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OLG Düsseldorf Beschluss vom 20.03.2012 - II-3 RVs 28/12 - Zum Strafklageverbrauch durch Einstellung des Bußgeldverfahrens

OLG Düsseldorf v. 20.03.2012: Zum Strafklageverbrauch durch Einstellung des Bußgeldverfahrens nach § 47 II OWiG


Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 20.03.2012 - II-3 RVs 28/12) hat entschieden:
  1. Die Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG führt grundsätzlich zu einem Strafklageverbrauch für ein nachfolgendes Strafverfahren wegen derselben Tat.

  2. Tritt das Verfahrenshindernis vor Erlass des angefochtenen Urteils ein, ist dieses im Revisionsverfahren nach § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben und das Verfahren nach § 354 Abs. 1 StPO einzustellen.

Gründe:

I.

Dem vorliegenden Strafverfahren wegen Beleidigung liegt ein Strafantrag des Dienstvorgesetzten des Zeugen R. - Bediensteter der Stadt R. - zugrunde. Der geschädigte Mitarbeiter des Ordnungsamtes zeigte schriftlich an, er habe am 31. Oktober 2008 von 13.08 bis 14.45 Uhr in der Sch. eine Geschwindigkeitsüberwachung durchgeführt. Gegen 14.31 Uhr sei ein Lieferwagen der Marke Opel mit dem amtlichen Kennzeichen R… an dem Messwagen vorbeigefahren. Dieses Fahrzeug habe ca. drei bis vier Meter davor komplett auf dem Gehweg im absoluten Halteverbot gehalten. Da es sich an dieser Stelle um einen Schulweg handele, habe er den Fahrer auf sein Fehlverhalten angesprochen und gebeten, das Fahrzeug woanders zu parken. Darauf habe dieser geantwortet: "Wen stört das und was geht dich das an, ich muss liefern." Daraufhin habe er - der Geschädigte - von dem Fahrzeug Fotos gefertigt und eine Mitteilungskarte ausgefüllt. Als er die Karte an dem Lieferwagen festklemmen wollte, sei der Fahrer zurückgekommen. Er habe diesem die Karte überreicht. Der Fahrer habe kurz darauf geschaut und gesagt: "Was soll ich damit, Arschloch", die Karte auf den Boden geworfen und sei dann zu seinem Fahrzeug gegangen. Dabei habe der Fahrer sich mehrfach zu ihm umgedreht und noch drei- bis viermal Arschloch gerufen.

Das inhaltsgleiche Schreiben leitete der Zeuge R. der Oberbürgermeisterin der Stadt R. zu. Unter dem 3. November 2008 versandte diese eine Verwarnung wegen Parkens im absoluten Halteverbot. Der Angeklagte zahlte das Verwarngeld in Höhe von 25 Euro, womit dieses Verfahren abgeschlossen war. Desweiteren erließ die Oberbürgermeisterin unter dem 12. Dezember 2008 wegen Verschmutzung einer Straße durch Wegwerfen von Papier (Verstoß gegen § 3 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 2 der Ordnungs- und Sicherheitsverordnung der Stadt R.) einen Bußgeldbescheid über 30 Euro. Dagegen legte der Angeklagte Einspruch ein. In dem Hauptverhandlungstermin vom 27. März 2009 stellte das Amtsgericht das Verfahren (523 Js 58/09 OWi) nach § 47 Abs. 2 OWiG ein. Unter dem 27. Oktober 2009 legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein mit dem Antrag, den Einstellungsbeschluss aufzuheben und das Ordnungswidrigkeitenverfahren gemäß § 81 OWiG in ein Strafverfahren überzuleiten. Das Landgericht Wuppertal verwarf das Rechtsmittel durch Beschluss vom 9. April 2010 als unbegründet. Die Strafkammer führte aus, der Bußgeldrichter sei nicht gehalten gewesen, wegen des aus der Akte ersichtlichen Vorwurfs der Beleidigung das Bußgeldverfahren in ein Strafverfahren überzuleiten. Denn die Staatsanwaltschaft Wuppertal habe wegen des Vorwurfs der Beleidigung bereits ein gesondertes Ermittlungsverfahren eingeleitet gehabt, in welchem am 16. März 2009 - kurz nach Beendigung des Bußgeldverfahrens - ein Strafbefehl ergangen sei. Dem Betroffenen sei seit Anfang Februar 2009 bekannt gewesen, dass die Staatsanwaltschaft das Bußgeldverfahren wegen Umweltverschmutzung und das Strafverfahren wegen Beleidigung verfahrenstechnisch getrennt betreibe. Da der Betroffene dies gewusst habe, erscheine ein Strafklageverbrauch zweifelhaft. Denn er habe erkannt, dass sich die Einstellung nur auf den Vorwurf der Ordnungswidrigkeit bezog und die Straftat separat verfolgt werde.

Bei dem vorerwähnten Strafbefehl handelt es sich um den, durch welchen im vorliegenden Verfahren wegen Beleidigung eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 40 Euro gegen den Angeklagten festgesetzt wurde. Dagegen legte dieser Einspruch ein, worauf das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 26. August 2009 bestimmte. In diesem stellte es das Verfahren durch Urteil gemäß §§ 260 Abs. 3, 206a StPO wegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit (Bußgeldverfahren StA Wuppertal 523 Js 58/09) ein. Gegen das Einstellungsurteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil auf und verurteilte den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 Euro.

Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.


II.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung Verfahrens.

1. Die auch im Revisionsverfahrens auf die allgemeine Sachrüge vorzunehmende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass dem Strafprozess die anderweitige Rechtskraft eines früheren Verfahrens entgegen steht.

Der Einleitung dieses Strafverfahrens stand zunächst die anderweitige Rechtshängigkeit der Sache in dem Bußgeldverfahren StA Wuppertal 523 Js 58/09 OWi, nach dessen rechtskräftigem Abschluss durch die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Wuppertal vom 9. April 2011 dann die anderweitige Rechtskraft entgegen.

a. Dass die Gerichte in dem Bußgeldverfahren StA Wuppertal 523 Js 58/09 OWi eine Teileinstellung entsprechend §§ 154, 154a StPO nur in Bezug auf die Ordnungswidrigkeit vorgenommen haben - die nicht zu einem Strafklageverbrauch geführt hätte - ergibt sich aus dem Wortlaut deren Entscheidungen nicht eindeutig. Der Einstellungsbeschluss des Amtsgerichts ist nicht mit Gründen versehen. Das Landgericht legt in seiner Beschwerdeentscheidung zwar dar, ein Strafklageverbrauch erscheine "durchaus zweifelhaft", da der Betroffene gewusst habe, dass sich die Einstellung nur auf den Vorwurf der Begehung einer Ordnungswidrigkeit beziehe. Obwohl der Strafkammer als Beschwerdeinstanz die Möglichkeit gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 309 Abs. 2 StPO eröffnet war, hat sie aber eine eindeutige Klarstellung unterlassen, dass es sich nur um eine Teileinstellung in Bezug auf die Tat unter dem Gesichtspunkt der Ordnungswidrigkeit handelt. Diesbezügliche Auslegungszweifel wirken sich zu Gunsten des Angeklagten aus.

b. Durch die im Bußgeldverfahren StA Wuppertal 523 Js 58/09 erfolgte Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG ist Strafklageverbrauch eingetreten. Denn das vorgenannte Verfahren hatte dieselbe Tat zum Gegenstand wie das vorliegende Strafverfahren. Gem. Art. 103 Abs. 3 GG darf niemand wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden ("ne bis in idem"-Grundsatz). Dabei entspricht der Tatbegriff des Art. 103 GG dem des § 264 Abs. 1 StPO (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 264 Rn. 1). Die Sperrwirkung reicht allerdings nur so weit, wie die Sachentscheidung durch ein deutsches Strafgericht auf Grund des Bußgeldbescheides geboten war (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Einl. Rn. 173 zur Anklage und zum Eröffnungsbeschluss). Die Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG durch Beschluss vom 27. März 2009 bezog sich auf dieselbe Tat, die auch Gegenstand dieses Strafverfahrens ist. Denn das gesamte, dem Angeklagten angelastete Verhalten - Wegwerfen der Mitteilungskarte unter mehrfachem Ausruf des Wortes "Arschloches" gegenüber dem Mitarbeiter des Ordnungsamtes - stellt sich als historisch einheitlicher Vorgang dar. Dies war für den Bußgeldrichter auch aufgrund der in der Akte befindlichen Anzeige des Zeugen R. ersichtlich, auch wenn der Bußgeldbescheid den Tatbestand der Beleidigung nicht erwähnt.

In Literatur und Schrifttum ist allerdings umstritten, inwieweit ein Beschluss nach § 47 Abs. 2 OWiG als Opportunitätsentscheidung ebenso Wirkung wie die in § 84 Abs. 2 OWiG genannten Entscheidungen Bindungs- und Sperrwirkung für ein nachfolgendes Strafverfahren entfalten kann.

aa. Vereinzelt wird die Annahme vertreten, die spätere Verfolgung derselben Tat als Straftat sei jederzeit möglich (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 3. Aufl., § 47, Rn. 36b, Lemke, Heidelberger Kommentar zum OWiG, § 47 Rn. 35, Sandherr, NZV 2010, 40). Begründet wird diese Auffassung zum einen mit der Systematik des § 84 Abs. 2 OWiG. Danach führen das rechtskräftige Urteil, der Beschluss nach § 72 OWiG und der Beschluss des Beschwerdegerichts zum Strafklageverbrauch. Aus der Nichterwähnung des § 47 Abs. 2 OWiG ergebe sich der Umkehrschluss, dieser entfalte keine Sperrwirkung (Sandherr, NZV 2010, 40, 42). Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes könne zugunsten des Betroffenen/Angeklagten ebenfalls nicht greifen. Das Gericht brauche nämlich im Rahmen des § 47 Abs. 2 OWiG, der Ausfluss des Opportunitätsgrundsatzes ist, keine umfängliche Sach- und Rechtsprüfung durchzuführen. Der Vertrauensschutz des Betroffenen könne aber nicht weiter reichen als die Prüfungspflicht des Gerichts (Sandherr, a.a.O.). Zudem bedürfe eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG keiner Zustimmung des Betroffenen, weshalb dieser auch aus diesem Grunde kein Vertrauen in die Unabänderlichkeit der Entscheidung gründen könne (OLG Hamm VRS 100, 361).

bb. Die herrschende Auffassung (vgl. LG Heidelberg NZV 2012, 40; Bohnert in KK-OWiG, 3. Auflage, § 47, Rn. 40; Bohnert, OWiG, 3. Aufl., § 84 Rn. 2; Krumm in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtl. Ordnungswidrigkeitenverfahren, 2. Aufl., Rn. 769) verlangt für die Verfolgung derselben Tat auch unter dem Blickwinkel einer möglichen Straftat unter Bezugnahme auf § 211 StPO mindestens das Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel, die dem Einstellungsbeschluss die Grundlage entziehen. In Anlehnung an die Entscheidung des BGH zur Rechtskraftwirkung des Beschlusses nach § 153 Abs. 2 StPO (BGH, NJW 2004, 375) - wie § 47 Abs. 2 OWiG eine Opportunitätsvorschrift - wird die Wiederaufnahme teilweise (vgl. Göhler, OWiG, 14. Auflage, § 47, Rn. 61) sogar nur bei Vorliegen eines Verbrechens für zulässig erachtet.

cc. Der Senat schließt sich der herrschenden Meinung an. Die Gegenansicht überzeugt nicht. Aus der Nichterwähnung des Beschlusses nach § 47 Abs. 2 OWiG in § 84 Abs. 2 OWiG kann nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber habe eine Sperrwirkung hierfür nicht normieren wollen. Die in § 84 Abs. 2 OWiG genannten Entscheidungen sind ersichtlich nicht abschließend. Fehl geht auch das Argument, der Bußgeldrichter brauche im Rahmen des § 47 Abs. 2 OWiG nicht umfänglich die Rechts- und Sachlage prüfen. Das Gericht muss auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Tat unter allen rechtlichen Gesichtspunkten - auch unter dem einer Straftat - erschöpfend würdigen. Es kann sich nicht seiner Kognitionspflicht entziehen, indem es entgegen § 81 Abs. 1 Satz 2 OWiG nicht den erforderlichen Hinweis erteilt, dass die Tat auch als Straftat geahndet werden kann. Stellt der Bußgeldrichter das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG ein, obwohl eine Straftat vorliegt, so bleibt der Staatsanwaltschaft nach allgemeiner Ansicht (OLG Karlsruhe Justiz 1979, 214; Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 47 Rn. 56, 61a) die ansonsten durch § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG ausgeschlossene Möglichkeit der Beschwerde, um dem Strafklageverbrauch entgegenzuwirken.

Auch der Hinweis auf das angeblich nicht schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen überzeugt nicht. Dieser darf auch bei einer Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG davon ausgehen, dass das Verfahren vollständig erledigt ist. Ob er der Einstellung zugestimmt hat oder nicht ist für die Vertrauensbildung ohne Bedeutung (so auch LG Heidelberg, a.a.O.).

c. Unerheblich ist, dass sich in der Bußgeldakte kein Strafantrag des Dienstherrn befindet. Ob ein später gestellter Strafantrag eine neue Tatsache im Sinne des § 211 StPO begründen kann, welche die Sperrwirkung für die erneute Strafverfolgung entfallen lässt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 3), braucht nicht entschieden werden. Es lag nämlich bereits zum Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung - auch für den Bußgeldrichter erkennbar - ein Strafantrag des Geschädigten vor. Zwar ergab sich aus der Bußgeldakte nicht ausdrücklich, dass der Geschädigte Strafantrag i.S.d. § 194 StGB gestellt hat. Indem der Geschädigte aber "Anzeige" u. a. wegen Beleidigung gegen den Fahrer des Lieferwagens erstattet hat, ist sein Begehren hinsichtlich der strafrechtlichen Verfolgung dieses Deliktes unmissverständlich deutlich geworden (vgl. dazu Fischer, StGB, 59. Aufl., § 77 Rn. 24).


III.

Da das Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtskraft bereits vor Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten ist, hatte der Senat gemäß § 349 Abs. 4 StPO das Urteil aufzuheben und das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1 StPO einzustellen (vgl. KG, StraFo 2009, 286; OLG Celle, NStZ 2008, 118; Meyer-Goßner, a.a.O., § 206a Rdnr. 6, jeweils m.w.N. auch zur Gegenmeinung, die - ohne Urteilsaufhebung - allein § 206a StPO anwendet).


IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.