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Verwaltungsgericht Saarlouis Beschluss vom 03.09.2012 - 10 L 711/12 - Zur Bindungswirkung von bußgeldrechtlichen Entscheidungen für die Führerscheinbehörde

VG Saarlouis v. 03.09.2012: Zur Bindungswirkung von bußgeldrechtlichen Entscheidungen für die Führerscheinbehörde


Das Verwaltungsgericht Saarlouis (Beschluss vom 03.09.2012 - 10 L 711/12) hat entschieden:
Gegenstand der Entscheidung nach § 4 Abs. 7 S. 2 StVG und auch der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle ist nicht die Prüfung, ob der Rechtsverstoß tatsächlich von dem Betroffenen begangen wurde oder die Sanktion eventuell unverhältnismäßig war.


Gründe:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 18.07.2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.06.2012, durch den dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen und ihm unter Androhung von Verwaltungszwang aufgegeben wurde, den Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben, ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß den §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 4 Abs. 7 Satz 2, 3. Alt. StVG, § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 3 VwGO, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass der Widerspruch des Antragstellers aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird, und das öffentliche Interesse an der kraft Gesetzes bestehenden sofortigen Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis das gegenteilige Interesse des Antragstellers, von dieser Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, überwiegt.

Rechtsgrundlage der Entziehung der Fahrerlaubnis ist vorliegend § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich 18 oder mehr Punkte ergeben, da der Betroffene dann als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt. Das Erreichen dieser Punktzahl bewirkt auf der Grundlage des Punktesystems die grundsätzlich nicht widerlegliche gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung. Dabei kommt es für die Rechtsfolgen, die in § 4 Abs. 3 und Abs. 5 StVG an das Erreichen oder Überschreiten bestimmter Punktestände knüpfen, auf den Tag der Begehung der zugrunde liegenden Verkehrsordnungswidrigkeit an (sog. Tattag-Prinzip).
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.09.2008, 3 C 34/07, zitiert nach Juris
Darüber hinaus ist in § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG ausdrücklich angeordnet, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei den Maßnahmen nach Satz 1 Nrn. 1-3 an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden ist. Prüfungsgegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle ist daher nur der auf der Ahndung aufbauende Bescheid. Ob der Verkehrsverstoß tatsächlich durch den Betroffenen begangen wurde oder die Sanktion eventuell unverhältnismäßig war, ist nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers durch die Behörde oder gar das Verwaltungsgericht nicht mehr zu prüfen. Denn es ist nicht Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde oder des Verwaltungsgerichts, die Richtigkeit der Feststellungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren zu kontrollieren. Vielmehr ist auf die dort vorgesehene Möglichkeit eines Wiederaufnahme-verfahrens zu verweisen (§ 85 OWiG). Ansonsten würde entgegen der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers in den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit eingegriffen. Damit ist der Betroffene, der sich gegen die Berücksichtigung einer gegen ihn rechtskräftig ergangenen Bußgeldentscheidung wendet, darauf zu verweisen, im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens nach § 85 OWiG eine positive Entscheidung der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu erreichen und auf dieser Grundlage eine die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG abändernde Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde herbeizuführen.
Vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 05.01.2010, 10 L 1907/09; Zwerger, Problemfelder zum Punktesystem aus Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, zfs, 2009, 128, 129
Hiervon ausgehend hat der Antragsteller, nachdem die Antragsgegnerin zuvor unter Beachtung des Punktesystems in § 4 Abs. 3 StVG bei Erreichen von 9 Punkten unter dem 24.02.2010 eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG und bei Erreichen von 15 Punkten unter dem 06.12.2010 eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG gegen ihn ergriffen hat, durch nachfolgende verkehrsrechtliche Zuwiderhandlungen vom 16.12.2010, 02.05.2011, 10.05.2011, 28.05.2011, wegen denen jeweils 1 Punkt verhängt worden ist, seinen Punkte-stand auf insgesamt 18 Punkte erhöht, so dass die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen war.

Die hiergegen gerichteten Einwendungen des Antragstellers greifen nicht durch.

Dies gilt zunächst für sein Vorbringen, dass er selbst die Verkehrsverstöße vom 05.10.2009 und 12.08.2010 nicht begangen habe. Insoweit ergibt sich aus den in den beigezogenen Verwaltungsunterlagen enthaltenen Mitteilungen des Kraftfahrt-bundesamtes, dass die angeführten Verkehrsordnungswidrigkeiten rechtskräftig festgestellt sind, so dass aus den dargelegten Gründen sowohl die Antragsgegnerin als auch das Verwaltungsgericht hieran gebunden sind. In diesem Zusammenhang kann sich der Antragsteller auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Wiederaufgreifensvoraussetzungen in den betreffenden Verfahren gemäß § 85 Abs. 2 OWiG nicht gegeben seien. Insoweit muss es für das vorliegende Verfahren mit dem Antragsteller anheim gehen, dass er gegen die betreffenden Bußgeldbescheide keine Rechtsmittel eingelegt hat.

Ebenso wenig kann sich der Antragsteller mit Erfolg darauf berufen, dass er aus beruflichen Gründen auf seine Fahrerlaubnis angewiesen sei und sich die Entziehung der Fahrerlaubnis daher als unverhältnismäßig erweise. Steht, wie im Fall des Antragstellers, die Fahrungeeignetheit des Kraftfahrzeugführers fest, ist die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG angeordnete Rechtsfolge der Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend. Ein Ermessen der Behörde besteht insoweit nicht. Zudem muss gesehen werden, dass der Antragsteller, obwohl er nach seinen Angaben auf seine Fahrerlaubnis beruflich angewiesen ist, sich die vor der Entziehung der Fahrerlaubnis ihm gegenüber auf der Grundlage des abgestuften Maßnahmesystems gemäß § 4 Abs. 3 und Abs. 5 StVG ergangenen Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nicht hat zur Warnung dienen lassen und auch noch nach Ablegung des Aufbauseminars durch weitere Verstöße gegen verkehrs-rechtliche Vorschriften hervorgetreten ist. Dieses Verhalten des Antragstellers unterstreicht gerade die Gefährlichkeit, die im Straßenverkehr für andere Verkehrsteilnehmer von ihm ausgeht. Ebenso wenig dringt der Antragsteller damit durch, dass er zwischenzeitlich durch den Einbau von Fernsprecheinrichtungen in seine Fahrzeuge Vorkehrungen dagegen getroffen habe, dass er künftig nicht mehr verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon als Führer des Kraftfahrzeuges benutzen werde. Auch insoweit verkennt der Antragsteller, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung seine Fahrungeeignetheit unwiderleglich feststeht und daher die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend geboten ist. Schließlich kann der Antragsteller auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass hilfsweise eine Einschränkung der Fahrerlaubnis für sechs Monate auf das Führen des betrieblich genutzten LKW als weniger einschneidende Maßnahme hätte vorgenommen werden müssen. Auch einer solchen Entscheidung steht zwingend entgegen, dass der Antragsteller für alle Fahrzeugklassen unwiderleglich fahrungeeignet ist.

Die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins ergibt sich aus den §§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Dabei stellt § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV klar, dass die Verpflichtung zur Ablieferung oder Vorlage des Führerscheins auch besteht, wenn die Entscheidung angefochten ist, die zuständige Behörde jedoch die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung angeordnet hat. Gleiches muss aber auch für die Fälle der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG gelten.
Vgl. hierzu VG des Saarlandes, Beschluss vom 10.05.2012, 10 L 356/12; siehe auch Hentschel/König/Dauer, Straßen-verkehrsrecht, 40. Auflage, § 47 FeV Rdnr. 13 mit Hinweis auf VG Leipzig, Beschluss vom 21.11.2005, 1 K 1110/05, zitiert nach Juris
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und berücksichtigt sowohl die Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens als auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Addition der Streitwerte für Fahrerlaubnisklassen, die sich nicht überschneiden.
vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 04.10.2011, 3 C 28.10
Da der Antragsteller nach telefonischer Auskunft der Antragsgegnerin im Besitz der Fahrerlaubnisklassen B, BE, C1, C1E, CE, L, M, und A war, errechnet sich aus Nr. 46.1 des Streitwertkatalogs für die Klasse A ein Streitwert von 5000.- Euro, für die Klasse B, die gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 3 FeV die Klassen L und M umfasst, aus Nr. 46. 3 des Streitwertkatalogs einen Streitwert von 5000.- Euro und für die Klasse CE, die gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 5 FeV die Klassen C1E und BE umfasst, aus Nr. 46.4 und Nr. 46.8 des Streitwertkatalogs einen Streitwert von zusammen 10.000.- Euro, so dass sich unter Berücksichtigung der Vorläufigkeit des Verfahrens ein Streitwert in der festgesetzten Höhe von 10.000.- Euro ergibt.