Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Urteil vom 28.06.1966 - VI ZR 239/64 - Zur Haftung bei einem Schleppvorgang

BGH v. 28.06.1966: Zur Haftung bei einem Schleppvorgang


Der BGH (Urteil vom 28.06.1966 - VI ZR 239/64) hat entschieden:
Steuert ein steckengebliebener LKW seine Motorkraft zu einem Schleppversuch bei, befindet er sich im Betrieb. Dies führt bei beiderseits fehlendem oder gleich hohem Verschulden beider Fahrzeugführer bei einer Beschädigung zur Schadensteilung.


Tatbestand:

Der – nach Einlegung der Revision verstorbene – Kläger ließ am 1. Dezember 1959 mit seinem Henschel-Lastkraftwagen Bauschutt auf das Grundstück H Nr. ... bringen. Der Fahrer B stieß mit dem beladenen Fahrzeug rückwärts in die abschüssige Einfahrt hinein. Dabei versank ein Hinterrad so tief im weichen Erdreich, dass der LKW aus eigener Kraft nicht mehr bewegt werden konnte. Er ließ sich insbesondere nicht durch Betätigen der Kippvorrichtung entlasten, weil das Fahrzeug unter einem vorspringenden Dach stand. Hierüber kam auf der Straße der ebenfalls mit Bauschutt beladene Krupp-LKW des Erstbeklagten heran, den der Zweitbeklagte lenkte. Der Grundstückseigentümer bat den Zweitbeklagten, den Krupp- vor den Henschelwagen zu spannen und so beim Flottmachen zu helfen. Der Zweitbeklagte lehnte zunächst ab, weil ihm die angebotene Abschleppkette zu kurz erschien, ließ sich jedoch umstimmen, nachdem die Kette durch ein zweites Stück auf ungefähr drei Meter verlängert worden war. Die Wagen wurden hiermit verbunden. Dann versuchten die Fahrer, den "Henschel" auf ein verabredetes Zeichen mit der vereinten – Motorkraft beider Fahrzeuge aus seiner Lage zu befreien. Das Vorhaben misslang. Nachdem sich die Kette gespannt hatte und der Henschel-Wagen möglicherweise etwas angehoben worden war, rollte der "Krupp" plötzlich zurück. Er stieß gegen die Vorderseite des Henschel-Wagens und drückte diese ein.

Der Kläger ließ sein Fahrzeug am selben Tag nach Frankfurt fahren und dort reparieren; u.a. wurde ein Austauschmotor eingebaut. Die Rechnung lautete auf 4.814,55 DM für die Ausbesserung und 3.420,– DM für den Motor nebst Fracht. Nach weiterem Gebrauch gab der Kläger den Wagen im Juli 1961 beim Kauf eines neuen Fahrzeugs in Zahlung.

Der Kläger hat die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Er hat behauptet, der Zweitbeklagte habe den Schaden durch unsachgemäßes Verhalten verschuldet. Er habe nicht bedacht, dass der Zweitakt-Motor des Krupp-Wagens bei Überlastung "zurückschlagen", d.h. in umgekehrter Drehrichtung weiterlaufen konnte. Er habe ferner, als dieser Fall eingetreten sei, nicht oder doch zu spät und unzulänglich gebremst. Endlich habe sich der Zweitbeklagte darüber hinweggesetzt, dass die Kette auch nach ihrer Verlängerung auf knapp drei Meter immer noch zu kurz gewesen sei.

Die berechneten Instandsetzungsarbeiten mit Einschluss des Austauschmotors, so hat der Kläger behauptet, seien insgesamt unfallbedingt gewesen. Später habe sich noch ein Schaden am Chassis herausgestellt, der zu einem Abzug von 1.500,– DM beim Eintausch des Fahrzeugs geführt habe. Es sei auch ein merkantiler Minderwert verblieben. Ferner seien durch den Unfall 150,– DM an persönlichen Auslagen und 640,– DM an Verdienstausfall entstanden. Der Kläger hat von beiden Beklagten Zahlung von 9.024,55 DM nebst Zinsen gefordert. Im zweiten Rechtszug hat er weitere 885,20 DM mit der Begründung verlangt, er habe diesen Betrag infolge des Verzugs der Beklagten als Kosten eines Wechselkredits aufwenden müssen; ferner hat der Kläger um die Feststellung gebeten, dass ihm die Beklagten auch künftig zum Ersatz der aus diesem Grunde anfallenden Kosten verpflichtet seien.

Der Erstbeklagte und sein Haftpflichtversicherer, der dem Rechtsstreit in den Vorinstanzen als Streithelfer des Zweitbeklagten beigetreten war, haben Klageabweisung beantragt. Sie haben jedes Verschulden des Zweitbeklagten bestritten und den Unfall dem Fahrer des Klägers zur Last gelegt, der den Motor seines Fahrzeugs im Augenblick des gemeinsamen Anziehens "abgewürgt" habe. Sie haben sich weiter gegen die Höhe der Klageansprüche gewandt und die Ursächlichkeit des Unfalls für den größeren Teil der Reparaturen – insbesondere den Einbau des Austauschmotors – in Abrede gestellt. Vorsorglich haben sie um Berücksichtigung der Wertsteigerung des instandgesetzten Fahrzeugs gebeten, die mit 50 % der Rechnungsbeträge zu veranschlagen sei.

Das Landgericht hat einen Schaden von insgesamt 7.061,60 DM als unfallbedingt angesehen und dem Kläger hiervon zwei Drittel gleich 4.707,73 DM nebst Zinsen zugesprochen. Gegen die Teilabweisung hat der Kläger Berufung eingelegt, wobei er die Klage um die schon genannten Anträge erweitert hat. Die Beklagten und der Streithelfer haben sich dem Rechtsmittel angeschlossen mit dem Ziel, die Verurteilung auf den Betrag von 1.405,80 DM nebst Zinsen zu begrenzen. Das Berufungsgericht hat dem Kläger wegen des Fahrzeugschadens 1.658,83 DM nebst Zinsen und zum Ausgleich der Kreditkosten weitere 342,65 DM zuerkannt; die Mehransprüche hat es abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Erben des Klägers sein zweitinstanzliches Begehren weiter, soweit ihm nicht stattgegeben worden ist.


Entscheidungsgründe:

Das sachverständig beratene Berufungsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der zum Unfall führende Fehler in der Verwendung einer erheblich zu kurzen Verbindungskette gelegen habe, wodurch die Betriebsgefahr der beteiligten Wagen in gleicher Weise erhöht worden sei. Es hat deshalb den Schaden, soweit es ihn als unfallbedingt angesehen hat, zwischen den Parteien hälftig geteilt. Die hiergegen gerichteten Rügen der Revision greifen nicht durch.

1. Das Berufungsgericht hat sorgfältig erwogen, dass dem Zweitbeklagten keine unzulängliche Betätigung der Bremsen seines zurückrollenden Fahrzeugs vorgeworfen werden könne, weil die Fußbremse nach den Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen bis zum vollen Eingreifen etwa eine Sekunde benötigte und deshalb bei dem kurzen Abstand der Wagen nicht mehr wirksam werden konnte. Damit steht es im Einklang, wie der Tatrichter ausdrücklich hervorgehoben hat, dass sich die Räder des Krupp-LKW bei der Rückwärtsbewegung noch gedreht haben; nach den Feststellungen konnten sie in der kurzen Zeitspanne gar nicht zum Stillstand gebracht werden. Das übersieht die Revision bei ihrer Rüge, es hätte aus dem Zurück rollen des Fahrzeugs auf eine ungenügende Bremsbetätigung geschlossen werden müssen.

Das Berufungsgericht ist dem Sachverständigen weiter darin gefolgt, dass auch ein zusätzlicher Gebrauch der Handbremse den Krupp-LKW auf der kurzen Strecke nicht erweisbar zum Stehen gebracht hätte. Dieser auf technische Auskünfte gegründeten Beurteilung kann die Revision nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Betätigung von zwei Bremsen nach der Lebenserfahrung die doppelte Wirkung hervorgebracht und dass diese dann zum Anhalten genügt hätte. Etwas derartiges hat auch der Privatgutachter Dipl.-Ing. Schaefer nirgends ausgeführt; sein vom Kläger überreichtes Gutachten erwähnt die Handbremse überhaupt nicht. Dass die Arbeit abweichend vom gerichtlichen Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt war, der Krupp-LKW sei mit der Fußbremse rechtzeitig anzuhalten gewesen, zwang das Berufungsgericht nicht zur Einholung eines Obergutachtens. Es handelte sich weder um eine besonders schwierige Frage, noch konnten Zweifel an der ausreichenden Sachkunde des gerichtlichen Sachverständigen bestehen. Wenn das Berufungsgericht die Überzeugung von der Objektivität und Richtigkeit seiner Darlegungen gewonnen hatte, konnte es ihm folgen, auch ohne sich in den Entscheidungsgründen mit den technischen Abweichungen des Privatgutachtens auseinandersetzen zu müssen.

2. Die Heranziehung des Klägers zur Schadensteilung nach den Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Der LKW des Klägers ist bei dem Unfall selbst dann "im Betrieb" gewesen, wenn von der engsten technischen Auffassung ausgegangen wird. Sein Motor lief nicht nur, sondern es wurde auch seine Kraft auf die Antriebsräder übertragen. Dass es zu der erstrebten Fortbewegung des Fahrzeugs infolge des Feststeckens nicht oder nur geringfügig gekommen ist, vermag an der Tatsache des Betriebes nichts zu ändern.

Zu Unrecht bezweifelt die Revision einen inneren ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Betriebsvorgang und dem Unfall. Er lässt sich nicht mit der Begründung verneinen, dass der Wagen des Klägers ebenso beschädigt worden wäre, wenn er kein Kraftfahrzeug oder außer Betrieb gewesen wäre. Abgesehen davon, dass dies keineswegs feststeht (der Henschel-LKW kann nach einem Anheben durch die vereinte Motorkraft den "Krupp" beim Zurücksinken mitgerissen haben), kommt es hierauf nicht an. Die Haftung nach § 7 StVG ist nicht auf Unfälle beschränkt, in die nur ein motorisch angetriebenes Fahrzeug verwickelt werden kann; sie ist vielmehr schlechthin an die Eigenschaft als Kraftfahrzeug geknüpft. Es trifft weiter nicht zu, dass der Schaden "durch" den Betrieb, d.h. durch eine unmittelbare Auswirkung der technischen Einrichtungen verursacht sein müsse. Auch "bei" dem Betrieb entstandene Unfälle fallen unter die Vorschrift, sofern sie mit ihm örtlich, zeitlich und ursächlich verknüpft waren (vgl. Floegel-Hartung, Straßenverkehrsrecht 15. Aufl., § 7 StVG Randz. 8 und die dort zit. Rspr.). So lag es aber bei dem zum Schaden führenden Versuch, den Henschel-Wagen durch die Verbundwirkung beider Motoren aus seiner Lage zu befreien. Dass es sich nicht um ein einfaches Abschleppen mit der Folge gehandelt hat, dass beide Wagen als Betriebseinheit anzusehen gewesen wären, hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt; insoweit äußert auch die Revision keine Zweifel.

Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass das Manöver nur mit einer mindestens fünf Meter langen Verbindungskette hätte unternommen werden dürfen und dass die beteiligten Fahrer dies hätten erkennen müssen, gründet sich ebenfalls auf die Auskünfte des gerichtlichen Sachverständigen. Weder dieser noch der Tatrichter haben verkannt, dass der Henschel-Wagen nur ein kurzes Stück vorwärtsbewegt zu werden brauchte und dass hierfür nur geringe Geschwindigkeiten in Betracht kamen. Um so größer waren jedoch die im Verbund angesetzten Kräfte. Dass diese die beiden Wagen bei ihrem geringen Abstand und unter den speziellen Gegebenheiten leicht aneinandergeraten lassen konnten, hat das Berufungsgericht mit rechtlich nicht anfechtbarer Begründung als voraussehbar erachtet. Der Angriff der Revision gegen die Annahme einer durch das Verschulden des Fahrers erhöhten Betriebsgefahr des Henschel-Wagens muss damit erfolglos bleiben. Noch weniger kann von einem unabwendbaren Ereignis im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG die Rede sein.

3. Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, dass das Berufungsgericht der Schadensverteilung einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Das Fahrzeug des Klägers hat zwar gestanden, aber durchaus nicht wie ein abzuschleppender Anhänger, sondern als ein Kraftfahrzeug, das seine volle Motorkraft zu dem Befreiungsversuch beisteuerte. Seine Betriebsgefahr konnte nicht deshalb als geringfügig außer Betracht bleiben, weil die in der Verbindungskette wirksame Kraft den ersten Wagen zurückgerissen hat, statt den zweiten nach vorn zu bewegen. Das Verschulden der beiden Fahrer ist ausschließlich und gleichermaßen in der Verwendung der zu kurzen Kette gesehen worden. Von einer völlig überwiegenden Verursachung des Schadens auf seiten der Beklagten, die das Berufungsgericht verkannt hätte, lässt sich unter diesen Umständen nicht sprechen. Im übrigen war die Festlegung der Schadensquote eine tatrichterliche Aufgabe, die in der Revisionsinstanz nicht weiter nachprüfbar ist.

4. Das Berufungsgericht hat – ebenso wie das Landgericht – einen erheblichen Teil der geltend gemachten Schäden als nicht unfallbedingt angesehen. Der Revision ist zuzugeben, dass der Tatrichter die Frage dieses Ursachenzusammenhangs nach § 287 ZPO zu beurteilen hatte und dass die Entscheidungsgründe zu Zweifeln Anlass geben könnten, ob er sich dieser freieren Stellung allenthalben bewusst gewesen ist. Eindeutig besteht der gerügte Mangel allerdings nicht. Von dem nicht gelieferten vollen Beweis ist nur bei den ungeklärten Werkstattleistungen die Rede. Dem stehen Posten gegenüber, die dem Kläger unter tatsächlichem oder sogar ausdrücklichem Bezug auf § 287 ZPO zugebilligt worden sind; so der Ersatz für die Druckleitung, der Pauschbetrag für Kleinteile und die Entschädigung wegen des merkantilen Minderwerts. Soweit der Kläger an anderen Stellen als beweisfällig erachtet worden ist, braucht dem der gerügte Irrtum nicht zugrunde zu liegen; denn auch in den nach § 287 ZPO zu beurteilenden Fällen muss der Kläger hinreichende Tatsachen dartun, die den freien Schluss auf den Kausalzusammenhang ermöglichen. Indessen kommt es auf alles dies nicht entscheidend an, weil das Berufungsgericht keinen Zweifel daran gelassen hat, dass es dem Kläger die fraglichen Posten auf keinen Fall zuerkannt hätte. Soweit die Werkstattleistungen von den Sachverständigen als nicht unfallbedingt begutachtet worden sind, hat sich der Tatrichter diese Überzeugung ausdrücklich zu eigen gemacht. Die Bezeichnung einiger Posten als "vielleicht unfallbedingt" hat notwendig so große Zweifel hinterlassen, dass ihre Überbrückung mit Hilfe von § 287 ZPO willkürlich gewesen wäre. Hinsichtlich des Schadens am Rahmen hat das Berufungsgericht die Überzeugung gewonnen und ausdrücklich begründet, dass er nicht von dem Unfall herrühre. Ebenso hat es von dem Riss im Motorblock unter Hinweis auf das Ergebnis der sachverständigen Untersuchung ausgeführt, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht durch den in Rede stehenden Zusammenstoß verursacht worden sei. Für die Zubilligung von Ersatzbeträgen nach § 287 ZPO verblieb bei dieser Tatsachenwürdigung kein Raum, so dass das Urteil jedenfalls nicht auf dem beanstandeten Irrtum beruhen würde, wenn er tatsächlich vorgelegen haben sollte.

5. Nach alledem musste die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.