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OLG Bamberg Beschluss vom 12.12.2012 - 3 Ss OWi 450/12 - Zum Brückenabstandsmessverfahren VAMA als standardisiertes Messverfahren

OLG Bamberg v. 12.12.2012: Zum Brückenabstandsmessverfahren VAMA als standardisiertes Messverfahren


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 12.12.2012 - 3 Ss OWi 450/12) hat entschieden:
  1. Das von der Polizei in Bayern zur Abstandsmessung eingesetzte sog. Brücken-Abstandsmessverfahren (VAMA) erfüllt alle Kriterien für die Einordnung als standardisiertes Messverfahren. Als 'standardisiert' ist damit nicht nur der mit Hilfe der Messanlage erfolgende Messvorgang selbst, sondern auch die anschließende Auswertung der gewonnenen Messaufnahmen zu qualifizieren, wobei unerheblich ist, ob diese Auswertung automatisiert oder auf sonstige Weise stattfindet.

  2. Ist in den Gründen des Bußgeldurteils eindeutig und zweifelsfrei festgestellt, dass die dem Betroffenen vorgeworfenen Geschwindigkeits- und Abstandswerte mit Hilfe des Brücken-Abstandsmessverfahrens (VAMA) unter Vornahme des Toleranzabzugs ermittelt wurden, ist die Mitteilung der konkreten Toleranzwerte nicht erforderlich. Denn mit der konkreten Bezeichnung des Messverfahrens ist auch der Wert der von der Innerstaatlichen Bauartzulassung der PTB geforderten systemimmanenten Toleranzen hinreichend dargetan. Es bedarf dann nicht mehr der Wiedergabe der Zeitwerte, die auf den in der Regel in den Akten befindlichen Videoprints eingeblendet sind.

Siehe auch Die Video-Messanlage VAMA - Brückenabstandsmessverfahren und Geschwindigkeitsverstöße - Nachweis - standardisierte Messverfahren


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 11.01.2012 wegen einer als Führer eines Pkw‘s am 12.09.2011 auf einer BAB begangenen Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Unterschreitens des erforderlichen Sicherheitsabstandes zu einer Geldbuße in Höhe von 360,00 EUR verurteilt. Nach den Feststellungen hielt der Betroffene bei einer Geschwindigkeit von 133 km/h zu dem vorausfahrenden Fahrzeug einen Abstand von 24,38 m und damit weniger als 4/10 des halben Tachowertes ein.

Mit der gegen diese Entscheidung geführten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.


II.

Der Einzelrichter hat die Sache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.


III.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Eine den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügende Verfahrensrüge, insbesondere der Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nicht erhoben. Soweit die Rechtsbeschwerde mit dem Hinweis auf den - wiedergegebenen - Inhalt des Schriftsatzes vom 10.01.2012 möglicherweise dessen entgegen § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG unterbliebene Einführung in die Hauptverhandlung rügen wollte, wäre die Beanstandung im Übrigen auch unbegründet. Denn der Tatrichter hat sich mit dem in diesem Schriftsatz erhobenen Einwand des Betroffenen, es sei ein Spurwechsel erfolgt, auseinandergesetzt, die entsprechende Einlassung aufgrund der Beweisaufnahme jedoch rechtsfehlerfrei für widerlegt erachtet.

2. Auch die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nicht weiter ausgeführten Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Die äußerst knappen Ausführungen des Tatrichters genügen noch den gemäß § 267 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG an die Urteilsgründe zu stellenden Anforderungen.

Insbesondere sind entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht die Feststellungen und Darlegungen des Tatrichters im Rahmen der Beweiswürdigung zur Ermittlung der Geschwindigkeit des Pkw‘s des Betroffenen und zu dem von diesem eingehaltenen Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug ausreichend.

a) Wie die Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht in ihrer Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, genügt, soweit sich der Schuldspruch bei einer Verurteilung auf das Ergebnis eines anerkannten standardisierten Verfahrens stützt und sich keine Anhaltspunkte für Messfehler ergeben haben, grundsätzlich die Mitteilung des Messverfahrens, des Messergebnisses und der Messtoleranz.

aa) Die Anforderungen, die von Rechts wegen an Messgeräte und -methoden gestellt werden müssen, um die grundsätzliche Anerkennung ihrer Ergebnisse im gerichtlichen Verfahren rechtfertigen zu können, dürfen nicht mit den sachlichrechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe gleichgesetzt werden. Ziel der Sachrüge ist die Kontrolle der zutreffenden Anwendung des materiellen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt. Die Anwendung einer Rechtsnorm auf den Sachverhalt ist aber grundsätzlich nicht von der Funktionstüchtigkeit eines (standardisierten) Messgeräts oder seiner sachgerechten Handhabung abhängig. Demzufolge sind Umstände, die abweichend vom Regelfall dem Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Messungen entgegenstehen, aber in den Feststellungen keinen Niederschlag gefunden haben, nur aufgrund einer entsprechenden Verfahrensrüge der gerichtlichen Kontrolle zugänglich (BGHSt 39, 291/297, 301 f.; Cierniak, zfs 2012, 664/665).

bb) Der sachlich-rechtlichen Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt jedoch auch, ob objektive Grundlagen aus rationalen Gründen den mit richterlicher Überzeugung gezogenen Schluss rechtfertigen können, das festgestellte Geschehen stimme mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit überein. Die Urteilsgründe müssen deshalb wenigstens erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht (BGH NJW 1982, 2882/2883; StV 1990, 340; vgl. auch KK/Senge OWiG 3. Aufl. § 71 Rn. 81). Die Ausführungen des Urteils sind andererseits nicht Selbstzweck. Ihr Umfang richtet sich vielmehr nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung der Beweisfrage unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und des Verteidigungsvorbringens. Gerade im Bußgeldverfahren dürfen unter dem Gesichtspunkt der (lediglich) verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden. Soweit der festgestellte Sachverhalt auf den Messergebnissen standardisierter Messverfahren beruht, ermöglicht deshalb die Mitteilung des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes neben der Wiedergabe der als erwiesen erachteten Messergebnisse eine an diesen Anforderungen ausgerichtete hinreichende Kontrolle der Beweiswürdigung (BGHSt 39, 291/297, 300, 302 f.). Denn bereits aus diesen Angaben kann gefolgert werden, dass die richterliche Überzeugung nicht auf einem bloßen Verdacht oder auf Vermutungen beruht (BGH NJW 1982, 2882/2883), sondern auf einer ausreichenden objektiven Grundlage, nämlich auf der Ermittlung und Feststellung von Geschwindigkeits- und Abstandswerten mit Hilfe eines standardisierten Messverfahrens.

cc) Die Annahme eines standardisierten Messverfahrens in diesem Sinne setzt nicht ein voll automatisiertes, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließendes Verfahren voraus. Hierunter ist vielmehr ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277/284). Technische Messsysteme, deren Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur innerstaatlichen Eichung zugelassen sind, werden daher grundsätzlich als standardisierte Messverfahren anerkannt (Cierniak a.a.O. 664).

dd) Den berücksichtigten Toleranzwert muss der Tatrichter in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich als solchen bezeichnen und benennen, wenngleich sich dies in der Regel empfehlen dürfte. Der Toleranzwert kann sich etwa auch aus der Angabe der gemessenen und der berücksichtigten Geschwindigkeit (Cierniak a.a.O. S. 667), des verwendeten Messgerätes (OLG Hamm NZV 2000, 264) oder Messsystems (OLG Brandenburg DAR 2005, 162) oder aus sonstigen Umständen ergeben. Stets muss der Abzug des Toleranzwertes den Urteilsgründen jedoch eindeutig zu entnehmen sein (OLG Rostock DAR 2001, 421 f. = zfs 2001, 383 f.; vgl. insgesamt Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 71 Rn. 43 f).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Der Tatrichter hat sowohl das Messverfahren - nämlich das Brücken-Abstandsmessverfahren (VAMA) - als auch die Messergebnisse dargelegt.

aa) Das Brücken-Abstandsmessverfahren (VAMA) ist von der obergerichtlichen Rechtsprechung als standardisiertes Verfahren anerkannt (vgl. BayObLG NZV 1994, 242 sowie Beschlüsse vom 02.02.1999 - 1 ObOWi 15/99 und vom 19.11.2001 - 1 ObOWi 569/01 [jeweils bei juris]; OLG Bamberg DAR 2012, 268 f. sowie Beschluss vom 04.07.2012 - 3 Ss OWi 848/2012; Burhoff/Böttger sowie Burhoff/Gieg, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., Rn. 85 f. und 119 f., jeweils m.w.N.). Hierbei ist entsprechend der bereits erwähnten Definition (BGHSt 43, 277/284) als standardisiert nicht nur der mit Hilfe der Messanlage (Charaktergenerator CG-P 50 E JVC/Piller, Messkameras) erfolgende Messvorgang, sondern auch die anschließende, regelmäßig auf einer Dienststelle der Polizei stattfindende Auswertung der Messaufnahmen zu qualifizieren. Denn die Art und Weise der Auswertung, insbesondere die Berücksichtigung der Toleranzen ist Bestandteil der Innerstaatlichen Bauartzulassung der PTB. Unerheblich ist hierbei, ob diese Auswertung automatisiert unter Verwendung eines Software-Programms oder konventionell von Tabellen oder auf sonstige Weise stattfindet.

bb) Allerdings hat der Tatrichter, worauf die Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht in ihrer Antragsschrift zutreffend hinweist, die Toleranzwerte nicht mitgeteilt, sondern lediglich festgestellt, dass die „zu Gunsten des Betroffenen vorzunehmenden Toleranzen bereits in Abzug gebracht worden sind“. Die Mitteilung der Toleranzwerte ist jedoch angesichts der Feststellung, dass die dem Betroffenen vorgeworfenen Geschwindigkeits- und Abstandswerte mit Hilfe des Brücken-Abstandsmessverfahrens (VAMA) ermittelt worden sind, nicht erforderlich (vgl. BayObLG sowie OLG Bamberg, jeweils a.a.O.; vgl. auch Burhoff/Gieg Rn. 106, 120, 124 f.). Denn mit der konkreten Bezeichnung des Messverfahrens, das in Bayern ausschließlich auf dem Einsatz des Charaktergenerators CG-P 50 E des Herstellers/Zulassungsinhabers JVC/Video Service Piller (kurz JVC/Piller) beruht, ist auch der Wert der - vom Tatrichter ausweislich der Urteilsgründe in Abzug gebrachten - von der Innerstaatlichen Bauartzulassung der PTB geforderten systemimmanenten und unveränderbaren, entsprechend der "Richtlinie für die polizeiliche Verkehrsüberwachung" (VÜ-Richtlinie - VÜR), Ergänzende Weisung Nr. 6.1 Ziffern 7.1.1 und 8 bei Ermittlung der Geschwindigkeit und des Abstandes jeweils 0;02 Sekunden betragenden Toleranzen hinreichend dargetan. Es bedarf daher insoweit bei einer eindeutigen und zweifelsfreien Feststellung dieses Messverfahrens und der ausdrücklichen Vornahme des Toleranzabzugs keiner gesonderten Mitteilung der Toleranzwerte in den Urteilsgründen mehr, auch nicht der Wiedergabe der Zeitwerte, die auf den in der Regel in den Akten befindlichen Videoprints eingeblendet sind.

c) Auch wenn der Tatrichter, obwohl grundsätzlich angezeigt, hinsichtlich der Vorahndungen in den Urteilsgründen weder die jeweiligen Tatzeiten, noch den Zeitpunkt der Bußgeldentscheidung und die Höhe der Rechtsfolgen festgestellt hat, ist die Erhöhung der Regelgeldbuße aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, da die Mitteilung des jeweiligen Tatvorwurfs und der Rechtskraft die vom Tatrichter insoweit getroffene Ermessensentscheidung noch rechtfertigen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.