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OLG Jena Beschluss vom 27.11.2009 - 1 Ss 314/09 - Berechnung der 3-Jahresfrist bei Festsetzung der Mindestsperrfrist und isolierte Anfechtung einer Sperrfristverhängung
OLG Jena v. 27.11.2009: Berechnung der 3-Jahresfrist bei Festsetzung der Mindestsperrfrist und isolierte Anfechtung einer Sperrfristverhängung
Das OLG Jena (Beschluss vom 27.11.2009 - 1 Ss 314/09) hat entschieden:
- Nach ganz herrschender Auffassung, der sich der Senat anschließt, berechnet sich die 3-Jahres-Frist des § 69a Abs. 3 StGB ab Rechtskraft der die frühere Sperre anordnenden Entscheidung.
- Die Frage der Möglichkeit des Bestehenlassens des Strafausspruchs bei Aufhebung der Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Anordnung einer isolierten Sperrfrist beantwortet sich nach denselben Maßstäben, die für die isolierte Anfechtbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Anordnung einer isolierten Sperrfrist gelten. Eine getrennte Anfechtbarkeit ist nach herrschender Meinung nur dann möglich, wenn sich die Entscheidung über die Maßregel unabhängig von den Strafzumessungserwägungen beurteilen lässt. Das kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn die Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen auf körperlichen oder geistigen Mängeln beruht. Ist die Ungeeignetheit dagegen, wie hier, auf einen Charaktermangel zurückzuführen, so stehen Straf- und Maßregelausspruch grundsätzlich in einer so engen gegenseitigen Abhängigkeit, dass sich ein Angriff gegen die Anordnungen nach §§ 69, 69a StGB auch auf die Strafzumessung erstreckt.
Siehe auch Die Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis / Führerscheinsperre
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Gera verurteilte die Angeklagte am 21.01.2009 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 2 Fällen, begangen am 29. und 31.10.2008, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten, setzte die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus und wies die Verwaltungsbehörde an, eine neue Fahrerlaubnis nicht vor Ablauf von 12 Monaten zu erteilen.
Die Fahrerlaubnis war der Angeklagten bereits durch Urteil des Amtsgerichts Gera vom 28.01.2008 im Verfahren 259 Js 15006/07, durch das sie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tatmehrheit mit Vortäuschen einer Straftat zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt worden war, entzogen worden. In diesem früheren Urteil war eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von 6 Monaten angeordnet worden. Diese frühere Verurteilung ist seit dem 27.01.2009 rechtskräftig.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gera vom 21.01.2009 verwarf die 7. Strafkammer des Landgerichts Gera durch Urteil vom 29.07.2009.
In der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Gera am 29.07.2009 hatte die Angeklagte die Berufung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Revision, mit der sie die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung an das Landgericht erstrebt, rügt die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts, und führt dies bezüglich einer angeblich fehlerhaften Anwendung des § 69a StGB näher aus.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 16.11.2009, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Revision ist zulässig und in der Sache - zumindest vorläufig - erfolgreich.
Die Strafkammer ist zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen und hat deshalb allein über die Rechtsfolgenseite entschieden. Diese Entscheidung hält rechtlicher Überprüfung jedoch nicht stand.
Das Landgericht hat die Dauer der Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis nach § 69a StGB u.a. damit begründet, dass das Mindestmaß der Sperre gem. § 69a Abs. 3 StGB ein Jahr betrage. Dazu wird näher ausgeführt, dass aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Gera vom 28.01.2008 gegen die Angeklagte bereits einmal eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis angeordnet worden sei. Dass die Rechtskraft diese Entscheidung erst am 27.01.2009 und damit nach den beiden hier verfahrensgegenständlichen Taten eingetreten sei, sei unerheblich.
Dem folgt der Senat nicht. Nach ganz herrschender Auffassung, der sich der Senat anschließt, berechnet sich die 3-Jahres-Frist des § 69a Abs. 3 StGB ab Rechtskraft der die frühere Sperre anordnenden Entscheidung (siehe etwa LK-Geppert, StGB, 12. Aufl., § 69a Rn. 33 unter Hinweis auf § 69a Abs. 5 Satz 1 StGB; MünchKomm-Athing, StGB, § 69a Rn. 19; Schönke/Schröder/Stree, StGB, 27. Aufl., § 69a Rn. 7; Fischer, StGB, 56 Aufl., § 69a Rn. 11).
Der Vorschrift des § 69a Abs. 3 StGB liegt die Überlegung zu Grunde, dass bei Kraftfahrern, die sich innerhalb kurzer Zeit erneut als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen haben, erfahrungsgemäß längere Zeiten des Zwangsausschlusses vom Straßenverkehr erforderlich sind, um erzieherisch erfolgreich auf sie einzuwirken (siehe Begr. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs, BT Drucks. IV/651 S. 19; LK Geppert a.a.O.). Ob sich ein Angeklagte bereits vor der Tat als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat, kann mit einer die Verlängerung die Mindestfrist für die neue Sperre rechtfertigenden Sicherheit aber nur dann vorausgesetzt werden, wenn die frühere Sperrfrist bereits vor Begehung der neuen Tat tatsächlich zu laufen begonnen hatte. Gem. § 69a Abs. 5 Satz 1 StGB beginnt die Sperre erst mit Rechtskraft des Urteils.
Gegen einen Verzicht auf das Erfordernis des Eintritts der Rechtskraft der früheren Sperre vor Begehung der neuen Tat spricht ferner, dass die Anwendung des § 69a Abs. 3 StGB dann von der Zufälligkeit abhinge, ob das neue Verfahren in der Tatsacheninstanz vor oder nach Eintritt der Rechtskraft bezüglich der früheren Sperre abgeschlossen wird. Das macht auch der vorliegende Fall deutlich. Hätte die Angeklagte das Urteil des Amtsgerichts Gera vom 21.01.2009 nicht angefochten, hätte § 69 Abs. 3 StGB auch unter Zugrundelegung der Auffassung des Landgerichts nicht zur Anwendung kommen können, da die Rechtskraft bezüglich der früheren Sperre erst am 27.01.2009 eingetreten ist.
Schließlich wird auch bei anderen an ein früheres Fehlverhalten im Straßenverkehr anknüpfenden Regelungen auf die Rechtskraft der früheren Entscheidung abgestellt (siehe etwa § 25 Abs. 2a StVG, § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV).
Die Aufhebung der Anordnung der isolierten Sperre zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich, weil die im Zusammenhang mit der Notwendigkeit und gegebenenfalls der Dauer einer isolierten Sperrfrist entscheidungserheblichen Feststellungen zur charakterlichen Ungeeignetheit der Angeklagten zu gleich für die Art und die Höhe der Strafe sowie für die Möglichkeit ihrer Aussetzung zur Bewährung bedeutsam sind.
Die Frage der Möglichkeit des Bestehenlassens des Strafausspruchs bei Aufhebung der Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Anordnung einer isolierten Sperrfrist beantwortet sich nach denselben Maßstäben, die für die isolierte Anfechtbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Anordnung einer isolierten Sperrfrist gelten. Eine getrennte Anfechtbarkeit ist nach herrschender Meinung nur dann möglich, wenn sich die Entscheidung über die Maßregel unabhängig von den Strafzumessungserwägungen beurteilen lässt. Das kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn die Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen auf körperlichen oder geistigen Mängeln beruht. Ist die Ungeeignetheit dagegen, wie hier, auf einen Charaktermangel zurückzuführen, so stehen Straf- und Maßregelausspruch grundsätzlich in einer so engen gegenseitigen Abhängigkeit, dass sich ein Angriff gegen die Anordnungen nach §§ 69, 69a StGB auch auf die Strafzumessung erstreckt (vgl. etwa KG Berlin, Beschluss vom 16.03.1998, 1 Ss 31/98, bei juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.05.1996, 3 Ss 114/96, NZV, 1996, 414f; OLG Nürnberg, Beschluss vom 24.01.2007, 2 Ss 280/06, NZV 2007, 642f; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 318 Rn 29; KK-Paul, StPO, 6. Aufl., § 318 Rn 8a, HeidelbergerKomm/Rautenberg, StPO, 4. Aufl., § 318 Rn. 27).
16
Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Anordnung der isolierten Sperrfrist ein Regelbeispiel im Sinne des § 69 Abs. 2 StGB zu Grunde liegt, bei dem aufgrund der verwirklichten Straftat ohne weiteres von der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen ist (vgl. BGHSt 47, 32, 36, 38). Vorliegend ist aber kein Regeltatbestand nach § 69 Abs. 2 StGB erfüllt.
17
Die angefochtene Entscheidung beruht auf der Verletzung des § 69a Abs. 3 StGB, denn es ist nicht auszuschließen - sondern liegt angesichts dessen, das kein Fall der Regelentziehung nach § 69 Abs. 2 StGB i.V.m. § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB vorliegt und zwischen den abzuurteilenden beiden Taten und der Berufungshauptverhandlung immerhin 9 Monaten verstrichen waren, keineswegs fern -, dass das Landgericht die isolierte Sperrfrist etwas geringer bemessen hätte.
18
Da Gegenstand des Berufungsurteils aufgrund der wirksamen Berufungsbeschränkung allein der Rechtsfolgenausspruch ist und dieser aus den ausgeführten Gründen keinen Bestand haben kann, war das Urteil der Berufungskammer insgesamt aufzuheben.