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BGH Beschluss vom 18.07.2012 - 4 StR 603/11 - Zur Verwerfung des Einspruchs beim Nichterscheinen des Betroffenen nach Zurückverweisung
BGH v. 18.07.2012: Zur Verwerfung des Einspruchs beim Nichterscheinen des Betroffenen nach Zurückverweisung durch das Rechtsbeschwerdegericht
Der BGH (Beschluss vom 18.07.2012 - 4 StR 603/11) hat entschieden:
Das Amtsgericht hat den Einspruch des nicht vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen und unentschuldigt ausgebliebenen Betroffenen auch dann nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen, wenn das vorausgegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen worden war.
Gründe:
I.
1. Das Amtsgericht Hannover hat den Betroffenen durch Urteil vom 9. Dezember 2010 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160 € verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Dieselben Rechtsfolgen enthielt bereits der Bußgeldbescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 19. Mai 2010. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das Oberlandesgericht Celle durch Beschluss vom 29. März 2011 das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Hannover zurückverwiesen. Die weiter gehende Rechtsbeschwerde hat das Oberlandesgericht als unbegründet verworfen. Das Amtsgericht Hannover hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 19. Mai 2010 durch Urteil vom 25. August 2011 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene, der nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war, trotz ordnungsgemäßer Ladung in der Hauptverhandlung unentschuldigt ausgeblieben ist. Gegen dieses Urteil hat der Betroffene erneut Rechtsbeschwerde eingelegt. Er rügt mit einer unzulässigen (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 344 Abs. 2 StPO) Verfahrensrüge, dass sein Verteidiger fälschlich eine Abladung zum Hauptverhandlungstermin am 25. August 2011 erhalten habe und auch er deshalb nicht zum Termin erschienen sei. Mit der Sachrüge beanstandet er die Verletzung des rechtlichen Gehörs.
2. Das Oberlandesgericht Celle möchte die Rechtsbeschwerde als unbegründet verwerfen. Es ist der Ansicht, dass der Einspruch des Betroffenen, der trotz Anordnung seines persönlichen Erscheinens in der Hauptverhandlung ausbleibt, auch nach vorangegangener Teilaufhebung im Rechtsfolgenausspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden kann.
An der beabsichtigten Verwerfung der Rechtsbeschwerde sieht sich das Oberlandesgericht durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. November 2006 – 4 Ss OWi 742/06 – (VRS 112 [2007], 49) gehindert. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm kommt eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht in Betracht, wenn durch das Rechtsbeschwerdegericht nur der Rechtsfolgenausspruch eines Urteils mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben worden ist. Der Konflikt zwischen der zwingenden Anordnung des § 74 Abs. 2 OWiG und der eingetretenen Teilrechtskraft der vorangegangenen gerichtlichen Entscheidung sei dahin zu lösen, dass der Teilrechtskraft der Vorrang einzuräumen sei. Es sei auch nicht sachgerecht, eine Einspruchsverwerfung in solchen Fällen zuzulassen, in denen die rechtskräftigen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils nicht von dem Vorwurf des Bußgeldbescheides abwichen, weil die Frage der Zulässigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG nur einheitlich und nicht fallbezogen beantwortet werden könne. Die möglichen praktischen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben könnten, dass ein Betroffener die Durchführung der Hauptverhandlung durch Abwesenheit unmöglich mache, könnten dadurch gelöst werden, dass im Falle des unerlaubten Fernbleibens in der Hauptverhandlung ein Verzicht auf die oder eine Verwirkung der Anwesenheitsrüge zu sehen sein könnte.
Nach dieser Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm wäre im vorliegenden Fall das angefochtene Urteil auf die im Rahmen der Sachrüge von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Frage, ob das Amtsgericht den Umfang seiner Prüfungs- und Feststellungspflicht verkannt hat, aufzuheben. Das vorlegende Oberlandesgericht Celle teilt diese Auffassung nicht. Auszugehen sei davon, dass § 74 Abs. 2 OWiG zwingend und ohne Ausnahme die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid bei unentschuldigter Abwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung vorschreibe. Mit der Neufassung habe der Gesetzgeber – gerade auch bei Abwesenheit des Betroffenen – eine Vereinfachung des Verfahrens und damit eine Entlastung der Gerichte erreichen wollen, die nach der Zielrichtung des Gesetzentwurfs dringend geboten erschien. Eine einschränkende Auslegung des § 74 Abs. 2 OWiG würde dieser Zielrichtung zuwiderlaufen. Die bei vergleichbaren Verfahrenskonstellationen geltenden strafprozessualen Regelungen geböten keine abweichende Beurteilung. Die Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG enthalte keine der Bestimmung in § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO vergleichbare Regelung, wonach eine Verwerfung der Berufung nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht unzulässig ist. Daraus könne der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG unterschiedliche Regelungen treffen wollte.
Ferner könne nicht außer Acht gelassen werden, dass dem Amtsgericht keine Zwangsmittel zur Verfügung stünden, um das Erscheinen des Betroffenen vor Gericht zu erzwingen. Der Gesetzgeber habe bei der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG die noch in § 74 Abs. 2 a.F. neben der Verwerfung des Einspruchs vorgesehenen Möglichkeiten, die Vorführung des Betroffenen anzuordnen oder ohne den Betroffenen die Hauptverhandlung durchzuführen, angesichts der zwingenden Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG ausdrücklich für entbehrlich gehalten. § 230 Abs. 2 StPO, der die Vorführung eines Angeklagten im Strafverfahren regele, sei nicht anwendbar. Verhaftung und vorläufige Festnahme seien nach § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG unzulässig. Das Verfahren in Abwesenheit des Betroffenen setze voraus, dass dieser auf seinen Antrag gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden sei. Ein nicht mitwirkungsbereiter Betroffener hätte demnach die Möglichkeit, das Verfahren auf unabsehbare Zeit zu verhindern, ohne dass eine Verjährung der Ordnungswidrigkeit eintreten würde (§ 32 Abs. 2 OWiG). Dies wäre nicht hinnehmbar. Deshalb werde die Verwerfung des Einspruchs bei unentschuldigtem Ausbleiben des Betroffenen nach Aufhebung eines Sachurteils durch das Rechtsbeschwerdegericht in vollem Umfang nach allgemeiner Ansicht als zulässig angesehen. Die vorstehenden Argumente hätten aber gleichermaßen Geltung für Fälle der Aufhebung nur im Rechtsfolgenausspruch. Die vom Oberlandesgericht Hamm aufgezeigte Lösung würde das Verfahren mit neuen, vom Gesetzgeber mit der Neuregelung gerade nicht intendierten zusätzlichen Rechtsproblemen belasten.
Dafür spreche auch, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 67 Abs. 2 OWiG die Möglichkeit der Beschränkung des Einspruchs auf bestimmte Beschwerdepunkte geschaffen habe und es damit als rechtlich zulässig ansehe, dass ein Gericht die Rechtsfolgen der Tat auf der Basis eines Schuldspruchs durch Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde festsetze. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die zwingende Regelung ohne Einschränkungen eingeführt habe, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass unter der Geltung des § 74 Abs. 2 OWiG a.F. eine Verwerfung des Einspruchs bei vorangegangener Teilaufhebung im Rechtsfolgenausspruch von den Oberlandesgerichten als unzulässig angesehen wurde, rechtfertige den Schluss, dass der Gesetzgeber das mögliche Spannungsverhältnis zwischen einem Schuldspruch durch Urteil und einer Rechtsfolgenentscheidung durch bereits vorher ergangenen Bußgeldbescheid im Interesse der Entlastung der Gerichte bewusst in Kauf genommen habe.
Das Oberlandesgericht hat die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof vorgelegt und die Rechtsfrage wie folgt formuliert:
„Darf das Amtsgericht den Einspruch eines nicht vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde auch dann noch gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verwerfen, wenn das vorangegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Amtsgericht zurückverwiesen worden war?“
3. Der Generalbundesanwalt hat angeregt, die Vorlegungsfrage, die sich an der Entscheidung des 1. Strafsenats vom 10. Dezember 1985 – 1 StR 506/85, BGHSt 33, 394 orientiere, an die aktuelle Gesetzeslage anzupassen, nach der das Amtsgericht den Einspruch zu verwerfen „hat“. Er beantragt zu entscheiden:
„Unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG hat das Amtsgericht den Einspruch eines Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid auch dann zu verwerfen, wenn das vorangegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und in diesem Umfang an das Amtsgericht zurückverwiesen wurde.“
II.
1. Die Vorlegungsvoraussetzungen sind erfüllt. Die Vorschrift des § 121 Abs. 2 GVG ist gemäß § 79 Abs. 3 OWiG für die Rechtsbeschwerde im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes entsprechend heranzuziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1992 – 2 StR 371/91, BGHSt 38, 251, 254). Das Oberlandesgericht Celle kann nicht seiner Absicht gemäß entscheiden, ohne von der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Hamm abzuweichen.
2. In der Vorlegungsfrage teilt der Senat die Auffassung des vorlegenden Gerichts.
a) Der Betroffene ist nach § 73 Abs. 1 OWiG zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet. Er kann aber nach § 73 Abs. 2 OWiG auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden, wenn er sich geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen (§ 74 Abs. 2 OWiG). Dem Ausbleiben des Betroffenen, wenn es nicht aus anderen Gründen genügend entschuldigt ist, ist mangelndes Interesse an der Wahrnehmung seiner Prozessrolle zu entnehmen; dies rechtfertigt angesichts der geringeren Bedeutung von Bußgeldverfahren eine Verwerfung des Einspruchs.
Die Verwerfung des Einspruchs bei unentschuldigtem Ausbleiben des Betroffenen ist nach der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG durch Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze (OWiGÄndG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 156, 157) zwingend, ein Ermessensspielraum wird dem Gericht anders als nach der früheren Rechtslage nicht mehr eingeräumt. Durch die Umwandlung der Vorschrift in eine zwingende Regelung wollte der Gesetzgeber eine Vereinfachung des Verfahrens und damit eine „dringend gebotene“ Entlastung der Gerichte erreichen (BT-Drucks. 13/5418 S. 7, 9). Schon nach der früheren Rechtslage durfte aber das Amtsgericht den Einspruch des trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens in der Hauptverhandlung unentschuldigt ausgebliebenen Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde auch dann noch nach § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verwerfen, wenn das vorangegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden war (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1985 – 1 StR 506/85, BGHSt 33, 394). Der Bundesgerichtshof hat dies seinerzeit daraus geschlossen, dass das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3393, 3533) lediglich § 329 Abs. 1 StPO und § 412 StPO in dem Sinne geändert hat, dass die Berufung oder der Einspruch nach diesen Vorschriften nicht mehr verworfen werden darf, wenn das Tatgericht erneut verhandelt, nachdem die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen worden ist. Damit habe der Gesetzgeber der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 329 Abs. 1 StPO (Urteil vom 3. April 1962 – 5 StR 580/61, BGHSt 17, 188) Rechnung tragen wollen. Weil § 329 Abs. 1 StPO und § 412 StPO sowie § 74 Abs. 2 OWiG dasselbe Rechtsproblem beträfen, lasse sich schon aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber diese Frage in § 329 Abs. 1 StPO und § 412 StPO neu geregelt habe, während § 74 Abs. 2 OWiG – bei Änderung in anderen Punkten – unverändert geblieben sei, der Schluss ziehen, dass er damit unterschiedliche Regelungen für Strafverfahren und Bußgeldverfahren habe treffen wollen.
Diese Argumentation trifft auch nach der gegenwärtigen Rechtslage zu. Zwar stand nach der früheren Fassung des § 74 Abs. 2 OWiG die Verwerfung des Einspruchs bei unentschuldigtem Ausbleiben des Betroffenen im Ermessen des Gerichts, während diese Folge nunmehr zwingend auszusprechen ist. Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber bei dieser erneuten Änderung des § 74 Abs. 2 OWiG in Kenntnis der Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Verwerfung nach Aufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht wiederum keine dem § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO entsprechende Regelung in die Vorschrift eingefügt hat, kann daher weiterhin geschlossen werden, dass die Verwerfung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid nach Aufhebung des ersten Sachurteils in der Rechtsbeschwerdeinstanz und die Verwerfung der Berufung bzw. des Einspruchs gegen einen Strafbefehl unterschiedlich geregelt bleiben sollen (so auch OLG Köln, VRS 98 [2000], 217, 219; OLG Stuttgart, NJW 2002, 978, 979; OLG Brandenburg, VRS 117 [2009] 102; OLG Hamm, Beschluss vom 22. März 2012 – 3 RBs 68/12, veröffentlicht bei juris; zustimmend Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 74 Rn. 24; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, Stand März 2011, § 74 Rn. 13; Bohnert, OWiG, 3. Aufl., § 74 Rn. 22; aA KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 74 Rn. 21). Dies entspricht auch dem Ziel der Entlastung der Gerichte durch das OWiGÄndG. Da es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelt, die Verfahrensweise beim unentschuldigten Ausbleiben des Betroffenen im Bußgeldverfahren abweichend vom Strafverfahren zu regeln, scheidet eine Anwendung der Regelungen der §§ 412, 329 Abs. 1 StPO über § 71 Abs. 1 OWiG aus.
b) Die Verwerfung des Einspruchs bei unentschuldigtem Ausbleiben des Betroffenen hat auch dann zu erfolgen, wenn das Rechtsbeschwerdegericht die Sache nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen hat.
aa) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. § 74 Abs. 2 OWiG ist durch das OWiGÄndG ohne Ausnahme zu einer zwingenden Regelung umgestaltet worden, obwohl der Gesetzgeber wusste, dass die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine Verwerfung des Einspruchs nach Teilaufhebung durch das Rechtsbeschwerdegericht wegen der eingetretenen Teilrechtskraft des Schuldspruchs als unzulässig ansah (vgl. OLG Köln, NStZ 1987, 372; KG, VRS 72 [1987], 451; BayObLG VRS 80 [1991], 45). Die Änderung diente der dringend gebotenen Entlastung der Justiz im Bereich der Ordnungswidrigkeiten (BT-Drucks. 13/5418 S. 1). Zugleich wurde die zuvor in § 74 Abs. 2 Satz 2 OWiG a.F. gegebene Möglichkeit der Vorführung des Betroffenen oder der Verhandlung in seiner Abwesenheit abgeschafft (vgl. BT-Drucks. 13/5418 S. 9). Der Gesetzgeber hat dafür angesichts der zwingenden Regelung keinen Anwendungsbereich mehr gesehen, also auch nicht in den in den Materialien nicht angesprochenen Fällen der Teilaufhebung und Zurückverweisung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Es ist deshalb ersichtlich auch in diesen Fällen davon auszugehen, dass die Verwerfung des Einspruchs gesetzgeberisch gewollt ist. Der Gesetzgeber hat dem Betroffenen in § 73 Abs. 1 OWiG das persönliche Erscheinen in der Hauptverhandlung auferlegt. Lehnt es der Betroffene durch sein unentschuldigtes Ausbleiben ab, zur Aufklärung beizutragen, ist das Gericht im Interesse der Verfahrensökonomie von der Verpflichtung entbunden, die Beschuldigung zu prüfen oder – bei Rechtskraft des Schuldspruchs – zum Rechtsfolgenausspruch neu zu verhandeln. Das Interesse des Betroffenen und der Allgemeinheit an einer inhaltlich möglichst gerechten Entscheidung tritt in diesen Fällen hinter der Verfahrensökonomie zurück (vgl. zur alten Rechtslage Meurer, NStZ 1987, 540).
bb) Der Eintritt der Teilrechtskraft des Schuldspruchs bei Aufhebung nur des Rechtsfolgenausspruchs durch das Rechtsbeschwerdegericht steht der Verwerfung des Einspruchs in der neuen Verhandlung nicht entgegen.
Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Urteils sind der rechtskräftige Schuldspruch und die ihm zugrunde liegenden Feststellungen zwar im Regelfall Grundlage des weiteren Verfahrens und wesentlicher Teil des abschließenden Urteils (BGH, Urteil vom 14. Januar 1982 – 4 StR 642/81, BGHSt 30, 340, 342). Dies folgt aus dem Gebot der inneren Einheit und der damit notwendig verbundenen Widerspruchsfreiheit der Entscheidung, das unabhängig davon Gültigkeit beansprucht, ob ein Urteil über die Schuld- und Rechtsfolgenfrage gleichzeitig entscheidet oder nicht. Durch die Verwerfung des Einspruchs wird dieser Grundsatz aber nicht berührt, denn durch sie wird der einheitliche Inhalt des Bußgeldbescheids wiederhergestellt. Durch die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG wird der Bußgeldbescheid insgesamt rechtskräftig (§ 84 Abs. 1 OWiG).
Der Grundsatz der reformatio in peius gebietet es nicht, einen dem Betroffenen günstigeren, in Folge der nur teilweisen Urteilsaufhebung rechtskräftigen Schuldspruch aufrecht zu erhalten. Dieser Grundsatz gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht ohnehin nur eingeschränkt. § 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG verbietet dem Gericht nur die Festsetzung einer nachteiligeren Rechtsfolge als im Bußgeldbescheid festgesetzt, wenn es durch Beschluss entscheidet. Im Rechtsbeschwerdeverfahren gilt der Grundsatz des § 358 Abs. 2 StPO, der den Betroffenen vor einer Verschlechterung des Rechtsfolgenausspruchs, nicht aber des Schuldspruchs schützt (vgl. Seitz, aaO, § 79 Rn. 37; KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 358 Rn. 18). So kann das Revisions- oder das Rechtsbeschwerdegericht auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Schuldspruch verbösern, ohne gegen das Verbot der reformatio in peius zu verstoßen.
Vor einer möglichen Verschlechterung des Schuldspruchs ist der Betroffene durch den Eintritt von Teilrechtskraft nicht in jedem Fall geschützt. Bei Vorliegen besonderer Umstände kann es sich ergeben, dass zwischen den Erörterungen zur Schuld- und Straffrage eine so enge Verbindung besteht, dass eine getrennte Überprüfung des angefochtenen Teils nicht möglich ist, ohne dass der nicht angefochtene Teil mitberührt wird (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 – 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 364; Urteil vom 22. April 1993 – 4 StR 153/93, BGHSt 39, 208, 209; KK-Paul, aaO, § 318 Rn. 7a mwN). Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch kann zudem dann unwirksam sein, wenn die Feststellungen zur Tat so mangelhaft sind, dass sie keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über die Rechtsfolge sein können (BGH, Urteil vom 5. November 1984 – AnwSt (R) 11/84, BGHSt 33, 59). Die Teilrechtskraft des Schuldspruchs führt somit nicht in jedem Fall zu dessen Unabänderlichkeit. Der horizontalen Teilrechtskraft kommt nicht die volle Wirkung der Rechtskraft zu (LR-Gössel, StPO, 25. Aufl., § 318 Rn. 30, Rn. 126 Fn. 377).
Dem teilrechtskräftigen Schuldspruch kommt im Bußgeldverfahren auch sonst keine unabänderliche Bestandsgarantie zu. So kann das Gericht in jeder Lage das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG einstellen und somit die Teilrechtskraft durchbrechen.
Es werden nach alledem keine unabänderlichen Verfahrensgrundsätze durchbrochen, wenn bei verschuldetem Ausbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung durch Einspruchsverwerfung ein teilrechtskräftiger, gegenüber dem Bußgeldbescheid günstigerer oder ungünstigerer Schuldspruch entfällt.
c) Der Senat entnimmt der vom Gesetzgeber geschaffenen Regelung der ausnahmslosen Verwerfung des Einspruchs bei unentschuldigtem Nichterscheinen des nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen in der Hauptverhandlung, dass ihm dann auch die Rechtswohltat des Verschlechterungsverbots hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs nicht zukommt. Das Verschlechterungsverbot ist kein übergeordneter allgemeiner Verfahrensgrundsatz, sondern gilt im Rechtsbeschwerdeverfahren aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 358 Abs. 2 StPO. Der Gesetzgeber konnte durch die Anordnung der Verwerfung des Einspruchs diese Regelung konkludent auf die Fälle beschränken, in denen das Gericht nach einer Urteilsaufhebung durch das Rechtsbeschwerdegericht eine neue Sachentscheidung trifft.