Das Verkehrslexikon
Kammergericht Berlin Beschluss vom 07.04.2010 - 3 Ws (B) 115/10 - 2 Ss 40/10 - Zum Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes
KG Berlin v. 07.04.2010: Zum Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes
Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 07.04.2010 - 3 Ws (B) 115/10 - 2 Ss 40/10) hat entschieden:
- Ein Kfz-Führer begeht einen Rotlichtverstoß, wenn er auf der Kreuzungszufahrt den durch Grün freigegebenen Geradeausfahrstreifen benutzt hat, in der Kreuzung jedoch auf den durch Rot gesperrten Linksabbiegerstreifen gewechselt und nach links abbiegt. Das Rotlicht für die Linksabbiegerspur verbietet nicht nur die Einfahrt in die Kreuzung auf ihr; es untersagt auch die (teilweise) Benutzung dieser Spur im gesamten Kreuzungsbereich. Hiergegen verstößt aber der Fahrzeugführer, der erst nach der Einfahrt in den Kreuzungsbereich von der freigegebenen Geradeausspur aus nach links abbiegt.
- Das für das Rechtsbeschwerdeverfahren geltende Verschlechterungsverbot nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 358 Abs. 2 StPO steht einer entsprechenden Abänderung des Schuldspruchs nicht entgegen, da es nicht für den Schuldspruch gilt.
Siehe auch Der qualifizierte Rotlichtverstoß und Das Verschlechterungsverbot
Gründe:
1. Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen §§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt und nach § 25 Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von einem Monat gegen ihn verhängt. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat lediglich hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs teilweise Erfolg.
2. Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Betroffene das rote Wechsellichtzeichen bei einer schon länger als einer Sekunde andauernden Rotphase vorsätzlich missachtet hat.
a) Nach den vom Amtsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen benutzte der Betroffene mit seinem Pkw bei der Annäherung an die ampelgeregelte Kreuzung den linken von drei Fahrstreifen der Halenseestraße, die durch das Zeichen 297 nach § 41 Abs. 3 Nr. 5 StVO a.F. - heute § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Anlage 2 (zu § 41 Abs. 1) Abschnitt 9 Nr. 70 - für den Geradeausverkehr markiert waren, überquerte bei Grünlicht die für die von ihm befahrene Geradeausspur maßgebliche Haltelinie, während die Ampelanlage für die zwei ebenfalls markierten Linksabbiegerspuren bereits ca. 26 Sekunden Rotlicht abstrahlte, fuhr in den Kreuzungsbereich, zog entgegen der für seinen Fahrstreifen vorgeschriebenen Fahrtrichtung nach links, nutzte im Kreuzungsbereich die Spurführung der rechten der beiden Linksabbiegerspuren und fuhr bis kurz vor die Fluchtlinie der – aus seiner Sicht – von rechts kreuzenden westlichen Fahrbahnhälfte des Messedamms Nord, wo er zunächst anhielt und den querenden Verkehr abwartete, um danach seine Fahrt in Richtung Messedamm Süd fortzusetzen (UA S. 4).
Der Betroffene hat demnach, als er auf der Kreuzungszufahrt den durch Grün freigegebenen Geradeausfahrstreifen benutzt hat, in der Kreuzung jedoch auf den durch Rot gesperrten Linksabbiegerstreifen gewechselt und nach links abgebogen ist, einen Rotlichtverstoß gegangen. Das (volle oder pfeilförmige) Rotlicht für die Linksabbiegerspur verbietet nicht nur die Einfahrt in die Kreuzung auf ihr; es untersagt auch die (teilweise) Benutzung dieser Spur im gesamten Kreuzungsbereich. Hiergegen verstößt aber der Fahrzeugführer, der – wie der Betroffene - erst nach der Einfahrt in den Kreuzungsbereich von der freigegebenen Geradeausspur aus nach links abbiegt (BGHSt 43, 285, 292; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 40. Aufl., § 37 Rdn. 55 m.w.N.).
b) Nach dem vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalt hat sich der Betroffene jedoch neben der Missachtung des Rotlichts zugleich einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 3 Nr. 5 Satz 3 (Zeichen 297), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO a.F. – heute §§ 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Anlage 2 (zu § 41 Abs. 1) Abschnitt 9 Nr. 70 (Zeichen 297) Spalte 3 Nr. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO - schuldig gemacht, indem er die durch die Markierung vorgeschriebene Fahrtrichtung nicht befolgte. Diese weitere Verkehrsordnungswidrigkeit steht mit dem Rotlichtverstoß gemäß § 19 OWiG in Tateinheit (vgl. Senat, Beschluss vom 18. März 2009 – 3 Ws (B) 46/09 -; OLG Hamm, Beschluss vom 20. September 2007 - 3 Ss OWi 532/07 - juris Rdn. 9). Das für das Rechtsbeschwerdeverfahren geltende Verschlechterungsverbot nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 358 Abs. 2 StPO steht einer entsprechenden Abänderung des Schuldspruchs nicht entgegen, da es nicht für den Schuldspruch gilt (vgl. Senat a.a.O.; Seitz in Göhler, OWiG 15. Aufl., § 79 Rdn. 37). Eines rechtlichen Hinweises nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 265 StPO bedurfte es nicht, da ausgeschlossen erscheint, dass sich der Betroffene nach einem solchen Hinweis anders oder erfolgreicher hätte verteidigen können, zumal er im Hauptverhandlungstermin den äußeren Geschehensablauf vollumfänglich eingeräumt und sich dahingehend eingelassen hat, dass sein Verhalten nicht als Rotlichtverstoß sondern „lediglich“ als Missachtung der durch die Fahrbahnmarkierungen vorgeschriebenen Fahrtrichtung zu bewerten sei (UA S. 5).
3. Dagegen hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das Amtsgericht hat ausgehend von der Regelbuße für Rotlichtmissachtungen bei länger als einer Sekunde andauernder Rotphase - qualifizierter Rotlichtverstoß - nach Nr. 132.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV und dem gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 BKatV - in der bis zum 29. Oktober 2008 geltenden Fassung - eine erhöhte Geldbuße von 200,00 Euro und das in der genannten Bestimmung vorgesehene einmonatige Regelfahrverbot verhängt. Zwar liegt ein solcher Sachverhalt nach den Feststellungen vor, die dafür vorgesehene Regelahndung ist aber nicht bei jedem Verstoß, der länger als eine Sekunde nach Beginn der Rotphase begangen wird, indiziert. Vielmehr soll Nr. 132.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV a.F. ebenso wie die Vorläuferreglung Nr. 34.2 eine schärfere Ahndung besonders schwerwiegender Rotlichtverstöße erlauben, da die - häufig im Zusammenhang mit überhöhter Geschwindigkeit begangene - Missachtung eines Wechsellichtzeichens bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase nach der amtlichen Begründung (VkBl. 1991, 702, 704) als besonders gefährlich anzusehen ist, weil sich der Querverkehr und insbesondere auch Fußgänger nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können (vgl. Senat, VRS 100, 379, 381; Beschlüsse vom 24. Juni 2009 – 3 Ws (B) 298/09 -, 18. März 2009 – 3 Ws (B) 46/09 -, 25. April 2008 – 3 Ws (B) 117/08 – und 20. August 2007 - 3 Ws (B) 450/07 -). Dieser Gesichtspunkt des Schutzes insbesondere des Querverkehrs kann jedoch dann nicht zum Tragen kommen, wenn es zu einer solchen abstrakten Gefährdung von vornherein nicht kommen kann, weil zum Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls nicht in den geschützten Bereich der Kreuzung eindringen durften, weil die Fahrspuren für den Querverkehr bzw. auch die Fußgängerfurten gesperrt waren, wovon nach den Feststellungen des Amtsgerichts im vorliegenden Fall auszugehen ist (UA S. 4). Zudem hat der Betroffene in der Kreuzung an einer Position gehalten, die eine Gefährdung des Geradeausverkehrs der Gegenrichtung ausschloss (UA S. 4). Abstrakte Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer sind dem Urteil im Übrigen nicht zu entnehmen. Aus diesen Gründen war der eingangs erwähnte erhöhte Sanktionsrahmen nicht eröffnet. Auszugehen war vielmehr von der Annahme eines einfachen Rotlichtverstoßes, der nach Nr. 132 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV a.F. mit einer Regelbuße von 50,00 Euro belegt ist. Für die Anordnung eines Fahrverbots bestand unter diesen Umständen kein Raum, weshalb es aufzuheben war.
b) Die insoweit fehlerhafte Rechtsfolgenentscheidung nötigt jedoch nicht dazu, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass weitere, für die Höhe der Geldbuße oder die Anordnung eines Fahrverbots bedeutsame Feststellungen getroffen werden können, insbesondere was die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer betrifft. Der Senat macht daher von der Befugnis zur eigenen Sachentscheidung nach § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch.
Maßgebend für die Bestimmung der Rechtsfolgen durch den Senat ist der Bußgeldkatalog in der bis zum 29. Oktober 2008 geltenden Fassung, da sich dessen Bestimmungen gegenüber der seit dem 1. September 2009 geltenden Fassung als milder erweisen (§ 4 Abs. 3 OWiG).
Ausgehend von der Regelbuße nach Nr. 132 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV a.F. in Höhe von 50,00 Euro sprach zugunsten des Betroffenen, dass er den Vorfall eingestanden hat und verkehrsordnungsrechtlich nicht vorbelastet ist. Erschwerend waren dagegen die vorsätzliche Begehungsweise sowie das Vorliegen einer weiteren tateinheitlich begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit durch das Nichtbefolgen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung zu berücksichtigen, so dass eine Geldbuße in Höhe von 100,00 Euro angemessen erschien, um den Betroffenen die Verkehrswidrigkeit seines Handels vor Augen zu führen.
4. Die weitergehende Rechtsbeschwerde ist nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 4 StPO.