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BGH (Urteil vom 15.03.1954 - III ZR 333/52 - Zur Aufsichtspflicht der Lehrer

BGH v. 15.03.1954: Zur Aufsichtspflicht der Lehrer über minderjährige Schulkinder und zur Beweislastumkehr


Der BGH (Urteil vom 15.03.1954 - III ZR 333/52) hat entschieden:
  1. Beamteten Lehrern obliegt die Pflicht, minderjährige Schüler während der Schulpausen zu beaufsichtigen, als Amtspflicht Dritten, auch Mitschülern gegenüber, die durch Spiele der Schüler gefährdet werden. Es handelt sich dabei um Ausübung öffentlicher Gewalt.

    Die Haftung beamteter Lehrer bei Verletzung ihrer Aufsichtspflicht über minderjährige Schüler ist in BGB § 839 abschließend geregelt. BGB § 832 findet daneben keine Anwendung.
Anmerkung: Seine Rechtsprechung zur Nichtanwendung der Beweisregel des § 832 BGB hat der BGH (Urteil vom 13.12.2012 - III ZR 226/12) aufgegeben.


Tatbestand:

Der 1928 geborene Kläger ist im Jahre 1936 als Schüler einer Volksschule während einer Unterrichtspause auf dem Schulhof zu Boden gestürzt und hat den linken Arm gebrochen.

Er verlangt Schadensersatz vom beklagten Land in Form einer Rente, weil der Unfall darauf zurückzuführen sei, dass die vier während der Unterrichtspause auf dem Schulhof anwesenden Lehrer ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil das beklagte Land den Nachweis erbracht habe, dass das Lehrerpersonal seiner Aufsichtspflicht genügt habe. Das Berufungsgericht hat den Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Die Revision führte zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.


Entscheidungsgründe:

Es ist herrschende Meinung, dass beamtete Lehrer die Pflicht haben, minderjährige Schüler zur Verhinderung von Schäden auch während der Schulpausen zu beaufsichtigen, dass diese Pflicht eine Amtspflicht ist, die ihnen auch gefahrbedrohten Dritten, insbesondere Mitschülern gegenüber obliegt, und dass es sich dabei um Ausübung öffentlicher Gewalt handelt (§ 839 BGB, Art 131 WeimRVerf Art 34 GrundG - (§ 839 BGB, Art 131 WeimRVerf Art 34 GrundG - vgl RGRKomm 10. Aufl § 839 Anm 1 u 4m).

Das Berufungsgericht stellt auf Grund der Beweisaufnahme tatsächlich fest, dass der Kläger als Unbeteiligter beim Spiel anderer Kinder umgerannt worden ist, dass dabei das linke Ellenbogengelenk beschädigt worden ist und dass der Kläger um dieser Beschädigung willen seine Ausbildung als Baupraktikant aufgegeben hat. Damit steht fest, dass ein aufsichtsbedürftiger Minderjähriger dem Kläger Schaden widerrechtlich zugefügt hat.

Das Berufungsgericht erwägt, dass der Kläger auf diese Weise auch dann verletzt werden konnte, wenn die Betätigung der anderen Schüler nach Art und Form maßvoll war. Die Gefahr für ihn sei aber größer gewesen, wenn das Treiben der Kinder ausgeartet sei. Im ersteren Fall habe keine Verpflichtung der Lehrer zum Einschreiten bestanden, wohl aber im letzteren Falle. Nun sei im allgemeinen der Nachweis einer schuldhaften Amtspflichtverletzung durch den Geschädigten zu führen. Wenn die Amtspflicht aber in der Verpflichtung bestehe, die Aufsicht über Personen zu führen, die wegen ihrer Minderjährigkeit der Beaufsichtigung bedürfen, dann griffen die Vorschriften in § 832 BGB ein. Danach werde ursächliche Verletzung der Aufsichtsperson vermutet, wenn ein Minderjähriger einem Dritten widerrechtlich Schaden zufüge.

Die Revision macht geltend, § 839 BGB regle die Beamtenhaftung erschöpfend. Es sei nicht zulässig, § 832 BGB heranzuziehen (RGZ 154, 117). Der Kläger verweist demgegenüber in der Revisionsbeantwortung auf die schon vom Berufungsgericht angezogene Entscheidung RGZ 140, 415, wonach die Haftungsregelung des § 18 KfzG neben § 839 BGB zu berücksichtigen sei, und auf BGHZ 3, 321, wonach der Staat sich hinsichtlich seiner Haftung gemäß Art 7 EGHGB nicht einschränkenderweise auf § 839 BGB berufen könne. Er bezieht sich weiter auf die Entscheidungen des Reichsgerichts RGZ 65, 290 und Warn 1908, 316 sowie des Kammergerichts in OLG 14, 38, denen zu entnehmen sei, dass der Staat, der die Aufsicht über Minderjährige übernehme, nicht besser gestellt sein dürfe als sonstige allgemeine Aufsichtspflichtige.

Aus den zuletzt genannten drei Entscheidungen lässt sich indessen nicht herleiten, was der Kläger daraus entnehmen will. In keinem der drei Urteile ist § 839 BGB als Anspruchsgrundlage behandelt worden, zur Frage des Verhältnisses von § 832 zu § 839 BGB ist in ihnen nicht Stellung genommen. Bei der Haftung des Kraftfahrzeugführers nach § 18 KfzG (RGZ 140, 415) handelt es sich um einen Fall der Gefährdungshaftung und um die Regelung auf einem Sondergebiet. Aus diesem Urteil kann für die Verschuldenshaftung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht hergeleitet werden (vgl Erman, Handkommentar BGB 1952, § 839 Anm 1d). Das Urteil BGHZ 3, 321 (328ff) behandelt und verneint die Frage, ob der Staat unter Berufung auf § 839 Abs 1 Satz 2 BGB seine Haftung bei einem von einem Beamten fahrlässig verursachten Schiffszusammenstoß deshalb ablehnen könne, weil der geschädigte Reeder gegen Kasko versichert sei. Hier steht also nicht die Vermutung eines Verschuldens, sondern die anderweite Ersatzmöglichkeit in Frage. Auch hier handelt es sich im übrigen um ein Sondergebiet mit besonderer Haftungsregelung.

Die vom Reichsgericht (Warn 1916 Nr 80) aufgeworfene Frage, "ob beim Zusammentreffen des Anspruchs aus § 839 BGB mit dem Anspruch aus § 832, der dem Aufsichtspflichtigen den Entschuldigungsbeweis auferlegt, diese dem Beamten ungünstigere Gesetzesvorschrift zur Anwendung gebracht werden dürfe", ist zu verneinen. Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts ist die Haftung der Beamten in § 839 BGB abschließend und selbständig in dem Sinn geregelt, dass neben diesen Vorschriften die Bestimmungen in §§ 823ff BGB über die allgemeine Deliktshaftung keine Anwendung finden können (zB RGZ 154, 117). Das gilt auch für die Bestimmungen in § 832 BGB, die nicht nur eine Beweisregel enthalten, sondern einen selbständigen Deliktstatbestand schaffen (vgl Erman aaO § 832 Anm 1a; Planck, Komm BGB 4. Aufl 1928, § 832 Anm 1a Abs 2 u 5).

Es ist nicht zu verkennen, dass danach der beamtete Aufsichtspflichtige günstiger gestellt ist als der allgemeine Aufsichtspflichtige, der nach § 832 BGB den Entschuldigungsbeweis führen muss. Eine solche Begünstigung von fahrlässig ihre Amtspflicht verletzenden Beamten ist aber auch sonst dem Gesetz nicht fremd, wie sich aus § 839 Abs 1 Satz 2, Abs 2 u 3 ergibt. Andererseits kann eine Verpflichtung zum Schadensersatz aus § 839 BGB auch dann begründet sein, wenn einer der sonstigen Deliktstatbestände nicht oder nicht voll verwirklicht ist (RGZ 154, 117 (123); 155, 257 (267)). Soweit es sich um Ausübung öffentlicher Gewalt handelt, wie hier, kommt dem Geschädigten überdies zugute, dass er sich an den Staat halten kann, statt an den möglicherweise nicht leistungsfähigen Beamten.