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OLG München Urteil vom 22.06.2012 - 10 U 306/12 - Zum Fahrstreifenwechsel nach links eines zunächst rechts blinkenden vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers
OLG München v. 22.06.2012: Zum Fahrstreifenwechsel nach links eines zunächst rechts blinkenden vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers
Das OLG München (Urteil vom 22.06.2012 - 10 U 306/12) hat entschieden:
Blinkt ein Vorausfahrender auf einer Rechtsabbiegerspur rechts, darf sich der Nachfolgende auf das Anzeigen der Richtungsänderung verlassen. Fährt der Vorausfahrende sodann geradeaus und veranlasst dadurch eine heftige Ausweichbewegung des Nachfolgenden, so haftet der Fahrstreifenwechsler für den Schaden voll.
Gründe:
A.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache überwiegend Erfolg.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Die Berufung der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg, da das Landgericht bereits überzeugend darauf hingewiesen hat, dass das Verkehrsverhalten des Beklagten zu 1) alleine durch das Rechtsblinken und geradeaus Weiterfahren in einem räumlich und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall steht und deshalb kausale Ursache für den klägerischen Schaden darstellte. Aus den nachfolgenden Gründen ergibt sich, dass eine Haftung des Klägers ausscheidet.
II.
Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Verkehrsunfall unaufklärbar war. Bereits aus den Angaben der Klagepartei und der Aussage der Beifahrerin des Klägers ergab sich, dass der Beklagte zu 1) nach rechts gezogen, rechts geblinkt und die Geschwindigkeit verlangsamt, dann aber wieder nach links gezogen hatte, weswegen der Kläger, der am Beklagten zu 1) gerade links vorbeifahren wollte, zu einem Ausweichmanöver gezwungen wurde, infolgedessen er ins Schleudern kam, an eine Leitplanke prallte und dadurch der Schaden am klägerischen Fahrzeug entstand. Die Ehefrau des Beklagten zu 1) hat ausweislich der S. 6 des Ersturteils angegeben, der Beklagte zu 1) sei auf der rechten von zwei Fahrspuren gefahren, habe den rechten Blinker gesetzt und sei sogar noch etwas nach rechts gezogen, um abzubiegen. Der Beklagte zu 1) habe die Ausfahrt verpasst, weshalb er geradeaus weitergefahren sei. Da diese Zeugenaussage dem entspricht, was auch der Kläger und die klägerische Zeugin angegeben haben, ist der Schluss des Landgerichts, der Unfall sei unaufklärbar, nicht überzeugend. Es bedurfte daher wegen der drohenden abweichenden Würdigung einer ergänzenden Einvernahme der Ehefrau des Beklagten zu 1) als Zeugin zum Unfallhergang.
Die in der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2012 (Bl. 335/339 d.A.) vor dem Senat ergänzend angehörte Ehefrau des Beklagten zu 1) hat im entscheidenden Kern ihre bisherigen Aussagen vor dem Landgericht bestätigt. Danach war das Fahrzeug des Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt, als der Kläger gegen die Leitplanke fuhr, auf der Geradeausspur. Rechts sei wegen des Schnees nicht soviel Platz gewesen, dass ein Fahrzeug hätte überholen können. Der andere Autofahrer sei links vorbei gefahren. Sie bestätigte auf Vorhalt ihre frühere Aussage vom 02.05.2007, wonach an der Unfallstelle zwei Fahrspuren in beiden Richtungen waren. Alle seien auf der rechten Fahrspur gewesen; die linke Fahrspur sei praktisch unbenutzt gewesen. In ihrer Aussage vor dem Landgericht vom 10.11.2010, deren Richtigkeit sie ebenfalls bestätigte, gab sie an, dass sie auf der rechten von zwei Fahrspuren fuhren.
Die Aussagen der Zeugin waren widerspruchsfrei über alle Vernehmungen hinweg. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin oder an der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen nicht. Die Aussagen stimmen mit der durch Lichtbilder dokumentierten Unfallörtlichkeit überein. Diese Lichtbilder im Gutachten des Sachverständigen S. zeigen, dass die Straße im Bereich der Unfallstelle je zwei Fahrspuren in beiden Richtungen aufweist. Dabei ist die rechte Fahrspur jeweils als reine Rechtsabbiegerspur ausgewiesen, die linke Fahrspur ist Geradeausspur. Die gegenläufigen Fahrspuren sind durch eine durchgezogene weiße Linie geteilt. Die Straße macht im Umfeld der Unfallstelle in Blickrichtung der Parteifahrzeuge einen Rechtsbogen. Das noch am Unfallort gefertigte Lichtbild auf Seite 17 des Gutachtens vom 21.07.2008/Bl. 88/134 d.A.) weist (siehe vor allem rechter Bildrand) eindeutig erkennbare Spuren im Schnee auf, wonach nicht nur eine Geradeausfahrspur, sondern auch die Rechtsabbiegerspur befahren wurde. Dies entspricht im Übrigen auch der eigenen Sachkenntnis des Senats, wonach völlig unwahrscheinlich wäre, dass diese vielbefahrene Abzweigung nach Deutschland über den Fernpass vor den streitgegenständlichen Fahrzeugen so lange nicht befahren worden sein soll, dass eine Fahrspur (im Schnee) nicht mehr vorhanden war. Bei Heranziehung der Aussagen der Zeugen steht damit zur Überzeugung des Senats (§ 286 I ZPO) fest, dass der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug auf der rechten Fahrspur gefahren ist und dass diese Fahrspur die Rechtsabbiegerspur in Richtung Deutschland war. Da der Beklagte zu 1) nach Deutschland fahren wollte, rechts blinkte leicht nach rechts zog (was dem Fahrbahnverlauf entsprochen hat) und verlangsamte, durfte der Kläger, der damals irrtümlich glaubte, geradeaus weiterfahren zu müssen, obwohl er auch nach Deutschland fahren wollte, berechtigt davon ausgehen, dass der Beklagte zu 1) auch tatsächlich nach rechts abbiegt. Wenn der Kläger dann hinter dem Beklagten zu 1) auf die linke Geradeausspur wechselte, um am Beklagtenfahrzeug vorbeizufahren, war dies nicht nur seinen Vorstellungen entsprechend sachgerecht, sonder auch verkehrsrechtlich unbedenklich. Er musste trotz Berücksichtigung der herrschenden Witterungsverhältnisse nicht damit rechnen, dass der Beklagte zu 1) ohne Ankündigung plötzlich nach links lenkt und wegen der Rechtskurve der Straße damit in die vom Kläger befahrene Geradeausspur hinein fährt, um ihn dadurch zu gefährden.
Dieser Fahrstreifenwechsel stellt einen Verstoß gegen § 11 öStVO dar, die österreichische Verkehrsrechtslage wurde vom Landgericht zutreffend ermittelt, der zu einer vollständigen Haftung der Beklagten führt (§ 17 I StVG). Denn angesichts des oben beschriebenen groben Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1) hat auch eine etwaige Haftung aus Betriebsgefahr zurückzutreten.
Hinsichtlich der Höhe des Schadens sowie des Verzugsschadens kann auf das angefochtene Ersturteil Bezug genommen werden. Soweit das Landgericht die Höhe des klägerischen Anspruchs zu einem geringen Teil für unbegründet hielt, fehlen hierzu Ausführungen des Klägers in der Berufungsbegründung, so dass weitere Erläuterungen entbehrlich sind.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 II Nr. 2, 97 I, 100 II, IV ZPO.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
V.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.