohl an der Messstelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Vorschriftzeichen auf 100 km/h festgesetzt war.
Seinen zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruch hat der Betroffene durch Erklärung gegenüber dem Amtsgericht formell und materiell wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Mit dem angefochtenen, im Verfahren nach § 72 OWiG ergangenen Beschluss setzte das Amtsgericht eine Geldbuße von 480 € fest, ein Fahrverbot ordnete es nicht an.
Mit ihrer mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründeten Rechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts, das zutreffend von der formellen und materiellen Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung ausgegangen ist, hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BKatV i. V. m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 zum Bußgeldkatalog kommt die Anordnung eines Fahrverbotes von einem Monat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG in der Regel in Betracht, wenn der Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 bis 50 km/h überschreitet. Die vorgenannten Regelungen der Bußgeldkatalog-Verordnung begründen auf der tatbestandlichen Ebene eine Vermutung dafür, dass der Verstoß eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG darstellt (Deutscher in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. [2009], Rdnr. 1139), und indizieren auf der Rechtsfolgenseite des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG die Anordnung eines Fahrverbotes als erforderliche und angemessene Sanktion für den Verstoß (Deutscher, a.a.O., Rdnr. 1140).
2. Die Ausführungen des Amtsgerichts vermögen ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes nicht zu rechtfertigen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Betroffene verheiratet und bezieht bereits eine Rente. Zur Begründung der Entscheidung, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, hat das Amtsgericht ausgeführt, ein solches Verbot treffe den Betroffenen in unzumutbarer Weise. Der Betroffene sei noch in erheblichem Umfang freiberuflich als Architekt tätig. In naher Zukunft sei er an der Realisierung von fünf großen Bauprojekten beteiligt. Die sachgerechte Betreuung dieser Bauprojekte erfordere die Benutzung eines Pkw; eine Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei nicht möglich. Die zu überwindenden Entfernungen seien nicht zuletzt deswegen zum Teil erheblich, weil der Betroffene nicht in einem Ballungsraum, sondern in S1 in einem ländlichen Umfeld wohne. Die Ehefrau des Betroffenen könne dieser nicht als Fahrerin einsetzen, da sie schwerbehindert sei. Der Betroffene müsse im Gegenteil sogar Fahrten für seine Ehefrau durchführen. Um gegebenenfalls auch kurzfristig zu einer Baustelle gelangen zu können, müsse der Betroffene letztlich einen Fahrer auf Vollzeitbasis einstellen. Es entziehe sich der Kenntnis des Amtsgerichts, ob in S1 eine geeignete Person zur Verfügung stehe, die der Betroffene für die Dauer eines Fahrverbotes als Fahrer einstellen und beschäftigen könne. Die Kosten für ein solches Beschäftigungsverhältnis stünden jedenfalls in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu der Bedeutung des Tatvorwurfs.
3. Die Vermutungswirkung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV für das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ist durch die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss nicht widerlegt. Auch auf der Rechtsfolgenseite des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG rechtfertigen die Ausführungen des Amtsgerichts ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes nicht.
a) Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH, NZV 1992, 286). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch in Rechtsnormen niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalog-Verordnung zu zählen ist (Senat, Beschlüsse vom 28. Dezember 2011 - III-3 RBs 337/11 - [BeckRS 2012, 03569], vom 21. Dezember 2011 - III-3 RBs 326/11 - [BeckRS 2012, 02847] und vom 12. Oktober 2007 - 3 Ss OWi 560/07 - [BeckRS 2007, 65091] m.w.N.).
b) Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes rechtfertigen nicht das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern nur schwerwiegende Härten wie z. B. der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (Senat, a.a.O.). Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot ist dabei eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen; eine unkritische Übernahme der Einlassung des Betroffenen ist insoweit nicht ausreichend (Senat, a.a.O.). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf dabei der positiven Feststellung und Darlegung der entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen. Grundsätzlich hat jeder Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge des Fahrverbots durch Maßnahmen wie z. B. die teilweise Inanspruchnahme von Urlaub, die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxen, die Heranziehung eines Angestellten als Fahrer, die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers oder durch eine Kombination dieser Maßnahmen auszugleichen. Für hierdurch auftretende finanzielle Belastungen muss notfalls ein Kredit aufgenommen werden (Senat, a.a.O.). Belastungen durch einen solchen Kredit, der in kleineren und für den Betroffenen tragbaren Raten abgetragen werden kann und der sich - jedenfalls bei einem einmonatigen Fahrverbot im Hinblick auf dessen verhältnismäßig kurze Dauer - in überschaubaren Grenzen bewegt, sind grundsätzlich hinzunehmen (Senat, a.a.O.).
Dass dem Betroffenen insbesondere bei einer Kombination möglicher Ausgleichsmaßnahmen ein Ausgleich etwaiger beruflicher Härten nicht möglich oder zumutbar wäre, geht aus dem angefochtenen Beschluss nicht hervor. Als Ausgleichsmaßnahmen kommen namentlich die Abstimmung seiner beruflichen Termine mit dem Beginn des Fahrverbotes - dem Betroffenen dürfte hier eine Abgabefrist von vier Monaten nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG zu gewähren sein - und die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxen oder gegebenenfalls die vorübergehende Beschäftigung eines Fahrers in Betracht.
Das Amtsgericht hat nicht einmal nachvollziehbar dargelegt, dass es dem Betroffenen nicht oder nur unter unzumutbarem zeitlichen und organisatorischen Aufwand möglich ist, seine beruflichen Termine unter Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel - gegebenenfalls in Verbindung mit einem Taxi - wahrzunehmen. Es hat nicht konkret festgestellt, wo sich die von dem Betroffenen zu betreuenden Baustellen befinden, aus welchem Anlass, wann und wie häufig er diese Baustellen aufsuchen muss und welche Unterlagen oder sonstigen Gegenstände er hierbei mitführen muss. Feststellungen zu den Fahrplänen der dem Betroffenen zur Verfügung stehenden öffentlichen Verkehrsmittel fehlen ebenfalls.
Aus dem angefochtenen Beschluss ergibt sich auch nicht, dass keine geeignete Person zu finden ist, die der Betroffene für die Dauer eines Fahrverbotes als (Aushilfs-)Fahrer einstellen könnte. Das Amtsgericht hat sich insofern auf die Äußerung einer Vermutung beschränkt. Dass die vorübergehende Beschäftigung eines Fahrers dem Betroffenen in finanzieller Hinsicht nicht möglich sein soll, ist nicht ersichtlich. Der Betroffene verfügt als Rentenempfänger über ein geregeltes Einkommen. Zudem hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend darauf hingewiesen, dass der Betroffene neben dem Rentenbezug nicht ganz unerhebliche Einkünfte aus seiner freiberuflichen Tätigkeit als Architekt erzielen dürfte. Nötigenfalls muss er sich die erforderlichen Mittel durch eine Kreditaufnahme beschaffen.
c) Schließlich enthält der angefochtene Beschluss auch keine konkreten Darlegungen zum Gesundheitszustand der Ehefrau des Betroffenen und zu der Frage, ob, aus welchem Anlass und in welchem Umfang der Betroffene Fahrten für seine Ehefrau durchführt. Auch auf diesen Gesichtspunkt kann das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes mithin nicht gestützt werden.
4. Wegen der aufgezeigten Mängel hebt der Senat den angefochtenen Beschluss nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO mit den dazugehörigen Feststellungen auf und verweist die Sache nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurück.