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Amtsgericht Bergisch Gladbach Urteil vom 11.06.2012 - 62 C 518/11 - Zur Erstattung von vorgerichtlichen Anwaltskosten durch den Rechtsschutzversicherer
Amtsgericht Bergisch Gladbach v. 11.06.2012: Zur Erstattung von vorgerichtlichen Anwaltskosten durch den Rechtsschutzversicherer
Das Amtsgericht Bergisch Gladbach (Urteil vom 11.06.2012 - 62 C 518/11) hat entschieden:
Kosten für die vorgerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts sind vom Rechtsschutzversicherer auch dann zu erstatten, wenn sie allein auf der Grundlage eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs zugesprochen wurden.
Siehe auch Rechtsschutzversicherung
Tatbestand:
Die Beklagte ist bei der Klägerin rechtsschutzversichert. Bestandteil des Versicherungsvertrages sind die ARB.
Die Klägerin hat in dem Herrn K O gegen die Beklagte vor dem Amtsgericht Bergisch Gladbach, Az. 62 C 99/09 geführten Rechtsstreit Kostenschutz übernommen. In dortigem Verfahren wurde die Beklagte u. a. durch Schlussurteil vom 22.04.2010 verurteilt, an den dortigen Kläger XY vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten als Verzugsschaden in Höhe von 359,50 € zu zahlen.
Im Rahmen der Kostenfestsetzung überwies die Klägerin an den damaligen gegnerischen Prozessbevollmächtigten versehentlich einen Betrag in Höhe von 981,60 € zu viel, den dieser an den Bevollmächtigten der Beklagten erstattete. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten brachte einen Betrag in Höhe von 359,50 € in Abzug, den er an die Beklagte weiterleitete, und überwies der Klägerin lediglich 622,10 €. Die Klägerin forderte die Beklagte außergerichtlich mehrfach erfolglos zur Rückzahlung des Betrages von 359,50 € auf. Die Beklagte hat außergerichtlich mit Schreiben vom 19.04.2011 die Aufrechnung mit einem Freistellungsanspruch gegenüber der Klägerin die Aufrechnung erklärt.
Die Klägerin ist der Ansicht, die außergerichtlichen gegnerischen Kosten hätte sie nach den Bedingungen der Rechtsschutzversicherung nicht zu tragen, da es sich um materiell-rechtliche Schadenersatzansprüche der Gegenseite handele. Diese seien bereits vor Beginn der Rechtsverteidigung als Folge pflichtwidrigen Verhaltens des Versicherungsnehmers durch Verzug entstanden. Sie sei lediglich verpflichtet die Kosten zu übernehmen, die Gegenstand des Kostenfestsetzungsbeschlusses in dem Verfahren Amtsgericht Bergisch Gladbach, Az. 62 C 99/09 seien.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 359,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.05.2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, § 5 Abs. 1 h) ARB 1994/2000 (§ 2 Abs. 1 g) ARB 75) unterschieden nicht zwischen außergerichtlichen und gerichtlichen Kosten. Es sei auf das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen. Dieser unterscheide angesichts des klaren Wortlauts der ARB nicht zwischen außergerichtlichen und gerichtlichen Kosten, und erst recht nicht zwischen einer Erstattungspflicht aus materiell-rechtlichen Gründen und / oder prozessualen Gründen. Dies gelte umso mehr, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wahlweise zur Hälfte anrechenbar seien. Es handele sich zudem um einen Kostenerstattungsanspruch, der gerichtlich festgestellt worden sei. Das vorgerichtliche Bestreiten sei zwangsläufige Voraussetzung, um später im Rechtsstreit die eigene Position unter Stellung des Klageabweisungsantrages vertreten zu können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung von 359,50 € gegen die Beklagte. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 86 VVG i. V. m. § 17 Abs. 8 ARB 1994/2000 (bzw. § 20 Abs. 2 ARB 75).
Die Beklagte hat einen Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Kosten ihres damaligen Prozessgegners in Höhe von 359,50 € gegen die Klägerin, mit dem sie wirksam aufgerechnet hat, §§ 257, 389 BGB i. V. m. §§ 1, 5 Abs. 1 h) ARB 2000 i. V. m. dem Rechtsschutzversicherungsvertrag.
Nach § 1 ARB 2000 sorgt der Versicherer dafür, dass der Versicherungsnehmer seine rechtlichen Interessen wahrnehmen kann und trägt die zur Interessenwahrnehmung erforderlichen Kosten. Nach § 5 Abs. 1 h) ARB 2000 trägt der Versicherer die dem Gegner durch die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen entstandenen Kosten, soweit der Versicherungsnehmer zu deren Erstattung verpflichtet ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind Versicherungsbedingungen - so auch die ARB - so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss, wobei auch auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen abzustellen ist. Beim Wortlaut, von dem der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei der Auslegung einer Klausel zunächst und primär ausgeht, ist an sich vom Sprachgebrauch des täglichen Lebens auszugehen und es sind die Verständnismöglichkeiten des Durchschnittsmenschen zugrunde zu legen, auch wenn es sich um Begriffe handelt, die in der Fachsprache möglicherweise eine vom täglichen Sprachgebrauch abweichende Bedeutung haben können. Neben dem Wortlaut und dem erkennbaren Sinnzusammenhang ist bei der Auslegung auch der mit der Klausel erkennbar verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Die einzelnen Klauseln sind dabei eng und nicht weiter auszulegen, als ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht (vgl. BGH, r + s 2011, 334, 335; Bauer, in: Walter Harbauer, Rechtsschutzversicherung, ARB-Kommentar, 8. Auflage 2010, Vorbemerkung § 1 ARB 2000 Rn. 5).Etwaige Unklarheiten gehen zulasten des Versicherers.
Ausgehend vom Wortlaut des § 5 Abs. 1 h) ARB 2000 trägt der Versicherer die dem Gegner durch die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen entstandenen Kosten, soweit der Versicherungsnehmer zu deren Erstattung verpflichtet ist. Eine Unterscheidung zwischen außergerichtlichen und gerichtlichen Kosten des Gegners oder eine Unterscheidung zwischen materiell-rechtlichen und prozessualen Kostenerstattungsansprüchen ist im Wortlaut der Klausel nicht angelegt. Dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut der Klausel nach hat die Versicherung zunächst alle dem Gegner zu erstattenden Kosten zu tragen. Eine Zweckbestimmung ist in der Klausel selbst nicht angelegt.
Im Anschluss an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1985 (BGH, NJW 1985, 1466 ff.) wird die Auffassung vertreten, in den vom Rechtsschutzversicherer übernommenen Risikobereich fielen nur solche Kosten, die „für“ die Interessenwahrnehmung des Versicherungsnehmers, also als deren kostenrechtliche Folge, entstehen. Rechtskosten, deren Erstattung der Versicherungsnehmer bereits aus materiell-rechtlichen Gründen schulde, z. B. - wie vorliegend - wegen Schuldnerverzuges (§§ 280 Abs. 2 , 286, BGB) und die daher selbst Gegenstand der Interessenwahrnehmung seien, verblieben im Risikobereich des Versicherungsnehmers. Bei diesen nicht unter die Kostenpflicht des Rechtsschutzversicherers fallenden Kosten handele es sich in aller Regel um solche, die bereits vor Beginn der Rechtsverteidigung des Versicherungsnehmers als Folge pflichtwidrigen Verhaltens des Versicherungsnehmers entstanden seien. Dies gelte auch für den Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltsgebühren der Gegenseite, soweit diese der Gegenseite gerichtlich zugesprochen worden seien (vgl. Harbauer, Rechtsschutzversicherung, ARB-Kommentar, 8. Auflage 2010, Vorbemerkung § 1 ARB 2000 Rn. 39). Nicht rechtsschutzversicherte Kosten seien danach Verpflichtungen auf Aufwendungserstattungen an einen Gegner, wenn und soweit sie sich als Folge eines Schuldnerverzuges oder aus unerlaubter Handlung - d. h. aus dem materiellen Recht - ergeben, da diese Erstattungspflicht ist Folge einer im Risikobereich des Versicherungsnehmers verbleibenden, in der Regel bereits vor Beginn seiner unter die Versicherungsdeckung fallenden Interessenwahrnehmung entstandenen materiell-rechtlichen Schadenersatzpflicht (vgl. Harbauer, Rechtsschutzversicherung, ARB-Kommentar, 8. Auflage 2010, ARB 2000 § 5 Rn. 150; Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, ARB 2008 II § 5 Rn. 41). Eine Freistellungspflicht des Rechtsschutzversicherers besteht danach allerdings nur bei solchen Ansprüchen nicht, welche ausschließlich auf materiell-rechtlichen Gründen beruhen (vgl. vgl. Harbauer, Rechtsschutzversicherung, ARB-Kommentar, 8. Auflage 2010, ARB 2000 § 5 Rn. 150). Für Ansprüche, für welche eine Erstattungspflicht sowohl auf materiell-rechtlichen Gründen als auch auf prozessualen Gründen beruht, wird eine Einstandspflicht des Rechtsschutzversicherers hingegen bejaht. Demnach hätte die Beklagte jedenfalls einen Anspruch auf Freistellung der im Kostenfestsetzungsverfahren anrechenbaren außergerichtlichen Kosten des damaligen Prozessgegners, anhand einer 0,65 Geschäftsgebühr zuzüglich Umsatzsteuer. Insofern beruht die Erstattungspflicht nicht ausschließlich auf materiell-rechtlichen Gründen, auch wenn die gesamten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Urteil aus Verzugsgesichtspunkten zugesprochen worden sind. Die Entscheidung des Prozessgegners, in welcher Weise er seine vorgerichtlichen Kosten durchsetzt, kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers gereichen. Denn sowohl aus seiner Sicht als auch aus Sicht der Versicherung stellt es sich als bloßer Zufall dar, ob die (weitere) 0,65 Geschäftsgebühr bereits mit der Klage eingeklagt oder erst im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht wird.
Im Rahmen seiner vorgerichtlichen Rechtsverteidigung kann der Versicherungsnehmer, der den Anspruch insgesamt bestreitet, gar nicht umhin, mit vorgerichtlich entstehenden Kosten in Verzug zu geraten. Andernfalls wäre ihm eine Rechtsverteidigung lediglich möglich, wenn er sicher obsiegen würde bzw. wenn er den Anspruch unter Vorbehalt erfüllen und sich auf einen Rückforderungsrechtsstreit einlassen würde. Ist die Rechtsschutzversicherung aber ohnehin hinsichtlich eines Teils der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten eintrittspflichtig, ist es aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht mehr nachvollziehbar, wenn einheitlich entstehende vorgerichtliche Kosten nach Abschluss des Verfahrens in allein materiell-rechtliche und prozessuale Kostenerstattungsansprüche der Höhe nach aufgesplittet werden. Der zur Zahlung verpflichtende Rechtsgrund ist jeweils der Verzug des Versicherungsnehmers, den er zu seiner Interessenwahrnehmung eingegangen ist.
Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen der Auslegung der Klausel zu berücksichtigen, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer diese Unterscheidungen zwischen anrechenbaren und nicht anrechenbaren Kosten nicht leisten kann. Aus seiner Sicht fallen im Rahmen eines Rechtsstreits Kosten an, die er im Rahmen seiner Rechtsschutzversicherung abgesichert wähnt.
Insgesamt kann daher bei verständiger Würdigung aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers entgegen vorzitierte Ansicht bei der Auslegung der §§ 1, 5 Abs. 1 h) ARB 2000 nicht nach dem rechtlichen Grund des Kostenerstattungsanspruchs der Höhe nach unterscheiden werden, mit der Folge, dass die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Kosten ihres damaligen Prozessgegners in Höhe von 359,50 € gegen die Beklagte hat, § 257 BGB.
Mit diesem Anspruch hat die Beklagte außergerichtlich aufgerechnet, so dass der Rückzahlungsanspruch der Klägerin erloschen ist, 389 BGB.
Mangels Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf Zinszahlung.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
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Die Berufung war nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
Streitwert: 359,50 €