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OLG München Urteil vom 09.11.2012 - 10 U 834/12 - Zum Alleinverschulden bei einem Fahrspurwechsel beim Einfahren in die Autobahn
OLG München v. 09.11.2012: Zum Alleinverschulden bei einem Fahrspurwechsel beim Einfahren in die Autobahn
Das OLG München (Urteil vom 09.11.2012 - 10 U 834/12) hat entschieden:
Wer beim Einfahren in die Autobahn auch den Standstreifen benutzt und von diesem ohne zu blinken auf die rechte Fahrspur wechselt, trägt die alleinige Schuld an einem Zusammenstoß mit einem die rechte Fahrbahn benutzenden Kfz.
Gründe:
A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I.
Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Schadenersatz bejaht. Ein Anspruch des Klägers, dessen Fahrzeug bei dem Zusammenstoß mit dem beklagtischen Fahrzeug beschädigt wurde, kommt indes nicht in Betracht, da der Senat nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt ist, dass der Unfall durch einen Fahrspurwechsel des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs verursacht wurde und für den Fahrer des beklagtischen Fahrzeugs unabwendbar war.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, der Zeuge Kurt Z., von der Standspur der Autobahn A 94 ohne zu blinken auf die rechte Fahrspur zurückwechseln wollte und hierbei den knapp hinter ihm auf der rechten Fahrspur fahrenden Pkw des ursprünglichen Erstbeklagten, Herrn Bernhard F., beschädigt hat.
Im Einzelnen:
Die Zeugin Herta C., die mit ihrem Porsche Cayenne auf der A 94 Richtung München unterwegs war, bestätigte wie alle anderen Beteiligten, dass sehr schlechte Sicht herrschte. Sie habe vor dem Unfall nur die grelle Farbe des beklagtischen Kfz wahrgenommen. Sie sei mit einem Abstand von etwa 4 Fahrzeuglängen hinter dem beklagtischen Fahrzeug gefahren, das beklagtische Fahrzeug sei ohne nach rechts oder links zu schwenken auf der rechten Fahrspur bewegt worden. Der Unfall habe sich auf Höhe der Stelle ereignet, an der auf der Standspur eine Baustelle, die mit Pylonen begann, abgesichert gewesen sei. Die Zeugin C. führte weiter aus, dass sich das gelbe Auto leicht aufgebäumt und dann quergestellt habe. Als sie zu dem dunklen Wagen, gesteuert vom Zeugen Z. gegangen sei, habe der Zeuge Z. ihr mitgeteilt, dass er sich in der Ausfahrt vertan habe.
Der Zeuge POM F. war erst nach dem Unfall am Unfallort zugegen. Er berichtete, dass das klägerische Fahrzeug unvorteilhaft beladen gewesen sei. Auf Höhe des Kollisionsortes habe eine Baustelle begonnen. Ein Fahrstreifen, nämlich der linke, sei verengt gewesen auf 2 m, auf dem Seitenstreifen seien Absperrbaken aufgebaut gewesen. Hinsichtlich der Endlage der beteiligten Fahrzeuge verwies der Zeuge auf die bei der polizeilichen Ermittlungsakte befindliche Handskizze, die sodann von allen Beteiligten eingesehen wurde. Das auf den Fotos wiedergegebene Splitterfeld sei wohl schon zusammengekehrt gewesen, deshalb könne es nicht mehr zur Ermittlung des Kollisionsortes herangezogen werden.
Der Zeuge Kurt Z. führte aus, er sei vom Möbelhaus S. gekommen, die Sicht sei ganz schlecht gewesen, er sei auf die Standspur rübergefahren und dort mit ca. 20 bis 25 km/h unterwegs gewesen. Ca. 100 m später sei es zum Aufprall gekommen, der Motor des klägerischen Fahrzeugs sei dadurch abgewürgt worden. 3 bis 4 m später sei das Auto dann schon gestanden. Der Fahrer des beklagtischen Fahrzeugs, Herr Bernhard F., habe zu ihm gesagt, er wisse nicht, wie das passiert sei. Dann sei die Zeugin C. gekommen und habe ihm mitgeteilt, sie habe gesehen, wie der beklagtische Pkw nach rechts abgedriftet sei; sie habe sich gedacht, „mein Gott, wo will der denn hin ?“. Der Zeuge Z. führte weiter aus, wenn die Zeugin C. zu ihm gesagt hätte, dass er einen Fahrfehler begangen habe, hätte er wahrscheinlich die Telefonnummer der Zeugin C. nicht so schnell an die Polizei weitergegeben. Die Zeugin C. habe er – wie er auf Vorhalt einräumte – vielleicht mal am Anfang angerufen. Es sei zwar richtig, dass kurz vor seinem Auto die Absperrbaken aufgebaut gewesen seien, aber er wäre da durchgefahren bis zur regulären Ausfahrt oder er wäre stehen geblieben und später nach dem Ende des Platzregens weitergefahren. Sein Scheibenwischer habe sich nämlich nicht auf Stufe 2 schalten lassen.
Der Sachverständige Dipl.-Ing. Dr. Markus Sch. führte im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat aus, dass die erst jetzt bekannt gewordenen messtechnischen Angaben in der polizeilichen Handskizze nur zu einer rudimentären Änderung seines bereits abgegebenen schriftlichen Gutachtens führen. Er legte dar, dass der Kollisionsort weiterhin im rechten Drittel der rechten Fahrspur liegen müsse. Vom Kollisionswinkel her sei es durchaus möglich, dass der Zeuge Z. zurück auf die rechte Fahrspur gewollt habe. Das klägerische Fahrzeug benötige bei seiner Geschwindigkeit eine Auslaufstrecke von ca. 10 m, die 3 bis 4 m - wie vom Zeugen Z. angegeben - seien nicht realistisch. Das klägerische Fahrzeug habe sich etwa 20 bis 30 m vom Kollisionsort entfernt befunden.
Der Senat hält die Aussage der Zeugin C. für glaubwürdig. Die Zeugin schilderte den Unfallhergang, wie sie ihn von dem erhöhten Sitz ihres Porsche Cayenne wahrgenommen hat, ohne Belastungseifer und um die von ihr wahrgenommenen Details bemüht. Ihre Sicht war nicht durch eventuell auftretendes Spritzwasser beeinträchtigt. Die Zeugin schilderte, wie sie das gelbe Auto des Beklagten zu 1) ca. 20 m (4 Fahrzeuglängen Porsche Cayenne) vor sich hat herfahren sehen, weder nach rechts noch nach links schlenkernd. Das dunkle Fahrzeug der Klagepartei hat die Zeugin vor dem Unfall nicht wahrgenommen. Die Zeugin führte auch überzeugend aus, dass sich die Kollision just an der Stelle ereignete, an der auf der rechten Seite die Absperrbaken begannen.
Der Zeuge Fi. hat die Kollision selbst nicht wahrgenommen, sondern nur in seiner später angefertigten Skizze die Endlagen der beteiligten Fahrzeuge aufgezeichnet. Auch nach seiner Aufzeichnung war die Kollision an der Stelle, an der auf der Standspur die Baken aufgestellt waren. Darüber hinaus war die Fahrbahn auf der linken Seite auf 2 m verengt.
Dagegen vermochte der Senat der Aussage des Zeugen Kurz Z. keinen Glauben zu schenken. Dieser räumte selbst ein, dass seine Sicht ausgesprochen schlecht war, da er auf den starken Regen nicht adäquat reagieren konnte, weil sich sein Scheibenwischer nicht auf die zweite Stufe schalten lassen habe. Darüber hinaus war – wie sowohl die Zeugin C. wie auch der Zeuge Fi. ausführten – sein Auto im Innenbereich komplett vollgeladen. Er hatte vorher das Möbelhaus S. besucht. Seine Ausführungen, er wäre dann halt entgegen der behördlichen Straßenführung (§ 45 Abs. 2 StVO) geradeaus weitergefahren und wäre dann entweder zur Ausfahrt – die er eigentlich benutzen wollte – gekommen oder aber er wäre stehen geblieben und hätte den Regen abgewartet, hält der Senat für völlig unglaubwürdig. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs so gut wie nichts gesehen hat angesichts des Regens und der nicht funktionierenden Scheibenwischer, und – wie der Zeuge Z. auch gegenüber der Zeugin C. dargelegt hat - eigentlich die Ausfahrt Richtung A 99 wählen wollte und versehentlich auf die Standspur gelangt ist. Als er dann von den Absperrbaken überrascht wurde, musste er auf die rechte Fahrspur wechseln. Dass sich der Unfall auf der rechten Fahrspur ereignet hat und das Splitterfeld insoweit nicht aussagekräftig ist, davon ist der Senat aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sch. sowie des Polizeibeamten Fi. überzeugt. Der Zeuge Fi. gab an, dass auf den polizeilichen Lichtbildern bereits das zusammengekehrte Splitterfeld zu sehen sein dürfte, nicht das Splitterfeld, wie es sich nach dem Unfall dargestellt hat. Der Sachverständige Dr. Sch. führte aus, dass er auch unter Zugrundelegung der polizeilichen Handskizze bei seinen Ausführungen bleibe, wonach sich aus unfallanalytischer Sicht der Unfall im rechten Drittel der rechten Fahrspur ereignet haben muss.
Der Senat ist daher davon überzeugt, dass der Fahrer des klägerischen Pkw von der Standspur auf die rechte Fahrspur wechseln wollte, dies ohne zu blinken. Damit hat der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs gegen § 10 StVO verstoßen.
Den Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Einfahrenden (KG NZV 08, 622; Senat NZV 90, 394; OLG Köln DAR 06, 27; Burmann/Heß/Jahnke/Janker-Burmann, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., § 10 StVO, Rz. 8) konnte der Kläger nicht widerlegen. Da vom Fahrer des klägerischen Fahrzeugs ein Höchstmaß an Sorgfalt gefordert wird, tritt die Betriebsgefahr des sich im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeugs zurück (Senat NJW-RR 94, 1442; KG NJW-RR 11, 26; OLG Hamm NJW 10, 3790; NZV 06, 204).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, daß die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.