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VGH München Urteil vom 01.10.2012 - 11 BV 11.1464 - Zum Vorgehen der Führerscheinbehörde bei regelmäßigem Cannabiskonsum
VGH München v. 01.10.2012: Zum Vorgehen der Führerscheinbehörde bei regelmäßigem Cannabiskonsum und zu den verwertbaren Beweisanzeichen für den Konsumgrad
Der VGH München (Urteil vom 01.10.2012 - 11 BV 11.1464) hat entschieden:
- Fahrungeeignet ist nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung derjenige, der regelmäßig Cannabis einnimmt. Das Tatbestandsmerkmal der Regelmäßigkeit ist zumindest im Normalfall nur dann erfüllt, wenn Haschisch oder Marihuana täglich oder nahezu täglich konsumiert wird (vgl. etwa BayVGH vom 8.2.2008 Az. 11 CS 07.3017). Dafür ist das Rauchen von ein bis zwei Joints täglich über einen Zeitraum von etwas mehr als einem halben Jahr ausreichend.
- Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis ist Fahreignung nur dann gegeben, wenn der Betroffene zwischen dem Konsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen ausreichend sicher trennen kann (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung). Gelegentliche Einnahme von Cannabis liegt vor im Fall von mindestens zwei selbständigen Konsumakten.
- Teilt die Polizei einen Sachverhalt mit, bei dessen Ermittlung sie gegen Rechtsvorschriften verstoßen hat, führt das nicht unbedingt zu einem Verwertungsverbot für das Fahrerlaubnisentziehungsverfahren. Denn aus der behördlich angeordneten Fahrerlaubnisentziehung ergeben sich keine Auswirkungen für das im Hinblick auf den betreffenden Vorfall durchgeführte Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Andererseits dürfen auch im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren jedenfalls solche Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden, die unter Missachtung fundamentaler Rechtsgrundsätze gewonnen wurden. Hierzu gehören jedenfalls alle Verstöße, bei denen die Menschenwürde des Betroffenen verletzt wird.
- Kommt der Betroffene im Verwaltungsstreitverfahren einer Aufforderung des Gerichts, Angaben zu seinen Konsumgewohnheiten zu machen, nicht nach, dann kann dies zu seinem Nachteil verwendet werden. Grundsätzlich hat jeder Prozessbeteiligte den Prozessstoff umfassend vorzutragen, also auch bei der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken; das gilt insbesondere für die „in seine Sphäre fallenden Ereignisse“. Dass die Angaben über Art, Umfang und Regelmäßigkeit seines Cannabiskonsums nur der Konsument selbst machen kann, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Dass im Verfahren zur Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis, das dem Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuzurechnen ist, kein Recht besteht, etwaige Fahreignungsmängel zu verbergen, zeigt bereits die Regelung des § 11 Abs. 8 FeV.
Siehe auch Konsumgrade / Konsummuster bei Cannabis und Stichwörter zum Thema Cannabis
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S.
Der Kläger wurde ausweislich eines die Ermittlungen abschließenden Vermerks der Kriminalpolizeiinspektion Traunstein vom 18. Dezember 2008 von Polizeibeamten am 21. August 2008 dabei beobachtet, wie er einen Joint rauchte. Bei der anschließenden Kontrolle wurde bei ihm Marihuana gefunden. Der Kläger gab den Besitz der Betäubungsmittel zu; weitere Angaben hierzu machte er nicht. Mit der Sicherstellung und formlosen Einziehung zeigte er sich einverstanden.
Am 25. April 2009 suchten Polizeibeamte den Kläger wegen einer melderechtlichen Überprüfung an seiner Wohnadresse auf. Nachdem dieser öffnete, begaben sich die Polizeibeamten in den Eingangsbereich der Wohnung. Ob sie hierzu vom Kläger aufgefordert wurden oder dies gegen seinen Willen getan haben, ist unter den Beteiligten streitig. Vom Eingangsbereich der Wohnung aus sah einer der Polizeibeamten auf einem Tisch im Wohnzimmer ein Tabak-Cannabis-Gemisch liegen. Daraufhin durchsuchten die Polizeibeamten die Wohnung. Dabei wurden eine größere Menge Haschisch und Cannabis sowie Cannabis-Pflanzen aufgefunden.
Der Kläger wurde anschließend auf der polizeilichen Dienststelle als Beschuldigter vernommen. Dabei gab er an, vor ca. drei Stunden einen Joint geraucht zu haben. Er könne jedoch der Vernehmung problemlos folgen. Es sei ca. drei bis vier Monate her, dass er 100 g Cannabis erworben habe. Der Erwerb habe für den Eigenbedarf stattgefunden. Die Cannabis-Pflanzen in der Wohnung habe er angebaut. Der Ertrag der Ernte sei ausschließlich für ihn allein gedacht gewesen. Er konsumiere seit mindestens vier Jahren täglich mindestens 1 g Cannabis pro Tag.
Mit Urteil des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 3. November 2010 wurde der Kläger aufgrund dieses Sachverhalts wegen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zur Ableistung von 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2009 an die Fahrerlaubnisbehörde führten die damaligen Bevollmächtigten des Klägers u.a. folgendes aus: „Den im Rahmen der polizeilichen Vernehmung vom 25. April 2009 eingeräumten Cannabiskonsum hat der Betroffene noch am selben Tag eingestellt und Kontakt mit einer örtlichen Drogenberatungsstelle aufgenommen.“
Mit Bescheid vom 20. Juli 2009 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Kläger die Fahrerlaubnis. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei regelmäßiger Cannabiskonsument. Dies stehe aufgrund seiner Angaben bei der Beschuldigtenvernehmung vor der Polizei am 25. April 2009 fest.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 12. November 2009 zurückgewiesen.
Die Anfechtungsklage des Klägers wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 1. April 2011 abgewiesen. Die Berufung wurde zugelassen. Auf die Begründung des Urteils wird Bezug genommen.
Zur Begründung der Berufung trägt der Bevollmächtigte des Klägers im wesentlichen vor, die Ergebnisse der polizeilichen Hausdurchsuchung beim Kläger seien nicht verwertbar, weil diese unter bewusster Umgehung der zugunsten des Art. 13 GG bestehenden Normen und insoweit vor allem ohne Durchsuchungsbeschluss von Gericht oder Staatsanwaltschaft eigenmächtig durch Beamte der Polizei durchgeführt worden sei. Das klägerische Geständnis bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 25. April 2009 sei ebenfalls nicht verwertbar. Auch hier seien Grundrechte schützende Normen bewusst umgangen worden. Außerdem sei der Kläger bei dieser Vernehmung berauscht gewesen. Schließlich könnten die in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht getätigten Aussagen der als Zeugen gehörten Polizeibeamten nicht verwertet werden, weil diese nicht aus eigener Erinnerung ausgesagt hätten, sondern von der Protokollführerin auf Anweisung der Vorsitzenden Richterin die gerichtliche Verfahrensakte zum Studium unmittelbar vor der Vernehmung auf dem Gerichtsflur ausgehändigt bekommen hätten.
Er beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 1. April 2011 sowie den Bescheid des Landratsamts Bad Tölz-Wolfratshausen vom 20. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 12. November 2009 aufzuheben.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Er beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Verwaltungsstreitsache wurde am 1. Oktober 2012 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der streitgegenständliche Entziehungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Nach diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Normzweck ist der Schutz der Allgemeinheit (BVerwG vom 27.9.1995 NZV 1996, 84) und der Individualrechtsgüter der Straßenverkehrsteilnehmer vor unfähigen oder ungeeigneten Führern solcher Kraftfahrzeuge, für die eine Fahrerlaubnis benötigt wird (Jagow, Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht, Loseblattkommentar, § 46 FeV Anm. A). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Entzugs der Fahrerlaubnis ist regelmäßig derjenige der letzten Behördenentscheidung, also im Fall der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens der Erlass des Widerspruchsbescheids. Die „Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Verwaltungsgerichten uneingeschränkt nachgeprüft werden kann. Soweit im maßgeblichen Zeitpunkt die Fahreignung des Betroffenen weder positiv noch negativ feststeht, hat das Gericht – soweit möglich - selbst Spruchreife herzustellen.
2. Fahrungeeignet ist nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung derjenige, der regelmäßig Cannabis einnimmt. Das Tatbestandsmerkmal der Regelmäßigkeit ist zumindest im Normalfall nur dann erfüllt, wenn Haschisch oder Marihuana täglich oder nahezu täglich konsumiert wird (vgl. etwa BayVGH vom 8.2.2008 Az. 11 CS 07.3017). Dafür ist das Rauchen von ein bis zwei Joints täglich über einen Zeitraum von etwas mehr als einem halben Jahr ausreichend (BayVGH vom 18.5.2010 SVR 2010, 310).
Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis ist Fahreignung nur dann gegeben, wenn der Betroffene zwischen dem Konsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen ausreichend sicher trennen kann (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung). Gelegentliche Einnahme von Cannabis liegt vor im Fall von mindestens zwei selbständigen Konsumakten (BayVGH vom 31.3.2011 Az. 11 CS 11.256).
3. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Bekanntwerden von Tatsachen ist dabei im weitesten Sinn zu verstehen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Fahreignung können sich aus der Amtsermittlung der Behörde ergeben, aber auch aus Mitteilungen anderer Behörden und sogar von dritter Seite. Es muss sich um konkrete Tatsachen handeln, ein vager Verdacht genügt nicht. Die Anordnung einer Untersuchungsmaßnahme darf nicht auf einen bloßen Verdacht hin „ins Blaue hinein“ erfolgen.
Teilt die Polizei einen Sachverhalt mit, bei dessen Ermittlung sie gegen Rechtsvorschriften verstoßen hat, führt das nicht unbedingt zu einem Verwertungsverbot für das Fahrerlaubnisentziehungsverfahren. Denn aus der behördlich angeordneten Fahrerlaubnisentziehung ergeben sich keine Auswirkungen für das im Hinblick auf den betreffenden Vorfall durchgeführte Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Andererseits dürfen auch im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren jedenfalls solche Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden, die unter Missachtung fundamentaler Rechtsgrundsätze gewonnen wurden. Hierzu gehören jedenfalls alle Verstöße, bei denen die Menschenwürde des Betroffenen verletzt wird (BayVGH vom 28.1.2010 Az. 11 CS 09.1443).
Die Fahrerlaubnisbehörde hat die Entziehung der Fahrerlaubnis darauf gestützt, dass der Kläger regelmäßiger Cannabiskonsument sei. Dies ergebe sich aus den Angaben, die er im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung am 25. April 2009 gemacht habe. Der Bevollmächtigte des Klägers hält dem entgegen, die durch die Durchsuchung der Wohnung des Klägers am 25. April 2009 gewonnenen Informationen seien unverwertbar, weil die Polizei die Wohnung des Klägers unrechtmäßigerweise betreten habe, ohne dass zu diesem Zeitpunkt der hinreichende Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorgelegen habe. Alle sich hieran anschließenden Erkenntnisse seien gleichsam mit dem „Makel“ dieser Rechtswidrigkeit behaftet und dürften deshalb ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Dies gelte insbesondere für die vom Kläger während der anschließenden polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben.
Grundsätzlich entfalten gesetzliche Beweisverwertungsverbote keine sog. Fernwirkung. Das bedeutet, dass auf der Basis der unzulässigen Beweisergebnisse selbständig gewonnene Erkenntnisse verwertet werden können. Eine Ausnahme gilt, wenn sich der „Makel“ auch auf die neuen Beweise erstreckt. Ob das der Fall ist, ist anhand der Besonderheiten des Einzelfalls zu entscheiden. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote können sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben. Ein Verbot der Verwertung eines Beweisergebnisses kann sich auch aus einem Verstoß gegen einen Obersatz des Grundgesetzes ergeben (vgl. zum Ganzen Geiger in Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 86, Rn. 23a m.w.N.).
Die im Rahmen der polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben des Klägers sind im Verhältnis zu den Ergebnissen der Wohnungsdurchsuchung selbständig gewonnen worden, weil der Kläger ausweislich des Vernehmungsprotokolls auf sein Recht, sich nicht zur Sache äußern zu müssen, hingewiesen wurde, aber dennoch Angaben gemacht hat. Ob diese dort gewonnenen Erkenntnisse mit dem „Makel“ der möglicherweise rechtswidrigen Wohnungsdurchsuchung behaftet sind, kann jedoch dahinstehen. Gleichfalls kann dahinstehen, ob die im Rahmen der polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben des Klägers - wie sein Bevollmächtigter vorträgt - deshalb nicht verwertet werden können, weil der Kläger nach eigenen Angaben, die sein Bevollmächtigter später schriftsätzlich wiederholt hat, ca. drei Stunden vor der Vernehmung einen Joint geraucht hat und deshalb in entsprechender Anwendung des § 136a StPO nicht vernehmungsfähig war. Ebensowenig kommt es darauf an, ob dem Schriftsatz der damaligen Klägerbevollmächtigten vom 20. Juli 2009 die Bedeutung zugemessen werden kann, dass damit die vom Kläger im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben nochmals ausdrücklich eingeräumt wurden und deshalb auf dieser Grundlage berücksichtigt werden könnten.
4. Als berücksichtigungsfähige Tatsache steht jedenfalls fest, dass der Kläger Cannabiskonsument war, nachdem zwei selbständige Konsumakte eines Joints (nämlich am 21. August 2008 und 25. April 2009) bekannt sind und berücksichtigt werden können. Den Konsum am 21. August 2008 hat der Kläger nicht bestritten. Gegen die Richtigkeit des polizeilichen Schlussvermerks vom 18. Dezember 2008 wurde nichts vorgetragen; unabhängig hiervon hat der Senat auch keinen Anlass, an dessen Richtigkeit zu zweifeln. Den Konsum eines Joints am 25. April 2009 hat neben dem Kläger selbst auch der Bevollmächtigte des Klägers eingeräumt. Davon, dass das Eingeständnis dieses Konsumvorgangs durch den Bevollmächtigten des Klägers ebenfalls einer möglichen Fernwirkung eines möglichen Beweisverwertungsverbots im Zusammenhang mit der Wohnungsdurchsuchung unterliegt, kann keine Rede sein. Denn dieser Vortrag steht im Zusammenhang mit einer selbständigen Argumentation, die unabhängig von der möglichen Rechtswidrigkeit der Wohnungsdurchsuchung und ihrer Fernwirkung die Verwertbarkeit der im Rahmen der polizeilichen Vernehmung des Klägers gemachten Angaben infrage stellen soll.
Weiter steht aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des Klägers fest, dass er im Januar 2009 Cannabis in einer Menge von 100 g widerrechtlich erworben hat. Ein Kraftfahrer muss in einem Fahrerlaubnisentziehungsverfahren eine rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt gegen sich gelten lassen, sofern sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts ergeben (BVerwG vom 3.9.1992 NVwZ-RR 1993, 165). Die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts hat der Kläger nicht infrage gestellt. Er kann im fahrerlaubnisrechtlichen Entziehungsverfahren auch nicht mit dem Argument gehört werden, das Strafgericht hätte etwaige Beweisverwertungsverbote zu Unrecht nicht berücksichtigt, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Es wäre dem Kläger unbenommen geblieben, einen solchen Vortrag im strafgerichtlichen Verfahren einzubringen oder das Urteil mit Rechtsmitteln anzugreifen.
Damit liegen insgesamt ausreichend Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger in der Vergangenheit Cannabis eingenommen hat und deswegen möglicherweise auch zukünftig Cannabis konsumieren wird. Welcher Art dieser im maßgeblichen Zeitpunkt zukünftig möglicherweise zu besorgende Cannabiskonsum sein würde (einmalig, gelegentlich, regelmäßig), ist offen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein ärztliches Gutachten beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Eine solche Beibringungsaufforderung ist auch gerechtfertigt, wenn Anhaltspunkte für Cannabiskonsum vorliegen und das Konsummuster zu klären ist (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage 2011, § 14 FeV RdNr. 13 m.w.N.). Demgegenüber unterbleibt die Aufforderung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens, wenn Fahrungeeignetheit feststeht (§ 11 Abs. 7 FeV). Wenn also der Konsum des Klägers im fraglichen Zeitpunkt ein regelmäßiger gewesen sein sollte, wäre die Fahrerlaubnisbehörde zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes nicht verpflichtet gewesen.
5. Im Gegensatz zur Fahrerlaubnisbehörde ist das Gericht im Rahmen seiner Verpflichtung, die Sache spruchreif zu machen, nicht an die Vorschriften der §§ 11 ff. FeV gebunden. Die berücksichtigungsfähigen Tatsachen lassen für den maßgeblichen Zeitpunkt vermuten, dass der Kläger entweder regelmäßiger oder aber gelegentlicher Cannabiskonsument war. Hätte das gerichtliche Verfahren ergeben, dass regelmäßiger Cannabiskonsum vorlag, stünde die Fahrungeeignetheit des Klägers fest, hätte sich ein gelegentlicher Cannabiskonsum ergeben, hätte das Gericht gegebenenfalls weiter aufklären müssen, ob der Kläger über das nötige Trennungsvermögen verfügte.
Um das Konsummuster des Klägers aufzuklären, beabsichtigte das Gericht, den Kläger hierzu zu befragen. Die Bildung der richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO setzt eine ausreichende Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO voraus. Das bedeutet, dass das Gericht alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Möglichkeiten einer Aufklärung des für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts ausschöpft, die geeignet sein können, die für die Entscheidung erforderliche Überzeugung des Gerichts zu begründen. Die gerichtliche Aufklärungsverpflichtung findet ihre Grenze jedoch in der Mitwirkungspflicht der Beteiligten. Bei anwaltlich vertretenen Klägern ist die Mitwirkungspflicht grundsätzlich ausgeprägter als bei nicht anwaltlich vertretenen (Arntz, DVBl 2008, 82). Grundsätzlich hat jeder Prozessbeteiligte den Prozessstoff umfassend vorzutragen, also auch bei der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken; das gilt insbesondere für die „in seine Sphäre fallenden Ereignisse“ (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, § 86, RdNr. 11 m.w.N.). Dass die Angaben über Art, Umfang und Regelmäßigkeit seines Cannabiskonsums nur der Kläger selbst machen kann, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Der gerichtlichen Aufforderung hierzu ist der Kläger nicht nachgekommen, obwohl ihm dies ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen wäre. Dass im Verfahren zur Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis, das dem Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuzurechnen ist, kein Recht besteht, etwaige Fahreignungsmängel zu verbergen, zeigt bereits die Regelung des § 11 Abs. 8 FeV. Der Senat geht daher zu Ungunsten des Klägers davon aus, das dieser im maßgeblichen Zeitpunkt regelmäßiger Cannabiskonsument und damit fahrungeeignet war.
6. Die Berufung war damit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).