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OLG Oldenburg Beschluss vom 09.03.2004 - 8 U 19/04 - Zu den Sorgfaltsanforderungen an Radfahrer auf kombinierten Fuß- und Radwegen
OLG Oldenburg v. 09.03.2004: Zu den Sorgfaltsanforderungen an Radfahrer auf kombinierten Fuß- und Radwegen
Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 09.03.2004 - 8 U 19/04) hat entschieden:
Zu den Sorgfaltspflichten von Radfahrern gegenüber Fußgängern auf kombinierten Fuß- und Radwegen, sowie auf durch Zusatzschild für Radfahrer freigegebenen Gehwegen.
Gründe:
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls. Sie stieß als Radfahrerin auf einem kombinierten Rad- und Fußweg in O. mit dem Beklagten als Fußgänger zusammen; dabei erlitt sie erhebliche Verletzungen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe im Übrigen nimmt der Senat auf das angefochtene Urteil Bezug.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre bisher geltend gemachten Ansprüche weiter. Sie trägt unter Wiederholung und Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens vor, dass der Beklagte den Unfall schuldhaft verursacht habe.
Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Senat hat in seinem Hinweisbeschluss vom 10. Februar 2004 im einzelnen ausgeführt, dass die Berufung der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg bietet. Auf diese Ausführungen wird gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen. Die Ausführungen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 2. März 2004 rechtfertigen eine andere Entscheidung nicht.
Der Verkehrsunfall zwischen der Klägerin als Radfahrerin und dem Beklagten als Fußgänger hat sich, was sich deren Vorbringen und dem Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten nicht abschließend entnehmen lässt, offenbar auf einem Sonderweg im Sinne des § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO (kombinierter Fuß- und Radweg, Zeichen 240, 241), möglicherweise aber auch auf einem Gehweg im Sinne des § 25 StVO, der durch Zusatzschild für die Benutzung durch Radfahrer freigegeben war, ereignet. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann dies dahinstehen.
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Auf einem Sonderweg, der eine Mischung des Radverkehrs mit den Fußgängern auf einer gemeinsamen Verkehrsfläche bewirkt, haben Radfahrer auf Fußgänger Rücksicht zu nehmen (vgl. OLG Köln VersR 2002, 1040; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 41 StVO Rdnr. 83 ff). Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass kombinierte Fuß- und Radwege, die eine Benutzungspflicht für Radfahrer zur Folge haben, nur dann angelegt werden sollen, wenn dies nach den Belangen der Fußgänger, insbesondere der älteren Verkehrsteilnehmer und der Kinder, im Hinblick auf die Verkehrssicherheit vertretbar erscheint (vgl. die Verwaltungsvorschrift zu den Zeichen 240 und 241 gemeinsamer bzw. getrennter Fuß- und Gehweg). Radfahrer haben demnach die Belange der Fußgänger auf solchen Wegen besonders zu berücksichtigen. Selbstverständlich haben auch Fußgänger auf Radfahrer Rücksicht zu nehmen und diesen die Möglichkeit zum Passieren zu geben; den Radfahrer treffen aber in erhöhtem Maße Sorgfaltspflichten. Insbesondere bei einer unklaren Verkehrslage muss gegebenenfalls per Blickkontakt eine Verständigung mit dem Fußgänger gesucht werden; soweit erforderlich, muss Schrittgeschwindigkeit gefahren werden, damit ein sofortiges Anhalten möglich ist. Auf betagte oder unachtsame Fußgänger muss der Radfahrer besondere Rücksicht nehmen; mit Unaufmerksamkeiten oder Schreckreaktionen muss er rechnen.
Diese Maßstäbe gelten erst recht auf Gehwegen, die durch ein Zusatzschild für Radfahrer freigegeben sind. Das Zusatzschild „Radfahrer frei“ eröffnet dem Radverkehr nur ein Benutzungsrecht auf dem Gehweg. Den Belangen der Fußgänger kommt in diesem Fall ein besonderes Gewicht zu; insbesondere darf der Radverkehr nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren (Verwaltungsvorschrift zu Zeichen 239 Fußgänger).
Die von der Klage zitierte Vorschrift des § 25 Abs. 3 StVO, die das Überqueren von Fahrbahnen durch Fußgänger betrifft, ist hier hingegen nicht einschlägig. Es geht auch nicht um das Überqueren eines Radweges, für das die Grundsätze des § 25 StVO ebenfalls gelten.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Landgericht zutreffend entschieden, dass die Klägerin den Verkehrsunfall derart überwiegend verursacht hat, dass den Beklagten eine Mithaftung nicht trifft.
Das Landgericht hat seine Feststellungen rechts- und verfahrensfehlerfrei auf die Aussage der Zeugin Z. gestützt, die den Fuß- und Radweg mit ihrem Fahrrad hinter der Klägerin befahren hat. Von der Richtigkeit der Angaben der Zeugin geht auch die Berufung aus. Soweit die Zeugin Angaben zu Entfernungen, Abständen, Geschwindigkeiten und zeitlichen Abläufen gemacht, diese Angaben aber teilweise auf Nachfragen relativiert hat, ist zu berücksichtigen, dass Zeugen derartige Schätzungen kaum präzise vornehmen können. Die Grundlage für eine sachverständige Unfallrekonstruktion ist deshalb nicht vorhanden. Etwaige auf Mängeln der Wahrnehmung oder dem zeitlichen Abstand zwischen Unfallgeschehen und Vernehmung als Zeugin durch das Landgericht beruhende Unsicherheiten hinsichtlich des genauen Unfallhergangs berühren jedoch den Kerngehalt der Aussage nicht. Die Zeugin war sich sicher, dass der Unfall sich nicht derart ereignet hat, dass der Beklagte der Klägerin in das Fahrrad gelaufen ist. Vielmehr ist der Beklagte, ein zum Unfallzeitpunkt 67 Jahre alter Rentner, in einem gewissen Abstand vor den herannahenden Radfahrerinnen vom rechten zum linken Rand des an der Unfallstelle nur eine geringe Breite aufweisenden Fuß- und Radweges gewechselt, um die Fahrbahn zu überqueren. Auch wenn die Zeugin auf Nachfrage angegeben hat, dass alles sehr schnell gegangen sei, so war für sie doch eindeutig, dass die Klägerin zwar nicht links, wohl aber rechts an dem Beklagten hätte vorbeifahren können. Das Landgericht hat deshalb zutreffend darauf abgestellt, dass auch der langsamer als die Zeugin Z... fahrenden Klägerin – insbesondere bei Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit - genügend Zeit für eine Reaktion auf den vor ihr den Fuß- und Radweg überquerenden Beklagten zur Verfügung gestanden hat.
Zum Unfall ist es nach der Schilderung des Geschehens durch die Zeugin Z... deshalb gekommen, weil die Klägerin den Beklagten angeklingelt oder ihm etwas zugerufen hat, worauf dieser von der Bordsteinkante zurücktrat, was zur Folge hatte, dass die Klägerin, die nunmehr rechts an ihm vorbeifahren wollte, mit ihm kollidierte. Daraus kann ein Verschuldensvorwurf gegen den Beklagten nicht hergeleitet werden. Wie ausgeführt, haben Radfahrer auf kombinierten Fuß- und Radwegen, erst recht auf für Radfahrer freigegebenen Gehwegen, besondere Rücksicht auf Fußgänger zu nehmen, vor allen Dingen aber auf ältere und unachtsame Leute; auch mit Schreckreaktionen ist zu rechnen. Ein gefahrloses Vorbeifahren an dem Fußgänger setzt in vielen Fällen eine Verständigung mit diesem voraus, die die Klägerin hier nicht versucht hat, obwohl sie, wie das Klingeln oder der Zuruf zeigen, die Situation selber als unsicher oder sogar gefährlich einschätzte. Dass sie – insbesondere bei einem von ihr geforderten Abbremsen und der Einhaltung von Schrittgeschwindigkeit – räumlich und zeitlich die Möglichkeit hatte, den Zusammenstoß zu vermeiden, folgt aus ihrer eigenen Darstellung des Unfallgeschehens, den Angaben der Zeugin Z... und dem vom Landgericht festgestellten Geschehensablauf.
Die Rechtssache besitzt im Übrigen keine grundsätzliche Bedeutung; sie erfordert nicht eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.