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OLG Bamberg Urteil vom 26.02.2008 - 3 Ss 118/07 - Zum Begriff der"genügenden Entschuldigung" beim Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung
OLG Bamberg v. 26.02.2008: Zum Begriff der"genügenden Entschuldigung" beim Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung
Das OLG Bamberg (Urteil vom 26.02.2008 - 3 Ss 118/07) hat entschieden:
- Der Begriff der "genügenden Entschuldigung" darf nicht eng ausgelegt werden. Denn § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO enthält eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf. Die Regelung birgt nicht nur die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich, sondern auch, dass dem Angeklagten das ihm verfassungsrechtlich verbürgte rechtliche Gehör entzogen wird.
- Bloße Zweifel an einer genügenden Entschuldigung i.S.v. § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO dürfen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Die – gegebenenfalls im Wege des Freibeweises zu erfüllende - Nachforschungsverpflichtung des Gerichts ist allerdings nicht grenzenlos. Ihre Auslösung setzt entsprechend dem Gesetzeszweck (wenigstens) voraus, dass der Angeklagte vor der Hauptverhandlung schlüssig einen Sachverhalt vorträgt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen (u.a. Anschluss an BayObLG, 20. Oktober 1997, 3St RR 54/97, BayObLGSt 1997, 145/147 f.; BayObLG, 11. Mai 1998, 1 ObOWi 169/98, 1998, 79 und KG Berlin, 25. August 2004, (3) 1 Ss 112/04 (56/04), VRS 108, 110).
Gründe:
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung aussetzte. Auf die Berufung des Angeklagten bestimmte das Landgericht am 26.02.2007 Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 12.07.2007. Die Ladung wurde dem Angeklagten am 27.02.2007 zugestellt. Mit Telefaxschreiben vom 10.07.2007, eingegangen am selben Tage, beantragte der Verteidiger Terminsverlegung mit der Begründung, der Angeklagte halte sich beruflich schon seit längerer Zeit im Ausland auf, weshalb ihm eine kurzfristige Anreise nicht möglich sei. Dem Antrag fügte der Verteidiger als Anlage eine als „ Unabkömmlichkeitserklärung “ bezeichnete knappe schriftliche Mitteilung des Arbeitgebers des Angeklagten bei, wonach der Angeklagte im Discotheken- und Restaurantbetrieb des Unterzeichners auf Mallorca „als PR- Manager fest angestellt“ sei und zu seinem Tätigkeitsbereich die „Einweisung und Schulung der neuen PR–Mitarbeiter“ zähle; der Angeklagte sei „damit fester Bestandteil unseres Unternehmens und somit bis Ende Oktober unabkömmlich“. Hierauf teilte der Vorsitzende der Berufungskammer der Kanzlei des Verteidigers noch am gleichen Tage telefonisch mit, dass der Termin nicht abgesetzt werde.
Im Termin zur Berufungshauptverhandlung am 12.07.2007 erschien lediglich der Verteidiger des Angeklagten, jedoch nicht der Angeklagte selbst. Das Landgericht verwarf daraufhin mit dem hier angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 329 Abs. 1 StPO, weil der ordnungsgemäß geladene Angeklagte weder bei Beginn der Hauptverhandlung um 09.00 Uhr noch innerhalb einer Wartezeit bis 9.18 Uhr erschienen sei und Erklärungen des Angeklagten oder sonstige Anhaltspunkte, die sein Ausbleiben entschuldigen könnten, nicht vorlägen. Die im Schreiben seines Verteidigers vom 10.07.2007 geltend gemachte berufliche Angelegenheit reiche für eine Entschuldigung nicht aus, da es dem Angeklagten ohne weiteres möglich und auch zumutbar gewesen sei, den Auslandsaufenthalt für zwei Tage zu unterbrechen.
Mit seiner gegen das Verwerfungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen Rechts mit der Begründung, das Berufungsgericht habe gegen § 329 StPO dadurch verstoßen, dass es zu Unrecht von einer nicht genügenden Entschuldigung des Angeklagten ausgegangen sei. Im Übrigen sei die Kammer aufgrund der mitgeteilten Tatsachen verpflichtet gewesen, aufzuklären, ob der Angeklagte genügend entschuldigt sei.
II.
Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 341, 344, 345 StPO) Revision erweist sich als unbegründet. Ein Verstoß gegen § 329 StPO ist entgegen der Rechtsauffassung der Revision, welcher sich auch die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht im Rahmen ihrer Antragsschrift vom 05.11.2007 angeschlossen hat, nicht gegeben. Eine genügende Entschuldigung lag nicht vor.
1. Der Begriff der "genügenden Entschuldigung" darf nicht eng ausgelegt werden. Denn § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO enthält eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf (§ 230 Abs. 1 StPO). Die Regelung birgt nicht nur die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich, sondern auch, dass dem Angeklagten das ihm nach Art. 103 Abs. 1 GG (Art. 91 Abs. 1 BV) verfassungsrechtlich verbürgte rechtliche Gehör entzogen wird. Deshalb ist bei der Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten.
a) Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann.
Entscheidend ist dabei nicht, ob sich der Angeklagte genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist. Den Angeklagten trifft daher hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes grundsätzlich keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis; vielmehr muss das Gericht, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungsgrund vorliegt, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen (st.Rspr., z.B. BGHSt 17, 391/396 f.; BGHR StPO § 329 Abs. 1 Satz 1 Ladung 1; BayObLGSt 2001, 14/16; 1998, 79/81; BayObLG, Beschluss vom 19.10.2004 - 1 Ob OWi 442/04; OLG Stuttgart DAR 2004, 165/166 sowie OLG Bamberg VRR 2007, 74 ff. = wistra 2007, 79 f.; vgl. ferner Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 329 Rn. 21 ff. und KK/Ruß StPO 5. Aufl. § 329 Rn. 7 ff. jeweils m.w.N). Bescheinigungen, insbesondere ärztliche Atteste haben daher so lange als genügende Entschuldigung zu gelten, als nicht deren Unglaubwürdigkeit oder Unbrauchbarkeit feststeht (OLG Frankfurt NJW 1988, 2965), es sei denn, das Vorbringen ist aus der Luft gegriffen oder sonst ganz offensichtlich ungeeignet, das Ausbleiben zu entschuldigen (BayObLGSt 2001, 14/16). Bloße Zweifel an einer genügenden Entschuldigung dürfen allerdings nicht zu Lasten des Angeklagten gehen, weil damit der Ausnahmecharakter des § 329 Abs. 1 StPO verkannt würde. Das Gericht ist in diesem Fall vielmehr gehalten, seinen Zweifeln – gegebenenfalls im Wege des Freibeweises (BayObLGSt 1998, 79/82) - nachzugehen.
b) Die Nachforschungsverpflichtung des Gerichts ist allerdings nicht grenzenlos. Ihre Auslösung setzt (wenigstens) voraus, dass der Angeklagte vor der Hauptverhandlung schlüssig einen Sachverhalt vorträgt oder vortragen lässt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen, dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind (KG VRS 108, 110 ff.); nur dann ist er auch nicht verpflichtet, die Richtigkeit seines Vorbringens glaubhaft zu machen und durch Vorlage von geeigneten Unterlagen zu belegen (BayObLGSt 1997, 145/147 f.; 1998, 79/81 f.). Eine andere Sicht wäre mit dem Zweck der Vorschrift des § 329 StPO, das Verfahren zu beschleunigen und den Angeklagten, der Berufung eingelegt hat, daran zu hindern, die Entscheidung über sein Rechtsmittel nach Gutdünken zu verzögern, indem er der Verhandlung fernbleibt, unvereinbar. In diesen Fällen muss das mit dem Beschleunigungsgebot konkurrierende Streben nach einer möglichst gerechten Sachentscheidung mit der Folge zurück treten, dass im Einzelfall auch ein möglicherweise sachlich unrichtiges Urteil in Kauf zu nehmen ist (BGHSt 23, 331/334 f.; OLG Koblenz NJW 1975, 322 f.; Meyer-Goßner § 329 Rn. 2, 20).
2. Nach diesen Maßstäben war das Landgericht vorliegend über die Unterrichtung des Verteidigerbüros hinaus, dass die beantragte Terminsverlegung ausscheide, zu keinen weiteren Maßnahmen, insbesondere nicht zur Einleitung freibeweislicher Ermittlungen von Amts wegen über die Berechtigung des Entschuldigungsvorbringens des Angeklagten verpflichtet.
Macht der Angeklagte - wie hier - eine beruflich bedingte Verhinderung allein mit dem schlichten Hinweis geltend, dass er aufgrund seiner (arbeits-) vertraglichen Präsenz- und Dienstleistungs- bzw. Arbeitsverpflichtung zu dem Berufungstermin nicht erscheinen werde, kann dieser – womöglich hinsichtlich seiner Erheblichkeit auf gerichtlich nicht zu vertretenden rechtsirrigen Annahmen beruhende – Vortrag eine genügende Entschuldigung offensichtlich nicht begründen. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn sich dem Vorbringen keinerlei entweder aus dem Gesamtzusammenhang des vorgetragenen Sachverhalts oder sich dem Gericht aus sonst bekannten Umständen zu entnehmende Hinweise dafür erkennen lassen, bei den seitens des Angeklagten womöglich nur aus Unbedarftheit unklar zum Ausdruck gebrachten Hinderungsgründen könnte es sich um unaufschiebbare Geschäfte oder berufliche Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung handeln (vgl. OLG Bamberg aaO.; OLG Koblenz OLGSt StPO § 329 Nr. 5; OLG Schleswig Beschluss vom 06.01.1982 – 1 Ws 416/81 - juris). Denn nur dann könnte die öffentlich-rechtliche Pflicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Gericht zu erscheinen, hinter der Regelung privater oder beruflicher Angelegenheiten zurücktreten.
Hinweise auf zwingende Gründe dieser Art, die das Landgericht zu weiteren Nachforschungen hätten veranlassen müssen, können hier allerdings weder dem Verlegungsgesuch vom 10.07.2007 noch der beigegebenen Bescheinigung des Arbeitgebers des Angeklagten vom 09.07.2007 entnommen werden. Allein die berufliche Stellung des Angeklagten als angestellter PR-Chef einer Diskothek und eines Restaurants auf Mallorca und sein damit verbundener Tätigkeitsbereich sind nicht geeignet, eine Unabkömmlichkeit des Angeklagten für den Zeitraum der für einen Tag angesetzten Hauptverhandlung nebst erforderlichem Hin- und Rückflug zu begründen, ebenso wenig wie die bloße weitere Mitteilung, der Angeklagte sei bis Ende Oktober unabkömmlich. Anhaltspunkte für eine irrtümliche Annahme des Angeklagten, er könne in der Berufungshauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten werden (vgl. OLG Hamm StraFo 2004, 211 f.), sind von der Revision weder vorgetragen noch dem Terminsverlegungsantrag des Verteidigers vom 10.07.2007 nebst beigefügter „ Unabkömmlichkeitserklärung “ zu entnehmen oder sonst ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.