Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 31.05.2010 - 12 U 105/09 - Zur Haftungsverteilung bei Kollision eines Linksabbiegers mit einem zu schnellen Geradeausfahrer bei ungeklärter Ampelschaltung

KG Berlin v. 31.05.2010: Zur Haftungsverteilung bei Kollision eines Linksabbiegers mit einem zu schnellen Geradeausfahrer bei ungeklärter Ampelschaltung


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 31.05.2010 - 12 U 105/09) hat entschieden:
  1. Bleibt bei einer Kollision zwischen einem Linksabbieger und einem Geradeausfahrer auf einer mit einer Lichtzeichenanlage mit grünem Räumpfeil versehenen Kreuzung ungeklärt, ob der Abbiegepfeil das Linksabbiegen freigab und lässt sich nicht feststellen, bei welcher Ampelschaltung der Geradeausfahrer die Haltelinie überquert hat, haften die Unfallbeteiligten bei gleicher Betriebsgefahr ihrer Fahrzeuge jeweils zur Hälfte.

  2. Steht jedoch fest, dass der Geradeausfahrer den Unfall dadurch mitverursacht hat, dass er bei Einfahrt in die Kreuzung die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 10 km/h überschritten hatte, kann eine Erhöhung seiner Haftungsquote auf 2/3 angemessen sein.

  3. Leuchtet gelbes Ampellicht und steht rotes Ampellicht bevor, muss der Kraftfahrer nur anhalten, wenn ihm dies noch mit normaler Betriebsbremsung möglich ist.

Gründe:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

I.

Nach § 513 Absatz 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung ist das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen, dass die Beklagten der Klägerin zu nicht mehr als 2/3 haften.

1. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Anhörung des Beklagten zu 1) die Ampelschaltung ungeklärt ist. Weder ist es der Klägerin gelungen, ihre Behauptung zu beweisen, dass der Beklagte zu 1) bei Rot in die Kreuzung eingefahren ist, noch haben die Beklagten bewiesen, dass der Grünpfeil für den Zeugen S nicht aufgeleuchtet hat. Die Beweiswürdigung des Landgerichts auf den Seiten 4-5 der angefochtenen Entscheidung, der der Senat folgt, ist nicht zu beanstanden.

2. Im Falle einer ungeklärten Ampelschaltung ist grundsätzlich von einer hälftigen Schadensteilung auszugehen (vgl. BGH NJW 1996, 1405; Senat KGR Berlin 2003, 7). Vorliegend hat das Landgericht aber den Haftungsanteil der Beklagten zu Recht auf 2/3 erhöht, weil der Beklagte zu 1) mit einer um 10 km/h überhöhten Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren ist und dies nach den Feststellungen des Sachverständigen auch mit unfallursächlich war. Eine weitere Erhöhung der Haftungsquote kommt auch nach Ansicht des Senats nicht in Betracht. Das Landgericht hat deshalb die unfallursächliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Rahmen der Abwägung der Haftungsquoten ausreichend berücksichtigt.

Eine höhere Geschwindigkeit als 60 km/h hat der Beklagte zu 1) auch nicht zugestanden, vielmehr hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht geäußert, “ich hatte 60 oder 65 km/h drauf”.

3. Unzutreffend ist die Ansicht der Klägerin, die Beklagten würden allein deshalb die volle Haftung tragen, weil der Unfall für den Beklagten zu 1) bei verkehrsordnungsgemäßer Fahrweise vermeidbar gewesen wäre. Der BGH führt in seinem von der Klägerin selbst zitierten Urteil (NJW 2004, 772) aus, dass eine völlige Haftungsfreistellung des Kfz-Halters von der Gefährdungshaftung im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG a.F. grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F. vorliegt. Ein unabwendbares Ereignis liegt aber nur dann vor, wenn der Unfall auch bei äußerst möglicher Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können (vgl. etwa Senatsurteil vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 268/99 - VersR 2000, 1556, 1557). Dass dies für den klägerischen Fahrer der Fall gewesen wäre, hat die Klägerin aber nicht bewiesen, da die Ampelschaltung nicht geklärt werden konnte.

4. Daraus, dass die Beklagten schriftsätzlich vorgetragen haben, der Beklagte zu 1) sei bei frühem Gelb in die Kreuzung eingefahren, können sich keine für die Klägerin günstigen Umstände ergeben. Würde man als bewiesen ansehen, dass der Beklagte zu 1) bei (frühem) Gelb in die Kreuzung eingefahren ist, so würde damit auch feststehen, dass der Grünpfeil für den Zeugen S nicht aufgeleuchtet hat. Dies hätte die zumindest überwiegende Haftung der Klägerseite zur Folge (vgl. Senat DAR 2009, 92 = KGR Berlin 2009, 200). Im Übrigen ist auch die Ansicht der Klägerin unzutreffend, ein Fahrzeugführer dürfe bei gelbem Ampellicht nicht mehr in die Kreuzung einfahren. Leuchtet gelbes Ampellicht und steht rotes Ampellicht bevor, dann muss nur der Kraftfahrer anhalten, der dies noch mit normaler Betriebsbremsung tun kann (KG VRS 67, 63). Vorliegend fehlt es an tatsächlichen Feststellungen, aus denen geschlossen werden konnte, dass dem Beklagten zu 1) ein Anhalten mit einer normalen Betriebsbremsung noch möglich gewesen wäre.


II.

Im Übrigen hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich.


III.

Es wird daher angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken. Im Falle einer Rücknahme oder einer Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Absatz 2 ZPO verliert die rechtzeitig eingelegte und auch ohne Beschwer zulässige (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 27. Auflage 2009 § 524 Rn 31, 35) Anschlussberufung gemäß § 524 Absatz IV ZPO ihre Wirkung. Die Kosten einer zulässig eingelegten Anschlussberufung sind grundsätzlich dem Berufungskläger aufzuerlegen, und zwar nicht nur im Falle der Rücknahme der Berufung (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 – XI ZB 9/05 – NJW-RR 2006, 1147), sondern auch dann, wenn dessen Berufung nach einem Hinweis gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zurückgewiesen wird und die Anschlussberufung dadurch ihre Wirkung verliert (Senat, KGR 2009, 962 = VRS 118, 91 = DAR 2010, 138 L).


IV.

Es ist beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug wie folgt festzusetzen: Berufung - 2.340,28 €
Anschlussberufung Summe - 2.630,08 €