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BGH Urteil vom 06.04.2011 - VIII ZR 22/10 - Zum Risiko des Klägers bei einer unwirksamen Zustellung der Klageschrift
BGH v. 06.04.2011: Zum Risiko des Klägers bei einer unwirksamen Zustellung der Klageschrift
Der BGH (Urteil vom 06.04.2011 - VIII ZR 22/10) hat entschieden:
- Gibt der Kläger im Rubrum der Klageschrift einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten des Beklagten an, so ist dieser als für den Rechtszug bestellter Prozessbevollmächtigter gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzusehen und hat die Zustellung an ihn zu erfolgen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 28. Juli 1999, VIII ZB 3/99, NJW-RR 2000, 444; Aufgabe von BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1980, IVb ZR 613/80, MDR 1981, 126; Urteil vom 9. Oktober 1985, IVb ZR 59/84, NJW-RR 1986, 286).
2. Das Risiko, dass der vom Kläger als Prozessbevollmächtigter des Beklagten bezeichnete Anwalt keine Prozessvollmacht besitzt und die an diesen bewirkte Zustellung deshalb unwirksam ist, trägt der Kläger (Anschluss an BVerfG, 7. August 2007, 1 BvR 685/07, NJW 2007, 3486, 3488).
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem Gebrauchtwagenkauf sowie Erstattung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten. Er erwarb im Dezember 2007 von der Beklagten, einer Autohändlerin, zum Preis von 3.950 € einen Pkw Audi A6, 2,8 Avant, der im April 1996 erstmals zugelassen worden war und einen Kilometerstand von 161.700 km aufwies. Vereinbart war eine Gewährleistungsfrist von 12 Monaten. Ende Oktober 2006 hatte das Fahrzeug beim TÜV Rheinland die Hauptuntersuchung ohne erkennbare Mängel bestanden. Bei der nächsten Hauptuntersuchung im Januar 2009 wurden erhebliche Mängel an den vorderen Radaufhängungen und Querlenkerlagern sowie an der Bremsanlage festgestellt.
Für die Behebung dieser Mängel forderte der Kläger von der Beklagten unter Vorlage der Rechnung einer Autoreparaturwerkstatt die Zahlung von 722,11 € zuzüglich Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,67 €. Die Beklagte ließ die Ansprüche durch ihre nachmaligen Prozessbevollmächtigten zurückweisen.
Im Rubrum der vom Kläger daraufhin eingereichten Klageschrift sind die Beklagtenvertreter als "Prozess- und Zustellungsbevollmächtigte" angegeben. Das Amtsgericht hat die Klageschrift nicht den Beklagtenvertretern, sondern der Beklagten zugestellt. Nachdem innerhalb der gesetzlichen Frist keine Verteidigungsanzeige der Beklagten eingegangen war, hat das Amtsgericht der Klage durch Versäumnisurteil vom 1. April 2009 stattgegeben. Das Versäumnisurteil ist der Beklagten am 4. April 2009 zugestellt worden.
Am 8. April 2009 ist bei dem Amtsgericht eine von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten gefertigte Klageerwiderung gleichen Datums eingegangen. Durch Verfügung vom 29. April 2009 hat das Amtsgericht die Beklagtenvertreter auf den bereits erfolgten Erlass eines Versäumnisurteils und dessen Zustellung an die Beklagte hingewiesen. Diese haben daraufhin mit - am selben Tag eingegangenem - Schriftsatz vom 13. Mai 2009 Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt.
Das Amtsgericht hat den Einspruch wegen verspäteter Einlegung als unzulässig verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Das Amtsgericht habe den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil zu Unrecht als unzulässig verworfen. Mangels ordnungsgemäßer Zustellung des Versäumnisurteils sei die Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO nicht in Gang gesetzt und der Einspruch daher rechtzeitig eingelegt worden. Gemäß § 172 ZPO hätten sowohl die Klageschrift als auch das Versäumnisurteil an die in der Klageschrift als Prozess- und Zustellungsbevollmächtigte benannten Beklagtenvertreter zugestellt werden müssen. Diese seien im Zeitpunkt der Klagezustellung zu Prozessbevollmächtigten der Beklagten bestellt gewesen, da sie in der Klageschrift als "Zustellungs- und Prozessbevollmächtigte" angegeben gewesen seien und sie den Klägervertreter schriftsätzlich von dem Bestehen der Prozessvollmacht in Kenntnis gesetzt hätten. In einem solchen Fall genüge die Bestellungsanzeige durch den Gegner und sei vom Gericht zu beachten. Der in Rechtsprechung und Literatur insoweit teilweise vertretenen strengeren Auffassung, wonach es nicht ausreiche, wenn sich ein Rechtsanwalt vorprozessual dem Gegner oder dessen Prozessbevollmächtigten lediglich als Zustellungsbevollmächtigter bestelle, sei nicht zu folgen. Denn der Kläger habe es in diesen Fällen selbst in der Hand, in der Klageschrift Angaben zum Beklagtenvertreter zu machen oder nicht. Wenn der Klägervertreter den gegnerischen Rechtsanwalt jedoch in der Klageschrift ausdrücklich als Zustellungs- und Prozessbevollmächtigten benenne, dann müsse aus Gründen eines fairen Verfahrens auch an diesen zugestellt werden, da der Beklagte sich seinerseits bei Erhalt der Klageschrift darauf verlassen könne, dass (auch) sein Prozessbevollmächtigter die Klage und ein mögliches späteres Urteil erhalte und tätig werde.
Die Klage sei unbegründet, weil der Kläger auch nach erfolgtem Hinweis des Berufungsgerichts nicht einmal ansatzweise einen Schadensersatzanspruch aus § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB schlüssig dargelegt habe. Bei einem Fahrzeug mit dem Alter und der Laufleistung des streitgegenständlichen Pkw bestehe jedenfalls die Möglichkeit, dass die geltend gemachten Mängel auf normalem Verschleiß beruhten. Hierzu habe der Kläger nichts vorgetragen. Ebenso fehle, auch unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgelegten Wartungsliste, jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die Mängel bei Gefahrübergang vorgelegen hätten.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Das Berufungsgericht hat zutreffend den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts als rechtzeitig eingelegt und daher zulässig angesehen, weil die Zustellung dieses Urteils fehlerhaft nicht an die Beklagtenvertreter als für den Rechtszug bestellte Prozessbevollmächtigte erfolgt ist (§ 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Da auch keine Anhaltspunkte für eine Heilung dieses Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO vorliegen, hätte der Einspruch vom Amtsgericht nicht als unzulässig verworfen werden dürfen. Die vom Berufungsgericht in der Sache selbst getroffene Entscheidung ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass bereits der eigene Vortrag des Klägers den geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht trägt, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
1. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagtenvertreter dadurch, dass der Kläger sie im Rubrum der Klageschrift als "Prozess- und Zustellungsbevollmächtigte" der Beklagten benannt hatte, von Anfang an als für den Rechtszug bestellte Prozessbevollmächtigte der Beklagten anzusehen waren (§ 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO geschieht in der Weise, dass die vertretene Partei oder ihr Vertreter dem Gericht oder im Falle einer Parteizustellung dem Gegner Kenntnis von dem Vertretungsverhältnis gibt (BGH, Beschlüsse vom 29. Oktober 1973 - NotZ 4/73, BGHZ 61, 308, 311 - zu § 176 ZPO aF; vom 1. Oktober 1980 - IVb ZR 613/80, LM Nr. 13 zu § 176 ZPO [aF]; Senatsbeschlüsse vom 28. Juli 1999 - VIII ZB 3/99, NJW-RR 2000, 444 unter [II] 1 b; vom 28. November 2006 - VIII ZB 52/06, NJW-RR 2007, 356 Rn. 7; MünchKommZPO/Häublein, 3. Aufl., § 172 Rn. 5; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 172 Rn. 6; Musielak/Wolst, ZPO, 7. Aufl., § 172 Rn. 2; Prütting/Gehrlein/Kessen, ZPO, 2. Aufl., § 172 Rn. 3). Sie kann auch durch eine Anzeige des Prozessgegners erfolgen, wenn die vertretene Partei oder ihr Vertreter dem Gegner von dem Bestehen einer Prozessvollmacht Kenntnis gegeben haben (Senatsbeschluss vom 28. Juli 1999 - VIII ZB 3/99, aaO; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1980 - IVb ZR 613/80, aaO; Urteil vom 9. Oktober 1985 - IVb ZR 59/84, NJW-RR 1986, 286 unter 1; BVerfG, NJW 2007, 3486, 3488; BayVerfGH, NJW 1994, 2280, 2281; OLG Zweibrücken, OLGR 2005, 822, 823; OLG Köln, OLGR 1992, 302, 303; MünchKommZPO/Häublein, aaO; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 172 Rn. 9; Zöller/Stöber, aaO Rn. 7; Musielak/Wolst, aaO Rn. 3; Prütting/Gehrlein/Kessen, aaO Rn. 4). Bei dem Erfordernis der Kenntnisgabe handelt es sich indessen in erster Linie um einen Gesichtspunkt für die Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung (vgl. Zöller/Stöber, aaO). Aus ihm folgt deshalb nicht, dass der vom Gegner benannte Prozessbevollmächtigte des Beklagten erst dann als gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestellt anzusehen ist, wenn über dessen Benennung im Rubrum der Klageschrift hinaus weiterer Vortrag zum Vorliegen einer Prozessvollmacht erfolgt. Das Gericht hat vielmehr schon dann, wenn im Rubrum der Klageschrift ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter des Beklagten angegeben wird, die Zustellung an diesen und nicht an die Partei vorzunehmen. In diesem Sinne sind auch die Ausführungen des Senats in dem oben genannten Senatsbeschluss vom 28. Juli 1999 (VIII ZB 3/99, aaO) zu verstehen.
Allerdings sind in der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und auch in der Literatur teilweise Zweifel geäußert worden, ob die Benennung eines Prozessbevollmächtigten der beklagten Partei im Rubrum der Klageschrift allein ausreicht, um von einer Bestellung zum Prozessbevollmächtigten für den Rechtszug gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO ausgehen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1980 - IVb ZR 613/80, aaO; Urteil vom 9. Oktober 1985 - IVb ZR 59/84, aaO; BayVerfGH, aaO; OLG Hamburg, MDR 1991, 259; OLG Naumburg FamRZ 2000, 166; Stein/Jonas/Roth, aaO Rn. 9 und 11; Musielak/Wolst, aaO; vgl. auch OLG Zweibrücken, aaO). Zur Begründung hierfür ist im Wesentlichen ausgeführt worden, durch die bloße Benennung des Beklagtenvertreters im Rubrum der Klageschrift werde nicht in ausreichendem Maße deutlich, ob dieser eine Prozessvollmacht, also eine das ganze Verfahren umfassende Vertretungsmacht, oder lediglich eine auf das vorgerichtliche Verfahren bezogene Vollmacht oder eine bloße Zustellungsvollmacht habe. Die Benennung könne auf vielerlei Ursachen beruhen und insbesondere durch Irrtümer veranlasst sein. Für das Gericht müsse aber bei von Amts wegen vorzunehmenden Zustellungen Klarheit über das Vorliegen einer Bestellung als Prozessbevollmächtigter bestehen.
Der Senat hat die Frage, ob die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO bereits erfüllt sind, wenn im Rubrum der Klageschrift ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter des Beklagten benannt wird, bisher noch nicht entschieden. Er hält die oben aufgezeigten Bedenken für nicht begründet. Diese sind ersichtlich von dem Bestreben getragen, im Vorfeld der Zustellung ein höheres Maß an Verlässlichkeit hinsichtlich des Bestehens einer Prozessvollmacht zu erzielen. Ob eine Prozessvollmacht des Beklagtenvertreters tatsächlich besteht, wird das Gericht jedoch regelmäßig auch dann nicht sicher beurteilen können, wenn der Kläger vorträgt, die Beklagtenseite habe ihm Kenntnis vom Vorliegen einer Prozessvollmacht gegeben. Diese Ungewissheit ist indessen in dem hier interessierenden Zusammenhang unschädlich. Denn das Risiko, dass der vom Kläger als Prozessbevollmächtigter des Beklagten bezeichnete Anwalt keine Prozessvollmacht besitzt und die an diesen bewirkte Zustellung deshalb unwirksam ist, trägt der Kläger (BVerfG, aaO; Zöller/Stöber, aaO).
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, der an die Stelle des nicht mehr bestehenden IVb. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs getreten ist, hat auf Anfrage mitgeteilt, dass an der gegenteiligen Auffassung nicht festgehalten wird.
Die vom Amtsgericht vorgenommene Zustellung des Versäumnisurteils an die Beklagte als Partei ist daher, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, unwirksam und hat die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2006 - VIII ZB 52/06, aaO Rn. 6; BGH, Urteil vom 17. Januar 2002 - IX ZR 100/99, NJW 2002, 1728 unter II 4; jeweils mwN). Dass der Zustellungsmangel nach § 189 ZPO geheilt worden sein könnte, ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
2. Die Revision bleibt auch hinsichtlich der in der Sache selbst getroffenen Entscheidung des Berufungsgerichts ohne Erfolg. Das Berufungsgericht ist zu der Beurteilung gelangt, dass der Kläger weder einen Sachmangel noch dessen Vorliegen zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs schlüssig vorgetragen habe. Die Revision zeigt insoweit keinen Rechtsfehler auf. Ein solcher ist auch nicht zu erkennen.