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BGH Urteil vom 19.10.1994 - I ZR 187/92 - Zum materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung der Verfügungsverfahrenskosten nach Antragsrücknahme und Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren

BGH v. 19.10.1994: Zum materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung der Verfügungsverfahrenskosten nach Antragsrücknahme und Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren


Der BGH (Urteil vom 19.10.1994 - I ZR 187/92) hat entschieden:
Wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgenommen, weil die Verfügung vom Antragsteller innerhalb der Vollziehungsfrist des ZPO § 929 Abs 2 nicht wirksam zugestellt worden ist, so kann der Antragsteller auch dann nicht Erstattung der Kosten des Verfügungsverfahrens verlangen, wenn er im Hauptsacheverfahren sachlich obsiegt.


Tatbestand:

Die Beklagte, ein Verlags- und Werbeunternehmen, veröffentlichte in dem von ihr verlegten Anzeigenblatt am 3. Juli 1991 eine Eigenanzeige, die von der Klägerin, die ebenfalls ein Anzeigenblatt verlegt, als irreführend beanstandet worden ist, weil die beworbenen Angebote entgegen dem Eindruck, den die Eigenanzeige erwecke, nicht neu seien.

Die Klägerin erwirkte gegen die Beklagte beim Landgericht Essen am 26. Juli 1991 eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung. Die Beklagte legte dagegen Widerspruch ein. Im Termin vom 4. Oktober 1991 nahm die Klägerin den Verfügungsantrag zurück, nachdem sich herausgestellt hatte, dass innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO eine wirksame Zustellung der einstweiligen Verfügung nicht erfolgt war. Denn es war eine Ausfertigung zugestellt worden, auf der sich zwischen den Worten "Ausgefertigt" und "Justizangestellter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Landgerichts" keine Unterschrift befunden hatte, sondern nur eine unleserliche Strichmarkierung, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sowie der zuständige Gerichtsvollzieher als Unterschrift angesehen hatten. Aufgrund der Antragsrücknahme wurden die Kosten des Verfügungsverfahrens durch Beschluss der Klägerin auferlegt.

Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin zunächst ihren Unterlassungsantrag weiterverfolgt und außerdem die Erstattung der ihr im Verfügungsverfahren entstandenen Verfahrenskosten in Höhe von 4.240,80 DM als Schadensersatz nach §§ 1, 3, 13 Abs. 6 UWG verlangt.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe die Kosten des Verfügungsverfahrens zu tragen, weil der Unterlassungsanspruch sachlich berechtigt sei.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat vorgebracht, die Klägerin habe sich die Versäumung der Vollziehungsfrist selbst zuzurechnen.

Das Landgericht hat der Klage mit dem Unterlassungsantrag in vollem Umfang und mit dem Zahlungsantrag zur Hälfte stattgegeben.

Die auf die Verurteilung zur Zahlung beschränkte Berufung der Beklagten hat - unter gleichzeitiger Zurückweisung der Berufung der Klägerin - zur vollen Abweisung des Zahlungsantrags geführt.

Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag in voller Höhe weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Schadensersatzanspruch für unbegründet erachtet und dazu ausgeführt: Zwar sei in der Rechtsprechung und im Schrifttum an- erkannt, dass grundsätzlich unabhängig von dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch als Schadensersatz bestehen könne, der den prozessualen Erstattungsanspruch überlagern und über ihn hinausgehen könne. In BGHZ 45, 251, 257 sei jedoch überzeugend dargelegt, dass es bei unverändertem Sachverhalt, der zu einer abschließenden prozessualen Kostenentscheidung geführt habe, nicht angehe, nunmehr denselben Sachverhalt erneut zur Nachprüfung zu stellen und in seinen kostenrechtlichen Auswirkungen materiell-rechtlich entgegengesetzt zu beurteilen. Allerdings sei der vorliegende Fall mit dem dort entschiedenen Fall nicht in jeder Hinsicht vergleichbar. Während dort der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kostenfällig zurückgewiesen worden sei und die im Verfügungsverfahren unterlegene Partei aufgrund einer anderen rechtlichen Beurteilung im Hauptsacheverfahren obsiegt hätte, sei es vorliegend aufgrund der Antragsrücknahme seitens der Klägerin nicht zu einer sachlichen Entscheidung des im Verfügungsverfahren zuständigen Gerichts gekommen, sondern nur zu einer (deklaratorischen) Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO. Die dort angeführten Gründe des Rechtsfriedens, die es untragbar erscheinen ließen, die Kostenpflicht für ein abgeschlossenes Verfügungsverfahren unter dem Gesichtspunkt sachlich-rechtlicher Schadensersatzansprüche erneut aufzurollen, träfen hier aber genauso zu.


II.

Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

1. Als Grundlage für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch kommt § 13 Abs. 6 Nr. 1 UWG i.V. mit § 3 UWG, auf den das Landgericht das rechtskräftig gewordene Verbot gestützt hat, in Betracht. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die dafür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind, insbesondere, ob die Beklagte wusste oder wissen musste, dass die von ihr gemachten Angaben irreführend sind und ob die Kosten des Verfügungsverfahrens angesichts der Besonderheiten des Falles noch als durch die Irreführung adäquat verursachter Schaden angesehen werden können. Denn im Streitfall steht der prozessuale Kostenerstattungsanspruch, der seine Grundlage in § 269 Abs. 3 ZPO findet, der Geltendmachung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs entgegen. Dies folgt aus den in BGHZ 45, 251 ff. entwickelten Grundsätzen, auf die das Berufungsgericht sich zu Recht gestützt hat.

2. Danach ist - wie allgemein anerkannt - zwar davon auszugehen, dass eine prozessuale Kostentragungsregelung nicht erschöpfend ist, sondern Raum lässt für ergänzende sachlich-rechtliche Ansprüche auf Kostenerstattung (vgl. auch BGH, Urt. v. 28.2.1969 - II ZR 174/67, NJW 1969, 1109), etwa aus Vertrag, wegen Verzuges oder aus unerlaubter Handlung. Ein solcher Anspruch kann je nach Sachlage neben die prozessuale Kostenregelung treten, er kann der prozessualen Regelung sogar entgegengerichtet sein, sofern zusätzliche Umstände hinzukommen, die bei der prozessualen Kostenentscheidung nicht berücksichtigt werden konnten (vgl. auch BGH, Urt. v. 19.6.1986 - I ZR 65/84, GRUR 1987, 54, 55 = WRP 1986, 672 - Aufklärungspflicht des Abgemahnten). Bleibt jedoch der Sachverhalt, der zu einer abschließenden Kostenentscheidung geführt hat, unverändert und treten keine selbständigen Umstände hinzu (wie z.B. eine sittenwidrige Schädigung i.S. von § 826 BGB), dann geht es nicht an, nunmehr den gleichen Sachverhalt erneut zur Nachprüfung zu stellen und in seinen kostenrechtlichen Auswirkungen entgegengesetzt zu beurteilen (vgl. BGHZ 45, 251, 256 f.; zustimmend Baumbach/Hartmann, ZPO, 53. Aufl., Übersicht vor § 91 Rdn. 51; MünchKomm/Belz, ZPO, 1992, Vor § 91 Rdn. 10; E. Schneider, MDR 1981, 353, 360; a.A. Baur, Anmerkung in JZ 1966, 530, 531).

Diese Grundsätze sind auch im Streitfall anwendbar und führen zu dem Ergebnis, dass die Kostenregelung des § 269 Abs. 3 ZPO hier als abschließend anzusehen ist und die Geltendmachung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs ausschließt. Umstände, die über die bloße Antragsrücknahme, an die die gesetzliche Kostenregelung allein anknüpft, hinausreichen - wie z.B. die Herbeiführung der Rücknahme durch Täuschung u.ä. - sind nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Der von der Revision vertretenen Auffassung, der in BGHZ 45, 251 ff. (vollständig abgedruckt in WM 1966, 881) entschiedene Fall sei mit dem vorliegenden Fall kostenrechtlich nicht vergleichbar, vermag der Senat nicht beizutreten. In dem damaligen Verfahren war der wegen eines Wettbewerbsverstoßes gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in letzter Instanz kostenpflichtig zurückgewiesen worden; im Hauptsacheverfahren drang die Klägerin mit ihren Anträgen hingegen durch, weil der Bundesgerichtshof entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts im Verfügungsverfahren einen Wettbewerbsverstoß bejaht hatte. Die Revision will eine unterschiedliche Behandlung beider Fälle daraus herleiten, dass im angeführten Verfahren mit Rechtskraftwirkung festgestanden habe, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gehabt habe, obwohl später im Hauptsacheverfahren entgegengesetzt entschieden worden sei, während vorliegend die Klägerin ihren Antrag auf Erlass - wegen Versäumung der Vollziehungsfrist - zurückgenommen habe mit der Folge, dass das Verfügungsverfahren nach § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO als nicht anhängig geworden anzusehen sei. Die Revision verkennt, dass der Grundsatz der Rechtskraft nicht die alleinige und auch nicht die tragende Erwägung der vom Berufungsgericht angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist.

Vielmehr wird zum einen auf den erkennbaren Willen des Gesetzgebers abgehoben, Streitigkeiten allein über die Kosten möglichst einzuschränken, und zwar sogar dann, wenn - wie sich aus der grundsätzlichen Unzulässigkeit isolierter Kostenanfechtungen und aus der Kostenregelung nach Erledigung der Hauptsache ergibt (vgl. §§ 99, 91 a ZPO) - noch keine abschließende Entscheidung vorliegt. Dass dies erst recht gelten muss, wenn bereits eine endgültige Kostenentscheidung in einem abgeschlossenen selbständigen Verfahren ergangen ist (BGHZ 45, 251, 257), ist eine naheliegende Folgerung. Sie findet ihre sachliche Begründung darin, dass der damit eingetretene Rechtsfriede nicht nachträglich wieder mit der Erwägung beseitigt werden soll, die Kostenentscheidung sei nach sachlichem Recht eigentlich ungerechtfertigt (BGH aaO). Diese Begründung trifft nicht nur in dem Fall zu, in dem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kostenpflichtig zurückgewiesen wird, sondern auch im Falle der Rücknahme des Antrags. Denn wer den Antrag zurücknimmt, begibt sich damit freiwillig in die Rolle des Unterliegenden. Das Gesetz selbst knüpft in § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO an den Rücknahmeakt die Verpflichtung, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die gesetzliche Kostenregelung ist für dieses Verfahren ebenso wie die auf der Tatsache des Unterliegens beruhende Kostenentscheidung gemäß §§ 91, 97 ZPO abschließend. Die von der Revision angeführten Literaturmeinungen, die das Gegenteil belegen sollen, beziehen sich zum Teil lediglich auf den Fall der Klagerücknahme vor Rechtshängigkeit, weil dann keine Kostenentscheidung ergehen könne (vgl. MünchKomm/Belz aaO, Vor § 91 Rdn. 10; so wohl auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., Vor § 91 Rdn. 17; anders, allerdings ohne Begründung, für jeden Fall der Klagerücknahme E. Schneider, MDR 1981, 353, 355; Zöller/Herget, ZPO, 18. Aufl., Vor § 91 Rdn. 12).

Sodann würde eine andere Auffassung aber auch - wie in BGHZ 45, 251, 257 f. weiter ausgeführt - zu unbilligen Ergebnissen führen. Es ist bereits nicht einzusehen, dass der Antragsteller, der die Versäumung der Vollziehungsfrist selbst zu vertreten hat, nur deshalb von den von ihm verursachten Kosten des Verfügungsverfahrens befreit werden soll, weil er in einem späteren Hauptsacheverfahren obsiegt. Überdies müsste dem im Hauptsacheverfahren erfolgreichen Antragsteller ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch dann auch zugebilligt werden, wenn der Verfügungsantrag z.B. wegen mangelnder Dringlichkeit oder unzureichender Glaubhaftmachung zurückgewiesen - oder auch zurückgenommen - worden ist. Insoweit ist in der Rechtsprechung bereits zu Recht entschieden worden, dass es verfahrensrechtlich allein das Risiko des Antragstellers ist, wenn er ein summarisches Verfahren einleitet, ohne seinen - an sich berechtigten - Anspruch glaubhaft zu machen (vgl. RGZ 130, 217, 220; zustimmend E. Schneider, MDR 1981, 353, 360). Schließlich müssten Schadensersatzansprüche zur Abänderung von prozessualen Kostenentscheidungen auch dann durchgreifen können, wenn kein Hauptprozess geführt worden ist, denn dessen erfolgreicher Abschluss wäre nicht die Voraussetzung für einen materiell- rechtlichen Schadensersatzanspruch (vgl. BGHZ 45, 251, 258). Es wäre ein untragbares und vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis, wollte man in all diesen Fällen die Möglichkeit gewähren, die Frage der Kostenpflicht für ein abgeschlossenes Verfügungsverfahren nachträglich unter dem Gesichtspunkt sachlich-rechtlicher Schadensersatzansprüche erneut aufzurollen und auf diesem Wege die entscheidungserhebliche Sachfrage erneut zur Überprüfung zu stellen.


III.

Die Revision der Klägerin war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.