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OLG Celle (Beschluss vom 26.07.2012 - 8 W 39/12 - Zur Regressaddition für Obliegenheitsverletzungen vor und nach dem Versicherungsfall
OLG Celle v. 26.07.2012: Zur Regressaddition für Obliegenheitsverletzungen vor und nach dem Versicherungsfall - Fahren ohne Fahrerlaubnis und Unfallflucht
Das OLG Celle (Beschluss vom 26.07.2012 - 8 W 39/12) hat entschieden:
- Die Verletzung einer vor und einer nach dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheit führt zu einer Addition der Regresshöchstbeträge.
- Nutzt der Mitversicherte das Kfz gegen den Willen des Versicherungsnehmers, so ist der Regresshöchstbetrag nicht um eine interne Haftungsquote des Versicherungsnehmers zu reduzieren.
- Bei der Bewertung der hinreichenden Erfolgsaussicht gilt das Verbot der Beweisantizipation nur begrenzt. Eine Beweisantizipation ist zulässig, wenn die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Hilfsbedürftigen als außerordentlich gering, wenn nicht sogar ausgeschlossen erscheinen lässt und eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die den Prozess selbst finanzieren müsste, wegen des absehbaren Misserfolgs der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen würde.
Siehe auch Beweisantizipation - vorweggenommene Beweiswürdigung und Stichwörter zum Thema Beweisprobleme
Gründe:
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim ist zulässig aber unbegründet. Die Verteidigung des Beklagten gegen die Klage besitzt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO.
I.
Auf der Grundlage einer summarischen Prüfung steht der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch gemäß § 116 Abs. 1 VVG in Höhe der Klageforderung zu.
1. Die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung beinhaltet die Mitversicherung weiterer Personen, insbesondere des Fahrers des versicherten Fahrzeugs. Es handelt sich insoweit um einen Vertrag zugunsten Dritter in Form der Versicherung für fremde Rechnung im Sinne von § 43 VVG. Der Mitversicherte erwirbt hierdurch einen eigenen Deckungsanspruch gegen den Haftpflichtversicherer, den er selbständig durchsetzen kann. Da er hierdurch in den Versicherungsvertrag einbezogen ist, treffen ihn auch die verhaltensbezogenen Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag, soweit sein eigenes Verhalten und seine eigenen Wahrnehmungen vor oder nach Eintritt des Versicherungsfalls betroffen sind (vgl. BGH VersR 1988, 1062; BGH VersR 1968, 185; KG Berlin VersR 2011, 254).
Zwar sieht § 116 Abs. 1 VVG eine etwaige Leistungsfreiheit des Versicherers nur gegenüber dem Versicherungsnehmer vor. Die Vorschrift findet jedoch entsprechend auch auf das Verhältnis zwischen dem Versicherer und dem mitversicherten Fahrer Anwendung. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass bei einer Versicherung für fremde Rechnung die geltenden Bestimmungen auch auf den Versicherer zu erstrecken sind (vgl. BGH VersR 1988, 1062). Ist der Versicherer nur gegenüber dem Halter, nicht aber gegenüber dem Fahrer zur Gewährung von Versicherungsschutz verpflichtet, ist allerdings zunächst zu ermitteln, wie der Schaden im Verhältnis zwischen Halter und Fahrer gemäß § 254 BGB zu verteilen ist. Der Versicherer hat nur die Quote zu übernehmen, die auf den Halter entfällt; hinsichtlich der Quote des Fahrers kann er gegen diesen Rückgriff nehmen (vgl. BGH a. a. O.).
2. Im vorliegenden Fall ist auf der Grundlage des Parteivortrags und der beigezogenen Strafakte davon auszugehen, dass es durch den Beklagten zu einer doppelten Obliegenheitsverletzung kam.
a) Zunächst führte der Beklagte das versicherte Fahrzeug, obwohl er unstreitig nicht über die hierfür erforderliche Fahrerlaubnis verfügte. Damit verletzte er seine Obliegenheit gemäß Ziffer D.1.3 der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB). Soweit der Beklagte die Nutzung des Fahrzeugs durch eine ihm nicht näher bekannte Person polnischer Staatsangehörigkeit behauptet, wird ihm dieser Einwand im Rechtsstreit voraussichtlich nicht zum Erfolg verhelfen. In diesem Zusammenhang soll nicht verkannt werden, dass das Bestehen hinreichender Erfolgsaussichten in der Regel dann besteht, wenn über eine entscheidungserhebliche Frage noch Beweis zu erheben ist (vgl. Geimer in: Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 114, Rn. 26). Allerdings gilt bei der Bewertung der hinreichenden Erfolgsaussicht das Verbot der Beweisantizipation nur begrenzt. Eine Beweisantizipation ist zulässig, wenn die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Hilfsbedürftigen als außerordentlich gering, wenn nicht sogar ausgeschlossen erscheinen lässt und eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die den Prozess selbst finanzieren müsste, wegen des absehbaren Misserfolgs der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen würde (vgl. BVerfG NJW-RR 2005, 140; BGH VersR 1994, 367; BGH NJW 1988, 266; OLG Bamberg OLGR Bamberg 2006, 539; OLG Bremen MDR 2006, 92; OLG Köln OLGR Köln 2004, 199; OLG Celle OLGR Celle 2002, 273; OLG Koblenz JurBüro 2002, 376).
So liegt der Fall hier. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im Beschluss vom 4. Juni 2012 Bezug genommen. Ergänzend soll deshalb nur noch darauf hingewiesen werden, dass der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 21. November 2011 noch eine Nutzung des Fahrzeugs durch einen libanesischen Staatsangehörigen behauptet hat (Bl. 41 d. A.). Dieser wechselnde Vortrag dürfte die Erfolgsaussichten des Beklagten jedenfalls nicht erhöhen.
Weil dem Beklagten das Fehlen einer Fahrerlaubnis bekannt war, verletzte er seine Obliegenheit auch vorsätzlich.
b) Darüber hinaus beging der Beklagte nach dem Unfall eine Fahrerflucht gemäß § 142 StGB, was eine weitere vorsätzliche Obliegenheitsverletzung gemäß Ziffer E.1.3 AKB darstellt. Diese Obliegenheitsverletzung ergibt sich zwanglos, wenn man entsprechend den vorstehenden Ausführungen von der Fahrereigenschaft des Klägers ausgeht.
3. Die Verletzung der vorvertraglichen Obliegenheit führt gemäß Ziffer D.3.3 zu einer Leistungsfreiheit der Klägerin in Höhe von 5.000,00 €. Dasselbe gilt gemäß Ziffer E.9.4 hinsichtlich der nachvertraglichen Obliegenheitsverletzung.
Die Regressbeträge sind zu addieren, da die eine Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls und die andere im Anschluss daran begangen wurde. In einem solchen Fall werden durch die Obliegenheiten unterschiedliche Sachverhalte erfasst, mit denen der Versicherer unterschiedliche Interessen wahren will. Die Obliegenheit vor dem Versicherungsfall soll den Eintritt des Versicherungsfalls verhindern, indem sie besonders gefahrenträchtige Verhaltensweisen sanktioniert und das versicherte Risiko dadurch begrenzt. Durch die Aufklärungsobliegenheit, die hier bereits durch das unerlaubte Entfernen vom Unfallort verwirklicht wurde, ohne dass es einer Nachfrage der Klägerin bedurfte, soll der Schaden und damit die Einstandspflicht des Versicherers möglichst gering gehalten werden. Diese unterschiedlichen Schutzrichtungen rechtfertigen die Addition (vgl. BGH VersR 2005, 1720).
Die Summe der beiden Beträge ist im vorliegenden Fall nicht um eine interne Haftungsquote der Versicherungsnehmerin zu reduzieren, weil der Beklagte das Fahrzeug unberechtigt nutzte (vgl. BGH VersR 1988, 1062). Insoweit hat der Beklagte selbst vorgetragen, dass der Eigentümer des Fahrzeugs ihm vor dessen Urlaub die Fahrzeugschlüssel mit der Weisung ausgehändigt habe, diese der Ehefrau des Eigentümers auszuhändigen (Bl. 121 d. A.). Wenn der Beklagte demgegenüber die Fahrzeugschlüssel einem Dritten zur Verfügung stellt und dieser das Fahrzeug darauf nutzt, dann geschieht dies jedenfalls ohne ein entsprechendes Einverständnis des berechtigten Versicherungsnehmers. Eine solche Konstellation rechtfertigt es regelmäßig, die Haftungsquote des Versicherungsnehmers vollständig in den Hintergrund treten zu lassen (vgl. BGH a. a. O.).
Da die Klägerin den Beklagten durch ihre unstreitigen Leistungen in Höhe von mehr als 10.000,00 € von dieser Schuld befreit hat, kann sie diesen im Umfang der eingetretenen Leistungsbefreiung in Anspruch nehmen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 4 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 ZPO liegen nicht vor. Der Gegenstandswert bemisst sich gemäß Nr. 3335 KV zum RVG nach dem Wert der Hauptsache.