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OVG Lüneburg Beschluss vom 12.09.2002 - 12 LA 576/02 - Zur Anliegeranfechtung der Errichtung einer Bushaltestelle
OVG Lüneburg v. 12.09.2002: Zur Anliegeranfechtung der Errichtung einer Bushaltestelle
Das OVG Lüneburg (Beschluss vom 12.09.2002 - 12 LA 576/02) hat entschieden:
Rechtsgrundlage für die Einrichtung der umstrittenen Haltestelle (Anbringung des Verkehrszeichens Nummer 224 zu § 41 Abs. 2 StVO) ist § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StVO. Hiernach haben die Straßenverkehrsbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen über die Anbringung des Verkehrszeichens zu entscheiden und dabei die relevanten Belange abzuwägen. In diesem Rahmen ist die Rechtsposition eines Anliegers - auch bei Berufung auf grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen - in der Weise begrenzt, dass er gegenüber der Straßenverkehrsbehörde lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung im Rahmen des § 45 StVO geltend machen kann.
Gründe:
Der Antrag des Klägers,
die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seine Klage gegen die straßenverkehrsbehördliche Festsetzung einer Bushaltestelle vor bzw. gegenüber seinem Grundstück B. 15/15a in C. abgewiesen hat, zuzulassen,
hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Berufung - ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) - greifen nicht durch.
Für den von dem Kläger in erster Linie geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils fehlt es bereits an der nach § 124a IV 4 VwGO erforderlichen Darlegung.
Für den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist für die Darlegung als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist, und die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden.
Hiernach ist für die Darlegung hinreichend, dass sich ein Antrag nicht darauf beschränkt, die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung allgemein oder unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens anzuzweifeln, sondern hinreichend fallbezogenen und substantiiert (insoweit hängen die Darlegungsanforderungen auch von Art und Umfang der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ab) auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu den für die Entscheidung maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen eingeht, deren Unrichtigkeit mit zumindest vertretbaren, jedenfalls nicht unvertretbaren Erwägungen dartut und sich dazu verhält, dass und aus welchen Gründen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf diesen - aus Sicht des Rechtsmittelführers fehlerhaften - Erwägungen beruht; nicht ausreichend sind Darlegungen zu Zweifeln an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente oder Sachverhaltsfeststellungen, wenn diese nicht zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses begründen (Senat, Beschl. vom 21.3.1997 - 12 M 1255/97 - und st. Rspr.). Rechts- oder Tatsachenfragen, die in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung keine Rolle gespielt haben oder nicht zweifelhaft waren, brauchen dabei im Rahmen des Antrages auf Rechtsmittelzulassung nicht erörtert zu werden, um eine Entscheidungserheblichkeit darzulegen (BVerfG <1. Kammer des Zweiten Senats>, Beschl. v. 15.8.1994 - 2 BvR 719/94 -, NVwZ-Beil. 1994, 65 <66> ), soweit sich ihre Entscheidungserheblichkeit nicht aufdrängte. Für das - gesondert zu prüfende - Darlegungserfordernis reicht es auch bei einer - objektiv im Ergebnis (eindeutig) unrichtigen - Entscheidung jedenfalls nicht aus, dass die Unrichtigkeit lediglich allgemein behauptet wird, sich diese aber nicht aus dem Antrag selbst, sondern erst nach einer Durchsicht der Akten erschließt. Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen dann vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels (mindestens) ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. Senat, Beschl. v. 18.1.1999 - 12 L 5431/98 -, NdsVBl. 1999, 93; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2001, RdNrn. 395g, h zu § 80; Kopp/Schenke, aaO, RdNr. 7 zu § 124; Happ: in Eyermann, VwGO, 10. Aufl. 1998, RdNr. 20 zu § 124). Die Annahme, der Erfolg des Rechtsmittels müsse wahrscheinlicher sein als der Misserfolg (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.5.1997 - A 12 S 580/97 -, DVBl. 1997, 1327; Hess. VGH, Beschl. v. 4.4.1997 - 12 TZ 1079/97 -, NVwZ 1998, 195; Nds. OVG, Beschl. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NdsRpfl. 1999, 87; Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, aaO, RdNr. 26d zu § 124 m.w.Nachw.; Bader; NJW 1998, 409) trifft nicht zu, sie vernachlässigt die Zweistufigkeit des Verfahrens, ist auch aus Gründen der System- und Funktionsgerechtigkeit - Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Verfahrensbeschleunigung - nicht geboten und verweigert in einer Vielzahl von Verfahren den Zugang zu den Berufungsverfahren, obwohl das Rechtsmittel Erfolg haben wird. Eine solche Auslegung wird dem Anliegen des Gesetzgebers (BT-Drs. 13/3993) weniger gerecht, grob ungerechte Entscheidungen zu verhindern, und schränkt damit den Zugang zu den Berufungsverfahren auf eine aus Sachgründen nicht gebotene Weise unzumutbar ein. Es reicht aus, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458 (1459) = NdsVBl. 2000, 244 (245) = NVwZ 2000, 1163).
Diesem Maßstab verfehlt die Darlegung des Klägers. Sie vermittelt nicht ernstliche Zweifel an dem von dem Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnis, dass der Beklagte die angefochtene verkehrsbehördliche Anordnung in rechtmäßiger Weise getroffen hat.
Rechtsgrundlage für die Einrichtung der umstrittenen Haltestelle (Anbringung des Verkehrszeichens Nummer 224 zu § 41 Abs. 2 StVO) ist § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StVO. Hiernach haben die Straßenverkehrsbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen über die Anbringung des Verkehrszeichens zu entscheiden und dabei die relevanten Belange abzuwägen. Dabei ergeben sich die maßgeblichen öffentlichen Belange aus § 32 Abs. 1 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BOKraft vom 21.6.1975, BGBl. I S. 1573 i.d.F. v. 29.10.2001, BGBl. I S. 2785). Danach ist bei der Bestimmung über die Anbringung der Haltestellenzeichen dem genehmigten Fahrplan entsprechend den Erfordernissen des Betriebs und des Verkehrs Rechnung zu tragen. Ferner sind die Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu beachten und die Interessen der vom widmungsgemäßen Haltestellenbetrieb möglicherweise betroffenen Anlieger in die Abwägung einzustellen (vgl. dazu: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.10.1994 - 5 S 474/94 -, NZV 1995, 333 ff.; Hess. VGH, Beschl. v. 8.7.2002 - 2 ZU 702/02 -, JURIS). In diesem Rahmen ist die Rechtsposition eines Anliegers - auch bei Berufung auf grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen - in der Weise begrenzt, dass er gegenüber der Straßenverkehrsbehörde lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung im Rahmen des § 45 StVO geltend machen kann (vgl. dazu allgemein: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 45 StVO, Rn. 28a; Petersen, Nds.VBl. 1997, 169 f., jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen, vgl. zuletzt auch: Beschl. des erkennenden Senats v. 26.8.2002 - 12 LA 522/02 -, S. 5 f. BA).
Hiervon ausgehend ist das Verwaltungsgericht zu dem Schluss gelangt, dass der Kläger unter Berücksichtigung seiner erstinstanzlich geltend gemachten Einwendungen - Gefahren für die Verkehrssicherheit, Belastungen seines Grundstücks durch Lärm, Abgase und Abfallablagerungen, Wertminderung des Grundstücks - im Ergebnis in seinen Rechten nicht beeinträchtigt sei. Abgesehen davon sei seitens der Behörden plausibel und ohne weiteres nachvollziehbar dargelegt worden, dass der von dem Kläger konkret ins Auge gefasste Alternativstandort für die Haltestelle ca. 80 Meter weiter östlich aus sachlichen Gründen nicht in Betracht komme, weil dieser Standort dann einerseits zu nah an der folgenden Haltestelle („Weißes Moor“), andererseits aber schon zu weit von dem Neubaugebiet „Wessels Hof“ entfernt liegen würde und im Übrigen im Hinblick auf den dort unmittelbar an die Straße angrenzenden Kindergarten auch unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten bedenklich erscheine. Das Verwaltungsgericht schließt mit der Erwägung, es sei in dem streitgegenständlichen Verfahren nicht darüber zu entscheiden, welcher konkrete Haltestellenstandort ggf. die (objektiv) „optimale“ oder (subjektiv) „am wenigsten störende“ Lösung darstellen würde; vielmehr komme es insoweit allein darauf an, ob die angefochtene Maßnahme des Beklagten zu Lasten des Klägers ermessensfehlerhaft sei; dies sei zu verneinen.
Der Kläger greift diese Begründung nur insoweit an, als er – anknüpfend an die abschließende Erwägung in den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts - rügt, das Verwaltungsgericht verkenne, dass er ein Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den konkreten Standort der Haltestelle habe. Dies schließe einen Anspruch auf eine vertiefte und abschließende Überprüfung von Alternativstandorten ein. Das Verwaltungsgericht habe jedoch zu dem von ihm, dem Kläger, benannten Alternativstandort in ca. 80 Meter Entfernung in östlicher Richtung nur kursorische und beiläufige Ausführungen gemacht, statt genau zu prüfen, ob dieser aus sachlichen Gründen unter Berücksichtigung der Allgemeininteressen tatsächlich nicht in Betracht komme.
Mit diesem Vortrag wird der Kläger dem Darlegungserfordernis deshalb bereits im Ansatz nicht gerecht, weil er die Erwägungen, die das Verwaltungsgericht im Hinblick auf den von ihm genannten Alternativstandort angestellt hat, nicht mit substantiierten Einwänden in Frage stellt, sondern sie im Ergebnis - abgesehen von letztlich spekulativen Betrachtungen über die Gefahren durchfahrender bzw. haltender Busse in der Nähe von Kindergärten - lediglich wiederholt und meint, das Verwaltungsgericht habe prüfen müssen, ob sie tatsächlich richtig seien. Der Kläger verkennt dabei, dass das Verwaltungsgericht nicht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, sondern lediglich die von dem Beklagten getroffene, die Frage eines alternativen Standorts mit berücksichtigende Entscheidung in den durch §114 VwGO gezogenen Grenzen daraufhin zu überprüfen hatte, ob sie den Kläger in seinen Rechten verletzt. Nur diesen Umstand hat das Verwaltungsgericht durch den abschließenden Satz seiner Erwägungen, den der Kläger in den Mittelpunkt seines Vortrags stellt, zum Ausdruck gebracht.
Hieraus folgt zugleich, dass die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Einrichtung der Bushaltestelle sei in ermessensfehlerfreier Weise erfolgt, unter dem von dem Kläger allein benannten Gesichtspunkt der Prüfung von Alternativen zu dem festgesetzten Standort auch in der Sache nicht zu beanstanden ist. Insbesondere war das Verwaltungsgericht nach den Umständen des konkreten Falles nicht gehalten, zusätzlich zu dem benannten Standort weitere – vom Kläger auch im Zulassungsverfahren nicht aufgezeigte – Alternativen in seine Betrachtung einzubeziehen.
Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, aaO, RdNr. 30 zu § 124; Kopp/Schenke, aaO, RdNr. 10 zu § 124). Für die Darlegung reicht es aus, dass die aufgeworfene Grundsatzfrage rechtlich derart aufbereitet wird, wie dies nach Maßgabe der Begründung in der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts erforderlich ist; Rechtsfragen, die in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung keine Rolle gespielt haben, brauchen im Rahmen des Antrages auf Rechtsmittelzulassung nicht erörtert zu werden, um eine Entscheidungserheblichkeit darzulegen (BVerfG <1. Kammer des Zweiten Senats>, Beschl. v. 15.8.1994 - 2 BvR 719/93 -, NVwZ-Beil. 1994, 65 <66>). Diese Voraussetzungen sind dann nicht gegeben, wenn sich die Frage so, wie sie mit dem Antrag aufgeworfen worden ist, im Rechtsmittelverfahren nicht stellt, ferner dann nicht, wenn sich die Frage nach dem Gesetzeswortlaut ohne Weiteres eindeutig beantworten lässt (BVerwG, Beschl. v. 8.12.1985 - BVerwG 1 B 136.85 -, Buchholz 130 § 22 RuStAG, S. 2) oder sie in der Rechtsprechung - namentlich des Bundesverwaltungsgericht oder des erkennenden Senats - geklärt ist.
Diesen Anforderungen genügt der Kläger nicht, wenn er die Frage aufwirft, ob bei der Frage der Ermessensfehlerhaftigkeit der Aufstellung eines Haltestellenzeichens nur auf den letztlich gewählten Standort abzustellen sei oder ob eine ermessensfehlerfreie Entscheidung die Prüfung alternativer Aufstellungsorte enthalten müsse. Denn das Verwaltungsgericht hat sich - wie zuvor der Beklagte - mit dem von dem Kläger benannten Alternativstandort für die Haltestelle befasst. Insoweit ist eine Entscheidungserheblichkeit nicht gegeben. Die Rechtsanwendung im konkreten Fall richtet sich nach den jeweiligen Umständen und ist einer fallübergreifenden grundsätzlichen Klärung entzogen.