Das Verkehrslexikon
OLG Köln Beschluss vom 07.09.2012 - III-1 RBs 242/12 - Zum Abweichen vom Regelfahrverbot bei einer Alkoholfahrt
OLG Köln v. 07.09.2012: Zum Abweichen vom Regelfahrverbot bei einer Alkoholfahrt
Das OLG Köln (Beschluss vom 07.09.2012 - III-1 RBs 242/12) hat entschieden:
Die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung eines Regeltatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, dass ein gänzliches Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes gerechtfertigt ist, unterliegt zwar in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung. Dem Tatrichter ist insoweit aber kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt. Vielmehr ist der ihm verbleibende Entscheidungsspielraum durch gesetzlich niedergelegte und durch von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt. Insoweit unterliegt die verhängte Rechtsfolge hinsichtlich ihrer Angemessenheit in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht.
Gründe:
I.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift zum Verfahrensgang Folgendes ausgeführt:
„Der Landrat des S. hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 26.08.2011 wegen Führens eines Kraftfahrzeuges mit einer Atemalkoholkonzentration von mehr als 0,25 mg/l gemäß §§ 24a Abs. 1, 25 StVG, 241 BKat, § 4 Abs. 3 BKatV eine Geldbuße in Höhe von 500 EUR festgesetzt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet (Bl. 10 ff. d. VV).
Auf seinen Einspruch hat das Amtsgericht Bergheim - 48 OWi 701 Js 2044/11-164/11 - den Betroffenen am 22.06.2012 in Abwesenheit eines Vertreters der Staatsanwaltschaft wegen fahrlässigen Fahrens unter Alkoholeinfluss zu einer Geldbuße von 1.250 EUR verurteilt und von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen (Bl. 11, 14 ff. d. A.). Nach Zustellung dieser nicht mit Gründen versehenen Entscheidung am 06.07.2012 (Bl. 12 d. A.) hat die Staatsanwaltschaft mit bei dem Amtsgericht am 11.07.2012 eingegangenem Schreiben vom 09.07.2012 Rechtsbeschwerde eingelegt (Bl. 13 d. A.). Nach Zustellung der vollständigen Entscheidung am 07.08.2012 (Bl. 21 d. A.) hat die Staatsanwaltschaft mit bei Gericht am 14.08.2012 eingegangenem Schreiben vom 09.08.2012 (Bl. 22 R d. A.) beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Betroffenen zu einer Regelgeldbuße nebst Fahrverbot zu verurteilen (Bl. 22 d. A.).“
II.
Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der die Rüge der Verletzung materiellen Rechts entnommen werden kann, hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
Dazu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift ausgeführt:
„Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil die Begründung der Entscheidung den Anforderungen an das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots nicht genügt.
Die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung eines Regeltatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, dass ein gänzliches Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes gerechtfertigt ist, unterliegt zwar in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung. Dem Tatrichter ist insoweit aber kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt. Vielmehr ist der ihm verbleibende Entscheidungsspielraum durch gesetzlich niedergelegte und durch von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt. Insoweit unterliegt die verhängte Rechtsfolge hinsichtlich ihrer Angemessenheit in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung des Fahrverbotes oder des Absehens von einem solchen zu zählen ist. Soweit der Tatrichter ein Absehen vom Regelfahrverbot aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen des Betroffenen für angemessen erachtet, reicht hierzu indes nicht jeder berufliche Nachteil aus. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigt vielmehr nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die ggf. im Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist, den Verzicht auf ein - uneingeschränktes - Fahrverbot (OLG Hamm, Beschluss vom 03.05.2004 - 3 Ss OWi 239/04 -; OLG Hamm VRS 90, 210, 212; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366 f.; OLG Hamm, Beschlüsse vom 18.02.2003 - 4 Ss OWi 73/03 -, vom 06.02.2003 - 4 Ss OWi 75/03 -, vom 06.03.2006 - 3 Ss OWi 86/06 - und vom 29.06.2010 - III-3 RBs 120/10 -).
Insoweit liegen nur dann hinreichende, das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes tragende Urteilsgründe vor, wenn im Einzelnen dargelegt wird, dass es dem Betroffenen nicht möglich ist, zumutbare Maßnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Fahrverbotes zu ergreifen (OLG Hamm, Beschluss vom 28.10.2004 - 3 Ss OWi 601/04 -, Beschluss vom 06.03.2006 - 3 Ss OWi 86/06 -).
Das Amtsgericht hat zwar mitgeteilt, der Betroffene habe am Tag mehrere spontane, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erreichende Kundentermine in einem Umkreis von 50 Kilometern wahrzunehmen. Es hat sich allerdings nicht mit der Frage befasst, inwieweit dem Betroffenen die Durchführung der hierfür erforderlichen Fahrten unter Zuhilfenahme von z. B. Taxen möglich und die Einstellung eines Fahrers für die Dauer des Fahrverbots zumutbar ist (zu vgl. OLG Hamm Beschluss vom 04.03.2009 - 4 Ss OWi 123/09 - und vom 29.06.2010 - III-3 RBs 120/10 -). Hiermit verbundene finanzielle Belastungen hat jeder Verkehrsteilnehmer - so auch die Betroffene - hinzunehmen, notfalls durch Aufnahme eines Kredits (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29.06.2010 - III-3 RBs 120/10 -; OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.10.2009 - 2 Ss-OWi 239/09).
Soweit von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen wurde, hat es das Gericht im Übrigen unterlassen, für seine Überzeugung vom Vorliegen eines Ausnahmefalls eine auf Tatsachen gestützte Begründung zu geben, die sich nicht nur in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpft (zu vgl. OLG Hamm Beschluss vom 04.03.2009 - 4 Ss OWi 123/09). Insofern wäre zu prüfen gewesen, ob die Anordnung eines einmonatigen Fahrverbots für den Betroffenen tatsächlich den Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage bedeutet. Dies erscheint mit Blick auf das von dem Betroffenen gefahrene, in Anschaffung und vor allem Unterhalt jedenfalls nicht günstige Fahrzeug eher zweifelhaft.“
Dem stimmt der Senat zu.